Sollte man die Zustimmung vieler Abgeordneter zum Ermächtigungsgesetz von 1933 verurteilen?

Verstehe ich dich richtig, das du meinst, da die Nazis eben nicht, schon gar nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln, zu bremsen waren, man Ihnen auch, ähnlich wie Adenauer es in seinen Brief zum Ausdruck brachte, die Republik überantworten können, da sich ja eh nichts ändert?

Das Ermächtigungsgesetz hatte den Nazi Terroristen in einem „legalen Akt“ die totale Herrschaft in Form einer Diktatur gesichert. Es ging um den legalen Anstrich. Das war möglicherweise für das Heer der Staatsdiener von Bedeutung, damit die weiterhin ihren Dienst für die Verbrecher leisten. Es war die SPD, die die Ehre der Republik gerettet hatte (Heinrich August Winkler).
 
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Verstehe ich dich richtig, das du meinst, da die Nazis eben nicht, schon gar nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln, zu bremsen waren, man Ihnen auch, ähnlich wie Adenauer es in seinen Brief zum Ausdruck brachte, die Republik überantworten können, da sich ja eh nichts ändert?

Ich war eigentlich der Auffassung, dass ich mich in dieser hinsicht klar ausgedrückt hätte:

Ich bin der Meinung, dass die Nazis Ende März 1933 nicht mehr zu bremsen waren. Mit rechtsstaatlichen Mitteln deswegen nicht, weil sie sich praktisch ja längt, von Polizei, Justiz und Reichspräsident toleriert, über die rechtsstaatlichen Regeln hinwegsetzten.
Imzuge dessen haben die genannten Organe, bzw. deren höhere Repräsentanten ihre Amtspflichten und mitunter geltendes Recht in einer Weise verletzt, dass sie sich an die Nazis gebunden hatten und nicht mehr in das alte System zurück konnten, denn dann hätten sie sich selbst auf die Anklagebank setzen müssen, wegen der Übergriffe, die sie den Nazis gestattet hatten oder die sie seitens der Nazis toleriert hatten, in grober Verletzung ihrer Pflichten.

Und außerhalb rechtsstaatlicher Mittel, wie sollte das noch funktionieren? Die SA beherrschte die Straße, Polizei und Reichswehr hielten still, weil sie bereits mehr oder weniger mit den Nazis im Bunde waren. Die paramilitärische Organisation der KPD war mittlerweile demontiert, wie auch die gesamte zentrale Organisation der Partei, Schlüsselfunktionäre waren in Haft, geflohen oder getötet und bei der SPD lief bereits der selbe Vorgang, auch die war in ihrer Organisation bereits reichlich angegriffen, und das "Reichsbanner" nicht adäquat bewaffnet und koordiniert um wirklich einen bewaffneten Wiederstand effektiv führen zu können.


Einen bis drei Monate früher hätte das möglicherweise anders ausgesehen. Sowohl die Ernennung Hitlers zum Kanzler, als auch die Reichstagsbrandverordnung, hätten valide Anlässe für die Bildung einer Anti-Hitler-Koalition sein von den Kommunisten, bis hinein in das bürgerliche Spektrum sein können.
Wenn es, sowohl auf politischer, als auch außerparlamentarischer Ebene eine Chance gab die Nazis noch aufzuhalten, war das, meiner Ansicht nach von Januar bis about Ende Februar 1933.

Es hätte von Ende Januar bis Anfang Februar ein sehr kurzes Zeitfenster gegeben Hitler politisch möglicherweise aufzuhalten, wenn es SPD, KPD und Zentrum/BVP gelungen wäre, sich im Angesicht der drohenden Hitler-Diktatir zwischen dem 30. Januar und dem 1. Februar darauf zu verständigen ein politisches Zweckbündnis einzugehen und zusammen eine koalition auf Reichstagsebene zu bilden.
Die Anzahll ihrer Mandate zusammengenommen, wäre dafür hinreichend gewesen und wenn sich eine solche Mehrheit zusammengefunden hätte, wäre das Fakturm der Präsidialregierung Hitler juristisch kaum noch zu halten gewesen.
Wichtiger noch, Hindenburg hätte angesichts einer solchen, wenn auch fragilen Koalition, die aber theoretisch über eine Mehrheit vefügte, kaum valide Argumente für eine Auflösung des Reichstages gefunden, ohne in einer darmaßen extremen Form geltendes Recht zu verletzen, dass das durch nichts mehr zu rechtfertigen war. Ob er das getan hätte, vor allem auch vor dem Hintergrund eines breit organisierten politischen Widerstands mit einer entsprechenden Unterstützung im Volk, würde ich als fraglich betrachten wollen.

Außerparlamentarisch wäre spätestens mit der Reichstagsbarndverordnung und den beginnenden Übergirffen der Zeitpunkt gewesen sich mitsamt seiner Kampfverbände und Veteranenvereine zusammen zu schließen und den Nazis gemeinsam Paroli zu bieten.
Aber Anfang Februar, als die Organisationen von KPD und SPD noch weitgehend intakt waren und nicht erst im späten März, als die KPD-Organisationen mehr oder minder aufgerieben waren und die Organisationen der SPD gerade aufgerieben wurden und mittlerweile dementsprechend geschwächt waren.

Wenn man dem Zentrum und dann fairer Weise im gleichen Atemzug, mindestens auch der KPD, bei der SPD dürfte die Bereitschaft der Zusammenarbeit hier ja noch am größten gewesen sein, einen entsprechenden Vorwurf machen kann, dann denjenigen, dass sie den Zeitpunkt verpassten sich für einen organisierten Widerstand zusammen zu schließen und im Angesicht der Gefahr die eigenen Differenzen hintan zu stellen.

Und der Zeitpunkt wäre sinnvollerweise derjenige gewesen, an dem die Widerstandsfähigkeit, auch außerparlamentarisch noch hinreichend stark war. Das war im ausgehendenn März 1933 nicht mehr gegeben.



