Europa vor dem 1. Weltkrieg

Besonders jener zwischen russ. und ital. Administration 1909 beinhaltete auch und gerade Ziele/Absprachen/Klärungen in Bezug auf den Balkan (mit östlichem Adria-Ufer also) bis hin zum Osmanischen Reich hinsichtlich Einfluss, Einflusszonen, mögliche Besitznahme etc. Ein Gebiet, in welchem auch Ö-U. Großmachtambitionen hatte und Macht ausübte/auszuüben versuchte.

Ganz genau. Italiens Ziel war es letztlich die Vorherrschaft über die Adria und auch auf dem Balkan wollte man mitspielen. Nur, das Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklafften.

Auch darf man den Thronwechsel in Italien nicht unterschätzen. Im Jahre 1900 wurde König Umberto, er war absolut dreibundtreu, ermordet. Es folgte sein Sohn, der bis bisherige Prinz von Neapel, und nunmehrige Vittorio Emanueles III. .Dieser war gegenüber den Dreibund erheblich skeptischer; ihm ging nicht gerade der Ruf voraus ein Freund der Donaumonarchie zu sein. Sein ersten Besuch im europäischen Ausland war nicht bei seinen Verbündeten, sondern in Petersburg.
 
Italiens Ziel war es letztlich die Vorherrschaft über die Adria und auch auf dem Balkan wollte man mitspielen. Nur, das Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklafften.
...diesem Wunsch standen die massiv und modern fortifizierten KuK Kriegshäfen Pula und Kotor bedrohlich im Weg.
@Turgot da du die fortschreitende ital. Panzerfortifikation in den Alpen erwähnt hast: wer rüstete eigentlich von ca 1870 bis 1914 nicht enorm auf inklusive Festungsbau?
 
Du meinst Pola und Catarro? Ja, aber der Wunsch und das Ziel bestanden aber trotzdem. Die Marine wurde ja auch entsprechend aufgerüstet.

Mir sind jetzt nicht aus dem Bauch die Rüstungsetats der jeweiligen Großmächte geläufig. Aber sicher gaben Deutschland, England, Frankreich und Russland gewaltige Summen aus.

ÖU seine Mittel waren für eine Großmacht reichlich klamm und es konnten nicht einmal die dringendsten Maßnahmen hinsichtlich der Fortifikationen, der Handfeuerwaffen, der Gewehre, der Sprengmittel etc.etc. durchgeführt werden. Conrad war da am Verzweifeln, da Ungarn es auch wichtiger war die Honved auf- und auszurüsten und die nicht die gemeinsame Armee.
 
Pola/Pula und "Bucht von Kotor" - beide massiver befestigt als der Kriegshafen Kiel. (bei Interesse liste ich dazu Festungsliteratur auf) - ja, KuK war finanziell klamm, aber für die beiden Adria Kriegshäfen und Krakau hatten die Mittel noch gereicht: die standen den anderen in nichts nach.
Aber meine Frage war: Wer hat nicht im besagten Zeitraum auf biegen und brechen aufgerüstet?
 
Damals hießen die Häfen Pola und Cattarro. Ja, ist mir bekannt, das die gut befestigt waren. Gut befestigte Häfen reichten aber allein nicht aus, um ein Seekrieg zu gewinnen. Ich führte ja auch aus, das bei Italien Anspruch und Wirklichkeit erheblich auseinander klafften.

Auf dem Lovćen war übrigens französische Artillerie stationiert worden, welches auch dann das Feuer auf Cattarro eröffnete.

Die Frage wer nicht gerüstet hatte, geht auch von Mai 1915 weit weg. Ist das eine rhetorische Frage? Die Antwort ist dir doch sicher geläufig. Ich habe doch oben schon ausgeführt, das die entscheidenden fünf Großmächte alle gerüstet haben; ÖU wohl am Geringsten. Also worauf zielt deine Frage denn hin?

Interessanter finde ich die Fragestellung, gegen wen jeweils gerüstet wurde. Das wäre aber ein Thema für einen anderen Thread. Hier ist schon zu vieles vermengt worden.
 
