Täuferreich zu Münster

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Wie kam es dazu, dass ein Holländer Jan van der Leyden (Bockelson) eine Zunftgesellschaft mit Einverständnis des Bürgermeisters Knipperdolling einfach so übernehmen, eine radikal protestantische Religion ausrufen konnte, und dann noch die Tochter dem Feuer überantwortet hat? Mit Einverständnis der gesamten Zunft!
 
Wie kam es dazu, dass ein Holländer Jan van der Leyden (Bockelson) eine Zunftgesellschaft mit Einverständnis des Bürgermeisters Knipperdolling einfach so übernehmen, eine radikal protestantische Religion ausrufen konnte, und dann noch die Tochter dem Feuer überantwortet hat? Mit Einverständnis der gesamten Zunft!

Zunächst einmal zum „Holländer“: Es gab zwischen den Niederlanden und dem Münsterland damals keine feste Grenze. Jan van Leydens Mutter kam aus Horstmar, das liegt 25 km von Münster entfernt. Die burgundisch-habsburgischen Niederlande gehörten zum HRR, auch wenn sie 1522 an die spanische Krone fielen (was aber bis 1548, also in den Jahren 1534/35 (Täuferherrschaft in Münster) keine Rolle spielte, da Karl König bzw. Kaiser von Spanien und dem HRR war). Auch Bernd Rothmann, von dem noch die Rede sein wird, kam aus Stadtlohn, ging tw. in Münster, tw. in Deventer zur Schule, bevor er zum Studium der artes liberales nach Mainz ging.

Jan van Leyden wurde erst später eine wichtige Figur.

Bernhard Rothmann - „Stutenbernt“ - zunächst Lutheraner, der sich im Laufe der Jahre immer mehr mit den täuferischen Ideen angefreundet hatte, muss ein begnadeter Prediger gewesen sein. Jedenfalls strömten die Leute aus Münster zu seiner extra muros gelegenen Pfarrkirche St. Mauritz. 1534 hat er innert weniger Wochen 1400 Bürger zur Erwachsenentaufe bewegen können, das waren nach Laubach „etwa ein Viertel der Erwachsenen Stadtbevölkerung“.

„Sieben Wochen später wurden in der turnusmäßig abgehaltenen Ratswahl ausschließlich Bürger zu Ratsherren gewählt, die mit der neuen religiösen Gemeinschaft sympathisierten oder ihr angehörten.“ (Laubach)

1529 kam Rothmann nach Mauritz, 1530 hatte er sich den Ruf als Prediger erworben und 1531 kam es nach seiner Karfreitagspredigt „zu Ausschreitungen gegen den Bilderschmuck“ in Mauritz.

Bürger Münsters finanzierten Rothmann 1531 eine Studienreise zu den Protagonisten der Reformation, nach Wittenberg, Marburg und Straßburg und man nimmt an, dass Rothmann in Straßburg das erste mal intensiv mit den täuferischen Ideen in Berührung kam. Laubach schreibt: „Von grundsätzlicher Bedeutung ist düse Reise, weil sie zeigt, dass Rothmann sich nicht auf eine bestimmte Richtung festgelegt hatte, sondern sich breit informieren wollte. Auch Zwinglis Auffassungen waren ihm bekannt.“

Erst nach dieser Reise sagte er sich offensichtlich gänzlich von den katholischen Riten los, denn erst jetzt weigerte er sich, z.B. Prozessionen und Seelenmessen zu feiern. Ers5 jetzt galten seine Predigten als aufrührerisch, der Bischof forderte Rothmann auf, in seinen Predigten keinen Anlass zu „upror“ zu geben.

Rothmann ging daraufhin auf Konfrontationskurs, auch gegen die Bestimmungen des Wormser Edikts 7nd gegen einen amtsmüden Bischof. Selbst Kaiser Karl war auf die Vorgänge um Rothmann aufmerksam geworden und „erließ ein scharfes Mandat an die Stadt, die lutherische Häresie nicht zu dulden und einen Monat später an den Bischof den ... Befehl, gegen Rothmann ... vorzugehen.“ Rothmann zog sich in die Stadt zurück und residierte fortan im Krameramtshaus. „Der Rechtsraum der Stadt schützte ihn vor dem Zugriff des Bischofs.“ der respektierte das und versuchte Rothmann auf gütlichem Wege zum Einlenken zu bewegen.