Das Ermächtigungsgesetz hatte den Nazi Terroristen in einem „legalen Akt“ die totale Herrschaft in Form einer Diktatur gesichert. Es ging um den legalen Anstrich. Das war möglicherweise für das Heer der Staatsdiener von Bedeutung, damit die weiterhin ihren Dienst für die Verbrecher leisten. Es war die SPD, die die Ehre der Republik gerettet hatte (Heinrich August Winkler).

Ein großer Teil der Staatsdiener hatte sich doch, wie Angemerkt durch Unterlassung ihren Amtspflichten im Gefolge der Reichstagsbrandverordnung nachzukommen, faktisch bereits vorher zum Komplizen der Nazis gemacht.

Davon abgesehen, wer von den Staatsdienern, die ja zumeist, mindestens zum Teil auch eine juristische Ausbildung genossen hatten, sollte denn diese schlampige Fassade eines "legalen Aktes" selbst ernst nehmen?
Das die durch nichts gerechtfertigten Repressionen gegen die Abgeordneten von KPD und SPD und die gewaltsame Einschüchterung der verbleibenden Reichstagsabgeordneten mit Rechtstaatlichkeit nichts mehr zu tun hatten, sah doch nun wirklich ein Blinder.
Um diesen Akt in irgendeiner Weise für legal zu halten, brauchte es eine Menge sehr guten Willen um sich das selbst einzureden.
Den brachten die Staatsdiener offensichtlich auf, also war die schlecht gesielte Komödie im Grunde unnötig.
 
Ludwig Kaas vor dem Reichstag zur Rechtfertigung der Zustimmung der Zentrumsfraktion:

"Im Angesicht der brennenden Not, in der Volk und Staat gegenwärtig stehen, im Angesicht der riesenhaften Aufgaben, die der deutsche Wiederaufbau an uns stellt, im Angesicht vor allem der Sturmwolken, die in Deutschland und um Deutschland aufzusteigen beginnen, reichen wir von der deutschen Zentrumspartei in dieser Stunde allen, auch früheren Gegnern, die Hand, um die Fortführung des nationalen Aufstiegswerkes zu sichern."

Gegenüber Schleicher hatte Kaas diesen Staatsnotstand noch bestritten und dessen Notstandspläne entschieden abgelehnt.

Der spätere bundesrepublikanische Ministerpräsident der FDP Reinhold Maier, damals DDP, stimmte mit Theodor Heuss ebenfalls der Abschaffung der Republik zu. Er führte aus:

"Wir fühlen uns in den großen nationalen Zielen durchaus mit der Auffassung verbunden, wie sie heute vom Herrn Reichskanzler vorgetragen wurde […]. Wir verstehen, dass die gegenwärtige Reichsregierung weitgehende Vollmachten verlangt, um ungestört arbeiten zu können […]. Im Interesse von Volk und Vaterland und in der Erwartung einer gesetzmäßigen Entwicklung werden wir unsere ernsten Bedenken zurückstellen und dem Ermächtigungsgesetz zustimmen."

Die Beseitigung der Republik, die Abschaffung der Demokratie mit dem Interessen von Volk und Vaterland zu begründen, das ist schon eigentümlich.

Aber die Deutschen haben schnell vergessen und gingen nach 1945 sehr behutsam mit den Männern um, die bis Sommer 1933 für sie im Reichstag gesessen hatten, um ihre Interessen wahrzunehmen.
 
Ich wollte nur sicher gehen, ob ich dich wirklich korrekt verstanden habe.;)

Nein, diese deine Meinung kann ich ganz und gar nicht teilen. Man sollte meinen, das die Reichstagsabgeordneten auch eine gewisse Verpflichtung gegen über der eigenen Bevölkerung und auch ganz besonders der Republik verspüren. So, wie die SPD Fraktion es eindrucksvoll demonstriert hatte. Frei nach dem Motto, Die Messe ist eh gelesen, es kommt gar nicht mehr auf unser Abstimmungsverhalten an. Nein, so eine Einstellung finde ich nicht korrekt.

Diese schlampige Fassade, wie du es so treffend nennst, wurde offenkundig durchaus ernstgenommen. Die ganzen Offiziere der Wehrmacht haben sich ja auch den diesen widerlichen Eid gebunden gefühlt, obwohl sie vorher dem Eid auf der Republik großzügig gebrochen hatten; sahen sich aber in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht in Lage, diesen Verbrecher abzuknallen. Mit solchen Männern kann man doch keine Verfassung, kein Staat verteidigen. Aber auch hier gab es leider personelle Kontinuitäten.
 
Ich wollte nur sicher gehen, ob ich dich wirklich korrekt verstanden habe.;)

Nein, diese deine Meinung kann ich ganz und gar nicht teilen. Man sollte meinen, das die Reichstagsabgeordneten auch eine gewisse Verpflichtung gegen über der eigenen Bevölkerung und auch ganz besonders der Republik verspüren. So, wie die SPD Fraktion es eindrucksvoll demonstriert hatte. Frei nach dem Motto, Die Messe ist eh gelesen, es kommt gar nicht mehr auf unser Abstimmungsverhalten an. Nein, so eine Einstellung finde ich nicht korrekt.

Natürlich kann man das moralisch nicht korrekt finden, vollkommen legitim. Moralisch finde ich dass, was die Zentrumsabgeordneten da gelistet haben auch nicht unbedingt pralle.
Ich halte es nur auch für einen Fehler, die betrachtung der ganzen Angelegenheit auf ihren moralischen Gehalt zu beschränken.
Daneben gehört auch die Frage, was man denn faktisch zu disem Zeitpunkt noch ändern konnte.
Und dann würde ich die Frage der Moral auch von einer breiteren Plattform aus betrachten wollen, nämlich von derjenigen, dass es nicht nur eine moralische Verantwortung gegenüber dem Volk, sondern auch eine solche gegenüber möglicherweise repressierten Angehörigen gibt.