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Die Frage wer nicht gerüstet hatte, geht auch von Mai 1915 weit weg. Ist das eine rhetorische Frage?
Um Himmels Willen! Das war keine rhetorische Frage.
Unbedeutende Kleinmächte hatten auch immens aufgerüstet: die belgischen Brialmont-Forts, die holländische "Stellung von Amsterdam", die spanischen Küstenforts, die dänischen und schwedischen Forts usw usw - mich beschleicht der Verdacht, dass aufrüsten und fortifizierten von 1870-1914 geradezu Mode geworden war...
 
Das italienische Taktieren war ja nun auch nicht gerade eben als seriös zu bezeichnen.

Dieses Taktieren der italienischen Regierung wurde in der Londoner Presse bemerkt und besprochen. Es wurde nicht eben freundlich betrachtet. Man könne doch nicht wegen eines Formfehlers, nur weil es von Wien nicht über seine Schritte gegenüber Serbien nicht auf dem Laufenden gehalten worden sei, nicht an der Seite seiner Verbündeten in den Krieg eintreten.

Naja, ein wenig mehr als ein Formfehler war das schon. Das war nichts anderes als ein politisches Manöver um die Italiener vor vollendete Tatsachen zu stelllen und ihnen erst gar keine Gelegenheit zu geben, Protest gegenüber dem österreichischen Vorgehen anzumelden.
Und ob das so unbedingt so die feine englische Art gewesen ist....

Ansonsten welche Veranlassung hatte Italien in den Krieg einzutreten? Du selbst wirst nicht müde zu betonen, dass der Dreibund ein Defensivbündnis gewesen ist, keine Erwerbsgemeinschaft, also hätte damit der Bündnisfall greifen konnte, schon ein miliärischer Angriff auf einen der Vertragspartner vorliegen müssen.
Wo sollte dieser gewesen sein, zumal wenn man die Posse um Temes Kubin als das betrachtet, was sie war?


Die italienischen Forderungen waren ja nun nicht gerade bescheiden. Wir reden u.a. von der Brennergrenze, das österreichische Friaul und das Gebiet um Triest. Wir reden hier von Territorien, die zum Teil schon sehr lange im österreichischen Besitz waren.

Das war Stand der Forderungen 1915, zunächst beschränkten sie sich auf das Trentino und Zugeständnisse am Isonzo.

Die Italiener hatten am 26.April, während man gleichzeitig auch noch mit den Vertretern der Mittelmächte verhandelte, den sogenannten Londoner Vertrag unterzeichnet.

Was man durchaus als Vertragsbruch am Dreibund kritisieren kann, weil der den Abschluss eines solchen Vertrages ja untersagte und zuvor noch nicht gekündigt worden war.
Nur sollte man dann so fair sein, anzuerkennen, dass das Vorgehen Wiens Rom in Sachen Ultimatum etc. nicht entsprechend des Dreibundvertrags in Kenntnis zu setzen, ebenfalls einen Verstoß gegen den Buchstaben des Vertrags, mithin einen Vertragsbruch darstellte.

Die Italiener ließen sich in diesem Vertrag u.a. zusichern, dass sie nicht alleine gegen die k.u.k. Kriegsmarine antreten müssen. Was man eigentlich vermeiden wollte, nämlich gegen das Deutsche Reich Krieg zu führen, war mit § 2 des Vertrages ausgeschlossen. Obwohl Italien nur Österreich den Krieg erklärte.

Territorial ließ man sich einiges zusichern. Das Gebiet des Trentino, ganz Südtirol hin bis zum Brenner, Triest, die Grafschaften Görz und Gradiska, ganz Istrien, die Inseln Cherso und Lussin, die kleineren Inseln Plawninca, Unie, Canidole, Palazzoli sowie St.Peter vpn Nembi, Asinello und Gruica nebst deren benachbarten Inseln.
Der Inhalt des Londoner Vertrags ist mir durchaus bekannnt, danke.

Dalmatien sollte ebenfalls an Italien gehen.
Teile Dalmatiens, wenn du hier schon jedes Territorium minutiös abhandeln möchtest.

