Die Frau im Gerichtskampf in Hans Talhoffers Fechtbuch

Maglor

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Ich verstehe immer noch nicht: Wie begründet sich Deine Annahme, sie habe eine Kurzhaarfrisur und "Männerkleidung" aus symbolischen Gründen getragen? Werfen wir einen Blick in die Fechtbücher, sehen wir, dass etwa nach Hans Talhoffers fachkundiger Meinung Frauen zum Gerichtskampf dasselbe Kampfgewand wie ein Mann tragen sollten, Hosen inklusive. Denn: Alles andere wäre fürchterlich unpraktisch gewesen.
Das ist so nicht ganz richtig. Es gibt ein paar auffällige Unterschiede. Es handelt sich um spezielle Kleidung für Frauen, die Talhoffer empfiehlt.

Ob es solche Kampfkleidung wirklich gab und die Dame von Welt sowas vorrätig hatte, falls sie mal einen Zweikampf ausführen musste, ist natürlich eine gute Frage.

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Die Frau trägt zwar eine Hose, aber es ist keine Herrenhose. Es fehlt die typische Schamkapsel.
Im Spätmittelalter kam die Schamkapsel bei den Männern in Mode. Die männlichen Genitialen erschienen dadurch vergrößert.

Am Ende gewinnt (zumindest im Fechtbuch) die Frau und zieht den erschlagenden Gegner aus seiner Grube, in dem sie ihn an der Schamkapsel herauszieht. Was mag das nur bedeuten?

Auffällig ist auch, dass die Frau barfuß kämpft, während Männer in Talhoffers Festbuch in der Regel spitze Schuhe tragen.

Die Frau hat auch immer noch ihr Schleiertuch dabei, nur wird der Schleier zum Mordwerkzeug zweckentfremdet. Hans Talhoffer empfiehlt Frau, sie sollten in ihr Schleiertuch einen schweren Stein legen und damit zu schlagen oder den Gegner damit erwürfen. Was für eine Symbolik!

Alle Bilder zum Gerichtskampf der Frau gibt es bei Wikipedia.
 
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Und da sage noch mal einer, es habe sich nie jemand für "Gleichberechtigung" eingesetzt. Und von wegen das schwache Geschlecht.
 
Was mit "seinem Zeug" gemeint sein könnte, wird erst durch die llustration deutlich.
Ich sehe mich jetzt aber nicht an der Lage sicher zu entscheiden, ob mit dem Wort "Zeug" die Hose oder das Genital gemeint ist. Wahrscheinlich hat sie aber beides fest im Griff.

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Am Ende gewinnt (zumindest im Fechtbuch) die Frau und zieht den erschlagenden Gegner aus seiner Grube, in dem sie ihn an der Schamkapsel herauszieht.

Es gibt doch sehr verschiedene Szenen, die Talhoffer da zeichnet, ich habe die nicht als chronologisch aufeinander aufbauend verstanden (nur die erste, als Ausgangsdarstellung).
 
Aus Appollonius von Tyrland, Heinrich von Neustadt, zwischen 1312 und 1314, nach der Gothaer Handschrift, Edition Singer.

Ich hab es an dem puch gelesen:
Es sol ain yeglicher man
In ainer engen gruben stan,
Das er halber dar inne sey.
Scharffes wappen ist im nit frey;

Das ist recht über das lant:
Im sol auch di rechte hant
Hinder sich gepunden sein;
Das ist das rechte urtail mein:
Man sol im ainen stecken geben,
Da mit er were sein leben,
Noch ze groß noch ze kranck,
Er soll sein ainer elen langk.

Den gibt man im in di tencken hant,
Da mit sein wer ist bekant
Ain plosser rock ist sein claid,
Über ain hemde an gelayt.

Di frauwe soll hie aussen gan,
Ainen stauchen in der hende han

[einen stein in der stouchen han - nach der Edition Strobl]
Mit riemen dar ein gepunden,
Swer pey dreyn pfunden.

Di stauch soll wesen leynein
Und zwayr elen langk sein.
Von mitten morgen untz an den tag
Ob sy im nicht an gewynnen mag,
So soll der man sein genesen
Und ledig von der frawen wesen.

Slecht aber sy in ze tod
Oder er sey, sy hat di not
Und ains das ander uberwunden:
Sus ist das recht erfunden.


Wir haben hier bereits die Elemente Grube und Stein im Tuch als Waffe der Frau. Zusätzlich ist dem Mann noch die rechte Hand an den Rücken gebunden und als Waffe bekommt er einen Stecken, der eine Elle lang sein soll.