Moralisch ist das ein Dilemma, weil die Zentrumsabgeordneten in so einer Situation nur falsch handeln konnten, in dem sie entweder das Ende der Demokratie förmlich abnickten oder ihre eigenen Familien mitunter in ziemlich konkrete Lebensgefahr brachten.
Das man da, wenn man meinte, wenigstens die eigenen Angehörigen schützen zu können, sich für diese entschied, kreide ich niemandem an, zumal ich die faktischen Mittel mit denen die Nazis noch hätten aufgehalten werden sollen, nicht sehe.
Das Parlament hatten die Nazis bereits weitgehend auseinandergenommen, das Reichsbanner stellte keine adäquate Kraft dar und wenn Reichspräsident, Armee, Polizei und Justiz ernsthaft darum bemüht gewesen wären die Verfassung zu schützen, hätten sie längst entsprechende Schritte eingeleitet, dann wäre es zu repressierten Wahlen dieser Art und zu dieser Abstimmung in dieser Form überhaupt nicht erst gekommen.

Mit was also sie noch aufhalten?



Diese schlampige Fassade, wie du es so treffend nennst, wurde offenkundig durchaus ernstgenommen. Die ganzen Offiziere der Wehrmacht haben sich ja auch den diesen widerlichen Eid gebunden gefühlt, obwohl sie vorher dem Eid auf der Republik großzügig gebrochen hatten; sahen sich aber in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht in Lage, diesen Verbrecher abzuknallen. Mit solchen Männern kann man doch keine Verfassung, kein Staat verteidigen. Aber auch hier gab es leider personelle Kontinuitäten.

Kann ich so nicht unterschreiben, weil dass davon ausgeht, dass die Reichswehr ein in ihren Grundfesten verfassungstreues Organ gewesen sei, dass seinen Eid auf die Verfassung ernst nahm und dass man erst mit besonderen Mitteln hätte überzeugen müssen, diesen Eid zu brechen.
Wenn wir ehrlich sind, hat die Reichswehr in ihrer Gesamtheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit bewiesen, dass sie in diesem Sinne kein verfassungstreues Organ war.

Sie hat sich geweigert sich dem Putschisten Kapp-Lüttwitz entgegen zu stellen, die in Bayern stationierten Reichswehrformationen waren in die Umsturzpläne Kahr-Lossow-Seißer einbezogen.
Die personellen Verbindungen zwischen Reichswehr und offen verfassungsfeindlichen Organisationen waren mitunter kaum zu übersehen.

Außerdem war sie offensichtlich nicht dazu bereit, genau wie die Polizeikräfte irgendetwas gegen die offensichtlich (spätestens seit dem, was nach der Reichstagsbrandverordnung passierte), rechtswidrigen Machenschaften Hindenburgs und Hitlers zu unternehmen.
Wenn die Reichswehr ihren Eid auf die Verfassung ernstgenommen hätte, hätte sie zum Schutz der Republik und zwar lange vor dem Ermächtigunggesetz, Hindenburg und Hitler verhaften, die SA entwaffnen und auflösen und provisorisch die Macht übernehmen müssen, um einen neuen Reichspräsidenten und einen neuen Reichstag zu wählen und zwar ohne irgendeine Form der Beeinträchtigung des Wahlkampfes.

Das passierte nicht und ist ein deutliches zeichhen dafür, dass bereits vor dem Ermächtigungsgesetz die Loyalität der Reichswehr vielleicht nicht unbedingt Hitler, aber doch Hindenburg galt, jedenfalls aber nicht der Republik. Der Eid, den die Reichswehr auf die Republik geleistet hatte, war bereits vor dem Ermächtigungsgesetz nichts wert und deswegen hatte das Ermächtigungsgesetz an und für sich auf die Loyalität der Truppe überhaupt keine Auswirkungen, egal ob mit oder ohne Komödie.
Wenn die reichswehr irgendeinen Wert auf Legalität gelegt hätte, hätte sie Hindenburg und Hitler in dieser Form nicht gewähren lassen dürfen, was das Frühjahr 1933 angeht.
Mit dem Stillhalten hier (wie auch bei gewissen früheren Ereignissen in der Republik), machte die Reichswehr deutlich, dass es ihr auf die Legalität der Staatsführung und ihrer Handlungen nicht ankam. Weder vorher, noch nachher, wenn man etwa an das denkt, was dann später "Röhm-Putsch" genannt werden sollte, ebenfalls mit keinem Recht vereinbar war und in der Reichswehr breite Unterstützung erfuhr.

Die interessierten sich für diese Komödie nicht.
 
Es gab auch Abgeordnete, beispielsweise Papen, die da der Meinung waren, Hitler einrahmen und an die Wand drücken zu können. Eben um das Schlimmste zu verhindern. Eine sehr naive Sichtweise und der Papen hat beim Reichspräsidenten integriert, was das Zeug hält. Na immerhin hatte er ursprünglich dafür 8 Jahre Arbeitslager bekommen, wurde aber auf Einspruch ruckzuck entlassen.

Es geht mir bei der Bewertung des Abstimmungsverhaltens nicht primär darum, ob die Entwicklung zur Diktatur hätte aufgehalten werden können. Es geht mir besonders um die moralische Komponente; hatte ich ober aber auch schon deutlich gemacht. Der Reichstagsabgeordnete war eben auch, über die eigene Familie hinaus, und ganz besonders der Republik und der Bevölkerung verpflichtet.

Und die Reichswehr hatte wohl schlicht vergessen, das sie der Republik durch ihren Eid verpflichtet war. Wie genau sie diese Verpflichtung nahm, hatte General Seeckt klargemacht, in dem er im Zuge des Kapp Putsches zum Ausdruck brachte, Truppe würde nicht auf Truppe schießen. Es war die arbeitende Bevölkerung, die der Republik den Rücken stärkte und den Putsch zum kläglichen Scheitern brachte.

Die Polizeikräfte waren schon seit dem sogenannten Preußenschlag für die Demokratie nicht mehr verfügbar. Die taten das, was Großmaul Göring befahl. Hier hätte die große Stunde der Justiz schlagen können; hat sie aber nicht.

Schon der Rat der Volksbeauftragten hätte den gesamten Staatsapparat, insbesondere Polizei und Justiz, mit Männern und Frauen in den Schlüsselstellungen besetzten lassen sollen, die der Republik treu waren.
 