Rothmann verhielt sich zunächst zurückhaltend und verfasste eine theologische Schrift, die vom Ratsherren Johann Langermann übersetzt wurde (eyn kortte Bekanntnisse der lere), eine Schrift, die sich noch im gemeinreformatorischen Gedankengut bewegte. Laubach schreibt (basierend auf Martin Brecht Die Theologie Rothmanns), Rothmann verwertete hauptsächlich Arbeiten von Melanchthon und Zwingli.

Am 1. Fastensonntag 1532 predigte Rothmann dann das erste mal vor der Lambertikirche, einen Tag vor der Wahl des neuen Rates, die prompt seine Anhänger im Rat im Amt bestätigte uns zwei weitere seiner Anhänger in den Rat hievte.

Hier trat dann auch Knipperdollinckdas erste Mal im Sinne der Reformation auf, indem er half, dass Rothmann fortan Gottesdienste in Lamberti halten durfte, der nach dem Dom prominentesten Stadtkirche in Münster, die Kirche der Kaufmannschaft. Mittlerweile war Friedrich von Wied vom Bischofsamt zurückgetreten und sein Nachfolger, der schärfer gegen Rothmann und Reformation vorgehen wollte, wurde im am 27. März gewählt, verstarb aber bereits anderthalb Monate später wieder, am 14. Mai. Für die reformatorisch gesinnten Münsteraner natürlich gleich ein Beleg für das göttliche Wohlgefallen an ihnen.
 
Bereits zwei Wochen später wurde Franz von Waldeck, kommissarischer Bischof von Minden, am 1. Juni 1532 zum Bischof von Münster und kurz darauf von Osnabrück gewählt. Er sympathisierte zwar mit Luther (und war nebenbei verheiratet, obwohl Priester), aber hatte sich „zur Wiederherstellung der alten Verhältnisse in Münster verpflichtet“ (Laubach). Abgesehen davon dürften ihm die Eigenmächtigkeiten Rothmanns ein Dorn im Auge gewesen sein.
Die gingen aber mit Unterstützung des Rats und der Gilden weiter und die Stadt konnte durchsetzen, dass un allen Pfarrkirchen evangelisch gepredigt wurde. Katholische Messen fanden nur noch im Dom und in den Abtei- und Klosterkirchen statt. Die Stadt trat damit in offenen Konflikt mit Franz von Waldeck, der vielleicht theologisch sogar mit der Stadt sympathisierte, aber sich in seiner landesfürstlichen Herrlichkeit verletzt sehen musste. Die Stadt begründete ihre Aktionen auch nicht mit der 1530 durch Melanchthon und die reformatorischen Reichsstände vorgelegten Confessio Augustana, sondern allein auf der Lehre Rothmanns.
Spätestens jetzt eskalierte der Konflikt: der Bischof beschlagnahmte Münsteraner Handelsgüter, die Stadt überfiel Weihnachten 1532 die Stadt Telgte und nahm dort bischöfliche Ratgeber in Gefangenschaft. Das ganze konnte aber wieder durch ein Einlenken beider Parteien zunächst noch wieder eingefangen werden; im Dülmener Vertrag (Februar 1533) einigen sich Stadt und Bischof darauf, dass in den Pfarrkirchen fürderhin, basierend auf dem Nürnberger Religionsfrieden, die evangelischen Predikanten predigen dürften und die Besetzung der Pfarrstellen durch die Stadt vorgenommen würde. Münster war nun offiziell evangelisch.

Im Umland aber sorgte von Waldeck dafür, dass die durch die Ereignisse in Münster beflügelten Reformationsbestrebungen im Keim erstickt wurden.

Rothmann selbst, der sich in Abendmahlsfragen an Zwingli orientierte geriet seit Ende 1532 immer mehr in Konflikt mit Luther, der Briefe an Rothmann und den Rat der Stadt sandte und vor der Auffassung Zwinglis warnte.
Laubach sieht hierin - implizit - den Grund für eine verstärkte Zuwendung der münsteranischen Reformatoren zur Erwachsenentaufe, die Rothmann zunächst noch abgelehnt hatte. Rothmann (ÜS Laubach): „Wenn kleine Kinder zum Hören des Wortes noch nicht reif sind, woraus ihr Glaube kommen könnte, dann sind sie auch zur Taufe noch nicht reif“ (Widderantwort an die lutheranischen Kritiker des Münsteraner Wegs).
 
Melchior Hoffmann hatte seit 1529 in Straßburg gepredigt, ging 1530 nach Ostfriesland (Rothmann war ihm also 1531 nicht begegnet) und missionierte von dort aus die Niederlande, ohne aber dort zu taufen, da die Habsburger die Gruppe verfolgte und „Wiedertäufer“ hinrichtete.