Nebst dem oben beschriebenen bloßen Rock des Mannes folgen noch ein paar Hinweise zur Kleidung der Frau:
Er hieß ir dar ir were geben,
In ainer stauchen ainen stain.
Der was vast geponden dar ein
Do gab man dem kecken
Ainen elen langen stecken.
Er muste in di gruben:
Dar umb pegund truben.

Flordeleyse schurtzte und gurte sich
Und stalte iren leib gar wackerlich:
Si pand ir har und ir zoph
Oben umb ir haubet lock.


Heinrichs von Neustadt ʻApollonius von Tyrland ̓nach der Gothaer Handschrift, ʻGottes Zukunft ̓und ʻVisio Philiberti ̓nach der Heidelberger Handschrift : Heinrich von Neustadt, fl. 1312 : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive 20170 ff

In einer Kopie des Romans um 1465/1467, also zu Talhoffers Zeit, befindet sich eine Illustration dazu:
https://dhb.thulb.uni-jena.de/rsc/v...tif?logicalDiv=log_2b9976-fd65-fe67-abc3cf792

Ich verdächtige Talhoffer einen Comic zu diesem Roman gezeichnet zu haben. Es kann aber auch sein, dass es tatsächlich ein "puch" gab, in dem diese Vorschriften festgehalten wurden und beiden unabhängig voneinander als Vorlage diente.
 
Es kann aber auch sein, dass es tatsächlich ein "puch" gab, in dem diese Vorschriften festgehalten wurden und beiden unabhängig voneinander als Vorlage diente.
So ein Buch gibt es wirklich: das Stadt- und Landrechtsbuch von Ruprecht von Freising 1328. Kapitel 51: Wie ein man mit ainer frauenn kempfenn sol.
..jst sy aber ein junkfraw gewesen so sol man den notnuffter lebnntigenn begrabenn.
wirt aber der frauenn und dem notzwinger ein kampf ertailt so sol man jn eingrabnn unntz an den napel das er sich umb mög gereibnn. und sol jm dy tennckenn hannt auf den ruckenn pinndnn. und sol jm ain kolbmm in dy recht hannt gebenn. unnd sol stro umb jn streyenn als verr als er mit dem kolbnn gelangenn mag. unnd der frauenn sol man ain stain in ain stauchnn pindnn der ains [Pfund] swär sey der stat wag. und man sol jn paidnn grieswärtl gebenn nach kamps recht. gesigtt der man so sol man der frauenn dy hant abslahenn. Besigt aber dy fraw so sol man dem mann das haupp abslagenn. das ist darumb gesetztt. das nicht gewönlich das ein fraw ainen mann obgesigtt.


Für Heinrich von Neustadt war die Vollendung dieses Landrechtsbuchs etwas zu spät, aber die Regeln werden wohl schon vorher bestanden haben.
Welche Beinfreiheit der Mann hatte, eingegraben bis zum Nabel, ist mir noch unklar. Das Gewicht des Steins ist hier leichter, als bei Neustadt und Talhoffer angegeben, aber die rechte Hand wäre also per Gesetz anzubinden gewesen.
 
In einer Kopie des Romans um 1465/1467, also zu Talhoffers Zeit, befindet sich eine Illustration dazu:
https://dhb.thulb.uni-jena.de/rsc/v...tif?logicalDiv=log_2b9976-fd65-fe67-abc3cf792
In der Illustration zum Romans "Apollonius von Tyrland" trägt die kämpfende Frau allerdings keine Hosen, sondern lediglich eine knielange Tunika, die ich für Frauenkleidung halte. Im übrigen ist die Frau barhäupting und barfuß.
Beim männlichen Publikum ist die spätmittelalterliche Männertracht mit engen Hosen und spitzen Schnabelschuhen gut erkennbar.

Heinrich von Neustadt hat ihr einen antiken Stoff als Ritterroman bearbeitet. Die Stadt Tyros im heutigen Libanon heißt hier Tyrland. Die alten Griechen treten wie mittelalterliche Ritter auf. Den Gerichtskampf zwischen Mann und Frau nach mittelalterlicher Rechtsvorstellung hat Heinrich von Neustadt dementsprechend in die ursprüngliche antike Handlung eingefügt.

Bei den kämpfenden Personen im Roman handelt es sich um Flordelise und den Ritter Silvian von Nazareth. Flordelise wirft Silvian vor, er habe ihre Schwester Claramie geschändet. Floredelise will die Ehre ihrer Schwester wiederherstellen und klagt Silvian vor dessen König Apollonius von Tyrland an. Silvian will die Tat nicht zugeben. Da bleibt König Apollonius nur der Gerichtskampf zur Lösung des Konflikts. Flordelise siegt im Kampf gegen Silvian und muss daher auch Recht haben.

