Horkheimer, Hararis Humanismusdefinition und die Hufeisentheorie

El Quijote

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Also zunächst einmal sei vorweggeschickt, dass Horkheimer und Harari mit der Hufeisentheorie (der schon vor 25 Jahren mein Deutsch-LK-Lehrer anhing) nix zu tun haben. Der Titel ist dem Umstand geschuldet, dass ich irgendwie die verschiedenen Richtungen unterbringen wollte und die Alliteration die sich zufälligerweise ergab, bot sich dann an.

Vor einigen Wochen stieß ich auf folgenden älteren Beitrag, der die Hufeisentheorie bejahend anspricht. Ich bin kein Freund der Hufeisentheorie und zufälligerweise kam mir dann wieder der kürzlich gelesene Harari in den Sinn. Ich weiß nicht, ob er die Hufeisentheorie kennt (ich glaube, sie ist vor allem im deutschsprachigen Raum recht präsent) aber er bietet ein anderes mit der Hufeisentheorie unvereinbares Erklärmodell an, das wiederum im Widerspruch zum marxistischen Erklärmodell steht und zwar sowohl des orthodoxen/dogmatischen Marxismus als auch des unorthodoxen Marxismus.

Was nun folgt, habe ich im Wesentlichen schon vor Wochen geschrieben, sprich, die Einleitung und das nun folgende sind unabhängig voneinander entstanden. Nur die marxistische Sichtweise und Horkheimer als Stellvertreter eines unorthodoxen Marxismus habe ich erst gestern dazugesetzt (da wusste ich aber auch noch nicht, dass ich diese Einleitung schreiben würde).
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Der Hauptunterschied [zwischen Faschismus und Kommunismus] ist, das man im Kommunismus nicht nach Ethnien unterscheidet.

Ja, ja, die "gute" alte Hufeisentheorie. Die war immer mehr ein politisches Wahlkampfmittel, als eine auch nur annähernd wissenschaftliche Beschreibung der Unterschiede und Gemeinsamkeit der Totalitarismen.

Noah Harari sieht das anders. Dazu muss ich ein wenig ausholen. Harari unterscheidet nicht zwischen Ideologie und Religion. Für ihn ist Ideologie Religion und Religion Ideologie. Den Humanismus definiert Harari als die Religion, welche die Götter oder den monotheistischen Gott durch den Menschen ersetzt, wobei er betont, dass eine Ideologie/Religion selten in Reinform vorkommt. So sieht er z.B. im Monotheismus dualistische Elemente (die durchaus auch notwendig seien, bis hin zu polytheistischen Reminiszenzen- vor allem im Katholizismus (man kann sicher darüber streiten, ob Harari hier richtig liegt)), für den sozialistischen und liberalen Humanismus sieht Harari das Christentum als grundlegend an.

Also, der Humanismus ist die Religion, welche den Menschen ins Zentrum setzt und Gott ersetzt oder zumindest entthront.

Nun nennt Harari verschiedene Strömungen des Humanismus, zum einen den liberalen Humanismus, zum anderen den sozialistischen Humanismus.

Während der liberale Humanismus die größtmögliche Freiheit für die größtmögliche Zahl von Menschen anstrebt, wollen die sozialistischen Humanisten die Gleichheit für alle Menschen. Nach Sicht der Sozialisten ist die Ungleichheit die größte Sünde gegen die Menschheit, da sie nicht wesentliche Eigenschaften über das universelle Wesen der Menschen stellt. Wenn zum Beispiel die Reichen mehr Privilegien genießen, als die Armen, stellen wir Geld über die menschliche Natur, die für Arme und Reiche gleich ist.

