"Was für ein Scheiß-Land!" Mit Brandanschlägen gegen die Berliner Mauer

El Quijote

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Mit Bolzenschneidern und Molotowcocktails attackierten vier frühere DDR-Bürger 1989 die Berliner Mauer. Hier berichtet Raik Adam, wie es zu den gefährlichen Aktionen kam, die er nun in einem packenden Comic erzählt.

Ein Interview von Christoph Gunkel



Die Liebe zum Heavy Metal verband Raik Adam, seinen Bruder Andreas, Dirk Mecklenbeck und Heiko Bartsch. Und allein diese Musik machte die vier Freunde aus Halle für die Stasi verdächtig. Raik Adam legte sich mit der FDJ an und durfte 1986 als erster in den Westen ausreisen; die anderen drei folgten Anfang 1989. In West-Berlin feierten sie - und planten militante Aktionen gegen die verhasste Mauer. Die "Stiftung Berliner Mauer" hat diese ungewöhnliche Geschichte jetzt als Graphic Novel veröffentlicht, gezeichnet und geschrieben von den Aktivisten selbst.​
einestages: Herr Adam, als unangepasster Heavy-Metal-Fan legten Sie sich in der DDR früh mit der Obrigkeit an. Jetzt erzählen Sie in einem Buch von dieser Rebellion, die in Brandanschläge auf die Berliner Mauer mündete. Ist es eine späte Rache am Regime?



Adam: Rache, so würde ich das nicht nennen. Fast 30 Jahre nach dem Mauerfall darf man ruhig ein bisschen entspannt bleiben.

einestages: Warum dann dieser Comic, aus dem sich auch viel Wut auf die DDR herauslesen lässt?

Adam: Wir wollen dieser elenden Rehabilitierung der DDR etwas entgegensetzen. Es gibt ja leider viele Eltern, die ihren Kindern heute erzählen: "Klar durften wir das eine oder andere damals nicht, aber im großen Ganzen war die DDR doch eine kommode Diktatur."

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Zitat: "Wir wollen dieser elenden Rehabilitierung der DDR etwas entgegensetzen. Es gibt ja leider viele Eltern, die ihren Kindern heute erzählen: "Klar durften wir das eine oder andere damals nicht, aber im großen Ganzen war die DDR doch eine kommode Diktatur."

Ob die DDR rehabilitiert wird, erscheint diskussionswürdig. In der entsprechenden Literatur, Fulbrook, Jarausch, Staritz, Meuschel und andere wird differenziert die Entwicklung nachgezeichnet. Für mich ist nicht erkennbar, dass die Verbrechen des Regimes gegen die eigene Bevölkerung beschönigt oder gerechtfertigt werden.

Dass diese Gruppe von der "Zone" als angeblichen "O-Ton" gesprochen hatte, finde ich persönlich erstaunlich. Es gab zur Zeit der DDR viele, die sie kritisch gesehen haben, aber gleichzeitig nicht bereit waren, sich durch die "Kalte-Kriegs-Ideologie" vereinnahmen zu lassen, wie sie beispielsweise die Springer-Presse oder das "ZDF-Magazin" (Löwenthal) propagierte. Deswegen war "Zone" für Alfred Tetzlaff selbstverständlich, nicht für das links-liberale Milieu, inklusive FDP.

Ansonsten ist es ein gutes Beispiel, das illustriert, dass Formen der unkonventionellen politischen Partizipation (vgl. Barnes & Kaase: Political Action) gerade bis 1980 in das Repertoir des legitimen politischen Kampfes aufgenommen worden ist. Wenngleich es nur einen schmalen Übergang zum politisch motivierten Terror gab.
 
