Sollte man die Zustimmung vieler Abgeordneter zum Ermächtigungsgesetz von 1933 verurteilen?
Das war die Fragestellung.
@Turgot hat sie offensichtlich verstanden,
während andere scheinbar lieber darüber diskutieren, ob das Verhalten der genannten Abgeordneten verzeihbar sei.
Es scheint ein Drang zur Themenabweichung vorhanden zu sein.
Man darf das mit Verwunderung zu Kenntnis nehmen.
Ich bin nicht der Meinung, dass man das so ohne weiteres von einander trennen kann.
Moralisch verurteilenswert, verehrter
@hatl , ist eine Tat doch nicht aus sich selbst heraus, sondern wegen der Konsequenzen, die sie tatsächlich zeitigt oder die dabei wenigstens billigend inkauf genommen werden.
Um das aber auch vernünftig würdigen zu können, muss dann schon auch beleuchtet werden, mit welchen Konsequenzen derjenige, der diese Tat verübt hat rechnen musste und wozu es realiter führte.
Das heißt, es wäre zu diskutieren, ob es zwischen der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes und den Repressionen der Nazis, einen wir auch immer gearteten kausalen Zusammenhang gibt, dergestalt, dass diese Gesetzgebung notwendig gewesen wäre um die Übergriffe zu ermöglichen.
Da komme ich für mich zu dem Schluss, dass es da keinen greifbaren Kausalzusammenhang gibt, weil die Repressionen mit Billigung des RP, der Reichswehr und der Staatsorgane bereits vorher anfingen stattzufinden.
Wenn aber das Tun des Zentrums, zu gar keinen Konsequenzen führte zu dem sein Handeln notwendig oder aktiv beihelfend gewesen wäre, wessen genau hat es sich dann eigentlich schuldig gemacht?
Im Grunde hat es nur bestehende machtpolitische Tatsachen anerkannt, während hier von anderer Seite immer derart diskutiert würde, als hätte es diese erst herbeigeführt.
Diesen Vorwurf könnte man dem Zentrum machen, hätte die ausufernde Pression gegen die KPD und die SPD im Vorfeld der Abstimmung um das Ermächtigungsgesetz nicht stattgefunden. Hat sie aber nuneinmal.
Und dann kommt natürlich noch der Umstand der Pression der eigenen Abgeordneten hinzu. Schuldhaft handelt, wer irgendetwas verwerfliches durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit bewirkt oder zumindest versucht es herbei zu führen.
Ich denke beides kann man hier vergessen, denn wer an Leib und Leben oder dem seiner Verwandten, zu einem bestimmten Tun genötigt wird, der handelt ganz sicher nicht schuldhaft im Sinne eines Täters, der etwas aus seinem freien Willen heraus tut.
Was haben wir also?
Wir haben die Zentrumsabgeordneten, die an Leib und Leben der eigenen Person und ihrer angehörigen dazu genötigt wurden, einen Beschluss zu fassen, dessen Bedeutung eigentlich zu vernachlässigen ist, weil er keine Möglichkeiten zu einer Repression ermöglichte, sondern llediglich eine bereits stattfindende Repression anerkannte. Und zwar eine solche Repression, in die die Staatsorgane, die sie hätten unterbinden müssen, bereits verstrickt waren, so dass man ihnen nichtmal vorwerfen könnte, dass sie da den Justizaparat oder die Polizei entscheidend am Durchgreifen gehindert hätten, indem sie mit diesem Gesetz dazwischengrätschten.
Das wäre etwas anderes gewesen, wenn die Staatsorgane im größeren Stil gegen die NSDAP tätig geworden wären und versucht hätten, deren Umtriebe tatsächlich zu bekämpfen und ihnen dieses Gesetz dabei die Hände gefesselt hätte.
Aber das fand ja nicht statt.
Wessen genau haben sich die Zentrumsabgeordneten also schuldig gemacht, nachdem ihr handeln in dieser Weise zu gar keinen Konsequenzen führte, die nicht auch ohne diesen Handeln äußerst wahrscheinlich gewesen wären?
Ich denke, wenn man eine moralische Schuld konstruieren möchte, sollte man auch benennen können, was genau sie verschuldet worden ist.
Und wenn man das Handeln, dass dazu (wozu eigentlich?) führte für moralisch falsch halten möchte, bin ich der Meinung, sollte man auch in der Lage sein zu benennen, wie denn konkret anders zu handeln gewesen wäre, um schädliche Folgen abzuwenden.
Sich hinzustellen und lediglich zu behaupten, man halte Handlung XY für unmoralisch, ohne konkret benennen zu können, worin an Hand konkreter oder möglicher Konsequenzen ihre Verweflichkeit bestand und ohne benennen zu können, wie denn richtiger Weise anders hätte gehandelt werden müssen, um zu einem anderen Ergebnis zu kommen erscheint mir dann doch etwas arg wohlfeil.
Wie ich das sehe, war hier kein anders Ergebnis als die Nazi-Diktatur mehr möglich, weil es kein dementgegenstenendes Recht und keinen dem entgegenarbeitenden Staatsaparat mehr gab, nachdem letzterer bereits vorher faktisch zu den Nazis übergegangen war und das Recht, wo es ging, mit Füßen trat.