Wie der liberale Humanismus basiert auch der sozialistische Humanismus auf einem monotheistischen Fundament. Der Gedanke der Gleichheit aller Menschen ist eine Wiedergeburt der monotheistischen Vorstellung, dass alle Seelen von Gott gleich geschaffen wurden. Die einzige humanistische Sekte, die sich vom traditionellen Monotheismus losgesagt hat, ist der evolutionäre Humanismus, dessen bekannteste Vertreter die Nationalsozialisten waren. Die Nationalsozialisten unterscheiden sich von den übrigen Humanisten in ihrer Definition der Menschen […] wurden stark von der Evolutionstheorie beeinflusst. Im Gegensatz zu den anderen beiden humanistischen Splittergruppen hielten sie die menschliche Natur nicht für universell, vielmehr sahen sie den Menschen mehr als eine wandlungsfähige Art, die sich zum Guten oder zum Schlechten weiterentwickeln könne​

Natürlich ist diese Humanismus-Definition nicht unangegriffen gelieben. Die meisten von uns werden den Begriff Humanismus als etwas Positives sehen, wohingegen die harari‘sche Definition eher irritierend wertneutral ist.

Michael Schmidt-Salomon von der sich selbst als evolutionär-humanistisch begreifenden Giordano-Bruno-Stiftung, die mit Humanismus ‚Atheismus‘ meint, kann natürlich mit der hararischen Lesart von Humanismus als "Religion" schon mal gar nichts anfangen. Zudem versteht er natürlich als Sprecher der Giordano-Bruno-Stiftung etwas völlig anderes unter "evolutionärem Humanismus", als Harari, der damit die sozialdarwinistischen/biologistischen Spielarten des Rassismus beschreibt. Sie benutzen dieselben Worte, meinen damit aber ganz unterschiedliche Dinge (hierin liegt auch der Grundfehler in Schmidt-Salomons Kritik an Harari, weil es Schmidt-Salomon in seiner Kritik an Harari nicht gelingt, seine ideologische Brille abzusetzen). Sowohl Harari, als auch die Giordano-Bruno-Stiftung verstehen allerdings unter Humanismus wiederum etwas ganz anderes, als der im humanistischen Bildungssystem aufgewachsene Mensch ;) Bzw. eigentlich verstehen Schmmidt-Salomon und seine Mitstreiter unter Humanismus weitgehend dasselbe, wie die meisten, nur dass sie diesen positiv besetzten Begriff kapern und für ihre atheistische Agenda semantisch auf ihren Atheismus reduzieren.

Harari ist natürlich wiederum nicht mit kompatibel mit dem, was Philosophen und orthodoxe Marxisten dachten, die eine Wesensverwandtschaft von Faschismus und Kapitalismus sahen. In den 1920er und 1930ern versuchten orthodoxe Marxisten, mit dem von Marx nicht vorhergesehenen Faschismus und Nationalsozialismus konfrontiert, diesen in den Historischen bzw. Dialektischen Materialismus (HistoMat/DiaMat) einzubauen, kompatibel mit der Marx‘schen und marxistischen Theorie zu machen: Sie erklärten ihn zum letzten Aufbäumen des Kapitalismus vor dem Sieg des Proletariats, sahen also schon die kommunistische Morgenröte. Ob Marx seinen Anhängern hierin gefolgt wäre, steht auf einem anderen Blatt, denn der Faschismus mit seinen vertikalen Hierarchien vertrug sich eigentlich nicht sehr gut mit der liberalen kapitalistisch orientierten Gesellschaft, die zwar vertikal organisiert war, aber eben nicht nach völkischem Prinzip zusammengefasst. Einem scharfen Analytiker wie Marx wäre das wahrscheinlich nicht entgangen. Seinen Epigonen schon. Und gerade diese vertikal-hierarchisierte völkische Zusammenfassung war ein Bremsklotz für eine kapitalistische Wirtschaft, ohne dabei aber Arbeitnehmerinteressen zu vertreten. Doch auch der Philosoph Max Horkheimer vertrat die Auffassung, dass, wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, doch gefälligst vom Faschismus schweigen solle.

Also:
Im wirtschaftsliberal-konservativen, im Kalten Krieg sozialisierten Milieu wird die Hufeisentheorie propagiert, um es mit meinem damaligen Deutschlehrer zu sagen: "Manche sind soweit links, dass sie schon wieder rechts sind."
Der relativ wertneutral argumentierende Harari sieht mehr Gemeinsamkeiten zwischen dem sozialistischen und dem kapitalistischen Wertesystem als zwischen diesen beiden und dem Biologismus.
Die marxistische Linke - egal ob dogmatisch oder unorthodox - sieht den Faschismus, die orthodoxe Linke, weil sie den HistoMat erfüllt sehen will, als Konsequenz des Kapitalismus.
 