Es geht ja weniger um eine Verklärung der DDR durch offizielle Stellen (obwohl es bei der rot-roten Regierung von Berlin einige Probleme gab, was DDR-Opfer-Gedenkstätten und die Zuweisung von Geldern anbelangte), aber aufgrund der Arbeit komme ich viel mit Sachsen, Thüringern und Berlinern zusammen. Insbesondere bei den Leuten aus dem Raum Dresden und Erzgebirge stelle ich verstärkt Ant-Wessi-Resssentiments fest und tatsächlich auch eine Verklärung der DDR. Ich kenne mindestens drei Leute, die bei der Handelsmarine waren. Die sind alle der Auffassung, dass das, was "im Fernsehen" über die DDR berichtet würde, falsch sei. Journalisten und Historiker seien eben nicht selbst dabei gewesen - da kommt es wieder hervor dieses Bonmot, dass der Historiker der größte Feind des Zeitzeugen ist - und vergessen dabei, dass Journalisten und Historiker ebenfalls eine DDR-Biographie haben, also durchaus auch die (nichtakademische) Innensicht kennen. Wenn man dann mal den Frauen dieser DDR-Handelsmarine-Matrosen aufmerksam zuhört, bekommen die von ihren Männern gezeichneten Bilder regelmäßig Risse. Klar, die durften ihre Frauen mit auf Fahrt nehmen, nach Lybien, Kuba und Mexiko. Aber die Kinder - das erzählen dann meist erst die Frauen ganz nebenbei -, die mussten schön zuhause bleiben.
Doch, ich erlebe es im Beruf immer wieder, dass die DDR verklärt wird, besonders deutlich wird mir das immer wieder bei Leuten, die im "Tal der Ahnungslosen" ihre DDR-Sozialisation erfahren haben.

Ob bzgl. des Gebrauchs von Zone fremde Einflüsse die eigenen Erinnerungen des Verfassers überlagert haben, dazu erlaube ich mir kein Urteil. Es gibt ja durchaus Bsp. wie die öffentliche Erinnerung die persönliche Erinnerung überlagert, etwa im Bsp. des Auschwitz-Überlebenden, der nie in Birkenau sondern in Monowitz war, aber in seiner Erinnerung an Auschwitz das Lagertor von Birkenau gezeichnet, welches sich ins kollektive Auschwitz-gedächtnis symbolhaft eingegraben hat.
 
Insbesondere bei den Leuten aus dem Raum Dresden und Erzgebirge stelle ich verstärkt Ant-Wessi-Resssentiments fest und tatsächlich auch eine Verklärung der DDR.
Der Hauptgrund für die Ostalgie von Sachsen liegt darin begründet, dass sie als einzige, sofort als Ossis erkennbar sind, weil es diesen oder einen ähnlichen Dialekt im Westen nicht gab. In Thüringen gibt es schon Gebiete die fränkisch sprechen, norddeutsche Ex-DDR-ler klingen kaum viel anders als Norddeutsche der Alt-BRD und der ostberliner und brandenburger Dialekt hat keinen nennenswerten Unterschied zum westberlinerischen. Jeder Sachse hat seit der Wiedervereinigung mehr oder weniger Diskriminierungserfahrungen machen müssen und konnte dadurch auch nie wirklich als gleichberechtigter Bundesbürger fühlen. Was macht man, wenn man sich im eigenen Land nicht richtig wohl fühlt, man verklärt die "gute" alte Zeit ,in der man nicht als zweitklassig galt .
Ich kenne mindestens drei Leute, die bei der Handelsmarine waren.
Wer in der DDR bei der Handelmarine war, besaß schon mal das Privileg die Welt sehen zu können. Fast jeder Jugendliche hatte den Traum auf einem Schiff arbeiten zu können, es waren aber sehr wenige, die das Glück hatten, bei der Handelsmarine eingestellt zu werden und die mussten politisch unbedenklich sein. Das waren also schon damals nicht unbedingt Oppositionelle ,folglich muss man sich nicht wundern ,wenn die die DDR nicht so schlecht fanden.
Dass nicht alle Sachsen notorische Ostalgiker sind ,kannst Du an mir sehen. Ich habe die DDR bisher noch keine Sekunde vermisst, auch wenn es durchaus einiges gab, welches erhaltenswert gewesen wäre. Im Großen und Ganzen war es aber, in meinen Augen ein echtes "Scheißland".
 
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Jeder Sachse hat seit der Wiedervereinigung mehr oder weniger Diskriminierungserfahrungen machen müssen und konnte dadurch auch nie wirklich als gleichberechtigter Bundesbürger fühlen. Was macht man, wenn man sich im eigenen Land nicht richtig wohl fühlt, man verklärt die "gute" alte Zeit ,in der man nicht als zweitklassig galt .

Formen der Verklärung liegen aber nicht nur in Bezug auf die retrospektive Deutung der DDR vor. Es gibt offensichtlich auch Fehlwahrnehmungen der aktuellen Situation, warum auch immer, der Sachsen in Deutschland.

