Kriegsgefangene als Haushaltshilfe

Ekaterina

Mitglied
Hallo meine lieben weisen Ratgeber,
ich bitte Euch wieder mal um Eure Hilfe!
Folgendes:
Meine Großmutter hat mir in den 50er und 60er Jahren erzählt, dass sie eine Zeitlang eine sowjetische Kriegsgefangene als Haushaltshilfe hatte, ein junges Mädchen, sie hieß Thekla. Sie sei irgendwann wieder abgeholt worden und meine Großmutter wusste nicht, was aus ihr geworden war. Die Großmutter hat oft deswegen geweint.
Das war alles in Berlin.
Nun habe ich soweit zum Thema recherchiert, dass ich weiß, eigentlich hätten nur NSDAP-Mitglieder solche Haushaltshilfen bekommen, es hätte aber auch Ausnahmen gegeben.
Belege für eine NSDAP-Mitgliedschaft meiner Großeltern existieren nicht, das habe ich recherchiert. Was bekanntlich nicht heißt, dass sie keine Mitglieder waren.
Ich weiß sicher, dass sich mein Großvater sofort nach dem Krieg bis zu seinem Tod sehr aktiv in der SPD engagiert hat und dort bestens vernetzt war.
Ich habe in der SPD-Parteizentrale per Mail nachgefragt, ob es denkbar ist, dass ein NSDAP-Mitglied sofort nach dem Krieg in der SPD aktiv sein konnte. Ich habe keine Antwort bekommen.
Könnt Ihr Euch darauf einen Reim machen?
Aber irgendwas muss mein Großvater ja für die Nazis geleistet haben, dass er mit einer Haushaltshilfe "belohnt" worden ist, egal ob Mitglied oder nicht.
Was könnte das sein?
Habt Ihr die eine oder andere Idee?
Danke für Eure Aufmerksamkeit!
Ekaterina
 
Auf Bauernhöfen sind ebenfalls Kriegsgefangene eingesetzt worden, da es nicht mehr genügend einheimische Arbeiter gab. Wollte damit nur andeuten, dass die Zuweisung nicht unbedingt an die Parteizugehörigkeit, sondern auch an bestimmte Formen der "Bedürftigkeit" gebunden gewesen sein könnte.
 
Danke, Thanepower! Aber einen Grund für eine besondere Bedürftigkeit kann ich im Fall meiner Großeltern nicht erkennen. Meine Großmutter war Hausfrau mit zwei halbwüchsigen Töchtern. Würde das denn genügen als Bedarf? Ich kann mir vorstellen, dass es Familien gab, die mehr Bedarf hatten, z.B. wenn daheim ein Kriegsinvalide gepflegt werden musste und obendrein noch Geld verdient werden musste.
 
Doch, sowas muss es gegeben haben.
Macht aber das Ganze nicht etwa sympathischer/harmloser!

Lesen Sie sich z.B. bitte mal durch was bei Tante WIKI zum KZ Flossenbürg steht (Neuer Typus von KZ) ->
https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Flossenbürg

KZ Flossenbürg hatte 90ig Außenlager.
Dann lesen Sie bitte durch was auf der Web-Seite „Gedenkstätte Flossenbürg – Geschichte Außenlager Mittweida steht ->
https://www.gedenkstaette-flossenbuerg.de/de/geschichte/aussenlager/mittweida

Und dazu was bei Tante WIKI zur Geschichte Mittweida zu den Lorenzwerken steht ->
https://de.wikipedia.org/wiki/Mittweida

Ich bin kürzlich darauf gestoßen als ich in der Online Ausgabe „tag24“ diesen Artikel fand:
https://www.tag24.de/chemnitz/mittweida-kz-aufseherin-prozess-polen-haftbefehl-tot-1787580

Wenn Sie alles gelesen haben, sollte eigentlich Ihre Frage beantwortet sein.

Hatte mich küzlich damit näher beschäftigt.
Habe nämlich dunkel in Erinnerung das zur fraglich Zeit jemand mal eine solche Haushaltshilfe durch einen Betriebsunfall in den Lorenzwerken in Mittweida bekam. Ich weiß von der Betroffenen die diese Hilfe bekam, war keiner (Ihr Mann -Mann im Krieg -, beide Eltern, Geschwister und deren Ehepartner) in irgendeiner Organisation der Nazis.
 
Ich kann das, was thanepower sagt, nur unterstreichen. Aus Gesprächen mit Zeitzeugen von damals weiß ich, dass gerade Bauern damals Kriegsgefangene als Helfer in der Landwirtschaft zugeteilt bekommen haben - in den Fällen, die mir berichtet wurden, handelte es sich dabei vor allem um französische Kriegsgefangene. Den Gesprächen nach zu urteilen schien dies nichts Außergewöhnliches gewesen zu sein und hatte mit der Parteizugehörigkeit nichts zu tun.

"Belastbare Beweise" habe ich dazu leider nicht; es basiert wie gesagt auf Gesprächen.
 