Da wir hier in einem Geschichts-Forum sind, frage ich mal historisch:
Wo gab es in der Geschichte eine sozialistische oder radikal linke Gesellschaft, die nicht autoritär war und nicht Ähnlichkeiten zu Rechts-Radikalen hatte?
Sparta?
Sandinisten?
Räterepublik(en)?
Christiania?

Grüße
Peter
 
Da wir hier in einem Geschichts-Forum sind, frage ich mal historisch:
Wo gab es in der Geschichte eine sozialistische oder radikal linke Gesellschaft, die nicht autoritär war und nicht Ähnlichkeiten zu Rechts-Radikalen hatte?
Sparta?
Sandinisten?
Räterepublik(en)?
Christiania?
Wie kommst du bei Sparta auf links? Oder meinst du nicht Spartiaten sondern Spartakisten?
Es sollte auch gar keine Totalitarismus-Debatte werden. Dass marxistisch-leninistische Regime häufig und faschistische Regime immer totalitär sind, steht ja völlig außer Frage. Die Räterepubliken, Nicaragua, Chile oder Brasilien unter Lula und Dilma sind sicher Beispiele für nicht-totalitäre und nicht-autoritäre linksradikale Regierungen. Ist die Christiania wirklich "links"?
 
Die marxistische Linke - egal ob dogmatisch oder unorthodox - sieht den Faschismus, die orthodoxe Linke, weil sie den HistoMat erfüllt sehen will, als Konsequenz des Kapitalismus.

Das sie das in weiten Teilen faktisch tat, ist sicherlich unbestritten, aber ergiebt sich das zangsläufig auf Basis des historischen Materialismus?

Letztendlich stand Marx selbst ja schon vor dem gleichen Problem, als sich in Frankreich Napoléon III. an die Macht putschte.
Was mich jetzt zu der Frage führen würde, ob man es dem Vordenker nicht hätte gleichtun und mittels eines Kunstgriffes ein quaisbonapartistisches Zwischenstadium hätte konstruieren können, um den Faschismus erklären zu wollen.
Das jetzt völlig losgelöst von der Sinnhaftigkeit solcher Betrachtungen.
 
Da wir hier in einem Geschichts-Forum sind, frage ich mal historisch:
Wo gab es in der Geschichte eine sozialistische oder radikal linke Gesellschaft, die nicht autoritär war und nicht Ähnlichkeiten zu Rechts-Radikalen hatte?

Das hängt davon ab, ob man über Ähnlichkeiten in ihrer Form des Machtanspruchs oder über Ähnlichkeiten im Hinblick auf ihre ideologischen Grundlagen redet.

Im Hinblick auf den Machtanspruch gegenüber der Bevölkerung gab es sicherlich einige Gemeinsamkeiten bei diversen historischen Systemen. Im Hinblick auf ideologische Inhalte und ideologisch motiviertes Handeln, sehe ich keine nennenswerten Gemeinsamkeiten.

Welche, wenn ich fragen darf, siehst du denn?
 
Aber ist das nicht der zentrale Gesichtspunkt der Hufeisen-Theorie?
Da will ich mal drüber nachdenken.

Das sie das in weiten Teilen faktisch tat, ist sicherlich unbestritten, aber ergiebt sich das zangsläufig auf Basis des historischen Materialismus?

Letztendlich stand Marx selbst ja schon vor dem gleichen Problem, als sich in Frankreich Napoléon III. an die Macht putschte.
Was mich jetzt zu der Frage führen würde, ob man es dem Vordenker nicht hätte gleichtun und mittels eines Kunstgriffes ein quaisbonapartistisches Zwischenstadium hätte konstruieren können, um den Faschismus erklären zu wollen.
Ich glaube, Marx hat den HistoMat eher als Modell für die Weltgeschichte gesehen. Die dogmatischen Marxisten, die - das habe ich schon vor Harari so gesehen - aus der marxistischen Lehre eine Religion gemacht haben, die eben anders als Wissenschaft keinen Widerspruch duldet - nahmen den Faschismus als Störung im geschichtlichen Ablauf ihres teleologischen Weltbildes wahr und entwickelten das Bedürfnis, diese Störung zu glätten oder sagen wir besser, störungsfrei ins System einzupassen. Denn in ihrem Weltbild mussten die Widersprüche im Kapitalismus ja zwangsläufig zu einer proletarischen Revolution führen, stattdessen kam der unvorhergesehene Faschismus auf, der auf seine Weise versuchte, die Widersprüche, welche der Theorie nach zur Revolution hätten führen müssen, zwar nicht zu lösen, aber doch in den Hintergrund zu rücken.
 