Der "Sachsen-Monitor" liefert wenig Evidenz für die Thesen von Galleotto. Vielmehr zeigt er eine ausgesprochen hohe Zufriedenheit. Das spricht nicht dafür, dass sich "Sachsen" als "zweitklassig" definieren würden.

Und es stellt sich zudem die Frage, in welchem Umfang eine Verklärung der DDR in Sachsen vorhanden ist und es wäre zu klären, welche Qualität sie hat bzw. auf welche Punkte sich das bezieht. Denn es hat niemand etwas dagegen, wenn "Rotkäppchensekt" gehyped werden oder man wieder seinen Broiler essen möchte usw.

Soweit der Faktencheck.

http://www.dnn.de/Region/Mitteldeut...iedenheit-und-Fremdenfeindlichkeit-in-Sachsen
 
Ich schaue ganz gern meinen Mitmenschen aufs Maul, denn ich lebe hier und Thanepower glaubt nur was zwischen zwei Buchdeckeln klemmt. Wir passen einfach nicht zusammen.
 
Net streiten miteinand.;)
Interessant fand ich Galeottos Gedanke, dass der sächselnde Sachse, als Ossi am ehesten als solcher erkannt wird, da ja andere Dialekte höhere Ähnlichkeit mit den im Westen gewohnten haben.
Falls man davon ausginge, dass man im Osten, dem Gebiet der ehemaligen DDR, insgesamt eine Wahrnehmung der Diskriminierung bestünde*, dann spielte dieser eigentümliche Dialekt möglicherweise
tatsächlich eine besondere Rolle im Trauerspiel des erstaunlich späten Zorns.


*Etwa dadurch, dass gegenwärtig rund 3/4 aller Spitzenämter, in welchen Bereich auch immer, von Wessies besetzt sind.
 
Vielleicht könnte man sich mal kurz die Ergebnisse, via Link ansehen, um dem Ganzen ein wenig Realitätsgehalt zu geben.

Die Fakten aus dem "Sachsen-Monitor" sind die "Währung", über die die Politik und die Wirtschaft Planungen betreibt. Diese Form der Sozialberichterstattung ist seit den Arbeiten von Glatzer, K.U. Mayer, Zapf u.a. (vgl. z.B. Soziologischer Almananch) allgemein akzeptiert.

Was ich glaube spielt überhaupt keine Rolle. Hättest Du Dich um die Fakten bemüht, dann wärest Du zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Deswegen sollte man seine subjektive Sicht, auch wegen der Gefahr einer selektiven Wahrnehmung, vielleicht hin und wieder kritisch hinterfragen.
 
Die Ostalgie lebt!

Gerade diese Woche in einer Bürgerdiskussion in Leipzig wieder zu bestaunen. Professorin Gesine Schwan stellte hier eine vielfach aufgewärmte Verschwörungstheorie vor. Die böse Treuhand hat die DDR-Wirtschaft platt gemacht. Hätte man den DDR-Fabriken wie TAKRAF, Sachsenring oder IFA nur mal ein paar Milliarden DM zur freien Verfügung gegeben, hätten sich diese zu wettbewerbsfähigen Ostkonzerne entwickelt. Dann hätten wir heute eine Ostwirtschaft mit blühenden Landschaften mit Ingolstädter oder Wolfsburger Lohnniveau und sprudelnden Steuereinnahmen für Sachsen-Anhalt und Co.
Aber die von bösen kapitalistischen Wirtschaftsführern gesteuerte Treuhand machte diesen schönen Traum einfach nach der Wende kaputt indem man die DDR-Elitekonzerne abwickelte. Und jetzt muss die Ostbevölkerung bei mickrigen Löhnen Zulieferarbeiten für den reichen Westen leisten.

Oha.

Stets die gleiche Suppe.
In Nordhausen ist meine angeheiratete Ostverwandtschaft felsenfest überzeugt, dass die Nordhausener Konstrukteure den Daimler-Konzern gerettet haben. Denn diese hätten 1989 einen leichten Super-Dupper-LKW entwickelt und standen kurz vor dem Produktionsbeginn. Da Daimler dann nach der Wende die IFA-Entwicklung für kleines Geld aufgekauft hat, konnte die eigentlich vor der Pleite stehende Nutzfahrzeugsparte von Daimler mit dem IFA-Modell auf dem Weltmarkt brillieren. Wäre die DDR nicht 1989 zusammengebrochen, wäre IFA der Weltmarktführer bei leichten LKW geworden.