Meine Großeltern hatten etwas Landwirtschaft und ein Gasthaus. Im Krieg war da ein polnischer Knecht, der ein gutes Verhältnis zur Familie gehabt haben soll. Mir wurde erzählt, dass er furchtbare Angst vor den Russen hatte. Er soll nach dem Krieg sogar vergeblich versucht haben, zu meinen Großeltern zurückzukommen.
So viel ichweiss waren meine Großeltern nicht in der Partei.
Ich denke, was mir über ihn gesagt wurde, war sicher geschönt, aber nicht grundsätzlich falsch.
 
Zwangsarbeiterinnen aus dem Osten (Ostarbeiterinnen) wurden als Haushaltshilfen eingesetzt.

Besonders viele sowjetische Zwangsarbeiterinnen wurden als Dienstmädchen in bürgerlichen Haushalten beschäftigt. Viele leitende Angestellte von Unternehmen und NS-Bürokratie nutzten ihre Beziehungen, um ihren Ehefrauen eine Haushaltshilfe zu besorgen.

Für die "Ostarbeiterinnen“ bedeutete das eine bessere Versorgung, aber auch lange Arbeitszeiten, persönliche Willkür und eine höhere Gefahr sexueller Ausbeutung. Die aus Charkow nach Berlin verschleppte Ingenieurin Sinaida Baschlai wurde zunächst bei der Kosmetikfirma Schwarzkopf eingesetzt, kam dann aber als Haushaltshilfe in eine Villa am Stadtpark in Steglitz. Ihre Herrin behandelte sie klassenbewusst, aber nicht schlecht: "Sie war die Herrin, ich ihr Dienstmädchen. Ich arbeitete den ganzen Tag, und sie konnte sich ans Klavier setzen; sie dachte, wenn sie spielte und ich arbeitete, würde ich eine bessere Laune bekommen."

Aus: https://www.bpb.de/geschichte/natio...227271/profiteure-helfer-handlungsspielraeume

Weiterführende Literatur:

Uta Fröhlich, Christine Glaunig, Iris Hax, Thomas Irmer, Frauke Kerstens: Zwangsarbeit im NS-Staat. In: Alltag Zwangsarbeit 1938–1945. Katalog zur gleichnamigen Dauerausstellung. Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit der Stiftung Topographie des Terrors, Berlin 2013.

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeiter:
https://www.ns-zwangsarbeit.de/home/

Und hier noch zur Landwirtschaft:
http://www.wollheim-memorial.de/de/zwangsarbeit_in_landwirtschaft_und_kleinen_betrieben
 
In einer Kleinstadt in der ich mal gearbeitet habe, gab es ein ehemaliges Munitionslager, wo auch ein Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlager war. Nach dem Krieg wurden andere Displaced Persons(?) dorthin verbracht, und begannen wohl die umliegenden Bauernhöfe zu plündern, daraufhin haben die ehemals polnischen Kriegsgefangenen, die auch eine eigene Zeitung herausbrachten, teilweise Wachen organisiert, die zumindest die Bauern, die sich korrekt verhalten hatten, vor den Übergriffen schützten, wo die Besatzungmacht das nicht schaffte. Es mag also durchaus (verbotene) freundschaftliche Beziehungen zwischen Zwangsarbeitern und Nutznießern gegeben haben, v.a. dort, wo es einen familienähnlichen Bezug gab.
 
Gerade im Fall der ukrainischen Ingenieurin ist doch das Schicksal des Durchreichens von Lager zu Lager ersichtlich. Die Arbeit in den Munitionsfabriken in Stadtallendorf, die unvermeidlichen gesundheitlichen Schäden durch die Arbeit mit Pikrin: das zeigt doch die Abhängigkeit in der Sklavenarbeit an. Auch für Fremdarbeiter waren die Todesraten hoch.
 
Vielen herzlichen Dank für die vielen sehr guten Antworten!

Nun ist für mich ersichtlich, dass es nicht zwingend so sein musste, dass mein Großvater irgendwas für die Nazis geleistet hatte, um eine Haushaltshilfe zu bekommen.

Aber da habe ich gleich eine andere Frage: Es ist natürlich naheliegend, dass es zu sexueller Ausbeutung gekommen ist, wenn Haushaltshilfen in den Privathaushalten wohnen mussten. ABER: War das nicht Rassenschande, wenn es rauskam?
 
Es gibt im Krieg viele Formen von "Sex", über erzwungene massenhafte Vergewaltigung von Frauen bis zu einvernehmenlichen Kontakten im Rahmen von "Fraternisierung".

Vermutlich gibt es auch rechtswissenschaftliche Studien, die Akten untersucht haben, in welchem Umfang sich deutsche Gerichte mit sexuellen Übergriffen beschäftigt haben.

Dabei spielt "Sex" und "Geschlecht" ja im NS-System eine besondere Rolle, die berücksichtigt werden sollte.

Auf die Schnelle ein paar Links zu einem Problem, das spezifisch und andererseits sehr universell ist.

