Heracles mit spitzen Ohren?

iamNex

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Liebes Forum,

vor kurzem bin ich auf eine Karikatur von 1860 gestoßen, die den "Materialismus" als neuen Herkules beschreibt, der anstatt von Schlangen bereits als Kind Theologe und Philosophie erledigt habe.

So glaube ich zumindest. Im zugehörigen Text wird vom Materialismus als junger Hercules gesprochen. Die Karikatur zeigt jedoch einen Säugling mit spitzen Ohren.

Ist euch eine solche Darstellung bekannt, Baby-Heracles mit Elfen-Ohren? Bei meinen Recherchen bin ich bisher auf nichts derartiges gestoßen, bin aber auch in Archäologie und Alter Geschichte gänzlich unbewandert..

Danke für jegliche Einschätzungen!
 
Sagt mir auch nichts, spitze Ohren sind für mich eher mit dem Teufel konnotiert (und mit den Vulkaniern aus Star Trek). Vielleicht wurden hier ein Attribut des Teufels auf den Herkules übertragen. Das würde ja auch im Zusammenhang mit Theologie Sinn ergeben.

Könntest Du ein Bild der Karikatur einstellen oder verlinken?
 
Hercul1.jpg
Hercul2.jpg
 
Es gibt ja verschiedene Darstellungen vom schlangentötenden Säugling Herkules, sowohl auf attischen Vasen (wo er eher aussieht, wie ein Erwachsener in Miniatur) bis in den Barock. (Hier u.a. auch, wie ich gestern fand, ein umgearbeitetes Bild von einer Putte, die einen Bogen spannt zum Baby-Herkules.) Nirgends die Spitzohrigkeit. Ich kann sie mir hier nicht erklären, außer vielleicht - aber das würde m.E. der Intention des Textes widersprechen - dass dem etwas Dämonisches anhaften solle. Insofern ist dieser Erklärungsversuch mindestens unbefriedigend, wenn nicht gar falsch.
 
Hmmm spannend, vielen Dank. Schon merkwürdig. Die Beschreibung im Text scheint mir eigentlich eindeutig zur Karikatur zu passen..aber ja, die Ohren sind komisch.

Vielleicht noch so viel zum Verständnis: Die beiden Kelche mit "Krafft" und "Stoff" spielen auf das Hauptwerk des naturwissenschaftlichen Materialismus an, Ludwig Büchners "Kraft und Stoff" von 1855.
 
Muss das wirklich Herkules darstellen? Philosophie und Theologie kommen ja hier auch nicht als Schlangen daher. Deshalb sehe ich keine Notwendigkeit, dass der Materialismus als Hercules gezeichnet wurde. Es ist meines Erachtens einfach ein Symbolbild für den jungen Materialismus. Im Gegensatz die greisenhafte Philosophie und Theologie.
 
Muss das wirklich Herkules darstellen? Philosophie und Theologie kommen ja hier auch nicht als Schlangen daher. Deshalb sehe ich keine Notwendigkeit, dass der Materialismus als Hercules gezeichnet wurde. Es ist meines Erachtens einfach ein Symbolbild für den jungen Materialismus. Im Gegensatz die greisenhafte Philosophie und Theologie.

Die Textbeschreibung setzt den Materialismus mit Herkules gleich.
 
Mag das Ohr vielleicht etwas mit der unteren Beschreibung der Philosophie zu tun haben: Die Materialisten haben der Philosophie gezeigt, "daß man sich die Erkenntnis des Wahren nicht hinter dem Ohre hervorkratzen könne"?

Gibt es denn irgendwelche antiken bzw. kulturgeschichtlichen Verbindungen zwischen Wahrheit/Erkenntnis und spitzen Ohren?
 
Spitze Ohren kennen wir von Pan oder den Silen. In der griechischen und römischen Mythologie werden solche Waldwesen üblicherweise mit Tierbeinen (Ziege oder Reh) sowie den Tierohren von Pflanzenfressern dargestellt. Silen sind Begleiter des Bacchus und stehen für das archaische, wilde, ungezügelte und auch wollüstige Verhalten.

Dieser Gegensatz archaisch vs. kultiviert ist jetzt nicht schwarz/weiß. Zum Beispiel sieht Tacitus in seiner Germania die Germanen als unverdorbenes Naturvolk. Oder die Verklärung von Arkadien bei Vergil und ab der Renaissance

https://de.wikipedia.org/wiki/Arkadien#Mythos_Arkadien

Unter ähnlichen Gesichtspunkten ist dann auch der europäische Blick auf die Südsee ab dem 18. Jahrhundert zu sehen. Menschen, die (halb-)nackt herumlaufen und deren Lebensunterhalt dank reichhaltiger Fischgründe und üppigem Pflanzenwachstum den Europäern wie ein Paradies erscheint.

Die Darstellung des Herkules/Herakles ist üblicherweise durch Nacktheit, muskulösem Körper, Löwenfell und Keule erkennbar. Diese Attribute konnte der Zeichner schlecht dem Baby Herkules geben. Die Geschichte mit der Tötung der beiden riesigen Schlangen, welche Hera zu seiner Ermordung entsandt hatte, findet in seiner frühesten Kindheit statt. Da hatte er diese Attribute noch nicht erworben.

Indem der Zeichner das Baby mit Silenohren ausstattet, wertet er meines Erachtens den Materialismus als archaisch, wild, ungezügelt und auch sittenlos. Ich erinnere mich an ein Zitat aus den 1930er Jahren über einen Pfarrer:

- er war mehr von Geist als von Verstand

In diesem Kontext muss man dann auch meines Erachtens diesen Gegensatz Philosophie / Theologie vs. Materialismus sehen. Begrifflichkeiten wie Wolkenkuckucksheim oder Elfenbeinturm sind da wichtig. Wie steht eigentlich der Text um die Zeichnung zu diesem Gegensatz?
 