Lebten und wohnten dort auch in nennenswerten Ausmaß Italiener? Ich meine sowohl in Istrien und Dalmatien lebten mehrheitlich Kroaten.

Es gab in den dalmatinischen Küstenorten tatsächlich vermehrt auch italienische Gemeinden, Erbe der Venezianischen Zeit und der dortigen Handelsniederlassungen.
Bis ins 17. und 18. Jahrhundert hatten einige Orte wohl auch eine annäherd paritätische Bevölkerungszusammensetzung bevor das allgemeine Wachstum der Ortschaften die Bewohner des ländlichen Umlandes anzog und sich die Bevölkerungsverhältnisse dort zu Gunsten der Kroaten durch Zuzug änderten.
Um die Frage zu beantworten, mit italienischen Bevölkerungsmehrheiten ließ sich diese Forderung sicher nicht rechtfertigen.

aber:

Wenn du dir deine eigene Argumentation anschaust, liefest du selbst ja mehr oder minder bereits das Ersatzargument:

Wir reden hier von Territorien, die zum Teil schon sehr lange im österreichischen Besitz waren.
"lange im österreichischen Besitz..."
Analog ließe sich hinsichtlich Dalmatiens natürlich der historische Besitzstand der Serenissima und die an die 500 Jahre währende Herrschafts Venedigs über diese Gebiete ins Feld führen.

Das Argumentationsprinzip zu wechseln und nicht mehr auf Ethnizität abzustellen, sondern mit dem historischen Besitzstand irgendeines Gebildes zu argumentieren, wenn das gerade stellenweise besser passte, dessen Nachfolge man in irgendeiner Weise beanspruchte, ist natürlich inkonsequent.
Es ist ja aber nicht so, dass es eine italienische Spezialität gewesen wäre, dass ist ja im Prinzip nichts anderes, als wenn deutsche Annexionisten lothringische und belgische Gebiete "zurückholen" wollten, die irgendwann mal zum "Heiligen Römischen Reich" gehört hatten.
Das die Argumentationsgrundlagen bei den Grenzziehungen auch anderswo hübsch zwischen Ethnizität und historischem Beistzstand variierten, ist ja auch im Bezug auf die Verhandlungen zu den Pariser Vorortverträgen und sonstigen Grenzziehungen immer wieder augenfällig.
 
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Es war im Grunde genonnen von österreichischer Seite her schon außenpolitisch dumm, sich nicht bereits 1860 mit dem entstandenen italienischen Nationalstaat territorial zu arrangieren.
Die Niederlagen gegen Frankreich und Sardinien 1859 hatten Österreich und auch den Kaiser selbst in eine tiefe Krise gestürzt. (Franz Joseph hatte obendrein den Fehler gemacht, vor der Schlacht von Solferino nominell selbst den Oberbefehl zu übernehmen, womit die Niederlage auch auf ihn selbst zurückfiel.) Innenpolitisch kam es zum Umbruch, der Neoabsolutismus musste aufgegeben und 1860 eine föderalistische konstitutionelle Verfassung zugestanden werden.

Wie hätte man in dieser Situation noch mehr Zugeständnisse machen und freiwillig mehr hergeben sollen, als man unbedingt musste? Wie hätte man das innenpolitisch verkaufen sollen?