Ich glaube, Marx hat den HistoMat eher als Modell für die Weltgeschichte gesehen. Die dogmatischen Marxisten, die - das habe ich schon vor Harari so gesehen - aus der marxistischen Lehre eine Religion gemacht haben, die eben anders als Wissenschaft keinen Widerspruch duldet - nahmen den Faschismus als Störung im geschichtlichen Ablauf ihres teleologischen Weltbildes wahr und entwickelten das Bedürfnis, diese Störung zu glätten oder sagen wir besser, störungsfrei ins System einzupassen.
Bis hierhin bin ich im Hinblick auf historische Verhältnisse und den ideologischen Spielraum explizit dogmatischer/orthodoxer Marxisten d'accord, sehe aber nicht, wo sich da für unorthodoxe Marxisten Zwangsläufigkeiten in ihren ideologischen Handlungsmöglichkeiten ergaben.

Vielleicht haben wir hier aber auch ein unterschiedlicher Veständnis von orthodox/unorthodox?


Denn in ihrem Weltbild mussten die Widersprüche im Kapitalismus ja zwangsläufig zu einer proletarischen Revolution führen, stattdessen kam der unvorhergesehene Faschismus auf, der auf seine Weise versuchte, die Widersprüche, welche der Theorie nach zur Revolution hätten führen müssen, zwar nicht zu lösen, aber doch in den Hintergrund zu rücken.

Nur konnten sie derartige Vorstellungen nur dann aufrecht erhalten (sofern wir über die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts reden), wenn sie die Vergangenheit systematisch ausblendeten.
Dafür hat es schlicht so viele Widersprüche gegeben, die es nach der Vorstellung niemals hätte geben dürfen, dass ich persönlich dann schon davon ausgehe, dass auch "orthodoxe" Positionen wenigstens minimal adaptionsfähig sein mussten.
Und damit sehe ich die Zwangsläufigkeit auf etwaige Zwischenstadien als Erklärungsmuster verzichten zu müssen so nicht gegeben.
Das man diese Szenarien nicht wollte, aus verschiedenen ideologischen Gründen, geschenkt, aber das man nicht gekonnt hätte, wenn man gewollt hätte, auch ohne mit dem orthodoxen Marxismus vollständig zu brechen, versuchen diesen zu erweiteren.
 
Bis hierhin bin ich im Hinblick auf historische Verhältnisse und den ideologischen Spielraum explizit dogmatischer/orthodoxer Marxisten d'accord, sehe aber nicht, wo sich da für unorthodoxe Marxisten Zwangsläufigkeiten in ihren ideologischen Handlungsmöglichkeiten ergaben.

Vielleicht haben wir hier aber auch ein unterschiedlicher Veständnis von orthodox/unorthodox?
Für die undogmatischen oder nichtorthodoxen Marxisten - ich verstehe darunter Leute, die zwar der marxistischen Lehre in gewisser Weise anhingen, diese aber nicht als Wissenschaft etikettierten und wie eine Religion behandelten - ergab sich keine Konsequenz aus dem Faschismus für das Lehrgebäude des Marxismus. Dennoch hat Horkheimer 1939 seinen berühmten Satz von Kapitalismus und Faschismus gesagt.

