Media in Germania - der Tintenfassdeckel des Germanicus

Hermundure

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Am 09. März diesen Jahres sondierte ich bei Freyburg/Unstrut wahrscheinlich den Fund meines Lebens. Ich fand einen gut erhaltenen frührömischen Tintenfassdeckel - aber nicht irgend einen. Dieser gehörte sehr wahrscheinlich Germanicus selbst. Nach der Reinigung kamen zwei Marken zum Vorschein. Der große Stempel weist folgende Initialen auf:

Lituus (links) - ARATVS (Mitte) - Simpuvium (rechts)

Links oberhalb von diesem wird er zudem von einem kleinen rechteckigem Gegenstempel flankiert:

T (I) (B)

Das T ist noch gut zu erkennen, jedoch sind die restlichen Buchstaben leider erodiert. Trotzdem lässt sich der Stempel rekonstruieren. Nach U. Werz datiert der rechteckige TIB Gegenstempel in die spätaugusteisch-frühtiberische Zeit.

Laut Sueton war Germanicus "ein Talent, das in griechischer und lateinischer Beredsamkeit und Wissenschaft sich gleich bedeutend erwies...". Zudem hatte dieser auch griechische Komödien hinterlassen (Sueton, Caligula 2)

Germanicus befasste sich mit dem griechischen Gelehrten Aratos von Soloi.

Aratea des Germanicus – Wikipedia

Aratos von Soloi – Wikipedia

Translating the Heavens: Aratus, Germanicus, and the Poetics of Latin Translation. Lang Classical Studies vol. XIV – Bryn Mawr Classical Review

Das es sich bei dem Namen ARATVS hierbei um keinen(!) Eigennamen bzw. Fabrikantenstempel handeln kann, beweisen die Priestergeräte, welche links und rechts des Namens angebracht sind. Sie sind die Wahrzeichen der imperatorischen Macht und des Princeps. Germanicus war bekanntlich Princeps.

In Haltern wurde ein vollständiges bronzenes Tintenfässchen gefunden. Die Form stimmt mit dem von mir aufgefundenen Stück fast überein.

Arachne - Individual object 220322: Tintenfass - Haltern am See, LWL-Römermuseum Haltern am See

Es ist somit der erste nachweisliche Fund des Germanicus - in der Mitte Germaniens. Wie dieser dorthin gelangte gilt es weiter zu untersuchen. Es ist jedoch kein Zufall, da die bisherigen Münzfunde des Germanicus-Horizont fast ausnahmslos zwischen Weser und Elbe aufgefunden worden sind.

PS: Ein paar Meter weiter fand ich Wochen vorher die Norisch-Pannonische Fibel, welche in die gleiche Zeit datiert (RKZ B1a).
 

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Zunächst einmal Gratulation zu dem Fund. Wenn ich mir auf der Karte anschaue, wo Freyburg (Unstrut) liegt, dann sind wir schon recht weit im Barbaricum bzw. in media Germania, wie Du schon geschrieben hast.

Neben den Funden sind doch auch die Befunde interessant:

Wie kommt ein römischer Tintenfassdeckel und eine Fibel dahin?
War da ein römisches Marschlager?
Oder eine germanische Siedlung, in der man vielleicht als Geschenk diese Stücke hatte?
Oder sind diese Gegenstände zwischendurch zufällig verlorengegangen/weggeworfen worden? Dann müßte am Fundort irgendeine Marschroute gelegen haben.​

Ich vermute, das Landesdenkmalamt in Sachsen-Anhalt ist schon informiert.
 
Freyburg an der Unstrut kenne ich leider nur von einer Stippvisite, kurz Kirche von außen und Neuenburg angeschaut - war auf der Durchfahrt. Dass jetzt dort Germanicus sozusagen sein Reiseneccessaire verloren oder liegen gelassen hat verblüfft mich!
Gratulation zu dem Fund, egal als was er sich erweisen wird.
 
@Hermundure,
zunächst meinen Glückwunsch zu diesem bedeutenden Fund. Er könnte tatsächlich auf verstärkte römische Aktivitäten südlich des Harzes hinweisen. U.a. im Zusammenhang mit der Drusus- Vor-Geschichte. Gibt es , außer der bekannten Gegenstempelung von Münzen noch andere Beispiele für diese zusätzlichen Markierungen?
Grüße
 
Ich will nicht ausschließen, dass es sich um einen Tintenfassdeckel handelt. Jedoch scheint mir die Stärke des Materials dafür zu dick zu sein. Was genau ist das für ein Material? Eisen?
 
