Die Sarazenen in der Schweiz

sie (die Griechen oder die Sarazenen?) gaben den Alpen das ruhige Italien zurück"????

Diese Passage scheint für alle schwierig zu sein und wird offenbar unterschiedlich interpretiert.
Während Hannes Steiner hier ein Ausweichen der Sarazenen in die Berge sieht (siehe Anmerkung 24 in seinem Artikel) sind es in der französischen Übersetzung die Griechen, die durch die Berge ins beruhigte Italien zurückkehren.
Wenn ich mir die vielen Fussnoten in der Ed. Lauer bei dieser Textstelle anschaue, so scheinen sich auch die Kopisten der verschiedenen Manuskripte nicht ganz klar gewesen zu sein, was sie da kopieren.
So soll z.B. in einer Version ein qui eam statt quietam gestanden haben.
 
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Während Hannes Steiner hier ein Ausweichen der Sarazenen in die Berge sieht (siehe Anmerkung 24 in seinem Artikel) sind es in der französischen Übersetzung die Griechen, die durch die Berge ins beruhigte Italien zurückkehren.
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Das war auch einer der Gründe für meine Nachfrage. Dass Griechen im Mittelmeer und an seinen Küsten hinter "sarazenischen" Piraten her waren, wäre mir plausibel, aber in den Schweizer oder italienischen Alpen?
Das war doch nicht ihr "Revier". Da müsste es wohl um allerhand gegangen sein, dass sie sich diese Mühe machten und der römische Kaiser bzw. seine Statthalter dürften wenig "amused" gewesen sein.
 
und der römische Kaiser bzw. seine Statthalter dürften wenig "amused" gewesen sein.
Es scheint so als ob König Hugo von Italien mit dem oströmischen Kaiser Romanus Lakapenos zu diesem Zweck ein Bündnis eingegangen ist und der Angriff auf die Sarazenen eine konzertierte Aktion war. Zum Zeitpunkt und dem genauen Ablauf widersprechen sich die Chronisten Flodoard und Liudprand.
Ich gehe schwer davon aus, dass die Griechen wieder zu ihren Schiffen zurückkehrten.
 
Das war auch einer der Gründe für meine Nachfrage. Dass Griechen im Mittelmeer und an seinen Küsten hinter "sarazenischen" Piraten her waren, wäre mir plausibel, aber in den Schweizer oder italienischen Alpen?
Das war doch nicht ihr "Revier". Da müsste es wohl um allerhand gegangen sein, dass sie sich diese Mühe machten und der römische Kaiser bzw. seine Statthalter dürften wenig "amused" gewesen sein.
Römischen Kaiser gab es 931 im Westen eh keinen.

Ich habe es so verstanden, dass die Sarazenen aus den Alpen nach Italien zurückkehrten und dort von den Byzantinern geschlagen wurden, also z. B. an der Küste Liguriens.
 
Diese Passage scheint für alle schwierig zu sein und wird offenbar unterschiedlich interpretiert.
Während Hannes Steiner hier ein Ausweichen der Sarazenen in die Berge sieht (siehe Anmerkung 24 in seinem Artikel) sind es in der französischen Übersetzung die Griechen, die durch die Berge ins beruhigte Italien zurückkehren.
Wenn ich mir die vielen Fussnoten in der Ed. Lauer bei dieser Textstelle anschaue, so scheinen sich auch die Kopisten der verschiedenen Manuskripte nicht ganz klar gewesen zu sein, was sie da kopieren.
So soll z.B. in einer Version ein qui eam statt quietam gestanden haben.
Die MGH bietet auch noch "quidam cum A. r. I." (Was ist A. r. I.? Ich kenn nur AcI.)
 
Ich würde das etwas anders übersetzen:
"Die Byzantiner verfolgten die Sarazenen über das Meer bis ins Gebirge von Fraxinetum, wo deren Schlupfwinkel war, und von wo aufbrechend sie Italien in eifrigen Einfällen plünderten, und nachdem sie auch die Alpen besetzt hatten, vernichteten sie sie durch einen durch den gnädigen Gott raschen Untergang, als sie von den Alpen ins ruhige Italien zurückkehrten."
Meiner Meinung nach sind also die Graeci das Subjekt des Satzes, auf die sich auch das proterunt bezieht (andernfalls würde das Subjekt Graeci allein stehen, ohne zugehöriges Verb): Sie verfolgten die Sarazenen und vernichteten sie schließlich, als diese von den Alpen nach Italien zurückkehrten.
Meine Übersetzung setzt allerdings voraus, dass "reddentes" ein Schreibfehler für "redientes" ist, denn reddentes würde "zurückgeben" bedeuten, "redientes" hingegen "zurückkehren".