Das Königreich Lombardo-Venetien war außerdem eine Sache, Tirol eine andere. Lombardo-Venetien war erst im Wiener Kongress geschaffen worden und bestand (abgesehen vom ehemaligen Herzogtum Mailand) teilweise aus Gebieten, die erst unlängst unter österreichische Herrschaft gekommen waren. Der Verlust eines Teils oder auch des ganzen Königreichs war somit vermutlich leichter zu verschmerzen als eine Teilung Tirols, womöglich gar eine Abtretung auch deutschsprachiger Gebiete bis zur Brennergrenze. Und damit wäre es wohl noch nicht getan gewesen. Wenn es nach Deinen Vorstellungen geht, hätte Österreich "freiwillig" auch noch Triest mitsamt Istrien, Görz und Gradisca sowie Dalmatien abtreten (und schlimmstenfalls sogar seinen Zugang zum Mittelmeer aufgeben) müssen, um sich für die Zukunft einigermaßen gegen italienische Gebietsansprüche zu sichern bzw. Italien einen möglichen Kriegsgrund zu nehmen. (Denn wenn man bloß irgendeinen Kompromiss geschlossen hätte, wer hätte denn dann garantiert, dass Italien nicht dennoch bei der nächstbesten Gelegenheit Österreich in den Rücken fällt, um seine Maximalziele zu erreichen? Hätte man "nur" Teile Tirols und vielleicht Triest abgetreten, hätte sich 1915 dennoch ereignen können. Um das einigermaßen sicher zu vermeiden, hätte man Italien gleich alles geben müssen, was es im Sinne des Nationalismus halbwegs nachvollziehbar für seinen Nationalstaat einfordern kann.)

Das alles also hätte Österreich prophylaktisch "freiwillig" aufgeben sollen? Wie hätte man das irgendjemandem erklären sollen? Wie hätte das irgendein Politiker und auch der Kaiser selbst überstehen sollen? (Mit einer derartigen freiwilligen Erniedrigung, über die jeder nur den Kopf geschüttelt hätte, hätte Österreich außerdem auch gleich als mögliche Führungsmacht im Deutschen Bund abgedankt gehabt.)

Mal abgesehen davon musste niemand 1860 die Mächtekonstellation von 1914/1915 vorhersehen können.

Dalmatien sollte ebenfalls an Italien gehen. Lebten und wohnten dort auch in nennenswerten Ausmaß Italiener? Ich meine sowohl in Istrien und Dalmatien lebten mehrheitlich Kroaten.
Die Volkszählung von 1910 ergab für Dalmatien einen Anteil Italienischsprachiger von 2,79%, für Istrien von 36,46%, für Görz-Gradisca von 34,59% und für Triest von 51,86%.
 
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Shinigami schrieb:
Das Argumentationsprinzip zu wechseln und nicht mehr auf Ethnizität abzustellen, sondern mit dem historischen Besitzstand irgendeines Gebildes zu argumentieren, wenn das gerade stellenweise besser passte, dessen Nachfolge man in irgendeiner Weise beanspruchte, ist natürlich inkonsequent.
Es ist ja aber nicht so, dass es eine italienische Spezialität gewesen wäre, dass ist ja im Prinzip nichts anderes, als wenn deutsche Annexionisten lothringische und belgische Gebiete "zurückholen" wollten, die irgendwann mal zum "Heiligen Römischen Reich" gehört hatten.
Das die Argumentationsgrundlagen bei den Grenzziehungen auch anderswo hübsch zwischen Ethnizität und historischem Beistzstand variierten, ist ja auch im Bezug auf die Verhandlungen zu den Pariser Vorortverträgen und sonstigen Grenzziehungen immer wieder augenfällig.

Wichtig ist, das die Argumente zutreffend sind und das sind sie. Es war doch vielmehr Italien, welches in Londoner Vertrag sich urplötzlich nicht mehr für die Ethnie interessierte. Auf einmal wurde Territorien verlangt und gewährt in denen Italiener klar in der Minderheit waren. Da war sie dahin, die Glaubwürdigkeit. Stattdessen regierte die blanke Gier.

Österreich hatte in sein Territorium im Besitz und Italien hingegen begehrte von diesem Besitzstand seines Verbündeten so einiges was irgendwann vor Jahrhunderten mal italienisch gewesen war und wo 1914 die Italiener klar in der Minderheit waren.

Ich bleibe jetzt einfach mal beim Thema und gehe nicht auf das Heilige Römische Reich ein.


Der Inhalt des Londoner Vertrags ist mir durchaus bekannnt, danke.

Sehr gerne. Dann wird dir ja auch nicht entgangen sein, wie maßlos Italien gewesen war.

Ansonsten welche Veranlassung hatte Italien in den Krieg einzutreten? Du selbst wirst nicht müde zu betonen, dass der Dreibund ein Defensivbündnis gewesen ist, keine Erwerbsgemeinschaft, also hätte damit der Bündnisfall greifen konnte, schon ein miliärischer Angriff auf einen der Vertragspartner vorliegen müssen.