Es geht mir bei der Bewertung des Abstimmungsverhaltens nicht primär darum, ob die Entwicklung zur Diktatur hätte aufgehalten werden können. Es geht mir besonders um die moralische Komponente; hatte ich ober aber auch schon deutlich gemacht. Der Reichstagsabgeordnete war eben auch, über die eigene Familie hinaus, und ganz besonders der Republik und der Bevölkerung verpflichtet.

Zu was verpflichtet, wenn er objektiv nichts mehr ändern konnte?
Ist nicht diese gesamte Republik mal auf dem Boden der Überzeugung gegründet worden, dass es im besiegten Zustand darum ging mit den alten nicht mehr zu rettenden Verhältnissen Schluss zu machen, so viel erhaltenswertes wie möglich in den neuen Staat zu überführen und ansonsten unter Anerkennung der Machtverhältnisse so gut als möglich neu anzufangen?

An der Stelle wiedersprechen sich dann grundsätzliche Einstellungen aus der Gründungs- und der Endphase der Republik, bzw. Ansprüche daran diametral.

Angesichts der Machtverhältnisse, wie sie 1933 faktisch bestanden, hat die Forderung vor den Nazis nicht zu kapitulieren und gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen, für mich einen ganz ähnlichen Charakter wie 15 Jahre zu vor die Forderung der extremen Rechten, den Versailler Vertrag in Bausch und Bogen zu verwerfen und die Kämpfe wieder aufzunehmen.
Das wäre ein aussichtsloses Unterfangen allein um der Ehre willen gewesen, aller Wahrscheinlichkeit nach ohne irgendwelche positiven Auswirkungen auf das Gesamtgeschehen, dafür verbunden mit großen potentiellen Opfern.

Und an der Stelle bin ich der Meinung, dass sich da gewisse populäre Geschichtsbilder und Forderungen wiedersprechen.

Ich bin der Meinung, man kann nicht einerseits einen überzogenen Ehrbegriff und daraus resultierende Forderungen bis zur letzten Patrone zu kämpfen, gleich wie aussichtslos das ist, verdammen und gleichzeitig von irgendjemandem erwarten, dass er aber gefälligst nur um der Ehre und eines Symbols willen mit wehenden Fahnen unterzugehen und dabei noch seine angehörigen in Lebensgefahr zu bringen habe, ohne die Möglichkeit da irgendwas erreichen zu können.

Ich denke, wenn man konsequent sein will, müsste man sich auf eine Linie einigen. Meine persönliche Ansicht ist, dass ich von niemandem verlagen kann, sein eigenes Leben und dass seiner Verwandten für ein Unterfangen wegzuwerfen, dass von vorn herein keine Erfolgsaussichten hat, nur damit später andere dann die gute Haltung der Person beklatschen können.
Das geht für mich vom ethischen Standpunkt aus weit über alles hinaus, was man verlagen kann. So lange noch realistsiche Erfolgsaussichten bestehen, meinetwegen.
Aber ich denke, da sind wir uns einig, die bestanden nicht mehr.

Um das richtig verstanden zu wissen. Ich denke darüber, dass das Zentrum versagt hat, sind wir uns einig, der Dissens dürfte mehr im Zeitpunkt liegen, wann es versagt hat.
Und da verstehe ich partout nicht, warum mein sein Herz an eine Erzählung hängt, dass es unbedingt im Rahmen des Ermächtigungsgesetzes versagt haben muss und dieses die eigentliche Ursünde der ganzen Klamotte darstellt.

Versagt hat das Zentrum nicht in dem Moment, als es nicht gekämpft hat, in dem Moment wo Kampf bereits aussichtslos war, sondern versagt hat es, als es nicht kämpfte, so lange es noch Sinn machte.



Und die Reichswehr hatte wohl schlicht vergessen, das sie der Republik durch ihren Eid verpflichtet war. Wie genau sie diese Verpflichtung nahm, hatte General Seeckt klargemacht, in dem er im Zuge des Kapp Putsches zum Ausdruck brachte, Truppe würde nicht auf Truppe schießen. Es war die arbeitende Bevölkerung, die der Republik den Rücken stärkte und den Putsch zum kläglichen Scheitern brachte.

Die Polizeikräfte waren schon seit dem sogenannten Preußenschlag für die Demokratie nicht mehr verfügbar. Die taten das, was Großmaul Göring befahl. Hier hätte die große Stunde der Justiz schlagen können; hat sie aber nicht.

Ja. Ich frage mich an dieser Stelle nur, wenn du diese Dinge siehst, warum du nach wie vor so darauf erpicht bist, dem "Ermächtigungsgesetz" eine derartig große Bedeutung beizumessen.
Vorhin hast du geschrieben, dass der Anschein der Legalität entscheidend für die Kooperation der Reichswehr gewesen wäre oder zumindest implizit darauf abgestellt.
Das würde aber voraussetzen, dass die Reichswehr und auch die Polizeikräfte irgendwas darauf gegeben hätten, was denn nun legal sei und der Verfassung auf die sie mal geschworen hatten, entsprechen würde.
Dieser Voraussetzung wiedersprichst du hier.

Wenn also weil die Haltung von Polizei und Reichswehr ohnehin schon unzuverlässig war, das Ermächtigungsgesetz auf die nicht vorhandene Treue zur Republik ohnehin keine Auswirkungen hatte, was war dann der technische Wert des "Ermächtigungsgesetzes" dabei sich Polizei und Reichswehr dienstbar zu machen?
Würdest du mir das erklären können?

Schon der Rat der Volksbeauftragten hätte den gesamten Staatsapparat, insbesondere Polizei und Justiz, mit Männern und Frauen in den Schlüsselstellungen besetzten lassen sollen, die der Republik treu waren.
Ja, dass da vielfach die alten kaiserlichen Beamten, bzw. auf Landesebene die der anderen Monarchen auf ihren Stühlen sitzen bleiben konnten und auch die Reichswehr nie durchgreifend von bestimmten Elementen gesäubert wurde, ist zweifelsfrei ein Versäumnis gewesen.
Auch wenn wir uns mit dieser Frage beschäftigten, würden wir einen massiven Dissens darüber haben, zu welchem Zeitpunkt hier schuldhaftes Versagen stattgefunden habe.

