Argumente GEGEN eine geschriebene Verfassung?

A

Aufdunkler

Gast
Sehr geerte Leute (mwd),

heute haben sich geschriebene Verfassungen oder "Verfassungsgesetze", wie sie die Schmitt-Schule nennt, fast weltweit durchgesetzt. Im 18. Jahrhundert gab es aber, meines Wissens, eine offene Diskussion darüber, ob man eine geschriebene Verfassung braucht oder nicht. Hierbei gab es durchaus gelehrte Meinungsäußerungen, die sich gegen eine solche Verfassung aussprachen.

Gibt es heute ein zusammenfassendes Werk, vielleicht von Historiker- oder Philosophenhand, oder ein besonders exemplarisches Beispiel für eine Argumentation gegen eine geschriebene Verfassung? Ich bin Neugierig, wie die Gegner einer geschriebenen Verfassung wohl argumentiert haben werden.

Danke im Voraus.

Gruß

Aufdunkler
 
1. Wäre es nett, sich wenigstens anzumelden. Erfahrungsgemäß schaffen die meisten "Gäste" es noch nicht mal, ein zweites Posting zu schreiben.

2. Letztens gab es bereits einen User, "Aufheller"oder "Aufdunkler" und es wäre hilfreich zu sehen, mit wem man es zu tun hat.

3. Das nicht zuletzt, weil der Bezug auf Schmitt, als einen der Vordenker des NS-Staates, sicherlich nicht zufällig ist und eine "Positionierung" bedeutet.

4. Ansonsten, welche "gelehrte Meinungsäußerungen" waren denn das?

Hierbei gab es durchaus gelehrte Meinungsäußerungen, die sich gegen eine solche Verfassung aussprachen.

Ansonsten gibt es von Beyme "Geschichte der politischen Theorien in Deutschland 1300-2000, in der die unterschiedlichen Positionen abgehandelt werden.

Ausführlich das Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte;

Schlegelmilch, Arthur; Brandt, Peter; Kirsch, Martin (Hrsg.) (2006-): Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Bonn: J.H.W. Dietz Nachfolger.

In der kürzeren Form:
Prettenthaler-Ziegerhofer, Anita (2011): Europäische Verfassungsgeschichte. 1789 bis heute. Darmstadt: WBG
 
Zuletzt bearbeitet:
Google mal nach "United Kingdom constitution pros and cons". Hat ne ganze Menge auf den ersten Blick passender Beiträge ausgespuckt... für deren Qualität ich mich aber nicht verbürge...

Gibt es außer dem UK überhaupt noch einen nennenswerten (Rechts-) Staat auf Erden, der keine kodifizierte Verfassung hat?
 
Gibt es außer dem UK überhaupt noch einen nennenswerten (Rechts-) Staat auf Erden, der keine kodifizierte Verfassung hat?

Auch im Fall von GB ist das fraglich. So schreiben Günther Doeker, Malcolm Wirth: Das politische System Großbritanniens, S. 63 ff.:

"In der wissenschaftlichen Literatur zum britischen Regierungssystem wird vielfach festgestellt, dass es eine geschriebene britische Verfassung nicht gebe. Wenn man davon ausgeht, dass eine Verfassung ein zusammenhängendes und kompaktes Dokument im Sinne kontinentaleuropäischer Verfassungstheorie und -praxis ist - wie etwa das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland oder die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika - dann ist diese Feststellung zutreffend. Geht man hingegen davon aus, dass eine Verfassung ein System fundamentaler Prinzipien und Regeln darstellt, aufgrund dessen politisch-autoritative Entscheidungen und Werturteile getroffen werden, so kann man sehr wohl von einer britischen Verfassung sprechen, welche darüber hinaus in Gesetzen .und anderen verfassungsrechtlichen Dokumenten festgeschrieben wurde. Insoweit existiert auch eine geschriebene britische Verfassung, selbst wenn ein zusammenhängendes und alles erfassendes Dokument nicht vorhanden ist."

http://www.verfassungen.eu/gb/
 
Gibt es heute ein zusammenfassendes Werk, vielleicht von Historiker- oder Philosophenhand, oder ein besonders exemplarisches Beispiel für eine Argumentation gegen eine geschriebene Verfassung? Ich bin Neugierig, wie die Gegner einer geschriebenen Verfassung wohl argumentiert haben werden.

Das dürfte von der konkreten Motivation der Gegner eines solchen Verfassungswerkes abhängen.