Zaumzeug, falls kein Deckel ist?

Eine Zierscheibe kann auch der Feldherr überall verlieren.
Nuja, es ist noch nicht sehr überzeugend, dass ARATVS auf Germanicus hinwiese, nur weil dieser ein Gedicht von Aratos (eben Germanicus‘ Aratea) als Anregung für eine eigene Bearbeitung des Stoffes hergenommen hat. Man stelle sich vor, man fände an einem beliebigen Ort auf dem Gebiet der ehem. DDR ein Tintenfass mit dem Schriftzug „Goethe“ und würde dies Bertholt Brecht zuordnen, nur weil der mal Wanderers Nachtlied bearbeitet hat (Liturgie vom Hauch).
Ich sehe auch noch nicht zwingend, dass ARATVS von lituus und simpulum flankiert wird. [ʔ]ARATVS[simpulum].
Den vermeintlichen lituus kann ich noch nachvollziehen, das vermeintliche simpulum könnte auch ein v sein.
 
Ich machte einen Vorschlag, falls es doch kein Deckel sein sollte.
Und warum wurden Tintenfassdeckel wie Münzen gestempelt?
 
Das hat weder mit meiner Aussage noch mit meiner Frage irgendetwas zu tun. Ich habe keine Aussage zum Wert getätigt.
 
Deckel oder Zaumzeug stellten keinen derartigen Wert dar, wenn sie nicht aus Silber oder Gold waren.

Folgen wir mal der gewagten These, es handele sich um den Tintenfassdeckel des Germanicus: Warum sollte ausgerechnet der gegengestempelt sein?
Ich bin mir auch nicht sicher, ob es sich tatsächlich um einen Gegenstempel handelt. Fest steht, dass hier eine mechanische Kraft eingewirkt hat.
 
Ich denke, wir können hier alle nur spekulieren. Ob der Fund nun ein Tintenfassdeckel, ein Teil des Pferdegeschirrs, ein Gewicht oder irgendetwas anderes sein sollte, können wohl nur Archäologen anhand des Originals beurteilen. Zumindest ist es römisches und das ist ja schon so weit vom Rhein entfernt eine kleine Sensation.
 
Seltsam ist der Rand um die mittlere Öffnung. Er zeigt eine kontinuierliche Steigung mit abruptem Abfall. Ahnliches ist mir aus alten Uhrwerken bekannt, wo ein Zapfen auf einer drehenden Achse plötzlich einen kurzen Sprung in Längsrichtung bewirkt. Ich vermeine eine gleitende Schleifspur des Zapfens auf diesem Rand zu erkennen, die auch wenig Korrosion aufweist.(Bild3)
Sollte es sich um ein ähnliches technisches Gerät handeln, wäre eine Eichmarke nicht ungewöhnlich. Aber wir sind weit weg von Antykythera.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wieso sollte auf einem Gewicht oder einem Teil eines Pferdegeschirrs "Aratus" stehen?

Ich bin allerdings auch nicht überzeugt, dass damit wirklich der Dichter/Gelehrte gemeint ist.
 
Ich gratuliere jetzt mal nicht - als Archäologe sehe ich nämlich Privatgrabungen und Sondengänger sehr kritisch. Wer hat das Metallscheibchen denn gereinigt?

Und dann möchte ich mich in den Kreis der Skeptiker einreihen.

Ich kann im Namensstempel auch keinen Lituus und kein Simpulum erkennen Ich würde mich auch über deren Bedeutung wundern. Zunächst einmal müßten sie ja Teil des Namensstempels gewesen sein - was dann aber eher darauf hinweisen würde, daß ein Aratus sich als Priester zeigt.
Was soll das mit Germanicus zu tun haben? Und wann war Germanicus Princeps? Als er starb, war Tiberius Princeps. Und selbst wenn, sind diese Kultgeräte keine ausschließlichen Insignien imperatorischer Gewalt. Da sehe ich gar keinen Zusammenhang.

Ich frage mich auch, was ein Gegenstempel, wenn es denn einer sein sollte, ich kann dort auch kein T erkennen, für einen Zweck haben sollte?

Zum Material: Über dem ersten A scheint ein moderner Abrieb zu sein, und die sehr goldige Farbe würde mich zu der Frage hinreißen, ob es sich um Messing handeln könnte?
 
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