Nur konnten sie derartige Vorstellungen nur dann aufrecht erhalten (sofern wir über die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts reden), wenn sie die Vergangenheit systematisch ausblendeten.
Dafür hat es schlicht so viele Widersprüche gegeben, die es nach der Vorstellung niemals hätte geben dürfen, dass ich persönlich dann schon davon ausgehe, dass auch "orthodoxe" Positionen wenigstens minimal adaptionsfähig sein mussten.
Und damit sehe ich die Zwangsläufigkeit auf etwaige Zwischenstadien als Erklärungsmuster verzichten zu müssen so nicht gegeben.
Das man diese Szenarien nicht wollte, aus verschiedenen ideologischen Gründen, geschenkt, aber das man nicht gekonnt hätte, wenn man gewollt hätte, auch ohne mit dem orthodoxen Marxismus vollständig zu brechen, versuchen diesen zu erweiteren.
Im Postfaschismus erlebten die westlichen Demokratien ein Trickle-Down, welches heute noch von marktradikalen propagiert wird, aber welches de facto seit dem Zusammenbruch des Ostblocks nicht mehr funktioniert.

Der spanische Sozialist Manuel Cortés Quero (letzter republikanischer Bürgermeister von Mijas, 1939 - 1969 versteckt in der Illegalität) hat das in der ausgehenden Franco-Zeit an Touristen in Spanien beobachtet.
 
Für die undogmatischen oder nichtorthodoxen Marxisten - ich verstehe darunter Leute, die zwar der marxistischen Lehre in gewisser Weise anhingen, diese aber nicht als Wissenschaft etikettierten und wie eine Religion behandelten - ergab sich keine Konsequenz aus dem Faschismus für das Lehrgebäude des Marxismus. Dennoch hat Horkheimer 1939 seinen berühmten Satz von Kapitalismus und Faschismus gesagt.

Okay, daraus erklärt sich meine Irritation, weil ich eine andere Definition von orthodox/unorthodox vorrausgesetzt hatte.
Für mich verläuft die Trennlinie da eher zwischen Individuen, die den Marxismus quasireligiös und möglichst wörtlich auffass(t)en und solchen, die das zwar als grundsätzlich wissenschaftliches oder wissenschaftsähnliches Theorem auffassen, aber grundsätzlich zu Anpassungen des Modells oder Erweiterungen, nicht aber grundsätzlichen Revisionen bereit sind.
 
Das hängt davon ab, ob man über Ähnlichkeiten in ihrer Form des Machtanspruchs oder über Ähnlichkeiten im Hinblick auf ihre ideologischen Grundlagen redet.

Im Hinblick auf den Machtanspruch gegenüber der Bevölkerung gab es sicherlich einige Gemeinsamkeiten bei diversen historischen Systemen. Im Hinblick auf ideologische Inhalte und ideologisch motiviertes Handeln, sehe ich keine nennenswerten Gemeinsamkeiten.

Welche, wenn ich fragen darf, siehst du denn?
Ja, es sind wohl in erster Linie Machtkonzentration, gelenkte Wirtschaft, Unfreiheit der Presse und Rede.

Was die Ideologie betrifft: Die radikal Linken glauben an die Gleichheit der Menschen (zumindest ansatzweise und was Kapital betrifft), die radikal Rechten an die Ungleichheit (die Menschen sind ihnen unterschiedlich viel wert, teilweise spricht man ihnen sogar das Lebensrecht ab.)

Was gelenkte Wirtschaft betrifft, gibt es allerdings ein gewisses gemeinsames ideologisches Element. Und wird die politische "Richtung" nicht in erster Linie über die Wirtschaftspolitik definiert?
 
Ja, es sind wohl in erster Linie Machtkonzentration, gelenkte Wirtschaft, Unfreiheit der Presse und Rede.

Was die Ideologie betrifft: Die radikal Linken glauben an die Gleichheit der Menschen (zumindest ansatzweise und was Kapital betrifft), die radikal Rechten an die Ungleichheit (die Menschen sind ihnen unterschiedlich viel wert, teilweise spricht man ihnen sogar das Lebensrecht ab.)

Was gelenkte Wirtschaft betrifft, gibt es allerdings ein gewisses gemeinsames ideologisches Element. ?

Wo genau gab es denn beispielsweise im NS eine vergleichbar gelenkte Wirtschaft, wie in linksgerichteten Systemen mit zentralisierter Wirtschaft?
Die Frage bezieht sich explizit auf Friedenszeiten, dass in Krigeszeiten bei einer Auseinandersetzungen zwischen industrailisierten Staaten, Elemente von Kommandowirtschaft zum Tragen kommen können, ist ja nichts ideologiespezifisches.

