Unterschiede in der Hygiene mögliche Ursache für die Judenpogrome?

Little_Tiger

Mitglied
Ich weiß, ich bewege mich auf dünnen Eis.
Aber ich bin der Meinung, als nicht Historiker darf ich das.


In meiner Heimatstadt Fürth gibt es ein jüdisches Museum mit einer 'Mikwe'.
Bei einer Führung vor lange Zeit wurde uns gesagt, dass dort Frauen regelmäßig badeten.
Es wurde auch gesagt, dass es daneben viele andere rituelle "Waschungen" in Judentum gab/gibt.

Auf der anderen Seite, wird behauptet, dass die Christen im Mittelalter das "Wasser fürchteten, wie den Teufel" und es mit der Hygiene nicht so genau nahmen.

Kann es sein, dass die Unterschiedliche in der Hygiene dazu führte, dass Christen viel mehr von Infektionskrankheiten betroffen waren, als Juden.
Und somit der Verdacht auf kam, dass die Juden mit den Teufel im Bunde stehen müssten......?

Somit meine zugegebene provozierende Frage, war die unterschiedliche Hygiene zwischen Christen und Juden eine der Ursachen für die Pogrome im Mittelalter?
 
Sofern man sich um das Thema "Pogrom" bemüht, dann gibt es "validere" Erklärungen, beispielsweise für Russland.

Political and economic drivers of pogroms | VOX, CEPR Policy Portal

Sofern man auf Pogrome abstellt ist vor allem der Kontext zum zaristischen Russland relevant.

Ob unterschiedliche Reinlichkeitsvorstellungen im Mittelalter eine Rolle gespielt haben ist wohl vor allem durch die Vorstellunge des "reichen Juden" mit verursacht. Besonders im Osten war die jüdische Bevölkerung sehr arm und wird sich kaum den Luxus einer "erhöhten" Körperpflege geleistet haben.
 
Sofern man sich um das Thema "Pogrom" bemüht, dann gibt es "validere" Erklärungen, beispielsweise für Russland.

Political and economic drivers of pogroms | VOX, CEPR Policy Portal

Sofern man auf Pogrome abstellt ist vor allem der Kontext zum zaristischen Russland relevant.

Ob unterschiedliche Reinlichkeitsvorstellungen im Mittelalter eine Rolle gespielt haben ist wohl vor allem durch die Vorstellunge des "reichen Juden" mit verursacht. Besonders im Osten war die jüdische Bevölkerung sehr arm und wird sich kaum den Luxus einer "erhöhten" Körperpflege geleistet haben.
 
Wie gesagt, ich bin kein Historiker.

Und ich kann nur das schildern, was ich gesehen und gehört habe.
Und dies bezieht sich auf Fürth und vermutl. auch auf ähnliche Städte in Europa.
Das augenscheinlich im Mittelalter die Juden sich öfters gewaschen haben aus als Christen.
Und das dies zu einer geringeren Anfälligkeit für Infektionskrankheiten führen konnte.


Aber es stimmt schon, die meisten Juden lebten in Europa unter der Knute der Zaren und lebte unter erbärmlichen Bedingungen.

(ohne Gewähr)
 
Auf der anderen Seite, wird behauptet, dass die Christen im Mittelalter das "Wasser fürchteten, wie den Teufel" und es mit der Hygiene nicht so genau nahmen.

Schon hier muss man ziemlich genau gucken, von welcher Zeit und welchen Gebieten geredet wird. Über weite Strecken gab es damals eine recht weit entwickelte Bade-Kultur, die sich in den Städten großer Beliebtheit erfreute. Auf dem Land lagen die Dinge ohnehin anders.
 
Das stimmt natürlich.

Bevor ich den Artikel zur Diskussion gestellt haben, habe ich mir 'Infos' von Dr. Google beschafft.
Und Dr. Google hat auch von der Badekultur im Mittelalter berichtet.

Aber wie es bei Google so ist, seine Aussage sind für den Laien häufig widersprüchlich, da aus dem Kontext gerissen.
 
Auf der anderen Seite, wird behauptet, dass die Christen im Mittelalter das "Wasser fürchteten, wie den Teufel" und es mit der Hygiene nicht so genau nahmen.

Dieser Nonsens gehört zu den unausrottbaren neuzeitlichen "Mittelalter-Märchen".