In einem Wort, würde ich dir auch hier wiedersprechen wollen. Der Rat der Volksbeauftragten seinerzeit hatte mit einer revolutionären Lage im Innern und verschiedentlichen Umsturzversuchen, einer präkären außenpolitischen Lage und offenen Grenzfragen im Osten zu kämpfen.
In diesem Moment war es vollkommen undenkbar mal eben den halben Staatsaparat vor die Türe zu setzen, einfach weil man sich, weil dann auch noch die Expertise abhanden gekommen und den extremistischen Gruppierungen zugewandert wäre, dann in ganz gefährlicher Weise exponiert und sowohl die die Extremisten im Inneren, als auch die Annexionisten im Ausland (namentlich Polen), dazu eingeladen hätte, loszuschlagen.
Wenn es einen Zeitraum gab, in dem man das ganze alte Personal hätte ersetzen können und wahrscheinlich auch müssen, dass die Zeit ab der Stabilisierung der Republik nach 1924.

Das wiederrum hat aber mit den Nazis und dem "Ermächtigungsgesetz" nichts mehr zu tun und auch nicht mit dem Verhalten der Zentrumsabgeordneten im Kontext des Letzteren.
 
Und die Verantwortung nur auf Hugenbergs DNVP abzuwälzen, ist auch ein wenig einfach.
Naja, Hugenberg war eben der Medienmogul der Weimarer Republik und hat seine ganze Medienmacht politisch genutzt. Dazu war er der Architekt der Harzburger Front, also des Zusammengehens der monarchistischen Kräfte mit den faschistischen Kräften gegen die Republik.

Auf welcher sachlichen, realen Grundlage meinte man denn, die Nazis bändigen zu können? Das war doch auch so ein naiver Irrglaube eines Herrn von Papen, der meinte Hitler an die Wand drücken zu können. Die Nazis haben sich handstreichartig die vollständige Macht verschafft und konnten tun und lassen was sie wollten.
Das wissen wir eben ex post. Man kann dem Zentrum vorwerfen, dass es die Augen verschlossen hat und die letzten Jahre Verhalten der NSDAP auf der Straße ignoriert hat oder die frühen KZs. Aber dass das Zentrum in irgendeiner Form kommunistenfreundlich hätte sein können, muss man auch nicht erwarten. Es ist wohl eher so, dass ganz viele Menschen, die deswegen längst nicht mit den Nazis sympathisierten, in diesen das geringere Übel sahen. Und ich kann auch verstehen, dass man 1933 erwartete, dass die Nazis an der Macht sich staatstragender verhalten würden, als in der Opposition.
 
Sollte man die Zustimmung vieler Abgeordneter zum Ermächtigungsgesetz von 1933 verurteilen?

Das war die Fragestellung.
@Turgot hat sie offensichtlich verstanden,
während andere scheinbar lieber darüber diskutieren, ob das Verhalten der genannten Abgeordneten verzeihbar sei.
Es scheint ein Drang zur Themenabweichung vorhanden zu sein.
Man darf das mit Verwunderung zu Kenntnis nehmen.
 
Wenn ich so über Shinigamis Argumentation nachdenke, kommt es mir so vor, dass eigentlich das Verhalten der Sozialdemokraten zu verurteilen sei, denn sie haben ohne Not das Leben ihrer unschuldigen Angehörigen gefährdet, ohne dass sie, so Shinigami, eine Aussicht gehabt hätten, mit ihrem Nein den schlimmen Lauf der Dinge aufzuhalten.
 
Sollte man die Zustimmung vieler Abgeordneter zum Ermächtigungsgesetz von 1933 verurteilen?

Das war die Fragestellung.
@Turgot hat sie offensichtlich verstanden,
während andere scheinbar lieber darüber diskutieren, ob das Verhalten der genannten Abgeordneten verzeihbar sei.
Es scheint ein Drang zur Themenabweichung vorhanden zu sein.
Man darf das mit Verwunderung zu Kenntnis nehmen.

Ich bin nicht der Meinung, dass man das so ohne weiteres von einander trennen kann.

Moralisch verurteilenswert, verehrter @hatl , ist eine Tat doch nicht aus sich selbst heraus, sondern wegen der Konsequenzen, die sie tatsächlich zeitigt oder die dabei wenigstens billigend inkauf genommen werden.
Um das aber auch vernünftig würdigen zu können, muss dann schon auch beleuchtet werden, mit welchen Konsequenzen derjenige, der diese Tat verübt hat rechnen musste und wozu es realiter führte.

Das heißt, es wäre zu diskutieren, ob es zwischen der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes und den Repressionen der Nazis, einen wir auch immer gearteten kausalen Zusammenhang gibt, dergestalt, dass diese Gesetzgebung notwendig gewesen wäre um die Übergriffe zu ermöglichen.
Da komme ich für mich zu dem Schluss, dass es da keinen greifbaren Kausalzusammenhang gibt, weil die Repressionen mit Billigung des RP, der Reichswehr und der Staatsorgane bereits vorher anfingen stattzufinden.

Wenn aber das Tun des Zentrums, zu gar keinen Konsequenzen führte zu dem sein Handeln notwendig oder aktiv beihelfend gewesen wäre, wessen genau hat es sich dann eigentlich schuldig gemacht?
Im Grunde hat es nur bestehende machtpolitische Tatsachen anerkannt, während hier von anderer Seite immer derart diskutiert würde, als hätte es diese erst herbeigeführt.
Diesen Vorwurf könnte man dem Zentrum machen, hätte die ausufernde Pression gegen die KPD und die SPD im Vorfeld der Abstimmung um das Ermächtigungsgesetz nicht stattgefunden. Hat sie aber nuneinmal.

Und dann kommt natürlich noch der Umstand der Pression der eigenen Abgeordneten hinzu. Schuldhaft handelt, wer irgendetwas verwerfliches durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit bewirkt oder zumindest versucht es herbei zu führen.
Ich denke beides kann man hier vergessen, denn wer an Leib und Leben oder dem seiner Verwandten, zu einem bestimmten Tun genötigt wird, der handelt ganz sicher nicht schuldhaft im Sinne eines Täters, der etwas aus seinem freien Willen heraus tut.