Sex unterm Hakenkreuz: Das Lustverständnis der Nationalsozialisten in der Wissenschaft

Die Nachkriegszeit als Gewaltzeit. Ausnahmezustände nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges | APuZ

Zweiter Weltkrieg: Die sexuelle Wehrmacht

Zweiter Weltkrieg: Auch die Amerikaner vergewaltigten
 
Aber da habe ich gleich eine andere Frage: Es ist natürlich naheliegend, dass es zu sexueller Ausbeutung gekommen ist, wenn Haushaltshilfen in den Privathaushalten wohnen mussten. ABER: War das nicht Rassenschande, wenn es rauskam?
Ja, und das war häufig mit der Todesstrafe für die "Fremdarbeiter Ost" und KZ für die deutschen Beteiligten an einer solchen Romanze bewehrt. Ein bisschen widersprüchlich war da, dass in Wehrmachtsbordellen einheimische Frauen arbeiteten bzw. in diese gepresst wurden.
Da greift dann auch
Dabei spielt "Sex" und "Geschlecht" ja im NS-System eine besondere Rolle, die berücksichtigt werden sollte.
 
Vielen herzlichen Dank für die vielen sehr guten Antworten!

Nun ist für mich ersichtlich, dass es nicht zwingend so sein musste, dass mein Großvater irgendwas für die Nazis geleistet hatte, um eine Haushaltshilfe zu bekommen.

Aber da habe ich gleich eine andere Frage: Es ist natürlich naheliegend, dass es zu sexueller Ausbeutung gekommen ist, wenn Haushaltshilfen in den Privathaushalten wohnen mussten. ABER: War das nicht Rassenschande, wenn es rauskam?

"Wo kein Kläger, da kein Richter"

Speziell wenn ein "arischer Mann" mit einer "nicht-arischen Frau" Sex hatte, hat man es da nicht so genau genommen. In den Büchern "Soldaten" von Sönke Neitzel und "Kameraden" von Felix Römer wird beschrieben, dass es durchaus zu Vergewaltigungen deutscher Soldaten an der Ostfront kam. Das hat auch keinen gestört. Es dürfte daher auf die Einstellung des jeweiligen "Dienstherren" angekommen sein, wie die Fremdarbeiter behandelt wurden und ob es solche Vorfälle gab.
 
Es gibt im Krieg viele Formen von "Sex", über erzwungene massenhafte Vergewaltigung von Frauen bis zu einvernehmenlichen Kontakten im Rahmen von "Fraternisierung".

Vermutlich gibt es auch rechtswissenschaftliche Studien, die Akten untersucht haben, in welchem Umfang sich deutsche Gerichte mit sexuellen Übergriffen beschäftigt haben.

Dabei spielt "Sex" und "Geschlecht" ja im NS-System eine besondere Rolle, die berücksichtigt werden sollte.

Auf die Schnelle ein paar Links zu einem Problem, das spezifisch und andererseits sehr universell ist.

Sex unterm Hakenkreuz: Das Lustverständnis der Nationalsozialisten in der Wissenschaft

Die Nachkriegszeit als Gewaltzeit. Ausnahmezustände nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges | APuZ

Zweiter Weltkrieg: Die sexuelle Wehrmacht

Zweiter Weltkrieg: Auch die Amerikaner vergewaltigten


Oh, ist das spannend! Ganz herzlichen Dank!
 
Die Frage ist: waren diese Frauen Kriegsgefangene? Oder hatten sie den Status angeworbener Fremdarbeiterinnen?
Am Beispiel Münchmühle in der Munitionsanlage Stadtallendorf in Mittelhessen: das war ja sogar ein KZ.
 
Die wenigsten in Deutschland arbeitenden Ausländer waren damals "angeworben"; die meisten waren Zwangsarbeiter. Erfolgreiche Anwerbungen gab es nur in der Frühphase des Krieges und dann auch nur in Westeuropa. Wer nun was genau war (angeworbener Fremdarbeiter, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangener, KZ-Häftling) muss man im Einzelfall prüfen.
 
Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeiter hat einige Biographien auf ihrer Homepage aufgeschaltet. Beispiel einer Vermischung zwischen Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter findet sich in der Biographie von Ugo Brilli:

Er wurde als italienischer Militärangehöriger von der Wehrmacht im September 1943 verhaftet. Er kam in ein Kriegsgefangenlager und wurde 1944 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Nach Italien konnte er nicht, da er nun ein ziviler Zwangsarbeiter war.
Hier geht es zur ganzen Biographie: https://www.ns-zwangsarbeit.de/alltag-zwangsarbeit/biografien/ugo-brilli/

Weitere Biographien und Themen finden sich auf der Dokumentationszentrumsseite.

https://www.ns-zwangsarbeit.de/italienische-militaerinternierte/
 
Einigen in Fabriken arbeitenden Kriegsgefangenen wurde das Wohnen bei Privatleuten erlaubt.
Ein guter Historiker findet Beispiele für alles. Ein besserer Historiker aber sieht das große Ganze und lässt sich den Blick nicht von den Kuriositäten und Abweichungen verwirren.
 
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