Hier einige Informationen zu Badehäusern in der Gegend:

Ein Badehaus in Fürth lässt sich im ausgehenden 15. Jahrhundert genau lokalisieren:
Bäder – FürthWiki

In Nürnberg soll es 14 Badehäuser gegeben haben, das Irrerbad ist schon 1326 aktenkundig. Vor gut zwei Jahren gab es mal eine Ausstellung dazu:
Badehaus, Badestube, Volksbad
Irrerstraße » Nürnberger Archäologieverein
Mittelalterliches Badehaus in Nürnberg - Architekturforum Architectura Pro Homine

Ein sehr gut erhaltenes Badehaus aus dem Jahr 1450 ist in Wendelstein erhalten:
Badhaus Wendelstein – Wikipedia
 
In meiner Heimatstadt Fürth gibt es ein jüdisches Museum mit einer 'Mikwe'.
Bei einer Führung vor lange Zeit wurde uns gesagt, dass dort Frauen regelmäßig badeten.
Die Mikwe ist nach der Monatsblutung und nach Geburten aufzusuchen - also einmal im Monat oder nach neun Monaten. Das ist zwar regelmäßig, aber nicht gerade häufig. Ich glaube nicht, dass derartige religiöse Reinheitsvorschriften medizinisch besonders viel bewirkt haben.

Auf jüdische Reinheitsvorschriften wird in antisemitischen Vorstellungen häufig angespielt, wobei die Vorschriften ins Gegenteil verkehrt werden. Die Vorwürfe gegenüber den Juden ähneln der Hexerei und das Judentum wird als insgeheimer Satanskult imaginiert.
Im Judentum gilt Blut als unrein und der Konsum von Blut ist streng verboten. Im antisemitischen Zerrbild werden sich Juden jedoch als Blutsauger vorgestellt.
Bekanntlich sind Schweine nicht koscher, trotzdem entstand im Mittelalter die Vorstellung der "Judensau".
Der Vorwurf des Brunnenvergiftens verkehrt ebenfalls die jüdische Reinheitsvorschriften in ihr Gegenteil. Die mittelalterliche Vorstellung ist, dass die Brunnenvegiftung zur Ausbreitung von Seuchen wie Lepra oder der Pest führt. Die tatsächliche Infektionswege hatte man damals aber auch nicht verstanden.

Tatsächlich kam es im Zusammenhang des Pestwellen im Spätmittelalter zu großen Judenprogromen im deutschsprachigen Raum. In vielen Städten wurde die gesamte jüdische Bevölkerung umgebracht oder vertrieben. Viele deutschsprachige Juden flohen daraufhin nach Osteuropa, was zur Verbreitung der jiddischen Sprache führte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Mike ist ja nur der 'vielen' Reinheitsvorschriften und war nur als Beispiel angeführt.

Nun, ich bin kein Mediziner.
Aber so als Laie kann ich mir vorstellen, dass die Summe der Reinheitsgebote zu einer besseren Gesundheit geführt hat. Analog der Muslime mit ihren Gebot des Waschen vor den Moscheebesuch.

Ich habe ein wenig gegoogelt zu diesem Thema, es gibt hierzu verschiedene Aussagen zur Hygiene im Mittelalter bei den Christen.

PS: Was da psychologisch abging im Mittelalter, mit der Projektion vom eigenen Verhalten auf Andere (hier: Juden), kann ich nicht bewerten.
 
Auf der anderen Seite, wird behauptet, dass die Christen im Mittelalter das "Wasser fürchteten, wie den Teufel" und es mit der Hygiene nicht so genau nahmen.
Die Angst vor dem Wasser ist ein Produkt der frühen Neuzeit und wahrscheinlich dadurch verursacht, dass man die Badehäuser für die Verbreitung der Pest im 14. Jh. verantwortlich machte (was in gewisser Weise nicht ganz falsch ist). Berühmt ist die Wasserscheu vom Sonnenkönig, der sich auschließlich einparfümiert haben soll.
 
Auf der anderen Seite, wird behauptet, dass die Christen im Mittelalter das "Wasser fürchteten, wie den Teufel" und es mit der Hygiene nicht so genau nahmen.

Und an dieser Stelle krankt die ganze Theorie, weil das Mittelalter bei weitem nicht so unhygienisch war, wie das in der Populärkultur gerne dargestellt wird.
Im Gegenteil, dass Mittelalter hatte eine ziemlich ausgedehnte Bäderkultur, die sich erst in der frühen Neuzeit verlor.
 
Aber so als Laie kann ich mir vorstellen, dass die Summe der Reinheitsgebote zu einer besseren Gesundheit geführt hat. Analog der Muslime mit ihren Gebot des Waschen vor den Moscheebesuch.

Du musst die Vorschriften auch vor dem Hintergrund ihres Entstehungskontextes betrachten.

Der Islam kommt aus einer Gegend, in der man es doch sehr viel mit Wüstengegenden zu tun hat.

Das bedeutet, dass da sehr viele Reisende unterwegs sind, die Möglicherweise seit Wochen nicht die Gelegenheit hatten sich zu waschen, weil nirgendwo auf dem Weg Wasservorkommen zu finden waren, die groß genug waren, dass sie das erlaubt hätten.
Was meinst du, wie jemand, der seit Wochen in der Wüste unterwegs ist und die ganze Zeit dabei engen Kontakt mit Kamelen, etc. gehabt hat, mieft?
Was meinst du, wenn der über Wochen irgendwo im Sand der Wüste geschlafen hat oder wenn es dort ein bisschen windiger war, wie viel Sand sich da in der Kleidung ansammelte, der, wenn diese vorher nicht abgelegt worden wäre, in die Gebetsstätte geschleppt worden wäre und der später wieder hätte entfernt werden müssen?