Was haben wir also?

Wir haben die Zentrumsabgeordneten, die an Leib und Leben der eigenen Person und ihrer angehörigen dazu genötigt wurden, einen Beschluss zu fassen, dessen Bedeutung eigentlich zu vernachlässigen ist, weil er keine Möglichkeiten zu einer Repression ermöglichte, sondern llediglich eine bereits stattfindende Repression anerkannte. Und zwar eine solche Repression, in die die Staatsorgane, die sie hätten unterbinden müssen, bereits verstrickt waren, so dass man ihnen nichtmal vorwerfen könnte, dass sie da den Justizaparat oder die Polizei entscheidend am Durchgreifen gehindert hätten, indem sie mit diesem Gesetz dazwischengrätschten.
Das wäre etwas anderes gewesen, wenn die Staatsorgane im größeren Stil gegen die NSDAP tätig geworden wären und versucht hätten, deren Umtriebe tatsächlich zu bekämpfen und ihnen dieses Gesetz dabei die Hände gefesselt hätte.
Aber das fand ja nicht statt.

Wessen genau haben sich die Zentrumsabgeordneten also schuldig gemacht, nachdem ihr handeln in dieser Weise zu gar keinen Konsequenzen führte, die nicht auch ohne diesen Handeln äußerst wahrscheinlich gewesen wären?
Ich denke, wenn man eine moralische Schuld konstruieren möchte, sollte man auch benennen können, was genau sie verschuldet worden ist.
Und wenn man das Handeln, dass dazu (wozu eigentlich?) führte für moralisch falsch halten möchte, bin ich der Meinung, sollte man auch in der Lage sein zu benennen, wie denn konkret anders zu handeln gewesen wäre, um schädliche Folgen abzuwenden.

Sich hinzustellen und lediglich zu behaupten, man halte Handlung XY für unmoralisch, ohne konkret benennen zu können, worin an Hand konkreter oder möglicher Konsequenzen ihre Verweflichkeit bestand und ohne benennen zu können, wie denn richtiger Weise anders hätte gehandelt werden müssen, um zu einem anderen Ergebnis zu kommen erscheint mir dann doch etwas arg wohlfeil.

Wie ich das sehe, war hier kein anders Ergebnis als die Nazi-Diktatur mehr möglich, weil es kein dementgegenstenendes Recht und keinen dem entgegenarbeitenden Staatsaparat mehr gab, nachdem letzterer bereits vorher faktisch zu den Nazis übergegangen war und das Recht, wo es ging, mit Füßen trat.

Ein anderes (schlechteres) Ergebnis wäre ohne Zweifel möglich gewesen, wenn von Seiten des Zentrums abgelehnt worden wäre, denn das hätte die ohnehin stattfindende Repression ohne Frage ausgedehnt.
Aber sonst? was wäre anders gewesen?


Ich sehe da zu diesem Termin kein besonders verurteilungswürdiges Handeln. Anders sieht es mit dem Umgang mit der Ernennung Hitlers und der Reichstagsbrandverordnung aus. Damals hätte man an dem, was da kommen konnte und womit man nach den Taten der SA jedenfalls rechnen konnte, auch im Hinblick auf Bestrebungen die Demokratie abzuschaffen, Chancen das zu verhindern relativ leichtfertig in den Wind geschossen.
Das ist aus meiner Sicht viel verurteilungswürdiger, als das plakativere Ermächtigungsgesetz, weil es hier möglicherweise noch reelle Chancen gab, die ganze Sache aufzuhalten.


Ich sehe im Übrigen weder hierin, noch im Bezug auf die Thematik des Umgangs mit dem Kriegsende eine unzulässige Ausweitung der Diskussion.
Ich denke, wenn man vom hohen Ross der Moral aus Urteilen möchte, sollte man sich dabei dann auch in einem einigermaßen transparenten, systematischen Rahmen bewegen.


Wenn man das nun tut, würde ich an diesem plakativen Beispiel gemessen, einfach gerne einmal wissen, gemessen an welchen moralischen Maßstäben, die provisorische Regierung 1919, sich der überlegenen Gewalt der Waffen der Entente beugen durfte, ja musste um möglicherweise drohendes, schlimmeres zu verhindern, weil kan an Gewaltmitteln einmal unterlegen war.
Die Zentrumspolitiker anno 1933, die nichtmal Regierung waren und denen wesentlich weniger Mittel zu Gebote standen, um reagieren zu können, als sie sich der überlegenen Gewalt der Nazis gegenübersahen, sich aber auf keinen Fall so verhalten durften und um der Ehre willen hätten untergehen müssen.

Das sind Deutungen zweier verschiedener Situationen, die nicht selten von den gleichen Personen genau so angestellt werden.

Sich der überlegenen Gewalt der Entente beugen = gut und moralisch richtig, weil Widerstand heller Wahnsinn ohne Erfolgsaussichten.

Sich der überlegenen Gewalt der Nazis beugen = schlecht, amoralisch und eigennützig, Aussicht auf Erfolg bei Widerstand von nachrangiger Bedeutung, die Herren hätten gefälligst ablehnen und um der Ehre willen krepieren und ihre Familien gleich mitnehmen sollen.

Das passt doch vorne und Hinten nicht zusammen.

Da werden die moralischen Maßstäbe etwas sehr beliebig.

Ich habe es weiter oben schonmal geschrieben und schreibe es hier nochmal:

Ich sehe keine, wie auch immer geartete moralische Basis dafür von irgendwem zu verlagen, sein Leben oder das von anderen wegzuwerfen oder jedenfalls leichtfertig aufs Spiel zu setzen, zu lediglich symbolischen Zwecken, ohne die Chance an der faktischen Situation etwas zu ändern.
Setzt in so einer Situation jemand lediglich sein eigenes Leben aufs Spiel, weil er das Symbol für wichtig hält, ist das je nach seinem Absichten honorig und die Tat kann mit gutem Recht als besonders mutig vermerkt werden.
Wird dabei auch ungefragt das Leben anderer in Gefahr gebracht, ist das für mich nicht mehr mutig, sondern anmaßend.
Das Leben anderer ungefragt in Gefahr zu bringen, ist selbst dann schon problematisch, wenn man mit sowas Erfolgsaussichten gehabt hätte. Wenn man keine hat, bedeutet das nichts anderes, als das Leben anderer dem eigenen öffentlichen Bild und möglicherweise der eigenen Hybris zu opfern.
Und ehrlich gesagt, fehlt mir da etwas das Verständnis dafür, so etwas von irgendwem zu verlangen.