Lasst uns alle gemeinsam einstimmen: Witte Witte witt - ich mache mir meine Welt, so wie sie mir gefällt.
:(
 
Formen der Verklärung liegen aber nicht nur in Bezug auf die retrospektive Deutung der DDR vor.

Bei Lanz war Ines Geipel zu Gast und "Mike Mohring, Politiker. Er ist der CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Thüringen im Oktober." Nein keine Tagespolitik, sondern Nachdenken über die DDR.

Es war interessant, zwei Personen aus der ex-DDR zu sehen und hören. Und, obwohl beide aus diesem "früheren Land" kamen, deutliche Verständigungsprobleme vorhanden waren.

Dem - richtigen - Ansatz von Geipel in "Umkämpfte Zone", die Geschichte der Menschen in der ex-DDR als geprägt von zwei Diktaturen zu erzählen und via kollektivem Gedächtnis aufzuarbeiten, kontrastierte sie dem gängigen Narrativ, dass die Probleme erst mit der Vereinigung einsetzten und die früheren DDR-Bürger politisch entfremdet wurden.

Diesem reflektierten Ansatz von Geipel konnte / wollte Mohring offensichtlich nicht folgen. Die Sprachlosigkeit über die Entwicklung in der DDR und der post-DDR-Phase wirkt scheinbar noch nach

https://www.perlentaucher.de/buch/ines-geipel/umkaempfte-zone.html

Das Buch von Geipel verweist zu Recht auf das gravierende Defizit, die Geschichte der DDR und die Wirkungen der politischen Sozialisation durch zwei Diktaturen auf die politische Kultur neu zu hinterfragen. Auch um "wirklich" historischen Tiefenstrukturen zu vestehen, woher die emotionalen und teils irrationalen Antriebskräfte kommen, das demokratische System Deutschlands durch "Wir sind das Volk" in einem "revolutionären Akt" - wie 1989 - zu überwinden.
 
Gerade diese Woche in einer Bürgerdiskussion in Leipzig wieder zu bestaunen. Professorin Gesine Schwan stellte hier eine vielfach aufgewärmte Verschwörungstheorie vor. Die böse Treuhand hat die DDR-Wirtschaft platt gemacht.

Ob sie das so platt gesagt hat halte ich eher für unwahrscheinlich. Vielmehr verweisen ihre Ausführungen auf ein Stück deutscher Geschichte, das wenig Beachtung gefunden hat, aber die sozialen und politischen Wirkungen dafür umso deutlicher werden.

Die Tätigkeit der Treuhand hat geholfen, so auch das Ergebnis eines subjektiven mehrwöchigen Aufenthalts auf vielen Campingplätzen in den Neuen Bundesländer - als eine Art "Feldforschung" - , das Feindbild des "Wessis" zu generieren. Wobei nicht selten der "Wessi" als "westlicher Unternehmenseigner" begriffen wird und man als "normaler Wessi" nur bedingt von diesem Feindbild betroffen ist.

Ein Einstieg:
https://krautreporter.de/3018-die-t...h9zPAC8b4iaqK4oHYkZL2FvtHpC3HUh6TT-541cwu3y10

Es ist eigentlich an der Zeit, eine kritische Diskussion über ihr Wirken zu führen und den alles dominierenden damaligen Einfluss der Überhöhung der Ideologie des "freien Marktes", den beispielsweise ein "Dieter" so gerne und so engagiert auch in diesem Forum verteidigt hat.

fundierte Darstellung:
Böick, Marcus (2018): Die Treuhand. Idee - Praxis - Erfahrung 1990-1994. 1. Auflage. Göttingen, Niedersachs: Wallstein.

und zur Kontextualisierung:
Ther, Philipp (2014): Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa. Berlin: Suhrkamp.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Geschichte der Treuhand kann nicht von der detaillierten Analyse der ökonomischen Lage der DDR und des RGW sowie seiner finalen Phase im zweiten Halbjahr 1990 (Kollaps des XTR-Verrechnungssystems) separiert werden.

