religiöse Bestimmungen des Westfälischen Friedens

Necron

Mitglied
Ich werde einfach aus dem Internet nicht schlau:
"Religiöse Bestimmungen
Die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 wurden wieder eingesetzt. Es galt also erneut die Regel "cuius regio, eius religio" (wessen Gebiet, dessen Religion), d. h. die Konfession des Herrschers bestimmte auch die Konfession seiner Untertanen. Maßgebend war dabei der Stand von 1624. Eingeschlossen in diese Regel wurden nun aber auch die evangelisch-reformierten Kirchen (statt wie vorher nur die evangelisch-lutherischen Protestanten)."
Was waren nun die konkreten Änderungen zu 1555? Nur die Miteinbeziehen der evangelisch-reformierten Kirchen? Und das Normaljahr 1624?
Konnten die "Untertanen" ihre Religion also immer noch nicht frei wählen? Sie mussten aber einen Religionswechsel des Landesfürsten nicht mitmachen, richtig?
 
Ich hätte noch eine Frage: Der YouTuber "MrWissen to go" sagt ab 10:28min in seinem Video zum Westfälischen Frieden, dass sich die Untertanen im Deutschen Reich "jetzt selbst aussuchen dürfen, ob sie katholisch, lutherisch oder calvinistisch sein wollen." Der Dreißigjährige Krieg I


Das ist so doch nicht richtig, oder? Ich dachte, dass man fortan einen eventuellen religiösen Wechsel des Herrschers als Untertan nicht mehr mitmachen musste. Man konnte aber doch nicht sagen, "Ich werde jetzt mal calvinistisch.." und wurde das dann auch, oder?!

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Man konnte aber doch nicht sagen, "Ich werde jetzt mal calvinistisch.." und wurde das dann auch, oder?!

Das konnte man schon. Nur musste man, um seine Konfession praktizieren zu können, dann halt in ein calvinistisches Territorium auswandern - und das musste man sich erst einmal leisten können.

Es gab aber auch gemischtkonfessionelle Gebiete. Da war es zumindest weniger problematisch:
Religionsfreiheit in Europa im 15. Jh.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich dachte, dass man fortan einen eventuellen religiösen Wechsel des Herrschers als Untertan nicht mehr mitmachen musste.
Danke für die Infos. Aber nur noch mal zum Verständnis. Obiges Zitat stimmt aber auch, oder? Das wäre dann ja quasi eine "Weiterentwicklung" in Bezug auf 1555.
 
Nein. Ich meinte, dass man den evtl Wechsel des Landesherrn nicht mitmachen musste?!

Ja, das ist korrekt. Die territoriale Konfessionszugehörigkeit wurde auf den Stand 1. Januar 1624 festgeschrieben.
Wenn es sich der Landesfürst danach anders überlegte, blieb für die Untertanen trotzdem alles beim alten.
 
Das konnte man schon. Nur musste man, um seine Konfession praktizieren zu können, dann halt in ein calvinistisches Territorium auswandern - und das musste man sich erst einmal leisten können.
Das war aber keine Neuerung im Westfälischen Frieden, oder? Das konnte man nach dem Augsburger Religionsfrieden auch, oder? Nur halt nicht als Calvinist, oder?
 
Das konnte man nach dem Augsburger Religionsfrieden auch, oder?

Genau:

"[Abzugsrecht bei Bekenntniswechsel]
§ 24. Wo aber Unsere, auch der Churfürsten, Fürsten und Stände Unterthanen der alten Religion oder Augspurgischen Confession anhängig, von solcher ihrer Religion wegen aus Unsern, auch der Churfürsten, Fürsten und Ständen des H. Reichs Landen, Fürstenthumen, Städten oder Flecken mit ihren Weib und Kindern an andere Orte ziehen und sich nieder thun wolten, denen soll solcher Ab- und Zuzug, auch Verkauffung ihrer Haab und Güter gegen zimlichen, billigen Abtrag der Leibeigenschafft und Nachsteuer, wie es jedes Orts von Alters anhero üblichen, herbracht und gehalten worden ist, unverhindert männiglichs zugelassen und bewilligt, auch an ihren Ehren und Pflichten allerding unentgolten seyn. Doch soll den Oberkeiten an ihren Gerechtigkeiten und Herkommen der Leibeigenen halben, dieselbigen ledig zu zehlen oder nicht, hiedurch nichts abgebrochen oder benommen seyn."
https://www.lwl.org/westfaelische-g...atensatz.php?urlID=739&url_tabelle=tab_quelle