Wie gesagt, über moralische Schuld, kann man meiner Meinung nach sehr gerne verhandeln, aber wegen der Reaktionen auf die Ernennung Hitlers und die Reichstagsbrandverordnung, nicht wegen des Ermächtigungsgesetzes.

Damit wegen des Ermächtigungsgesetzes den moralischen Zeigefinger erheben zu wollen, nicht aber aufzeigen zu können, welche Folgen aus diesem Gesetz konkret für die Repression resultierten, nachdem diese zuvor auch ohne dem angelaufen war und gebilligt wurde und ohne aufzeigen zu können, wie man diese Folgen durch anderes Handeln im Bezug auf die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz hätte abwenden können, damit bin ich nicht einverstanden.
Kann man ja gerne anders sehen.
Das aber zu einer unzulässigen Weise ein Urteil fällen zu wollen und zu einer unzulässigen Ausweitung des Themas erklären zu wollen oder zu implizieren jemand hätte, weil er die Sache so angeht, die Frage nicht verstanden, empfinde ich demgegenüber als unangebracht.
Vielleicht hat ja auch einfach jemand anderes nicht verstanden, dass zur Findung eines Urteils ein entsprechendes ethisch-moralisches System und die Würdigung der Gesamtumstände gehören?
 
Wenn ich so über Shinigamis Argumentation nachdenke, kommt es mir so vor, dass eigentlich das Verhalten der Sozialdemokraten zu verurteilen sei, denn sie haben ohne Not das Leben ihrer unschuldigen Angehörigen gefährdet, ohne dass sie, so Shinigami, eine Aussicht gehabt hätten, mit ihrem Nein den schlimmen Lauf der Dinge aufzuhalten.

Ein überdeutliches "nein", haben sie nicht. Und das lässt sich aus meiner Argumentation so auch überhaupt nicht herleiten.
Die Sozialdemokraten sind bereits vor der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz in größerem Stil repressiert worden was in dieser Form bei den Zentrumsleuten nicht der Fall war, die wurden vielleicht in ihrem Wahlkampf etwas gehindert, persönlich in der Regel aber in Ruhe gelassen.
Wenn man sich weiterhin die Rethorik der Nazis ansieht, die die Sozialdemokraten in einer gewissen Regelmäßigkeit mit den Kommunisten als "Marxisten" gleichsetzte und in einen Topf warf und betrachtete, was mit der KPD bereites passiert war, musste man als SPD ganz zwangsläufig eine Vorstellung davon haben, dass man auf der Abschussliste stand und zwar vollkommen egal, wie man sich verhielt.
Denn wenn die Nazis auch nur daran gedacht hätten, die Sozialdemokraten mit heiler Haut davonkommen zu lassen, hätten sie nicht bereits vor der Abstimmung mit den Repressionen angefangen, sondern versucht wie mit dem Zentrum eine Zustimmung auszuhandeln.

Wer weiß, dass er und sein näheres Umfeld ohnehin auf der Abschussliste stehen und auch weiß, dass selbst eine Unterwerfung ihn wahrscheinlich nicht schützen wird, gefährdet werder sich noch andere in höherem Maße, wenn er sich dagegen stellt, weil die Gefährdung bereits von vorn herein gegeben war.


Und damit musste man von Seiten des Zentrums, nachdem die Repression größeren Stils zuvor ausgeblieben war und die Nazis hier jedenfalls versuchten zu verhandeln, nicht unbedingt rechnen.

Und deswegen ist es was die Gefährdung der eigenen Person und des Umfeldes angeht, nach meinem dafürhalten ein gewaltiger Unterschied gewesen, ob ein SPD-Abgeordneter gegen das Ermächtigungsgesetz stimmte oder ob es ein Abgeordneter des Zentrums getan hätte.
Der SPD-Abgeordnete war berereits samt Umfeld vor der Abstimmung in akuter Gefahr von den Nazis irgendwohin verschleppt und malträtiert zu werden.
Ein Vertreter des Zentrums war vor dieser Abstimmung persönlich eher nicht gefährdet konnte duch sein Votum aber eben diese Gefahr heraufbeschwören.
 
Sollte man die Zustimmung vieler Abgeordneter zum Ermächtigungsgesetz von 1933 verurteilen?

Das war die Fragestellung.
@Turgot hat sie offensichtlich verstanden,
während andere scheinbar lieber darüber diskutieren, ob das Verhalten der genannten Abgeordneten verzeihbar sei.
Es scheint ein Drang zur Themenabweichung vorhanden zu sein.
Man darf das mit Verwunderung zu Kenntnis nehmen.
Die Frage ist schon latent suggestiv gestellt. Klar, man kann sie theoretisch noch immer mit "nein" beantworten. Letztendlich reduziert sie das ganze aber auf das Ergebnis. Was wir hier diskutieren ist der Kontext, in dem die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz vor allem von Seiten des Zentrums zustande kam. Die Frage ist dabei weniger, ob das Abstimmungsverhalten "verzeihlich" sei, sondern wie es zu erklären ist. Ansonsten ist die Frage von Ann viereinhalb Monate alt...

Im schulischen Kontext werden Sach- und Werturteil gefällt, die können z.T. sehr stark voneinander abweichen*. Ich kann z.B. sachlich verstehen, dass die Zentrumsabgeordneten so abgestimmt haben, wie sie abgestimmt haben und dies trotzdem moralisch verurteilen. Auch mit dem Wissen des politischen Beobachters vom Stand März 1933.


*Die in der KuK für den Geschichtsunterricht festgelegten Operatoren sind beurteilen und bewerten Sie.
 