Das kann einen religiösen Standpunkt vertreten, einen dynastisch-absolutistischen, einen radikal naturrechtlichen, der eine Verfassung auf Grund des ihr innewohnenden positiven Rechtscharakters ablehnt, skeptisch gegenüber einer Abflachung der gesellschaftlichen Hierarchien durch die Verrechtlichung der Gesellschaft sein, je nach Inhalt der angedachten Verfassung partikularer Widerstand von Schichten sein, die um ihre wirtschaftliche und soziale Stellung im Rahmen einer potentiellen allgemeinen Rechtssetzung fürchten oder schlicht traditionalistisch motiviert sein.

Das wird massiv auf die diskutierten Inhalte, die jeweilige Gesellschaft und den konkreten Zeitpunkt ankommen.
 
@ Thanepower: Ist schon richtig, aber ich gehe davon aus, dass um die Kodifizierung in einem Gesetzeswerk geht. Die Verfassung des UK besteht mWn natürlich aus geschriebenen Gesetzen mit Verfassungsrang, aber auch aus nicht kodifiziertem bzw nicht in Gesetzestexten formuliertem Gewohnheitsrecht.
 
Gibt es außer dem UK überhaupt noch einen nennenswerten (Rechts-) Staat auf Erden, der keine kodifizierte Verfassung hat?
Israel (das allerdings verschiedene Gesetze mit Verfassungscharakter hat) und Neuseeland (ähnlich).

Übrigens muss nicht unbedingt die gesamte Verfassung in einem einzigen Verfassungsgesetz kodifiziert sein. In Österreich gibt es zwar ein Bundes-Verfassungsgesetz, daneben aber noch eine Fülle weiterer Gesetze mit Verfassungsrang, teilweise sogar einzelne Verfassungs-Bestimmungen in Gesetzen, die gar nichts mit Staatsaufbau oder Grundrechten zu tun haben.
 
Das ist identisch der Fall für Deutschland.

Beispiel: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Anwendung staatlicher Gewaltgegenüber dem Bürger in § 62 Strafgesetzbuch.

Die Regelung hat Verfassungsrang.

Dies wird in höchstrichterlicher Rechtsprechung festgestellt.
Sie ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips.
 
Das wird massiv auf die diskutierten Inhalte, die jeweilige Gesellschaft und den konkreten Zeitpunkt ankommen.

Das ist im Prinzip der Punkt. Es gibt Argumente für oder gegen jeden Weg zur Formulierung einer wie auch immer gearteten Verfassung.

Jedes Land hat seine spezifische politische Kultur und es ist unsinnig, einen "Königsweg" erkennen zu wollen. Relevanter ist nicht die Frage nach der Verfassung, sondern die Frage der effektiven Gewaltenteilung und die Frage, in welchem Umfang ein Rechtsstaat auf ein modernes Verständnis von universellen Menschenrechten aufgebaut ist.

Die Frage der Art der Kodifizierung ist dann zweitrangig, relevanter ist der Inhalt und seine Einhaltung.
 
Es gibt Argumente für oder gegen jeden Weg zur Formulierung einer wie auch immer gearteten Verfassung.
[...]
Die Frage der Art der Kodifizierung ist dann zweitrangig, relevanter ist der Inhalt und seine Einhaltung.
Das ist genau der Punkt, der mich nach wie vor mit einem Stirnrunzeln hinterlässt: Welche Argumente sollte es gegen die Kodifizierung geben? Die Kodifizierung ist doch gerade das Element, dass zumindest ein Mindestmaß an Rechtssicherheit gibt. Sicher, eine Regierung, die mächtig genug ist, auf die kodifizierte Verfassung zu pfeifen ohne ihr gefährliche Widerstände fürchten zu müssen, die wird nicht dadurch gestoppt, dass die Verfassung kodifiziert ist. Aber die Kodifikation macht jedem deutlich, was Stand der Verfassung ist und wo gegen sie verstoßen wird. Daher kann aus meiner Sicht ein Sperren gegen die Kodifikation einer Verfassung nur im Interesse der Verfassungsfeinde liegen, derer, die es stört, dass man in der Verfassung "nachschlagen" kann.
 