Die Wurzeln der Treuhand sind in diesem Kontext entstanden, zeitlich und sachlich vernetzt, übrigens über die Modrow-Verordnung im März 1990 noch in die Schiene gesetzt, also vom Ministerrat der DDR, bzw. unter dem SED-Regime.
https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/DC_20_I_3_2922_0065.pdf

Parallel dazu - zur massenweisen Umwandlung von VEBs und Kombinaten in Kapitalgesellschaften mittels Modrow-Verordnung - „verschwanden“ Milliardenbeträge in den Außenhandelsbetrieben (AHBs) der DDR, verschwand das SED-Vermögen in Kettentransaktionen, und wurden zehntausende Wohn-Grundstücke aus „Volksvermögen“ für Pfennige Preise zT unter einer Mark (der DDR) pro qm an „Interessenten“ verscherbelt.

Im privaten Bereich kennt man solche Rangierbahnhöfe der „Geschäftsführung“ kurz vor dem Finale unter dem Stichwort Insolvenzbetrug.

Parallel dazu befanden sich die Ausrüstungsinvestitionen in den DDR-Betriebe weitläufig in der Zustandsphase „Schrott“, Liquidität/Finanzmittel/Kredite waren nicht zu erhalten, riesige gehortete Ersatzteillager waren lediglich noch auf dem Papier existent/verwertbar, nicht aber in der Realität, und die Sanierungsverpflichtungen in den DDR-Altlasten summierten sich allein in der Gefahrenabwehr auf mittlere dreistellige Milliardenbeträge.

Von all dem hat Frau Schwan mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Kenntnisse.
 
Na ja, die Tätigkeit der damaligen Treuhand ist ein weites und vielschichtiges Feld.

Ich glaube bald, man sollte da die einzelnen Fälle analysieren auch unter den Gesichtspunkt, wenn man den Eindruck hat, da wurde eklatanter Mist gebaut. Und die Frage stellen, gab es damals Alternativen?

Alternativen, entweder man erfährt zufällig etwas (Fernsehen, Rundfunk, Presse etc), oder man recherchiert Zeitaufwendig.

Ein Beispiel wo es Alternativen gab, ist die glatte Fehlentscheidung zum Verkauf des Schlosses Reinharsbrunn/Thüringen.

Hier ein Video (30 min) zum Thema „Schloß Reinhardsbrunn – Thüringens verlorenes Paradies“.

https://www.mdr.de/mediathek/mdr-videos/c/video-248206.html

Und hier ein Artikel der Deutschen Welle vom Juli 2018 dazu:

https://www.dw.com/de/schloss-reinhardsbrunn-in-thüringen-und-das-sibirische-geld/a-44652879

Beide Links, wie ein Krimi! Wer sich dafür interessiert, es lohnt sich das Video anzusehen, und den Artikel zu lesen.

Und nun zum Sahne – Häubchen...

https://www.zeit.de/politik/deutsch...and-chefin-fehler-privatisierung-ddr-betriebe

[Mod: Tagespolitik zur AfD gelöscht]
 
Es geht nicht um ein Bashing einer Institution oder um das "Schönreden" der DDR. Sondern vor allem geht es bei Analyse bzw. der Historisierung der Treuhand um die Frage wie die revolutionäre Umverteilung im Osten die Biographien vieler ehemaliger Bürger der DDR verändert hat. Und welche Auswirkungen diese Veränderungen auf die Lebensläufe und die Identität hatte.

In diesem Sinne möchte ich Böick in seinem Fazit heranziehen, um den Fokus zu benennen, in dem das Wirken der Treuhand seine historische Bedeutung für Deutschland erhält.

"Führt man die zentralen Befunde dieses Buches .....am Ende zusammen, ließe sich die Organisation pointiert als unternehmerisches Revolutionsregime beschreiben, welches im Osten Deutschlands im Schwebezustand zwischen alter Plan- und neuer Marktordnung in den frühen 1990er Jahren eine einschneidende Markt- und Gesellschaftsrevolution ausgestaltete. Aus der sozialistischen Lebens- und Arbeitswelt ...wurde binnen weniger Jahre im Modus beschleunigter Massenprivatisierungen und -Abwicklungen eine markt- und wettbewerbsbezogene sowie in ihrem Umfang massiv reduzierte privatwirtschaftliche Unternehmenslandschaft. Die Treuhand war in diesem Szenario eine sich selbst radikalisierende Agentin und hochumstrittene Referenz dieses tatsächlich revolutionären Umbruchgeschehens; die in ihren Reihen tätigen Manager, Beamte und Kader als konkrete Praktiker waren damit zugleich Treibende und Getriebene dieser massiven soziostrukturellen wie soziokulturellen Umwälzungen und Umbrüche im Alltag der Wirtschaft und der Übergangsgesellschaft Ostdeutschlands auf dem Weg vom Plan zum Markt." (Böick, S. 733)