Für Italien gab es nur einen Grund in den Krieg einzutreten: Gier. Das hatte man schon an den schäbigen Tripoliskrieg gesehen; wo übrigens Italien seine Verbündeten auch mit keinem Wort im Vorfeld informiert hatte. Von der peinlichen Nummer gegen Abessinien 1896 fang ich erst gar nicht an. Jedenfalls hatte man sich im Mai 1915 auf dem Weltmarkt angeboten und sich an den Meistbietenden verhökert; gegen entsprechende Bezahlung natürlich.

Das war Stand der Forderungen 1915, zunächst beschränkten sie sich auf das Trentino und Zugeständnisse am Isonzo.

Italien hatte eben die verstärkte Nachfrage nach seiner Beteiligung auf Seiten einer der sich feindlich gegenüberstehenden Blöcke registriert und den Preis für seinen Kriegseintritt systematisch in die Höhe getrieben.

Was man durchaus als Vertragsbruch am Dreibund kritisieren kann, weil der den Abschluss eines solchen Vertrages ja untersagte und zuvor noch nicht gekündigt worden war.
Nur sollte man dann so fair sein, anzuerkennen, dass das Vorgehen Wiens Rom in Sachen Ultimatum etc. nicht entsprechend des Dreibundvertrags in Kenntnis zu setzen, ebenfalls einen Verstoß gegen den Buchstaben des Vertrags, mithin einen Vertragsbruch darstellte.

Korrekt. Aber es gab ja einen guten Grund hierfür. Man war sich in Wien vollkommen darüber im Klaren, was man in Rom mitteilte, das dies beispielsweise sein Weg schnell nach Petersburg finden würde. Aber wo wir beim vertragswidrigen Verhalten sind: Italien konnte den Dreibundvertrag im Jahr 1915 gar nicht kündigen; es gab nämlich keine entsprechende Klausel im Vertrag. Und ob Italien in Tripoliskrieg sich konform zum Dreibundvertrag verhalten hatte, bezweifel ich. Aber das gehört auch nicht zum Thema. Ich schweife ab .;)
 
Naja, ein wenig mehr als ein Formfehler war das schon. Das war nichts anderes als ein politisches Manöver um die Italiener vor vollendete Tatsachen zu stelllen und ihnen erst gar keine Gelegenheit zu geben, Protest gegenüber dem österreichischen Vorgehen anzumelden.
Und ob das so unbedingt so die feine englische Art gewesen ist....

So wurde Italien eben von der Londoner Presse, der Hauptstadt eines seiner künftigen Alliierten, wahrgenommen.
 
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Um Himmels Willen! Das war keine rhetorische Frage.
Unbedeutende Kleinmächte hatten auch immens aufgerüstet: die belgischen Brialmont-Forts, die holländische "Stellung von Amsterdam", die spanischen Küstenforts, die dänischen und schwedischen Forts usw usw - mich beschleicht der Verdacht, dass aufrüsten und fortifizierten von 1870-1914 geradezu Mode geworden war...

Ja, das ist so. Ich habe jetzt ein paar Zahlen für die Rüstungsausgaben, die mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt worden sind, für die Großmächte. Ich nehme mal die letzten Jahre vor dem Krieg:

Angaben in Millionen.

1911 1912 1913

England 70,5 Pfund 72,5 Pfund 77,2 Pfund

Frankreich 1.412 Franc 1.493 Franc 1.630 Franc

Russland 671,3 Rubel 814,9 Rubel 961,6 Rubel

Österreich-Ungarn 657,8 Kronen 780,9 Kronen 1.030,9 Kronen

Deutschland 1.707,5 RM 1.781,3 RM 2.406,4 RM

Die Zahlen stammen von David Stevenson, Armaments an the coming of War. Es sind wirklich gewaltige Summen aufgeboten worden.
 