Unfreiheit der Presse und Rede ist auch nichts, was ideologiespezifisch zäre, sondern einfach jeder Form von autoritärer Herrschaft inhärent ist, vollkommen egal ob sie mit idologischen Elementen beladen oder durch solche legitimiert ist oder nicht.

Und wird die politische "Richtung" nicht in erster Linie über die Wirtschaftspolitik definiert?
Der Meinung bin ich durchaus nicht.
Im Mittelalter war die Wirtschaft durch das Zunftwesen ähnlich unfrei wie im "real existierenden Sozialismus".

Monopolisierung, Preisfestsetzungen, wenige Möglichkeiten freien Marktes, Zulassung eines Individuums zu bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeit durch Privilegien (Aufnahme in die Zunft, Erlaubnis in einer Sstadt oder auf einem Marktflecken Handel zu trieben durch die Obrigkeit).
Trotzdem käme wohl kein Mensch auf die Idee zu behaupten, dass Mittelalter wäre eine realsozialistische oder wie auch immer geartet linke Veranstaltung gewesen.
 
Also zunächst einmal sei vorweggeschickt, dass Horkheimer und Harari mit der Hufeisentheorie (der schon vor 25 Jahren mein Deutsch-LK-Lehrer anhing) nix zu tun haben. Der Titel ist dem Umstand geschuldet, dass ich irgendwie die verschiedenen Richtungen unterbringen wollte und die Alliteration die sich zufälligerweise ergab, bot sich dann an.

Ich habe es gelesen, teilweise nicht verstanden und fand es problematisch. Deswegen eine kritische Antwort.

1. Die Kritische Theorie hat relevante Aussagen zum Faschismus gemacht (Horkheimer&Adorno: Dialektik der Aufklärung). Und sich auch mit der stalinistischen Variante des Historischen Materialismus auseinandergesetzt. Spielte im Thread aber bisher keine Rolle, was zu erwarten war, weil sie mit der - unsinnigen - "Hufeisentheorie" nix zu hat (vgl. auch Link zu Stöss). Mit Stöss und anderen wäre es möglich gewesen, diese sogenannte Theorie auf ihre theoretische und empirische Belastbarkeit zu überprüfen und zu verwerfen.

https://www.bpb.de/politik/extremis...tremismuskonzepts-in-den-sozialwissenschaften

2. Es ist erfreulich, dass Harari nicht nur als "Familiensoziologe" zu zitieren ist, sondern auch für eine umfangreiche Ideologiekritik offensichtlich bestens geeignet ist. Bin schon gespannt, in welchem Kontext er noch auftreten wird.

3. Ob ein "Lehrer" Anhänger dieser ideologisch aufgeladenen Theorie ist, ist doch völlig irrelevant. Gravierender ist, dass noch nicht einmal ansatzweise eine Deskription und kritische Würdigung dieser sogenannten "Theorie" vorgenommen wurde. Die Haltung des Lehrers wäre ein hervorragender Aufhänger gewesen, ideologiekritisch das Konzept zu beleuchten. Und es überrascht kaum, dass es eher als "ideologisches Kampfmittel" verwendet wurde und weniger für die Forschung brauchbar war.

4. Im Ergebnis ist völlig unklar, was jetzt eigentlich beantwortet werden sollte, was eigentlich schon induziert war, weil u.a. die Kritische Theorie ja mit dem Thema nichts zu tun hat.

5. Es liegen ansonsten seriöse und gute Erklärungen des Faschismus (vgl. z.B. Mann: Fascists oder Sternhell: The Birth of Facist Ideology etc.) vor und es gibt eine substantielle Diskussion sowohl zum "autoritären Charakter" (vgl. z.B. Adorno u.a.: Studien zum autortären Character etc.) sowie zur Verwendung des "Totalitarismus" (vgl. z.B.Kershaw&Lewin: Stalinism and Nazism und Geyer & Fitzpatrick: Beyond Totalitarism). Ich schenke es mir, die entsprechenden Links für das GF wieder einzustellen.
 
