Anteil überzeugter Nationalsozialisten in der Bevölkerung

kimathi

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Während der Lektüre über die Zeit ist mir aufgefallen, dass die Loyalität der Menschen damals häufig Hitler galt, jedoch viel weniger häufig der Partei oder Bewegung. Ich weiss, dass dies aufgrund der Umstände äusserst schwer einzuschätzen ist, aber hat die Geschichtswissenschaft hierzu halbwegs zuverlässige Einschätzungen? Vielleicht auch, wie dieser Anteil sich über die Zeit verändert hat?
 
Ich möchte an dieser Stelle einfach mal ganz provokant in den Raum werfen, dass man da kaum sauber wird unterscheiden können, schon weil ein NS-Staat ohne Hitler im Grunde nicht denkbar war, jedenfalls nicht in dieser Form.
Hitler tat ja eine ganze Menge dafür, den institutionellen Rahmen Deutschlands so weit als möglich zu degenerieren um das System möglichst auf seine Person zuzuschneiden.
Einen wirklich mächtigen designierten Nachfolger gab es nicht und dafür ein Wirrwar an parteinahen Gliederungen und Parallelbehörden, die mit den staatlichen Stellen dauernd in nicht zu durchschauendem Kompetenzgerangel lagen oder sich gegenseitig in entsprechenden Eifersüchteleien behakten.
Womit genau hätte man sich da identifizieren können wollen?
Man wird sicherlich voraussetzen können, dass es allgemein leichter fällt, sich mit einer Person, als mir irgendeiner institutionellen Veranstaltung zu identifizieren.
Nur wird man dann, denke ich auch berücksichtigen müssen, dass der NS kein derartig klar organisiertes systemisches Konstrukt war, wie es etwa die Sowjetunion war, wo Staat und Partei nicht in einem dauerhaften, seltsamen Konkurrenzverhältnis zu einander standen, sondern wo die Partei den Staat übernommen und systematisch ausgebaut hatte.
Insofern würde ich meinen, ist der Nationalsozialismus in seiner Gesamtheit ein ziemlich flüchtiges und schwer fassbares Konstrukt, im besondern, wenn man künstlich noch versucht Hitler herauszurechnen.
 
Es ist das Spezfikum des "Führer-Kults" des Faschismus, dass er auf Personen zugeschnitten ist und erst in zweiter Linie anderen Aspekten gilt.

Nicht zuletzt weil der Führer die "Sache" als Organisator der Partei verkörpert hat und programmatisch für die "Sache" stand, da er mit "Mein Kampf" die ideologische Basis der Bewegung formuliert hatte.

Zur Inszenierung des "Führers" als charismatischer "Messias" vgl. Links.

Narzissmus unter Diktatoren

Hilfe! Hitlers Rhetorik...
 
Es ist das Spezfikum des "Führer-Kults" des Faschismus, dass er auf Personen zugeschnitten ist und erst in zweiter Linie anderen Aspekten gilt.
Dem möchte ich mich anschließen: Dem Führerkult wurde beinahe alles unterordnet. „Wenn das der Führer wüsste!“ war nicht umsonst ein häufig gebrauchter Satz. Wenn irgendwo irgendwas im Reich nicht stimmte, waren dafür immer die niedrigen Chargen des Regimes schuld. Soviel ich weiß, wurde dieses Denken offiziell gefördert, indem Beschwerdebriefe aus der Bevölkerung an den Führer von extra für diesen Zweck eingerichteten Abteilungen meistens positiv beantwortet wurden.

Diese Praxis gab und gibt es auch in anderen (nicht faschistischen) Diktaturen.
 
In Hitlers Volksstaat hat Götz Aly ganz gut gezeigt, dass die Zustimmung zur nationalsozialistischen Ideologie durchaus auch mit der Partizipation der Bevölkerung an den Benefits von Arisierung, Plündungeren und Ausbeutung zusammenhing. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg litt die deutsche Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet der Versorgung mit dem Lebensnotwendigen kaum.
 
Während der Lektüre über die Zeit ist mir aufgefallen, dass die Loyalität der Menschen damals häufig Hitler galt, jedoch viel weniger häufig der Partei oder Bewegung. Ich weiss, dass dies aufgrund der Umstände äusserst schwer einzuschätzen ist, aber hat die Geschichtswissenschaft hierzu halbwegs zuverlässige Einschätzungen? Vielleicht auch, wie dieser Anteil sich über die Zeit verändert hat?

Hitler hat sich vor allem durch die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit Prestige bei einem Großteil der deutschen Bevölkerung verschafft. Er profitierte von einem abflauen der Weltwirtschaftskrise, und das System der Mefo-Wechsel, das Hjalmar Schacht anwendete, war von der Bevölkerung kaum zu überblicken. Hitler war kein Wirtschaftspolitiker, und das Nazi-Wirtschaftswunder war vor allem auf Schacht zurückzuführen. Bei Kriegsausbruch herrschte im DR fast Vollbeschäftigung, und das wurde natürlich auch propagandistisch groß herausgestrichen. Dieser Erfolg verschaffte Hitler aber auch unter Deutschen Prestige, die dem NS kritisch gegenüber standen, die von Erscheinungen des NS vielleicht sogar abgestoßen sein mochten.

Es trugen außenpolitische Erfolge und während des Krieges militärische Erfolge dazu bei, dass Hitler bis zur Kriegswende 1942 ein recht hohes Ansehen in der deutschen Bevölkerung genoss. 1938 und dann noch einmal 1940 nach dem siegreichen Frankreich-Feldzug war sein Ansehen auf dem Höhepunkt.

Mit dem Unternehmen Barbarossa begann der Holocaust, begann der Rasse- und Vernichtungskrieg gegen die SU. In Polen bereits hatten Einsatzgruppen bereits systematisch die Vernichtung der polnischen Intelligenz. In der SU wurden viele Wehrmachtssoldaten Zeugen und Mitwisser (und Mittäter). Die erzählten natürlich in der Heimat wenigstens einer Ehefrau, Freundin oder Vertrauensperson davon. Mit den hohen deutschen Verlusten, dem schwindenden Kriegsglück, dem Bombenkrieg und der zunehmenden Repression des NS-Regimes gegen das eigene Volk verblasste auch Hitlers Nimbus.

Der starrsinnige Haltebefehl vor Stalingrad und das grausame opfern der 6. Armee. ließen doch starke Zweifel an Hitlers Kompetenz aufkommen.

Als die Judendeportationen begannen, gab es noch Leute, auch dem Nationalsozialismus gegenüber aufgeschlossene, die Hitler damit nicht in Verbindung brachten oder bringen wollten. Henriette von Schirach, Frau des Reichsjugendführers und Gauleiters von Wien wurde bei einem Besuch in Amsterdam Zeugin von Judendeportationen. Sie sprach Hitler darauf an, worauf sie nie wieder auf den Berghof eingeladen wurde.

Seit Kriegsbeginn trat Hitler auch kaum noch an die Öffentlichkeit, wendete sich selten nur mit Reden an das Volk. Mit den zunehmenden Sorgen und Belastungen des Krieges, den Einschränkungen und Repressionen schwand auch Hitlers Ansehen in der Bevölkerung und auch die Loyalität der Bevölkerung. In den "guten Nazijahren" von 1935-37 und 1938, als Hitler auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, dürfte die überwiegende Mehrheit des deutschen Volks loyal zu Hitler gestanden haben, auch wenn sie nur in Teilen ideologisch mit dem NS übereinstimmte oder einzelne Punkte der NS-Ideologie ablehnte.
 
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