Wenn die italienische Regierung 1914 ihre Neutralität beschloss, war das sowohl im Einklang mit dem Dreibundvertrag, als auch mit der Stimmung in der eigenen Bevölkerung, die zu diesem Zeitpunkt eine solche Kriegsbeteiligung ablehnte.

Im Sommer 1914 wurde aus einen einzigen Grunde die Neutralität gewahrt. Die italienische Armee war nicht einsatzklar. Generalstabschef Cadorna hatte selbst ausgeführt, das es für Italien übel ausgegangen wäre, wenn ÖU Italien im Sommer angegriffen hätte.



Shinigami schrieb:
Wenn die italienische Regierung 1915 noch neutral bleiben wollte, musste sie sich in zunehmenden Gegensatz zur eigenen Bevölkerung.....

Aus meinen Beiträgen ist, so denke ich, deutlich geworden, das die Bevölkerung eigentlich doch die Neutralität bevorzugte.


Shinigami schrieb:
Lies man sich hingegen auf die Entente ein, winkten nichr nur eventuelle territoriale Gewinne, sondern auch die Möglichkeit die dringend benötigten Energieträger wieder im größeren Stil bei der Entente zu kaufen, oder mit von der Entente verbürgten Krediten anderswo, es winkte die Aussicht, dass der Krieg rasch beendet werden könnte und die krieegsbedingten Importschwierigkeiten abnehmen würden.
Außerdem entsprach das auch zunehmend der Meinung der italienischen Öffentlichkeit.

Nicht nur eventuelle, sondern ganz sicher üppige territoriale Zugewinne. Und das war der Grund für Italien. Es ist wohl sehr einleuchtend, das es Frankreich und England ein Leichtes war fremdes Territorium zu verschachern und ÖU in diesem unwürdigen Geschacher zu überbieten; für ÖU war die Sache naturgemäß erheblich schwerer. Es ging hier immerhin um eigenes Territorium. Und das sollte gleich hergegeben werden. Was hätte das für Folgen gehabt!

Schon in der Julikrise verhielt sich Italien sehr seltsam; getrieben wieder aus Gier. Der italienische Außenminister San Giuliano mutmaßte, vollkommen unzutreffend, das es nunmehr das Tauschgeschäft zwischen Montenegro und ÖU, Montenegro tritt den Lovcen an ÖU ab und kann sich dafür mit Serbien vereinigen. Was wollte San Giuliano? Genau: Kompensation! Und welche? Das Trentino. Sehr bescheiden. San Giuliano ging sogar so weit am 09.07.14 ÖU mit Krieg zu drohen. Er war wohl von Cadorna über den Zustand der Landstreitkräfte noch nicht entsprechend informiert worden.[/QUOTE]
 
@Turgot

1. Inwiefern ist das von Belang, ob die Argumente für dich glaubhaft sind? Die Zeitgenossen hielten die Forderungen offensichtlich für vertretbar.
2. Du möchtest als Rechtfertigungsprinzip gern rein auf Etnizität abstellen. Aber mit welcher Begründung? Schaut man sich die Zeit an, war ethnische Zusammensetzung nie die einzige angenommene Begründung.

Von einem rein ethnisch begründeten Standpunkt aus hätte:

- Frankreich den größten Teil seiner Ambitionen in Sachen Elsass-Lothringen vergessen können.
- Bulgarien keinen Anspruch auf die zugesagten serbischen Gebiete gehabt.
- Serbien keinen Anspruch auf kroatische oder slowenische Gebiete anmelden können.
- Deutschland keinen Anspruch auf ostbelgisches Gebiet, polnische Grenzstreifen und baltische Herzogtümer gehabt.

- Großbritannien, Russland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich hätten nach diesem Prinzip nicht einmal existieren dürfen.

- Geschweigedenn, dass nach diesem Prinzip irgendjemand Kolonien hätte besitzen dürfen,

Ich denke, dir müsste auffallen, wie anachronistisch deine Argumentation in Sachen Glaubwürdigkeit eigentlich ist.
Hätten die damaligen Akteure Glaubwürdigkeit in solcher Hinsicht allein an ethnischer Homogenität festgemacht, wären sie mit einem Schlag allesamt unglaubwürdig gewesen und Italien hätte mit seinen relativ kleinen Minderheiten und wenigen Kolonien noch verhältnismäßig gut dargestanden.