Der tiefe Eingriff der Treuhand in die sozialen Strukturen in den Neuen Bundesländern, ohne wirklich ein sozialpolitisches Konzept zu besitzen, war dann das eigentlich soziale und politische Problem. Und der marode Zustand der Volkswirtschaft der DDR ist und war eigentlich keine Legitimation dafür, dass in einem einzigen Kraftakt eine Umverteilung von Ost nach West erfolgte. Ohne langfristig eine Strategie nachhaltig zu verfolgen und einen neuen "Mittelstand" in den Neuen Bundesländern aus den Reihen der Bürger der Neuen Bundesländern zu entwicklen oder die Rolle der Kommunen zu stärken.

Das Agieren der Treuhand erfolgte dabei in einem Kontext einer stark asymmetrischen Machtbeziehung. "Alle Appelle aus dem Osten, das Grundgesetz aus Anlass der Vereinigung zu ergänzen und zum Beispiel mehr Elemente einer direkten Demokratie einzuführen oder soziale Grundrechte zu verankern, scheiterten am Widerstand der konservativen Bonner Regierung." (Ther, S. 318)

Das war insofern problematisch als in der ursprünglichen DDR-Bewegung von 1989 ein originärer politische Begriff von Freiheit und Demokratie eine große Rolle gespielt hatte. Dieser dann aber ignoriert wurde und einer Ökonomisierung des Freiheitsbegriff - als Freiheit des Marktes - weichen mußte.

Dieser Prozess führte damit zu einer revolutionären Veränderung der Lebensumstände und man muss für die neunziger Jahre und die damit zusammenhängenden Lebensläufe die Entwicklung konstatieren: "Außerdem kann man sich unabhängig von der eigenen politischen Position fragen, inwieweit bei den Reformgesetzen Anfang der neunziger Jahre in Ostmitteleuropa und später in Deutschland die Würde des Menschen und die Zwischenmenschlichkeit bedacht wurden." (Ther, S. 324)

Und damit in der Folge zunächst Frustration und Passivität der Wähler erzeugte einerseits in Kombination mit einer starken Angleichung der materiellen Lebensverhältnisse und andererseits als Gefühl einer diffusen politischen Entfremdung gegenüber den Parteien in Berlin. Ein Aspekt, den die Politologie in dieser Zeit nicht nur für die Neuen Bundesländer konstatierte, sondern auch für die Alten.

Es ist somit an der Zeit, eine kritische Historisierung der neunziger Jahre vorzunehmen und vor allem auch kritisch den dramatischen Bedeutungszuwachs der Ökonomie für das politische Handeln zu thematisieren.

Zum einen in Bezug auf die Zerstörung sinnvoller sozialstaatlicher Strukturen wie auch den Rückzug des Staates aus ursprünlich hoheitlichen Aufgaben, wie Militär, Sicherheit, Krankenhaus etc. Und die Wirkungen zu betrachten, die diese Zerstörung für das Gemeinwesen haben. Die Neuen Bundesländer sind dafür - eher unfreiwillig - zu einem wichtigen "Lernfeld" für die Zukunft der modernen Demokratie geworden.

https://www.bpb.de/mediathek/285946/wem-gehoert-der-osten

https://www.bpb.de/mediathek/285989/wer-beherrscht-den-osten
 
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Als Zwischeneinwurf ein Vergleich der Zufriedenheit mit der Demokratie in anderen Ländern seit 1995 (mit der Zäsur 2008/09):





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In dem Interview kommt einiges vor, das auch ich erlebe.

Spiegel schrieb:
Brückweh: Man darf das nicht einfach vom Ergebnis her betrachten, als wäre alles bloß Statistik. Die persönlichen Erfahrungen in solch einem Umbruch können sehr prägend sein. Auf unserer Reise ging es vielen Leuten auch schlicht darum, gehört zu werden. Sie wollten erzählen, ihre Sicht der Dinge schildern.

Spiegel schrieb:
Brückweh: Mancherorts wurden wir explizit als Westdeutsche bezeichnet. [...] Das galt selbst für die erst in den Achtziger- oder Neunzigerjahren geborenen Kollegen und Kolleginnen, die die meiste Zeit ihres Lebens im Osten verbracht haben.