Der eigentliche Held dieser Geschichte ist natürlich Apollonius, die Hauptfigur des Romans. Apollonius ist offensichtlich ein weiser Herrscher und Richter nach mittelalterlicher Vorstellung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im sol auch di rechte hant
Hinder sich gepunden sein;

[…]
Wir haben hier bereits die Elemente Grube und Stein im Tuch als Waffe der Frau. Zusätzlich ist dem Mann noch die rechte Hand an den Rücken gebunden und als Waffe bekommt er einen Stecken, der eine Elle lang sein soll.
Interessant, denn auf einigen Darstellungen bei Talhoffer ist nämlich unklar, ob der Mann an dem einen Arm frei ist, er hält ihn verdächtig nah an seinem Gürtel und man sieht etwas um sein Handgelenk. Ich hatte also einen bestimmten Verdacht. Allerdings ist dann auf einem Bild zu sehen, dass der Arm nicht (mehr?) angebunden ist.


Ich verdächtige Talhoffer einen Comic zu diesem Roman gezeichnet zu haben. Es kann aber auch sein, dass es tatsächlich ein "puch" gab, in dem diese Vorschriften festgehalten wurden und beiden unabhängig voneinander als Vorlage diente.
interessanter Gedanke.
 
Die Frau trägt zwar eine Hose, aber es ist keine Herrenhose. Es fehlt die typische Schamkapsel.
Im Spätmittelalter kam die Schamkapsel bei den Männern in Mode.
Ich habe mir die Bilder (Zeichnungen; Rötelstift?) in dem Wikisource-Link jetzt mehrmals angeschaut, sie wirken anders auf mich:
- beide tragen dasselbe "Oberteil" (sieht aus wie ein enganliegendes dünnes Kapuzenshirt)
- beide tragen dieselbe Hose (einziger Unterschied: man sieht die Füße und Unterschenkel des Kämpfers in der kleinen Grube nicht)
- die Hose wirkt ulkigerweise wie Skiunterwäsche (keine Strumpfhose, aber sie geht unter der Ferse durch)
- schwer zu sagen, ob Hose und Kapuzenoberteil zwei verschiedene Kleidungsstücke sind, oder ob sie quasi ein einteiliges Ganzkörper-Bekleidungsstück sind: hält der dünne Gürtel (Kordel?) die Hose oben und das "Shirt" steckt in der Hose?
- die hahnenmäßig renommistische "Schamkapsel" ist nicht abgebildet: auf dem letzten Bild zieht die Kämpferin den Kämpfer an seinem "Zeug" aus der Grube, das sieht da nun nicht so aus, als umfasse ihre sehr schmale Hand irgendwas in der Art eines übertriebenen Suspensoriums.
- auffällig ist die Haltung des waffenfreien Arms beim Kämpfer: auf einigen Bildern wirkt es so, als sei dieser Arm absichtlich unbeteiligt (wie gefesselt)

Sowohl das enganliegende Oberteil samt enganliegender Kapuze wirkt auf mich wie stilisiert: gab es im späten Mittelalter dehnbare/elastische Stoffe, die Bewegungsspielraum in jede Richtung gestatten wie heutige Baumwollsachen/Stretch oder wie das heißt?
 
Korrektur: Heinrich von Neustadt hat, so wie ich, links und rechts verwechselt. Die tenke ist nämlich die linke Hand, die angebunden werden soll. In der Rechten muss er ja den Kolben schwingen.
 
Interessant, denn auf einigen Darstellungen bei Talhoffer ist nämlich unklar, ob der Mann an dem einen Arm frei ist, er hält ihn verdächtig nah an seinem Gürtel und man sieht etwas um sein Handgelenk. Ich hatte also einen bestimmten Verdacht. Allerdings ist dann auf einem Bild zu sehen, dass der Arm nicht (mehr?) angebunden ist.
Den Eindruck hatte auch. Auf manchen Bilder des Gerichtskampfes bei Talhofer sieht es tatsächlich so aus, als sei der Arm am Gürtel festgemacht.
Wahrscheinlich handelt es hierbei auch um die normale Armhaltung beim Fechten nach Talhoffer.
Diese verdrehte Haltung des unbeteiligten linken Arms ist in den Illustrationen zum einhändigen Kampf nach Talhoffer regelmäßig abgebildet. Hier beim Kampf zweier Männer mit "langen Messern":
800px-De_Fechtbuch_Talhoffer_221.jpg