Zuletzt bearbeitet:
3. Ob ein "Lehrer" Anhänger dieser ideologisch aufgeladenen Theorie ist, ist doch völlig irrelevant. Gravierender ist, dass noch nicht einmal ansatzweise eine Deskription und kritische Würdigung dieser sogenannten "Theorie" vorgenommen wurde. Die Haltung des Lehrers wäre ein hervorragender Aufhänger gewesen, ideologiekritisch das Konzept zu beleuchten. Und es überrascht kaum, dass es eher als "ideologisches Kampfmittel" verwendet wurde und weniger für die Forschung brauchbar war.
Den Lehrer brauchst du nicht in Anführungszeichen zu setzen, das war er. Ob er irrelevant ist oder nicht, war für meine Darstellung unerheblich, mir ging es vor allem um seine griffige Formulierung der Hufeisentheorie.
 
, mir ging es vor allem um seine griffige Formulierung der Hufeisentheorie.

Mir auch, Dein Lehrer ist mir ziemlich egal. Aber weder die Deskription noch die Kritik wurde geleistet. So bleibt der Eindruck als wenn diese unsinnige "Theorie" eine Bedeutung für die Analyse der politischen Kultur hätte.

1. Wer vertritt diese sogenannte "Hufeisentheorie"? Welche Relevanz hat sie und in welchem politischen Kontext - außer in Deutschstunden - war sie relevant?

2. Welche empirische Evidenz ist angeführt worden, um das "Links-Rechts-Kontinuum" in ein Hufeisen zu verbiegen? Zumal zum "Links-Rechts-Kontinuum" ausreichend empirische Forschung vorliegt (Klingemann u.a., die Stöss als ex-Mitglied, wie Klingemann, Falter u.a., des ZI6 der FU natürlich auch kennt)
 
Zuletzt bearbeitet:
Wo genau gab es denn beispielsweise im NS eine vergleichbar gelenkte Wirtschaft, wie in linksgerichteten Systemen mit zentralisierter Wirtschaft?
Es gab doch Eingriffe bei Landwirtschaft und Rüstung.

Unfreiheit der Presse und Rede ist auch nichts, was ideologiespezifisch zäre, sondern einfach jeder Form von autoritärer Herrschaft inhärent ist, vollkommen egal ob sie mit idologischen Elementen beladen oder durch solche legitimiert ist oder nicht.
Das war/ist ja auch meine Ansicht. Das ist eine Gemeinsamkeit über die Ideologiegrenzen hinweg. Das hatte ich doch zu Gemeinsamkeit jenseits der Ideologie geschrieben.

Der Meinung bin ich durchaus nicht.
Im Mittelalter war die Wirtschaft durch das Zunftwesen ähnlich unfrei wie im "real existierenden Sozialismus".

Monopolisierung, Preisfestsetzungen, wenige Möglichkeiten freien Marktes, Zulassung eines Individuums zu bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeit durch Privilegien (Aufnahme in die Zunft, Erlaubnis in einer Sstadt oder auf einem Marktflecken Handel zu trieben durch die Obrigkeit).
Trotzdem käme wohl kein Mensch auf die Idee zu behaupten, dass Mittelalter wäre eine realsozialistische oder wie auch immer geartet linke Veranstaltung gewesen.
Das ist wohl richtig. Dennoch sehe ich es so, dass nicht nur ich, sondern viele Andere, auch Politikexperten die Frage, ob "links" oder nicht, an der Wirtschaftspolitik festmachen.
 
Mannewitz (in Jesse&Mannewitz) referiert das Modell von Scheuch und Klingemann (vgl. Schaubild S.257). Insgesamt werden die unterschiedlichen Ansätze vorgestellt zur Beschreibung von "Extremismus".

Im Prinzip gehen Klingemann & Pappi von einem "Links-Rechts-Kontinuum" aus, das durch eine "Libertäre vs. autoritäre" Dimension im Rahmen der Postmaterialismus-Diskussion ergänzt werden. (vgl. Schaubild bei Mannewitz S. 274)

Es gibt kein "ideologisches Hufeisen". Und deswegen hat der "Lehrer" Unsinn erzählt bzw. es war ein zu kritisierender Versuch, Schüler zu indoktrinieren.