Siehe auch:
Schlaglicht 1555: der Erste Religionsfrieden | bpb
Die regionale Obrigkeit darf festlegen, welcher Konfession man in ihrem Herrschaftsbereich anzuhängen hat. Man wird das später in die Formel "cuius regio, eius religio" fassen (ein deutscher Merksatz lautet: "wo ich leb, so ich bet") oder auch vom "Ius reformandi" des Landesherrn sprechen. Ihm korrespondiert das "Ius emigrandi", das Emigrationsrecht seiner "unterthanen". Wenn sich ein Untertan der Glaubenswahl seiner Obrigkeit nicht fügen will, aus Gewissensgründen nicht fügen kann, dann darf er auswandern. Er darf – so der Religionsfrieden, der somit Zwangsbekehrungen ausschließt. Das ist eine viel zu wenig bekannte, spezifisch deutsche Wurzel dessen, was man einmal viel später Menschenrechte nennen wird – Auswanderungsfreiheit gewähren noch nicht einmal alle gegenwärtigen Verfassungen. Der Untertan darf aus Glaubensgründen auswandern – in der Praxis heißt das freilich fortan manchmal auch: Er muss! Wer auffällt, der Obrigkeit seiner Glaubenspraktiken wegen anstößig wird, bekommt amtlich beschieden, er habe gefälligst zu gehen. Man muss sich seinen Glauben nicht vorschreiben lassen, wohl hat man, so man sich mit der Entscheidung des Landesherrn nicht abfinden kann, sein Bündel zu packen, Glück und Seelenheil woanders zu suchen.

Versuchen wir es in einem zweiten Anlauf noch knapper! Der Religionsfrieden kennt zwei reichsrechtlich zugelassene Konfessionen, räumt den Territorialobrigkeiten die Wahlfreiheit zwischen ihnen ein und jenen Untertanen, denen diese Wahl nicht passt, die Auswanderung.
 
Vielen Dank! Zum Abschluss: Welche Veränderungen brachte der Westfälische Friede denn etwa für den einzelnen Protestanten oder Katholik. Durfte er etwas, was 1555 noch nicht durfte auf seine Religionsausübung bezogen?
 
Den Text des Westfälischen Friedens gibt es hier:
Acta Pacis Westphalicae. Supplementa electronica, 1

Zum Augsburger Religionsfriede wird folgendes bestimmt (Übersetzung von 1984)

"[Art. V,1 IPO ← § 47 IPM] {§ 1} Der im Jahre 1552 zu Passau geschlossene Vertrag sowie der wenig später im Jahre 1555 geschlossene Religionsfriede, der {zunächst} 1566 zu Augsburg und hernach auf verschiedenen Reichstagen des Hl. Römischen Reichs bestätigt wurde, soll mit allen seinen Artikeln {in der Form}, in der diese mit einmütiger Zustimmung des Kaisers, der Kurfürsten, Fürsten und Stände beider Konfessionen angenommen und beschlossen wurden, als gültig anerkannt und als heilig und unverletzlich eingehalten werden..."

Alles andere sind Bestimmungen, die in bestimmten Territorien gelten. Ein Beispiel:

"[Art. V,11 IPO ← § 47 IPM] {§ 11} Ferner sollen in Dinkelsbühl, Biberach und Ravensburg zwei Bürgermeister, einer katholischen Glaubens, der andere ein Angehöriger der Augsburgischen Konfession, und vier Innere Ratsherrn in gleicher Zahl von beiden Bekenntnissen bestellt werden."

Der Dinkelsbühler Bürger hatte also nun das Recht, für den Posten eines evangelischen Bürgermeisters zu kandidieren. Vorher konnte er das nicht, weil es keinen evangelischen Bürgermeister gab.
 
Der YouTuber "MrWissen to go" sagt ab 10:28min in seinem Video zum Westfälischen Frieden, dass sich die Untertanen im Deutschen Reich "jetzt selbst aussuchen dürfen, ob sie katholisch, lutherisch oder calvinistisch sein wollen."
Dann gilt obiges Zitat also auch schon für den Augsburger Religionsfrieden, richtig? Calvinisten ausgeschlossen.
 
Dann gilt obiges Zitat also auch schon für den Augsburger Religionsfrieden, richtig? Calvinisten ausgeschlossen.

Ja, das gilt schon für den Augsburger Religionsfrieden.

Es ist aber noch ein wenig komplizierter: Schon im 16. Jahrhundert gab es auch calvinistische Territorien, das größte war die Kurpfalz, in die zahlreiche Glaubensflüchtlinge einwanderten. Ausführlich hier:

reformiert-info.de - Die Kurpfalz - Asyl für Glaubensflüchtlinge im 16. Jahrhundert
 
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