Ein anderes (schlechteres) Ergebnis wäre ohne Zweifel möglich gewesen, wenn von Seiten des Zentrums abgelehnt worden wäre, denn das hätte die ohnehin stattfindende Repression ohne Frage ausgedehnt.
Aber sonst? was wäre anders gewesen?
Ich sehe da zu diesem Termin kein besonders verurteilungswürdiges Handeln. Anders sieht es mit dem Umgang mit der Ernennung Hitlers und der Reichstagsbrandverordnung aus. Damals hätte man an dem, was da kommen konnte und womit man nach den Taten der SA jedenfalls rechnen konnte, auch im Hinblick auf Bestrebungen die Demokratie abzuschaffen, Chancen das zu verhindern relativ leichtfertig in den Wind geschossen.
Das ist aus meiner Sicht viel verurteilungswürdiger, als das plakativere Ermächtigungsgesetz, weil es hier möglicherweise noch reelle Chancen gab, die ganze Sache aufzuhalten.
Ich sehe im Übrigen weder hierin, noch im Bezug auf die Thematik des Umgangs mit dem Kriegsende eine unzulässige Ausweitung der Diskussion.
Ich denke, wenn man vom hohen Ross der Moral aus Urteilen möchte, sollte man sich dabei dann auch in einem einigermaßen transparenten, systematischen Rahmen bewegen.
Wenn man das nun tut, würde ich an diesem plakativen Beispiel gemessen, einfach gerne einmal wissen, gemessen an welchen moralischen Maßstäben, die provisorische Regierung 1919, sich der überlegenen Gewalt der Waffen der Entente beugen durfte, ja musste um möglicherweise drohendes, schlimmeres zu verhindern, weil kan an Gewaltmitteln einmal unterlegen war.
Die Zentrumspolitiker anno 1933, die nichtmal Regierung waren und denen wesentlich weniger Mittel zu Gebote standen, um reagieren zu können, als sie sich der überlegenen Gewalt der Nazis gegenübersahen, sich aber auf keinen Fall so verhalten durften und um der Ehre willen hätten untergehen müssen.
Das sind Deutungen zweier verschiedener Situationen, die nicht selten von den gleichen Personen genau so angestellt werden.
Sich der überlegenen Gewalt der Entente beugen = gut und moralisch richtig, weil Widerstand heller Wahnsinn ohne Erfolgsaussichten.
Sich der überlegenen Gewalt der Nazis beugen = schlecht, amoralisch und eigennützig, Aussicht auf Erfolg bei Widerstand von nachrangiger Bedeutung, die Herren hätten gefälligst ablehnen und um der Ehre willen krepieren und ihre Familien gleich mitnehmen sollen.
Das passt doch vorne und Hinten nicht zusammen.
Da werden die moralischen Maßstäbe etwas sehr beliebig.
Ich habe es weiter oben schonmal geschrieben und schreibe es hier nochmal:
Ich sehe keine, wie auch immer geartete moralische Basis dafür von irgendwem zu verlagen, sein Leben oder das von anderen wegzuwerfen oder jedenfalls leichtfertig aufs Spiel zu setzen, zu lediglich symbolischen Zwecken, ohne die Chance an der faktischen Situation etwas zu ändern.
Setzt in so einer Situation jemand lediglich sein eigenes Leben aufs Spiel, weil er das Symbol für wichtig hält, ist das je nach seinem Absichten honorig und die Tat kann mit gutem Recht als besonders mutig vermerkt werden.
Wird dabei auch ungefragt das Leben anderer in Gefahr gebracht, ist das für mich nicht mehr mutig, sondern anmaßend.
Das Leben anderer ungefragt in Gefahr zu bringen, ist selbst dann schon problematisch, wenn man mit sowas Erfolgsaussichten gehabt hätte. Wenn man keine hat, bedeutet das nichts anderes, als das Leben anderer dem eigenen öffentlichen Bild und möglicherweise der eigenen Hybris zu opfern.
Und ehrlich gesagt, fehlt mir da etwas das Verständnis dafür, so etwas von irgendwem zu verlangen.
Wie gesagt, über moralische Schuld, kann man meiner Meinung nach sehr gerne verhandeln, aber wegen der Reaktionen auf die Ernennung Hitlers und die Reichstagsbrandverordnung, nicht wegen des Ermächtigungsgesetzes.
Damit wegen des Ermächtigungsgesetzes den moralischen Zeigefinger erheben zu wollen, nicht aber aufzeigen zu können, welche Folgen aus diesem Gesetz konkret für die Repression resultierten, nachdem diese zuvor auch ohne dem angelaufen war und gebilligt wurde und ohne aufzeigen zu können, wie man diese Folgen durch anderes Handeln im Bezug auf die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz hätte abwenden können, damit bin ich nicht einverstanden.
Kann man ja gerne anders sehen.
Das aber zu einer unzulässigen Weise ein Urteil fällen zu wollen und zu einer unzulässigen Ausweitung des Themas erklären zu wollen oder zu implizieren jemand hätte, weil er die Sache so angeht, die Frage nicht verstanden, empfinde ich demgegenüber als unangebracht.
Vielleicht hat ja auch einfach jemand anderes nicht verstanden, dass zur Findung eines Urteils ein entsprechendes ethisch-moralisches System und die Würdigung der Gesamtumstände gehören?