Man kann Ähnlichkeiten in den Strukturen von autoritären Charakteren auf der Linken oder Rechten erkennen. Da im instrumentellen Sinne ein gewisser "Rigorismus" vorhanden ist. Allerdings wird man das auch für Personen aus anderen politischen Lagern erkennen können

Unabhängig davon, dass es bei manchen Strömungen von Links oder Rechts eine Ablehnung des Kapitalismus gab, die in der "Anti-Haltung" eine Form von "ideologischer Gemeinsamkeit" erzeugt.

Eckhard Jesse und Tom Mannewitz (Hg.): Extremismusforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Baden-Baden: Nomos, S. 205–243.

vgl. #88 und 89
https://www.geschichtsforum.de/them...en-in-der-deutschen-gesellschaft.35073/page-5
 
Es gab doch Eingriffe bei Landwirtschaft und Rüstung.
Es gab nichts, was mit den Zwangskollektivierungen, der zentralen Planwirtschaft, den Presifestsetzungen und der weitgehenden Abwesenheit eines freien Marktes, in der UdSSR oder späteren Ostblock-Regimes vergleichbar gewesen wäre.
Das jemand in irgendeiner Weise in etwas eingreift, mit völlig anderen Maßnahmen, im völlig anderen Umfang und mit völlig anderen Absichten, als es jemand anderers tut, ist mir ein bisschen zu wenig um daraus eine ideologische Nähe zu konstruieren.

Wenn wir so anfangen, müsste man auch die Bonner Republik ideologisch in die Nähe des Kommunismus einordnen, weil die Lastenausgleichsgesetzgebung de facto eine, wenn auch einigermaßen schonend betriebene flächendeckende Teilenteignung der Bevölkerung bedeutete und somit in das uneingeschränkte Privateigentum der Bevölkerung eingriff.



Das war/ist ja auch meine Ansicht. Das ist eine Gemeinsamkeit über die Ideologiegrenzen hinweg. Das hatte ich doch zu Gemeinsamkeit jenseits der Ideologie geschrieben.

Die Abwesenheit von freier Presse und die Unmöglichkeit der freien Rede mögen im Nationalsozialismus und im Sowjetkommunismus vergleichbar sein, nur sind das keine exklusiven Spezialitäten ideologisch-totalitärer Regimes.

Pressefreiheit ab es im Preußen vor 1848 auch keine, und wer zu frei redete, z.B. über die Monarchie hatte mitunter Aussicht darauf wegen Majestätsbeleidigung hinter schwedischen Gardinen zu landen.

Ergibt sich nun irgendeine sinnvoll zu konstruierende Nähe zwischen dem friederizianischen Preußen, der stalinistischen Sowjetunion und Hitlerdeutschland?
Ich meine nein.

Das es punktuelle Überschneidungen verschiedener Systeme gibt und gegeben hat, ist ja unbestritten. Aber darin sehe ich keine sinnvolle Basis zur Konstruktion eines ideologischen Hufeisens, da müssten schon ein paar mehr Inhalte übereinstimmen und das wiederrum sehe ich nicht.
 
Das es punktuelle Überschneidungen verschiedener Systeme gibt und gegeben hat, ist ja unbestritten. Aber darin sehe ich keine sinnvolle Basis zur Konstruktion eines ideologischen Hufeisens, da müssten schon ein paar mehr Inhalte übereinstimmen und das wiederrum sehe ich nicht.
Ich sehe persönlich die Hufeisen--Theorie so, dass die von mir genannten autoritären Strukturen der Grund für diese Theorie sind. Auch ich sehe wenig Ähnlichkeit auf ideologischer Sicht. Wenn man ideologische Ähnlichkeiten zu sehen glaubt, dann kann ich da auch keine finden. Nicht ohne Grund sind sich die beiden radikalen Seiten Spinnefeind. In Russland gibt es Formen der Zusammenarbeit, aber (wie gesagt) die Rechten wollen Ungleichheit, die Linken Gleichheit.

Nachtrag an Shinigami: Worin siehst du denn die Einordnung in "Links" und "Rechts", wenn nicht über die Wirtschaftspolitik?

Grüße
Peter
 
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