Wenn man Tagebucheinträge und Feldpostbriefe liest, dann erfährt man eine ganze Menge darüber, was die Menschen damals wussten und in die Heimat vermittelten
Aber wie gesagt, dass sind die Erlebnisse an der Front und in den frontnahen Gebieten. Das wiederspricht ja meinen Ausführungen insgesammt nicht oder jedenfalls möchte ich das nicht als Widerspruch in diesem Sinne verstanden wissen.
Vielleicht sollte ich mich hier auch nochmal präzisieren:
Mein Widerspruch bezog sich darauf, dass die Bevölkerung durch die Deortationen explizit von der Massenvernichtung wissen musste.
Und das kann ich so nicht sehen.
Wie gesagt, die Wahrscheinlichkeit, dass von den Massakern im kleineren Stil in Frontnähe so einiges nach Deutschland drang, halte ich für so gering nicht. Da waren genügend Soldaten und anderes Personal da, um potentiell so viele Zeugen zu haben, dass da zwangsweise einiges durchkam.
Bei den dezidierten Vernichtungslagern, in die deportiert wurde, sehe ich das allerdings entwas anders und wie gesagt, was in der Sowjetunion vor sich ging, war weit weniger organisiert, weit weniger zentralisiert und da konnte jemand, der das vielleicht sah, möglicherweise noch annehmen, dass das jedenfalls nicht unmittelbar auf Befehl der zivilen Regierung vollstreckt wurde.
Dann kann ich auch nicht einschätzen, inwiefern bei der Rezeption dieser Angelegenheiten die rethorisch-rassistische Denkfigur des "Ostjuden" als noch mal sehr spezielle Kategorie da eine Rolle spielte und inwieweit man innerhalb der Bevölkerung, da möglicherweise noch von anderen Behandlungsweisen ausging.
Wie gesagt, ich will nicht behauptet haben, man konnte nicht wissen, dass der NS-Staat Juden umbrachte oder deren Tötung mindestens billigend inkauf nahm.
Meine vorherige Einlassung galt der impliziten Behauptung, die Bevölkerung hätte durch die Deportationen und Enteignungen von einer umfassenden Vernichtungspolitik ausgehen müssen und dementsprechend auch davon ausgehen müssen, dass aus dem Reichsgebiet deportierte Juden unmittelbar der Vernichtung zugeführt wurden.
Das und nicht mehr als diesen Punkt, sollte ich mich da missverständlich ausgedrücht haben, möchte ich bestreiten, denn dadurch hätte man konkret wissen müssen, was in den Lagern im Generalgouvernement vor sich ging. Das wird ein gewisser Personenkreis gewusst haben, aber sicher nicht die Mehrheit der Bevölkerung.
Die Leute kannten vielleicht nicht die grausamen Details. Aber sie wussten, dass die Deportation nicht damit endete, dass die Juden irgendwo im Osten angesiedelt wurden. Bei Victor Klemperer taucht irgendwann 1943 oder 1944 der Begriff Auschwitz auf. Er weiß genau, was ihm blüht, als er Anfang Februar '44 die Deportationsbefehle an die letzten noch verbliebenen Juden in Dresden ausstellt, darunter an sich selbst
Nun, dass man nicht einfach davon ausgehen konnte, dass die Leute regulär irgendwo angesiedelt und dort dann in Ruhe gelassen würden, ist klar.
Denn ansonsten hätten die sich ja sicherlich irgendwann mal postalisch bei ihren Bekannten in Deutschland gemeldet. Ist ja nicht so, dass nicht mehr oder minder jeder Jude auch irgendwo seinen Freundeskreis hatte, den er auf diesem Wege sicherlich hätte beruhigen wollen, wenn es denn so gewesen wäre.
Alleine daraus musste die Bevölkerung ohne Zweifel auf verbrecherisches schließen.
Ich behaupte ja nicht, dass die Bevölkerung die Judenpolitik des NS für irgendwie menschenfreundlich halten konnte, sondern sie musste mit dem, was sie wusste und auch daraus dass man von den Deportierten nichts mehr hörte mal mindestens annehmen, dass diese, wo auch immer sie sich befinden mögen, jedenfalls nicht in Freiheit waren.
Insofern musste die Bevölkerung sicherlich mindestens ein großangelegtes System moderner Sklaverei annehmen.
Ob man daraus aber ein großangelegtes, dezidiertes Menschenvernichtungssystem als erwiesen annehmen musste, dass wiederrum sehe ich nicht so.
Wie gesagt, für die moralische Beurteilung spielt das keine Rolle.
Selbst wenn man nicht von der expliziten Vernichtung ausging, verbot sich vom moralischen Standpunkt her Passivität im Handeln bereits ab einer weit darunter liegenden Schwelle.
In den frühen 30er Jahren haben die Nationalsozialisten dafür gesorgt, dass die Konzentrationlager bekannnt würden. Im Völkischen Beobachter wurde darüber berichtet. Das waren natürlich noch keine Vernichtungslager und die Berichte waren natürlich in gewisserweise geschönt, sie sollten Oppositionelle einerseits ins Angst versetzen, aber andererseits ein Gefühl einer gewissen Ordnung vermitteln.
Eben. Und ich würde meinen, eben dass und dass man, auch dadurch, dass ja in der Frühzeit hin und wieder Politische freigelassen wurden, hatte die Bevölkerung eine gewisse Vorstellung von den frühen KZs.
Wenn sie nun nicht unmittelbar wusste, was in den Lagern im Generalgouvernement vor sich ging, würde es eigentlich nicht unbedingt ferngelegen haben, die Erfahrungen mit dieser Form der Konzentrationslager und den Praktiken darin, auch auf die Lager im Osten zu projizieren.
Wenn man das tat, lag es nah eine dezidierte industrielle Vernichtungspolitik nicht unbedingt voraus zu setzen, denn die wurde ja in den 1930er Jahren, noch dazu auf Reichsgebiet in dieser Form nicht betrieben.
Wie gesagt, ich möchte das, um hier Missverständnisse zu vermeiden nochmal ganz klar betonen.
Ich will nicht behaupten, dass die Bevölkerung in ihrer Mehrzahl nicht wissen musste, dass da ganz massive Verbrechen passierten.
Ich will auch nicht behaupten, dass nicht mindestens Teile der Untaten in der Sowjetunion mit einiger Wahrscheinlichkeit einen nicht geringen Bekanntschaftsgrad erreichten.
Was ich behaupten möchte, ist dass man die Enteignungen und Deportationen nicht zwingend als Beweis für eine durch Staart und Partei minutiös durchorganisierte Vernichtungspolitik betrachten musste.
Insofern mussten Verbrechen des Regimes insgesamt bekannt sein, aber nicht unbedingt die Intensität und das Ausmaß.