Als nun 1533 in Münster - gegen Reichsrecht! - durch Rothmann die Glaubenstaufe eingeführt wurde, wurde Münster für niederländische Melchioriten ein attraktives Ziel, zumal Hoffmann selber nach Straßburg zurückgekehrt war. Vielleicht waren den Niederländern auch die theologischen Unterschiede zwischen Hoffmann und Rothmann unbekannt oder sie sahen sie als Gelehrte Spitzfindigkeiten an. Im November 1533 brach Rothmann mit den Lutheranern. In der Stadt drohte ein bewaffneter Konflikt zw. Katholiken, dem lutheranisch gesinnten Rat und den Anhängern Rothmanns. Da Rothmann zu Recht befürchtete, dass die Katholiken das Rad wieder zurückdrehen könnten, schlug er sich auf die Seiten des Rats. Die lutheranische Richtung setzte sich also durch und Rothmann erhielt ein Predigtverbot. Theodor Fabricius wurde vom hessischen Landgrafen nach Münster geschickt und disputierte mit Rothmann und verkündigte von der Kanzel, dass man sich in allen Fragen einig sei - außer der Kindstaufe. Dies „erwies sich als taktischer Fehler. Denn nun verlangten Rothmanns Anhänger das Predigtverbot gegen ihn aufzuheben“, ab Dezember kam es zu Gottesdienststörungen und Rothmann predigte entgegen dem nicht aufgehobenen Verbot weiter.

Nun ging das Jahr 1533 dem Ende zu und es gab keine Anzeichen eines Anbruchs des Weltuntergangs wie ihn Melchior Hoffmann für 1533 vorausgesagt hatte, mit Straßburg als neuem Jerusalem. Jan Mathys aus Haarlem befand: die Melchioriten müssten sich endlich taufen lassen. Mathys erklärte im November 1533, der Tag des Weltuntergangs sei der Ostertag 1534 und man müsse nun dringend zur Taufe schreiten.

„Die im Lukas-Evangelium aufgeführten Warnzeichen der Endzeit, nämlich Krieg, Seuchen, Teuerung, waren für jedermann in den Angriffen der Türken, im damals grassierenden ‚englischen Schweiß‘ und in den seit mehreren Jahren steigenden Kornpreisen erkennbar. Ja sogar die vorhergesagten Himmelszeichen waren durch astronomische Ereignisse gegeben: zwischen 1517 und 1533 haben drei Sonnen- und fünf Mondfinsternisse stattgefunden, außerdem waren mindestens drei Kometen zu beobachten, die damals als unheilvolle Vorzeichen angesehen wurden. Das stärkte die Überzeugung, in den ‚letzten Zeiten‘ zu leben...“

Offiziell kamen erst am 5. Januar 1534 zwei niederländische Missionare in Münster an. Aber bereits im Dezember predigte ein Schmiedegeselle vor der Lambertikirche (wohl auch gegen Fabricius) und wurde vom Rat der Stadt verhaftet, aber die Gilde der Schmiede zwang den Rat, ihn wieder freizugeben. Laubach sieht hierin den ersten überlieferten melchioritischen Einfluss. Der aus der Stadt verbannte Prediger Roll predigte bereits am 1. Januar in der Aegidiikirche und scheint wohl während seiner Verbannung in Amsterdam mit Täufern in Kontakt gewesen zu sein, wodurch diese wiederum vom BekenntnisRothmanns Kenntnis erlangten. Die Anhänger Rothmanns ließen sich taufen, solange der Rat noch lutheranisch war fanden die Taufen entweder bei Knipperdollinckoder Rothmann zuhause statt.

Als Jan van Leyden, von Jan Mathys, zusammen mit Gert Tom Kloister, als Apostel nach MS gesandt acht Tage [15. Januar] nach dem ersten Apostelpaar dort eintraf, fand er bereits eine Gemeinde von 1400 Personen vor.

Jetzt trat wieder der durch die Intervention von Philipp ruhiggestellte Bischof auf den Plan: Er stellte einen Fahndungsbefehl gegen Rothmann etc. aus und kündigte allen, die ihn beherbergten, das Geleit. Das führte zu einer Art Wagenburgmentalität in Münster, die über alle Brüche hinweg Luheraner und Anhänger Rothmanns, die jetzt zur Täuferbewegung gehörten zusammenschweißte. Als der Bischof dann in Wolbeck, 9 km von MS entfernt, einen Landtag (3. Februar) einberief, befürchtete man in MS einen bevorstehenden Angriff. Das führte zu einer offizielle. Anerkennung der Täufer durch den nach wie vor lutheranisch dominierten Rat - erneut gegen Reichsrecht. Ab Februar galt dann den Münsteraner Täufern und wohl auch Jan Mathys als das Neue Jerusalem, was in MS seit dem 8. Februar auf der Straße verkündigt wurde.