Ich denke, das ist im Prinzip die richtige Übersetzung. Das "deo propitio" passt dann auch zu "internecione", wenn die Sarazenen die Opfer sind. Ich hatte das gar nicht in Betrracht gezogen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass sich die Byzantiner im 10. Jahrhundert noch in den Alpen herumtrieben.
 
Zuerst zwei Infos:
Fraxinetum, vermutlich das heutige La Garde-Freinet liegt ca. 10km oberhalb von St. Tropez im sog. Massif des Maures (höchster Gipfel 780m).
Dieser Ort gehörte damals nicht zu Italien, sondern zum Königreich Niederburgund, bzw. zur Grafschaft Provence. König von Niederburgund und Italien war Hugo I.

Im ersten Teil von Flodoards Ausführungen zu 931 landen die Griechen bei Fraxinetum, also dem Golf von St. Tropez.
Gemäss den Schilderungen Flodoards waren an der Aktion nur die Griechen beteiligt.
Gemäss den Schilderungen Liutprands waren die Griechen nur zur See und Hugo an Land beteiligt.
In beiden Chroniken ist keine Vertreibung der Sarazenen aus Fraxinetum bis 973 erkennbar.

Der Grund, warum die Sarazenen angegriffen wurden, war ihr Vordringen von Fraxinetum aus ins Piemont und Ligurien (Italien) und ihre Überfälle auf Pilger in den Alpen.

Ich glaube nicht, dass die Griechen in den Hügeln (Gebirge) von St. Tropez auf die Sarazenen warteten, bis diese aus Italien zurückkehrten, da hätten sie vielleicht lange warten können.
Ein Zurückkehren der Sarazenen nach Italien macht keinen Sinn, da ihr Schlupfwinkel in der Provence lag.
Ich glaube auch nicht, dass die Griechen die Sarazenen in die Alpen verfolgten und dann selber wieder von dort zurückkehrten. Sie waren Marine.

Ein Zurückkehren der Griechen mit ihren Schiffen nach Italien, dessen Alpen nun befriedet waren , nach erfolgreicher Aktion bei Fraxinetum macht für mich am meisten Sinn.
Gibt das der Satz her?
 
Ja schon.
Das Partizip "reddentes" (das, wenn man es mit "zurückkehren" übersetzen will, für "redientes" verschrieben sein müsste, denn "reddentes" würde eigentlich "zurückgeben" bedeuten) kann Nominativ oder Akkusativ sein und sich auf die Graeci oder die Sarracenos beziehen. Von der Grammatik her können also sowohl die Griechen nach dem Sieg über die Sarazenen von den Alpen nach Italien zurückgekehrt sein als auch die Sarazenen besiegt worden sein, als sie von den Alpen nach Italien zurückkehrten.

Dennoch hänge ich eher der Variante an, dass die Sarazenen zurückkehrten, da es vom Satzbau her etwas komisch ist zu schreiben: "Die Griechen vernichteten die Sarazenen, von den Alpen ins ruhige Italien zurückkehrend." (Also in dem Sinne, dass die Griechen zuerst die Sarazenen vernichteten und dann zurückkehrten.) In diesem Fall wäre eher zu erwarten, dass "reddentes" nicht als Partizip steht, sondern auch als Verb, z. B. "... proterunt et quietam redierunt Alpibus Italiam."
 
Zuletzt bearbeitet:
gäbe es vielleicht eine Möglichkeit, dass so etwas wie " ... was in einem beruhigten (befriedeten ) Italien resultierte, weil ihm die Alpen zurückgegeben wurden." gemeint ist?
Ich kann mir das nicht vorstellen - ich denke nur laut.
 
Das haut überhaupt nicht hin. "Reddere" (zurückgeben) erfordert den Akkusativ. "Quietam Italiam" ist Akkusativ, "Alpibus" hingegen Dativ oder Ablativ. Also wenn etwas zurückgegeben wurde, dann das ruhige Italien.
 
Das haut überhaupt nicht hin. "Reddere" (zurückgeben) erfordert den Akkusativ. "Quietam Italiam" ist Akkusativ, "Alpibus" hingegen Dativ oder Ablativ. Also wenn etwas zurückgegeben wurde, dann das ruhige Italien.
Dann wurde vielleicht den Alpen ein beruhigtes Italien zurückgegeben. Tönt poetisch.
Nein, es wird wohl redientes sein, obwohl in keiner der von mir konsultierten Ausgaben ein Hinweis darauf zu sehen war. In allen Kopien der Handschriften stand somit reddentes und kein Kopist hat das gemerkt.
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Also redientes finde ich schon einen guten Vorschlag, aber "ein durch die Alpen beruhigtes Italien zurückgebend" kann schon auch sinnvoll sein, etwa den Bewohnern, und durch die Alpen, weil die Alpen Italien ja eigentlich abschirmen, wenn es da keine Strauchdiebe gibt.
 