Bildnachweis: https://de.wikisource.org/wiki/Fechtbuch_(Talhoffer)/Kapitel_9

- die hahnenmäßig renommistische "Schamkapsel" ist nicht abgebildet: auf dem letzten Bild zieht die Kämpferin den Kämpfer an seinem "Zeug" aus der Grube, das sieht da nun nicht so aus, als umfasse ihre sehr schmale Hand irgendwas in der Art eines übertriebenen Suspensoriums.
Die Schamkapsel ist ein übertriebenes Suspensorium, gleichzeitg aber fester Bestandteil der normalen Hose spätmittelalterlicher Männer, also auch außerhalb der Kämpfe ein alltäglicher Anblick.
In dem Gerichtkampf mit der Frau ist die Schamkapsel des Mannes auf den meisten Bilder nicht erkennbar, weil der Unterleib des Mannes meistens in der Grube verborgen ist.
Auf den normalen Kämpfen zwischen Männern (siehe oben) ist die Schamkapsel in der Regel gut erkennbar, ebenso die Schnabelschuhe.
 
Der Gerichtskampf mit Frau ist in nur in zwei der sechs erhaltenen Handschriften von Talhoffers Fechtbuch abgebildet.
Die farblosen Zeichnungen (siehe frühere Beiträge) stammen aus dem Exemplar der Bayrischen Staatsbibliothek.
Die Handschrift aus der Dänisch-Königlichen Bibliothek ist hingegen ein bisschen coloriert:

1024px-De_Alte_Armatur_und_Ringkunst_Talhofer_171.jpg


Deutllich erkennbar ist, dass der Arm des Mannes nicht gefesselt ist. Die Kleidung der Frau in der Handschrift aus der dänischen Sammlung ein wenig anders als im Exemlar aus Bayern. Ihre Hose endet kurz unterhalb des Knies.

Die Barfüßigkeit der Frau ist eine der wenigen Gemeinsamkeiten aller Abbilungen derartiger Gerichtskämpfe. Selbst in den Zeichnungen zum Apollonius-Roman von Heinrich von Neustadt trägt die Frau keine Schuhe.

Sowohl das enganliegende Oberteil samt enganliegender Kapuze wirkt auf mich wie stilisiert: gab es im späten Mittelalter dehnbare/elastische Stoffe, die Bewegungsspielraum in jede Richtung gestatten wie heutige Baumwollsachen/Stretch oder wie das heißt?
Es handelt sich um eng geschneiderte Kleidung, die zusätzlich noch durch Schnürungen verengt ist.
Hosenbeine, Schamkapsel, Ärmel und ggf. eine Kapuze sind an das Wams angenestelt, sodass der Anschein eines einteiligen Overalls entstehen kann.
Unter diesem Link gibt es den Rekonstruktionsversuch einer spätmittelalterlichen Männerkleidung (allerdings mit anderer Kopfbedeckung):
https://www.diu-minnezit.de/indexfrm.php?tid=4

Die Kleidung der Frau in den Illustration zu Talhoffer scheint aber nicht genauso eng zu sein wie die des Mannes. Es ist jedenfalls bei der Frau etwas mehr Faltenwurf erkennbar.

Zur Frage des Nachteilsausgleichs und der Chancengleichheit zwischen Mann und Frau:
Ich gehe davon aus, dass die Frau mit dem schweren Stein im Schleiertuch sehr leicht tödliche Schläge ausführen kann. Ein ordentlicher Treffer auf den Kopf und der Mann ist außer Gefecht. Dass der Mann in der Grube steht, erleichtert der Frau noch den Angriff.
Die Grube selbst bietet dem Mann aber kaum Schutz gegen die Angriffe von oben, schränkt dafür aber seinen Bewegungsmögichkeiten erheblich ein. Besonders symbolträchtig ist vielleicht, dass immerhin der Unterleib des Mannes mit den Geniatalienen durch die Grube geschützt wird.
Nur mit einem Stecken bewaffnet wie im Apollonius-Roman wird der Mann jedoch seine Gegnerin kaum tödlich treffen können. Immerhin gewähren Ruprecht von Freising und Hans Talhoffer dem Mann einen Streitkolben, also eine richtige Waffe.
Erstaunlich ist, dass die Fesselung des Armes bei Talhoffer fehlt. Hier hat der Mann tatsächlich noch am ehesten die Chance den Kampf zu gewinnen.
 
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