Was die Italienische Bevölkerung betrifft:

Wenn die dem Krieg so abgeneigt gewesen wäre, wie du behauptest, dann erkläre mir doch einfach mal, warum sie pünktlich zu dem mit der Entente vereinbarten Termin Gewehr bei Fuß stand, statt in den Generalstreik zu gehen und die Salandras und Sonninos zum Teufel zu jagen.
Die italienische Bevölkerung war offensichtlich durchaus bellizistisch genug einen Krieg mitzutragen, der nach Lage der Dinge nur ein auf Eroberung ausgerichteter Krieg sein konnte, ein Angreifer, gegen den man sich hätte verteidigen müssen, war ja weit und breit nicht zu sehen.


@Ravenik, ich werde später noch darauf eingehen.
 
...ich verstehe die momentane Schärfe der Diskussion nicht - oder spiegelt das die allgemeine Stimmungslage kurz vor 1914? Wie das Kapitel "die große Gereiztheit" in Manns Zauberberg?

Auffällig ist die allgemeine Aufrüstung und Militarisierung und das nicht nur bei den Großmächten. Wie sah es denn in Sachen "Kriegsbegeisterung" (sei es geschürte, sei es ohnehin vorhandene) in den Bevölkerungen abgesehen vom dt. Kaiserreich aus? Herrschten da quasi mentalitätsmäßig auch oftmals marzialische Töne?

Aus einem ganz anderen Bereich: der französische Komponist Claude Debussy äußerte sich kurz vor 1914 begeistert über die modernisierten riesigen Festungsanlagen von Paris - seltsam: da komponiert einer, der zuvor eher apolitisch war, Mondlicht und versunkene Kathedrale und gerät plötzlich in marzialische Wallung... e strano, e strano...
 
Der Zauberberg, ein schönes Buch!

1. Inwiefern ist das von Belang, ob die Argumente für dich glaubhaft sind? Die Zeitgenossen hielten die Forderungen offensichtlich für vertretbar.

2. Du möchtest als Rechtfertigungsprinzip gern rein auf Ethnizität abstellen. Aber mit welcher Begründung? Schaut man sich die Zeit an, war ethnische Zusammensetzung nie die einzige angenommene Begründung.

Der ethnische Standpunkt war doch der italienische. Die "unerlösten Gebiete" eben. Ich habe diesen Standpunkt lediglich nur bemüht. Die Italiener verlangten doch auch immer wieder beispielsweise eine italienische Universität. Eben wegen den italienischen Bevölkerungsanteils.
Die italienischen Zeitgenossen hielten sie für vertretbar. Man kann doch auch zur damaligen Zeit von der Erlösung der Territorien sprechen, wo sehr viele Italiener sprechen (Irredentismus) und auf der anderen Seite Gebiete einkassieren, wo der italienischen Bevölkerungsanteil deutlich in der Minderheit gewesen war. Das kann doch auch den damaligen Zeitgenossen nicht verborgen geblieben sein.

Als die Italiener so um 1902/03 ihre begehrlichen Augen begannen auf dem Balkan zu richten, hofften sie auf Unterstützung in Petersburg. Deshalb u.a. die erste Reise des neuen Königs nach Petersburg. Der Zar hatte aber keine große Lust auf den fälligen Gegenbesuch, da er sich nicht von den italienischen Sozialisten beleidigen lassen wollte. Italien fand bei keiner Großmacht Unterstützung für seine Ambitionen, da diese eben nicht vernünftig erklärbar waren.
Nun war man aber nach der Pleite mit den Russen wieder auf den verbündeten "Feind" verwiesen. Ausgerechnet. Und Franz Joseph war das einzige Staatsoberhaupt, welcher der italienische König keinen Antrittsbesuch gemacht hatte.

Ich argumentiere anachronistisch. Das ist heftig; hätte ich von dir so nicht erwartet. Schade, ich bevorzuge es sachlich zu diskutieren.