Darf ich noch eine Frage an die Schrift- und Sprachkundigen stellen?
Zitat aus dem oben verlinkten Text der VIOZ:
"...Diese zweite Periode als umayyadische Enklave beinhaltete u.a. auch das legitimierte Zoll- und Wegerecht für den Alptransit, wie dies etwa den Annalen Flodoard‘s (281-355/894-966) zu entnehmen ist..."
Weiter unten in dem Text wird nochmals darauf und auf andere Dokumente rekurriert.
Lassen sich diese Rechte tatsächlich aus den Annalen entnehmen oder ist das auch (bestenfalls) Interpretationssache?
Hätten die Sarazenen tatsächlich diese Rolle gespielt, wäre es mir schon plausibel, dass sie dorthin "nach Hause" zurückkehrten. Allerdings könnte man aus dem Text auch entnehmen, dass König Hugo ihrer Anwesenheit im Wallis ein Ende machte.
 
Darf ich noch eine Frage an die Schrift- und Sprachkundigen stellen?
Zitat aus dem oben verlinkten Text der VIOZ:
"...Diese zweite Periode als umayyadische Enklave beinhaltete u.a. auch das legitimierte Zoll- und Wegerecht für den Alptransit, wie dies etwa den Annalen Flodoard‘s (281-355/894-966) zu entnehmen ist..."
Weiter unten in dem Text wird nochmals darauf und auf andere Dokumente rekurriert.
Lassen sich diese Rechte tatsächlich aus den Annalen entnehmen oder ist das auch (bestenfalls) Interpretationssache?
Hätten die Sarazenen tatsächlich diese Rolle gespielt, wäre es mir schon plausibel, dass sie dorthin "nach Hause" zurückkehrten. Allerdings könnte man aus dem Text auch entnehmen, dass König Hugo ihrer Anwesenheit im Wallis ein Ende machte.
Aus Flodoard eigentlich nur diese Wendung:

951:
Sarraceni meatum Alpium obsidentes a viatoribus Romam petentibus tributum accipiunt, et sic eos transire permittunt.​
"Die die Alpen besetzt habenden Sarazenen nahmen den von den nach Rom strebenden Reisenden Tribut an und erlaubten ihnen so die Durchreise." [Ich habe hier substantivisch übersetzt, was im lateinischen verbal gelöst ist.]
Clemens, Sepiola oder Ravenik werden korrigieren, wenn sie etwas auszusetzen haben (wie das halb unterschlagene meatum...)
Daraus ein "legitimiertes Zoll- und Wegerecht" zu rekonstruieren, scheint mir Schönfärberei zu sein. Nachdem die Sarazenen - laut Flodoard - zunächst fast 30 Jahre lang die Gegend terrorisiert haben und Rompilger immer an ihrer Durchreise hinderten, haben sie offensichtlich eingesehen, dass es gesamt gesehen einträglicher ist, wenn man Wegezoll nimmt und die Durchreise erlaubt, als dass man ein paar Pilger ausraubt und alle weiteren machen dann einen großen Bogen um die Region. Und das ist dann auch schon der letzte Eintrag bei Flodoard wo sie vorkommen. In den 32 Jahren zwischen 929 und 951 kommen sie sieben mal vor, in den 15 Jahren 952 - 966 (letztes behandeltes Jahr in Flodoards Annalen) gar nicht mehr. Sie sind einfach nicht mehr Thema.
 
Aus Liutprand (Antapodosis V.17) hingegen dies:
..ipseque cum Saracenis hac ratione foedus inuit ut in montibus qui Sueviam atque Italiam dividunt starent ut si forte Berengarius exercitum ducere vellet transire eum omnimodis prohiberent.

Hugo machte also mit den Sarazenen einen Vertrag. Was der im Einzelnen enthielt, wissen wir nicht, aber ich sehe hier ein gewolltes Installieren der Sarazenen auf den Alpenpässen als Abwehr gegen Berengar. Durchaus denkbar, dass er ihnen auch das Wegzollrecht gab.
 
...Vertrag. Was der im Einzelnen enthielt, wissen wir nicht, [...] Durchaus denkbar, dass er ihnen auch das Wegzollrecht gab.
Also kein Fakt, sondern ein Faktoid.
Wobei freilich, da hast du Recht, sich aus der Formulierung schon ergibt, dass den Sarazenen gewisse Rechte zugesichert gewesen sein müssen, dass sie sich einseitig gegen Berengar verhielten.
 
Danke.
Die Grenzen zwischen Wegezoll und Wegelagerung können manchmal fließend sein und, wenn man den Bock nicht los wird, muss man ihn vllt. auch mal eine Weile den Gärtner spielen lassen.;)
Vllt. verhielt es sich auch ein bisschen wie mit der "Konstantinischen Schenkung".
Immerhin scheinen sich die Sarazenen aber eine Weile am Großen St. Bernhard und/oder im Wallis festgesetzt zu haben.
 
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