@Carolus,
es kommt ja im Leben eines Menschen vor, dass er sich schuldig macht.
Auch wenn solches verzeihbar ist, so soll man doch nicht so tun als sei eine derartige Schuld nicht vorhanden.
Und eben diese apologetische Verwischung der Begriffe ist nicht nur problematisch, sondern auch feige gegenüber der eigenen Rolle im Ablauf von Ereignissen.
 
Wenn ich so über Shinigamis Argumentation nachdenke, kommt es mir so vor, dass eigentlich das Verhalten der Sozialdemokraten zu verurteilen sei, denn sie haben ohne Not das Leben ihrer unschuldigen Angehörigen gefährdet, ohne dass sie, so Shinigami, eine Aussicht gehabt hätten, mit ihrem Nein den schlimmen Lauf der Dinge aufzuhalten.
Dann erliegst Du einem Trugschluss, der zumindest durch die Wertvorstellungen, die in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ihren Ausdruck finden, nicht bedingt ist.

So macht etwa unsere Rechtsordnung denen keinen Vorwurf, die eine Hilfeleistung unterlassen, weil sie eine objektiv nachvollziehbare und gutzuheißende widerstreitende Pflicht empfinden. Umgekehrt belohnt das Recht nicht diejenigen, die die Hilfeleistung erbringen.

Wie das möglich ist? Durch den Gewissenskonflikt als zusätzliche Komponente ist das Nichthandeln nicht mehr das Revers des Handelns, sondern ein völlig
Ich bin der Meinung, man kann nicht einerseits einen überzogenen Ehrbegriff und daraus resultierende Forderungen bis zur letzten Patrone zu kämpfen, gleich wie aussichtslos das ist, verdammen und gleichzeitig von irgendjemandem erwarten, dass er aber gefälligst nur um der Ehre und eines Symbols willen mit wehenden Fahnen unterzugehen und dabei noch seine angehörigen in Lebensgefahr zu bringen habe, ohne die Möglichkeit da irgendwas erreichen zu können.
Hervorragender Einwand. Ich wundere mich darüber, wie ein Drängen auf eine Bewertung ex ante, oder die Anerkenntnis, dass zu einem historischen Zeitpunkt fehlerbehaftete Menschen handelten, ex post immer als Apologetik dargestellt wird, wenn nicht gar als Versuch des Geschichtsrevisionismus.

Für mich fällt das Handeln der Abstimmungsmehrheit vom 24. März in den Fällen, wo es nicht unter dem Vorzeichen des böswilligen Vorsatzes stand, in die Kategorie "menschlicher Makel". Ist ein Taktieren á la von Papen oder ein furchtsames Wegducken, um die eigenen Pfründe zu wahren, verurteilenswert?

Vielleicht. Aber wenn das Festhalten an den eigenen Überzeugungen oder am Kerngedanken der Gerechtigkeit in Zeiten der Repression so einfach wäre, dann könnten wir damit aufhören, es zu bewundern, und zwar angefangen mit den christlichen Glaubenszeugen, die im Kolosseum die andere Wange hinhielten.

Wer das hier als ein Entschuldigen meinerseits verstehen will, meinetwegen. Ich persönlich nenne es Illusionslosigkeit.
 
@Carolus,
es kommt ja im Leben eines Menschen vor, dass er sich schuldig macht.
Auch wenn solches verzeihbar ist, so soll man doch nicht so tun als sei eine derartige Schuld nicht vorhanden.
Und eben diese apologetische Verwischung der Begriffe ist nicht nur problematisch, sondern auch feige gegenüber der eigenen Rolle im Ablauf von Ereignissen.


äh ja, aber ich verstehe nicht, auf welche Aussage von mir sich das beziehen soll.
 
Die Krolloper, in der der Reichstag nach dem Reichstagsbrand tagte, war von der SA umstellt, die Abgeordneten mussten durch Spaliere von SA-Leuten, das ist schon eine Drohkulisse für sich. Wels sagte in seiner Rede "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, aber die Ehre nicht." Das war kein Pathos, das war die Realität, mit der sich die SPD konfrontiert sah. Die SPD hat in dieser Situation heldenmutig gehandelt. Das Zentrum halb duckmäuserisch halb naiv interessengeleitet. Ich glaube, die letzten beiden Sätze können alle, bei allen Meinungsverschiedenheiten, unterschreiben, oder?

Edit: Die Krolloper, in der der Reichstag nach dem Reichstagsbrand brannte > Die Krolloper, in der der Reichstag nach dem Reichstagsbrand tagte
 
Zuletzt bearbeitet:
Die SPD hat in dieser Situation heldenmutig gehandelt.
Absolut.
Das Zentrum halb duckmäuserisch halb naiv interessengeleitet.
Absolut, auch wenn duckmäuserisch fast wieder ein bisschen hart klingt.

Es steht wohl derjenige Abgeordnete auf einer niedrigeren moralischen Stufe, der die Nazis als kleineres Übel ansah oder zur Erreichung monarchistischer oder antikommunistischer Ziele instrumentalisieren wollte, als einer, der einfach nicht auf dem Nachhauseweg verprügelt und in die Spree geworfen werden wollte.

Ersteres ist verurteilenswert (mit der Einschränkung, dass es ex post logisch unsinnig wäre, solchen Abgeordneten die Schuld an jeder Facette des folgenden Terrors zuzuschreiben), bei Letzterem sehe ich in einer Verurteilung keinen Sinn. Wäre mutiges Handeln die Regel, gäbe es nichts zu loben.
 
Zumal ein Abgeordneter nicht nur der Partei oder seiner Familie verpflichtet ist, sondern seinem eigenen Gewissen und auch dem gesamten Volk. Weil die Abgeordneten das Volk repräsentieren.
In der Beziehung war das Verhalten der Abgeordneten die zugestimmt haben zu verurteilen.
Was für die Abgeordneten sprach war der Erlass von Hindenburg als Reichspräsident, die sogenannte Reichstagsbrandverordnung. Mit der wurde die KPD kurz nach der Reichtstagswahl vom März 1933 aus dem Parlament entfernt.
 
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