In den kommenden Tagen überschlugen sich die Ereignisse, Katholiken, Protestanten und Täufer waren kurz davor, aufeinander loszugehen, aber es gelang Protestanten und Täufern eine gegenseitige Toleranzerklärung, nicht ohne die gegenseitige Stellung von Geiseln.
Unter dem Eindruck eines Zuzugs von Täufern aus den Niederlanden und dem Niederrheinischen verließ ein beträchtlicher Teil der katholischen und lutheranischen Bürger dennoch die Stadt.

Am 18. Februar begann Franz von Waldeck tatsächlich mit Kriegsvorbereitungen und begann, die Straßen nach MS zu sperren. Am 25. Februar reagierten die Münsteraner mit einem Ausfall und forderten am 27. Februar alle Bürger auf, sich taufen zu lassen oder aber die Stadt zu verlassen. Es ließen sich erneut v.a. Frauen taufen und Männer emigrierten. Vielleicht auch familientaktisch, um Besitzstände zu wahren. Kerssenbrock, der die Ereignisse als Kind mittelbar miterlebte, behauptete, dies sei von Jan Mathys ausgegangen, aber validere Quellen deuten daraufhin, dass Knipperdollinckhierbei die treibende Kraft war.

Etwa 2000 EW sollen MS verlassen haben ca. 5000 blieben, von außen kamen 700 - 800 Männer und die doppelte Anzahl an Frauen hinzu, so dass also ein wenig mehr Täufer in die Stadt kamen, als Katholiken und Lutheraner sie verließen.

Das Einsickern geschah friedlich und die von habsburgischen oder bischöflichen Behörden aufgegriffenen Gruppen wehrten sich, obwohl zum Teil bewaffnet, nicht. So waren mehrere tausend bewaffnete Melchioriten aus Utrecht von den habsburgischen Behörden an ihrem Zug nach Münster gehindert worden.

„Das alles verstärkt die Wahrscheinlichkeit, dass man den Umschwung in Münster von der friedlichen Täufergemeinde zur waffenfährenden täuferischen Stadtherrschaft primär als Reaktion auf die bischöfliche Bedrohung erklären muss.“ Laubach

In diesem Zuge bekam dann Jan Mathys auch despotische Züge, der Zweifel an ihm als gotteslästerlich ansah und die alttestamentarische Strafe dafür verlangte. Einen Schmied, der Zweifel an seiner Prophetie geäußert hatte, tötete er wohl eigenhändig.

Erst Ostersonntag, als Jan Mathys, um den von ihm für diesen Tag vorhergesagten Weltuntergang einzuleiten, einen Ausfall aus der Stadt wagte, vielleicht auch, um sich selbst zu opfern, bedeutete den Aufstieg Jan van Leydens zur Führungsfigur des täuferischen Münster.
 
Wie kam es dazu, dass ein Holländer Jan van der Leyden (Bockelson) eine Zunftgesellschaft mit Einverständnis des Bürgermeisters Knipperdolling einfach so übernehmen, eine radikal protestantische Religion ausrufen konnte, und dann noch die Tochter dem Feuer überantwortet hat? Mit Einverständnis der gesamten Zunft!
Um das noch hinzuzufügen: Jan van Leyden hat zwar seine flüchtige Ehefrau (eine von 16) Else/Elisabeth Wandscher(er) enthauptet, aber Clarissa Knipperdolling ist eine fiktive Figur aus dem König der letzten Tage, einer eher "freien" Adaption der Ereignisse von Münster 1534/5.
 
aber Clarissa Knipperdolling ist eine fiktive Figur aus dem König der letzten Tage
Ich erinnere mich an den König der letzen Tage - ich glaube, ich habe irgendwann in den 90ern mir diesen Fernseh-Mehrteiler angesehen und war als jemand aus dem Waldecker Ländchen erstaunt, dass ein von Waldeck dort eine prominente Rolle einnimmt.
 
Ich erinnere mich an den König der letzen Tage - ich glaube, ich habe irgendwann in den 90ern mir diesen Fernseh-Mehrteiler angesehen und war als jemand aus Waldeck erstaunt, dass ein von Waldeck dort eine prominente Rolle einnimmt.
Franz von Waldeck war der nominell katholische Bischof der Bistümer Minden, Münster und Osnabrück, im Herzen aber eher lutheranisch gesinnt.
 
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