Das ist genau der Punkt, der mich nach wie vor mit einem Stirnrunzeln hinterlässt: Welche Argumente sollte es gegen die Kodifizierung geben? Die Kodifizierung ist doch gerade das Element, dass zumindest ein Mindestmaß an Rechtssicherheit gibt. Sicher, eine Regierung, die mächtig genug ist, auf die kodifizierte Verfassung zu pfeifen ohne ihr gefährliche Widerstände fürchten zu müssen, die wird nicht dadurch gestoppt, dass die Verfassung kodifiziert ist. Aber die Kodifikation macht jedem deutlich, was Stand der Verfassung ist und wo gegen sie verstoßen wird. Daher kann aus meiner Sicht ein Sperren gegen die Kodifikation einer Verfassung nur im Interesse der Verfassungsfeinde liegen, derer, die es stört, dass man in der Verfassung "nachschlagen" kann.

Vom modernen Standpunkt her gibt es sicherlich eher wenig Argumente gegen eine kodifizierte Verfassung. Im Hinblick auf vormoderne und vorindustrielle Verhältnisse würde ich meinen kann im Hinblick auf die Herrschaftsausübung der Verzicht auf keine Kodifizierung und Kanonisierung vorteilhaft sein, weil dass erheblich mehr Spielraum für Kompromisse bieten dürfte.
 
Das ist genau der Punkt, der mich nach wie vor mit einem Stirnrunzeln hinterlässt: Welche Argumente sollte es gegen die Kodifizierung geben?
Man könnte Verfassungsgewohnheitsrecht durch eine schlechtere kodifizierte Verfassung ersetzen. Verfassungsgewohnheitsrecht kann man außerdem nicht einfach mal so schlagartig, wenn es beliebt, durch neues Verfassungsgewohnheitsrecht ersetzen, eine kodifizierte Verfassung aber durch eine neue kodifizierte Verfassung.

Das ist identisch der Fall für Deutschland.

Beispiel: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Anwendung staatlicher Gewaltgegenüber dem Bürger in § 62 Strafgesetzbuch.

Die Regelung hat Verfassungsrang.

Dies wird in höchstrichterlicher Rechtsprechung festgestellt.
Sie ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips.
Dann ist das in Deutschland offenbar etwas anders als in Österreich.

In Österreich müssen Verfassungsgesetze und Verfassungsbestimmungen ausdrücklich als solche beschlossen und bezeichnet werden. Das gilt auch für in einfachen Bundesgesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen. Sie werden im Gesetzestext dann sogar ausdrücklich mit der Bezeichnung "Verfassungsbestimmung" kenntlich gemacht, sogar wenn nur einzelne Absätze oder Ziffern eines Paragraphen Verfassungsbestimmungen sind.

Somit sind materielles und formelles Verfassungsrecht (weitestgehend) identisch.
 
Man könnte Verfassungsgewohnheitsrecht durch eine schlechtere kodifizierte Verfassung ersetzen. Verfassungsgewohnheitsrecht kann man außerdem nicht einfach mal so schlagartig, wenn es beliebt, durch neues Verfassungsgewohnheitsrecht ersetzen, eine kodifizierte Verfassung aber durch eine neue kodifizierte Verfassung.
Okay, das sehe ich ein, das ist in etwa das Problem, das u.a.* in Spanien im 19. Jhdt. zu mehreren Bürgerkriegen (Guerras Carlistas) geführt hat. Insbesondere die Grenzregionen zu Frankreich schlossen sich den absolutistischen Bestrebungen gegen die liberalen Tendenzen an, weil die liberalen Verfassungen die aus dem MA überkommenen, in den fueros festgelegten Privilegien aufhoben.


*dieser Satz ist irgendwie doppelsinnig, gemeint ist nicht "u.a. in Spanien" sondern, "das Problem, das u.a. Grund für die guerras carlistas war".
 
...
Dann ist das in Deutschland offenbar etwas anders als in Österreich.....

Eigentlich nicht,weil
Sie ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips.
Das ist die verfassungsrechtliche Regelung.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Anwendung staatlicher Gewaltgegenüber dem Bürger in § 62 Strafgesetzbuch ist nur eine konkrete, einfachgesetzliche Ausgestaltung oder Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips. Deshalb kann der § 62 auch mit einfacher Parlamentsmehrheit geändert werden.

Verfassungen dienen immer der Begrenzung der Macht von Alleinherrschern, die sich selbst als über den Gesetzen stehend betrachten oder für die ihr Wille Gesetz ist. Damit diese Begrenzung möglichst gewährleistet bleibt, sind so gut wie alle verfassungsrechtlichen Regelungen kodifiziert, also schriftlich dokumentiert, zB auch die Magna Charta oder die Goldene Bulle. Als eine der wenigen Ausnahmen kann man die "Demokratie" der Isländer sehen.
 
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