Zur Meinung der italienischen Bevlkerung:

Benenne bitte eine Quelle für deine Behauptung.

Die italienische Landbevölkerung verstand den Krieg überhaupt und trug ihn mit, weil sie musste. Der Italiener mit einen hoch entwickelten Bewusstsein lehnte den Krieg schlicht ab. Brunellos Vigeszzis Untersuchung der Berichte der Präfekten kommt zu dem Ergebnis, das die Bevölkerung neutralistisch war und keinen Krieg wollte. Kannst du selbst nachlesen bei Johannes Hürter und Gian Enrico Rusconi, "Der Kriegseintritt Italiens im Mai 1915".
 
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...ich verstehe die momentane Schärfe der Diskussion nicht - oder spiegelt das die allgemeine Stimmungslage kurz vor 1914? Wie das Kapitel "die große Gereiztheit" in Manns Zauberberg?

Meiner Meinung nach spiegelt die Schärfe der Diskussion derzeit wieder, dass definitiv zu viele überdeutliche Wertungen in der Verlosung sind.
Wenn da von "Gier" und "perfider Politik", als weitgehend monokausalen Begründungen geschrieben und das einseitig verdammt wird, während über ähnliche Handlungsmuster bei anderen Akteuren hinweggesehen wird, ohne das näher zu kommentieren, fühle ich mich irgendwie bemüßigt dagegen zu halten.

Nichtmal, weil ich für die damalige italienische Politik besonders viel übrig hätte. Mir ist das nur zu einseitig und nimmt meiner Meinung nach a priori Dinge an, die ich für durchaus diskutierenswert halte.
 
Auffällig ist die allgemeine Aufrüstung und Militarisierung und das nicht nur bei den Großmächten. Wie sah es denn in Sachen "Kriegsbegeisterung" (sei es geschürte, sei es ohnehin vorhandene) in den Bevölkerungen abgesehen vom dt. Kaiserreich aus? Herrschten da quasi mentalitätsmäßig auch oftmals marzialische Töne?

Von welchem Zeitpunkt sprichst du denn?
 
Meiner Meinung nach spiegelt die Schärfe der Diskussion derzeit wieder, dass definitiv zu viele überdeutliche Wertungen in der Verlosung sind.
Wenn da von "Gier" und "perfider Politik", als weitgehend monokausalen Begründungen geschrieben und das einseitig verdammt wird, während über ähnliche Handlungsmuster bei anderen Akteuren hinweggesehen wird, ohne das näher zu kommentieren, fühle ich mich irgendwie bemüßigt dagegen zu halten.

Nichtmal, weil ich für die damalige italienische Politik besonders viel übrig hätte. Mir ist das nur zu einseitig und nimmt meiner Meinung nach a priori Dinge an, die ich für durchaus diskutierenswert halte.

Mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine; andere sprechen von italienischen Verrat. Am italienischen Verhalten gibt es nicht viel beschönigen. Ich habe meine Meinung zum italienischen Verhalten geäußert, werde dabei aber nicht persönlich! Und einseitig ist meine Meinung auch nicht. Das bist mit deinen Vorstellungen wie sich ÖU gegenüber Italien hätte verhalten sollen. Ich habe auch durchaus zugegeben, das Italien nicht alleine verantwortlich war für die Probleme im Dreibund. Ausgangspunkt war aber der Mai 1915 und du da bist immer wieder von weg gegangen.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Turgot

1. Seit wann ist die Tatsache mit einer Meinung nicht allein zu sein, ein Beleg für deren Richtigkeit, Validität, Angemessenheit oder Vertretbarkeit?
2. Wer ist denn persönlich geworden?
3. Es bleibt dir unbenommen meine Ansichten für einseitig zu halten.
4. Ich bin hier nicht der einzige gewesen, der auf andere Episoden zurückgegriffen hat, würde ich meinen. Und ich sehe darin, betreffs Kontextgebundenheit etc. auch gar kein Problem, die Probleme zwischen Italien und Österreich-Ungarn beginnen schlieeßlich nicht 1915, sondern bereits 1860, wenn nicht schon 1848 und das mag berücksichtigt sein.
 
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