Ich arbeite immer wieder für ein sächsisches Unternehmen, dessen Kundenkreis sich vorwiegend aus Sachsen und Thüringern speist. In meinem normalen Alltag spielt die Wessi/Ossi-Dichothomie für mich keine Rolle. Aber in dieser Arbeit werde ich - nicht vom Unternehmen, sondern von den Kunden - immer wieder als "Wessi" wahrgenommen, so dass dieses Rolle-Spielen der Dichothomie mir geradezu aufgezwungen wird. Und ich bemerke, dass immer wieder - stärker bei den Sachsen als bei den Thüringern - ein großes Bedürfnis besteht, die eigene Sicht auf die Dinge, die sich 1989/90 (aber auch danach) ereigneten, mir gewissermaßen als Stellvertreter für die bundesdeutsche Gesellschaft der alten Bundesrepublik (obwohl ich zur Wende selber erst 12 war) mitzuteilen. Mehr bei den Männern, als bei den Frauen. Wobei ich nicht weiß, ob da mehr eine Rolle spielt, dass ich "der Wessi" bin oder dass ich Historiker bin (nun ist ja DDR und Wende alles andere als mein historisches Arebeitsgebiet).

Spiegel schrieb:
Brückweh: Man darf das nicht einfach vom Ergebnis her betrachten, als wäre alles bloß Statistik. Die persönlichen Erfahrungen in solch einem Umbruch können sehr prägend sein. Auf unserer Reise ging es vielen Leuten auch schlicht darum, gehört zu werden. Sie wollten erzählen, ihre Sicht der Dinge schildern.

Ich hatte jetzt schon mehrfach ehemalige Matrosen der DDR-Handelsmarine im Kundenkreis, die immer ganz begeistert von der DDR erzählt haben: "Wir konnten Reisen, ich war sogar 1979 mit meiner Frau in Mexiko." Ihre Frauen haben die Erzählungen der Männer immer sehr behutsam korrigiert: "Unsere Töchter waren in dieser Zeit bei ihrer Oma." Die widersprechen ihren Männern nie direkt, sondern immer zwischen den Zeilen (obwohl ich diese meist als sehr selbstbewusste Frauen erlebe, sie sind eher nachsichtig-loyal als ängstlich).
 

In den dortigen Leserkommentaren kann man gut nachlesen, was einer wahren Wiedervereinigung auch mental noch im Wege steht. Es sind Ressentiments, Gruppenzuschreibungen, Schuldzuweisungen und der mangelnde Respekt vor dem anderen Menschen.

Ich habe ja selbst Anfang der 2000er als Berufsanfänger, der überall in Deutschland zu tun hatte, so meine Erfahrungen gemacht. Was ich gelernt habe, was das Wichtigste ist: Respekt und freundliches Aufeinanderzugehen.
 
In den dortigen Leserkommentaren kann man gut nachlesen, ...
Ich habe die Kommentare nicht gelesen. Auch vor der Digitalisierung war es ja schon so, dass Leserbriefe in erster Linie dann geschrieben wurden, wenn man unzufrieden war. Der Unterschied zu heute ist, dass man noch nicht so eng mit dem Computer als beinaheperfektem Schreibgerät war, bzw. noch früher, dass es ihn schlicht nicht gab. Der Haushalts-PC war so ab 1992 einigermaßen normal und wurde in den folgenden Jahren Standard, aber er stand halt im Arbeitszimmer und man musste den Leserbrief noch ausdrucken und zur Post bringen, eine Briefmarke kaufen. Das galt auch noch in den ersten Jahren des massentauglichen Internet. Erst mit Laptop, Tablet und WLAN ist doch der Computer zum jederzeit BEQUEM verfügbaren Alltagsbegleiter geworden. Heute haut jeder, der anderer Meinung ist, einen Dreizeiler in die Tasten und drückt Enter. Das ist eben kein Aufwand mehr, wie früher, einen vernünftigen Brief aufzusetzen, ausdrucken, zur Post zu gehen, eine Briefmarke aufzukleben. Ich glaube das hat psychologisch was ausgemacht („Wenn ich schon Geld dafür ausgebe, dann soll das wenigstens ordentlich sein und Hand und Fuß haben.“) Das ist die Chance der krawalligen Minderheiten, die zwar glauben, sie repräsentierten die Mehrheit, aber dies ist eben die Verzerrung, da diejenigen, die keinen Anlass zum Widerspruch sehen, sich eben meist gar nicht äußern.
 
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