Zuletzt bearbeitet:
Gibt es denn irgendwelche antiken bzw. kulturgeschichtlichen Verbindungen zwischen Wahrheit/Erkenntnis und spitzen Ohren?

Die Frontstellung ist m.E. ein wenig vereinfacht. Ein Theoretiker wie Adam Smith war ein "Materialist". Er begriff Gesellschaft als von "materiellen Voraussetzungen" geprägt.

Als Materialist wendet er sich gegen die idealistische Vorstellung der Philosophie, beispielsweise in der Formulierung eines Hegels, und dem idealistischen Menschenbild der Kirche.

Mit dem Beispiel wollte ich lediglich darauf hinweisen, dass Smith durchaus von den Ideen der Aufklärung geprägt war. Gleichzeitig Hegel auch zur Aufklärung gerechnet wird und dennoch nicht als "Materialist" angesehen wird.

Wobei dann Marx/Engels die materialistische Sicht im Kontext der universellen historischen - ontologischen - Interpretation der Menschheit zum "Historischen Materialismus" reformuliert.
 
Zuletzt bearbeitet:
[…] die den "Materialismus" als neuen Herkules beschreibt, der anstatt von Schlangen bereits als Kind Theologe und Philosophie erledigt habe.
Unter »Midaskopf«, Wikipedia stehen ein paar Möglichkeiten zur Symbolik von Eselsohren. Im vorliegenden Fall würde ich das (eselhaft) Störrische dahinter vermuten, d.h. von einer ähnlichen Bedeutung wie bei der Narrenkappe ausgehen, im Sinne von ›freigeistig‹, oder eben ›unordentlich‹ und ›respektlos‹ gegenüber Lehrmeinungen, wie jemand, der Bücher mit Eselsohren versieht.

Ist euch eine solche Darstellung bekannt, Baby-Heracles mit Elfen-Ohren?
Nö. Baby-Hercule mit Eselsohren und Damenfrisur ist schon sehr speziell, passt aber hervorragend zum verkrampften Text…
 
Die Frontstellung ist m.E. ein wenig vereinfacht.

Welche Frontstellung meinst du hier genau?

Vielen Dank euch allen für die hilfreichen Hinweise bisher.

Ich sollte vermutlich noch etwas ausführen:
Der Materialismus, um den es hier geht, ist der sogenannte "naturwissenschaftliche Materialismus" - eine Denkrichtung, die nach der Revolution von 1848/49 im deutschsprachigen Raum aufkam und große öffentliche Aufmerksamkeit genoss. Diese Spielart des Materialismus wird v.a. in Verbindung gebracht mit den drei populärwissenschaftlichen Autoren Carl Vogt, Ludwig Büchner und Jacob Moleschott, die offensiv die Naturwissenschaften in Frontstellung gegen Religion, Idealismus, romantische Naturphilosophie, etc. bringen wollten.

Ich wurde dieses Jahr im Fach Wissenschaftsgeschichte mit einer Arbeit über diesen Materialismus promoviert. Derzeit bereite ich meine Dissertation für die Publikation vor. Obige Karikatur würde ich gerne in das Buch einbauen, weshalb ich so an der fraglichen Hercules-Darstellung interessiert bin.
 
Ich wurde dieses Jahr im Fach Wissenschaftsgeschichte mit einer Arbeit über diesen Materialismus promoviert.
Hezrlichen Glückwunsch!

Derzeit bereite ich meine Dissertation für die Publikation vor. Obige Karikatur würde ich gerne in das Buch einbauen, weshalb ich so an der fraglichen Hercules-Darstellung interessiert bin.
Ist das denn zulässig? Ist bei mir zwar schon zehn Jahre her, dass ich mich mit Promotionsregeln befasst habe, aber damals war es so - zumindest an meiner Uni - dass man bei der Veröffentlichung der Diss., was unabdingbarer Teil der Promotion ist, alles so belässt, wie in der Belegarbeit, sprich, nicht einmal Tippfehler nachträglich korrigieren darf. Deshalb wundert es mich, dass es zulässig sein soll, nachträglich ein Bild zur Arbeit hinzuzufügen. Etwas anderes wären weitere Auflagen, die darf man selbstverständlich überarbeiten.
 
Hezrlichen Glückwunsch!


Ist das denn zulässig? Ist bei mir zwar schon zehn Jahre her, dass ich mich mit Promotionsregeln befasst habe, aber damals war es so - zumindest an meiner Uni - dass man bei der Veröffentlichung der Diss., was unabdingbarer Teil der Promotion ist, alles so belässt, wie in der Belegarbeit, sprich, nicht einmal Tippfehler nachträglich korrigieren darf. Deshalb wundert es mich, dass es zulässig sein soll, nachträglich ein Bild zur Arbeit hinzuzufügen. Etwas anderes wären weitere Auflagen, die darf man selbstverständlich überarbeiten.

Danke! Doch doch, eine Überarbeitung ist erlaubt und häufig sogar gefordert. Die Gutachten der BetreuerInnen z.b. spezifizieren häufig auch noch Änderungswünsche etc. Ich habe das Glück, das Buch in einem großen Fachverlag veröffentlichten zu dürfen - und auch hierfür bedarf es eben noch einer Überarbeitung. Das ist ganz normal (inzwischen?). Viele KollegInnen z.B. erstellen auch deutlich längere Dissertationen und kürzen dann für die Buchpublikation deutlich. Ich habe zum Glück schon vor der Abgabe gehörig gekürzt (290 Textseiten, für eine deutsche Arbeit inzwischen recht kurz).

Danke euch, sehr lieb!
 
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