Für sehr viele dieser Vorschriften gibt es im Bereich ihrer Entstehungskontexte sehr banale Erklärungen, die nicht viel mit höheren theoretischen Ansprüchen zu tun haben.
Und viele dieser Vorschriften machen nur im ihren jeweiligen Entstehungskontexten mit deren spezifischen Umweltbedingungen wirklich Sinn, während der tatsächliche Mehrwert sich in vollkommen anderen Kontexten doch sehr in Grenzen hält.
 
Die Angst vor dem Wasser ist ein Produkt der frühen Neuzeit und wahrscheinlich dadurch verursacht, dass man die Badehäuser für die Verbreitung der Pest im 14. Jh. verantwortlich machte.
Dazu habe ich eine aufschlussreiche Quelle entdeckt, vom französischen Arzt Theophraste Renaudot aus einem medizinischen Traktat, 1655:
Das Baden ist, außer aus dringenden medizinischen Gründen, nicht nur überflüssig, sondern auch sehr schädlich für die Menschen. Das Baden hat eine zerstörerische Wirkung auf den Körper und macht, und macht ihn durch das eindringende Wasser für die schlechte Eigenschaften der Luft empfänglich. Das Baden füllt den Kopf mit Dämpfen, ist ein Feind von Nerven und Sehnen, es tötet die Frucht im Leib der Mütter.
 
Dieser Nonsens gehört zu den unausrottbaren neuzeitlichen "Mittelalter-Märchen".

Hier einige Informationen zu Badehäusern in der Gegend:
Das ist kein Nonsens: Die Badekultur der Römer war im Westen nach und nach verschwunden, im Osten lebte sie jedoch weiter, auch die Muslime haben sie übernommen und mit einigen Veränderungen weiter gepflegt. Diese Badekultur haben die Kreuzfahrer dort kennengelernt und in den Westen gebracht. Ab dem 12. Jhdt., also nach dem 1. Kreuzzug, gab es auch im Westen Badehäuser. Das kann man hier nachlesen.
 
Was ich nicht ganz verstehe bei dem Thema:
Hier, wie auch in älteren Threads, wird die Badehauskultur immer im Zusammenhang mit der Hygiene gesehen.
War diese aber nicht eher ein gesellschaftliches Ereignis?
Hygiene betrieb man (oder man betrieb sie eben nicht) mit der Waschschüssel und dem Waschlappen zu Hause, dafür brauchte es kein Badehaus.
Dorthin ging man, um sich den neuesten Tratsch anzuhören.
Aus dem Nichtvorhandensein von Badehäusern auf mangelnde Hygiene zu schließen, halte ich für abwegig.
Ebenso wie die Mikwe eben kein Zeichen besonders ausgeprägter Hygiene ist. Auch die Juden wuschen sich an den meisten Tagen ganz normal zu Hause.
 
Das ist kein Nonsens: Die Badekultur der Römer war im Westen nach und nach verschwunden
... gebadet wurde aber auch weiterhin. Einhard schreibt über Karl den Großen:

"Delectabatur etiam vaporibus aquarum naturaliter calentium, frequenti natatu corpus exercens; cuius adeo peritus fuit, ut nullus ei iuste valeat anteferri. Ob hoc etiam Aquisgrani regiam exstruxit ibique extremis vitae annis usque ad obitum perpetim habitavit. Et non solum filios ad balneum, verum optimates et amicos, aliquando etiam satellitum et custodum corporis turbam invitavit, ita ut nonnumquam centum vel eo amplius homines una lavarentur."
Vita Karoli Magni - Wikisource
(Er erfreute sich auch an den Dämpfen der Thermalquellen, oft trainierte er den Körper durch das Schwimmen; er war darin so geübt, dass ihm keiner etwas vormachen konnte. Deswegen baute er auch eine Residenz in Aachen und lebte dort dauerhaft in seinen letzten Lebensjahren bis zu seinem Tod. Und er lud nicht nur seine Söhne zum Baden ein, sondern auch die Adligen und Freunde, manchmal auch sein Gefolge und seine Leibwachen in Scharen, so daß zuweilen hundert oder noch mehr Menschen zusammen badeten.)

Gebadet wurde in Bischofsresidenzen, gebadet wurde in Klöstern, gebadet wurde in Burgen, archäologisch und quellenmäßig nachweisbar:

Auf Burgen lassen sich Badestuben in Schriftquellen recht früh fassen. Von der Burg Persenbeug in Österreich wird ein Unfall geschildert, als 1045 — in Anwesenheit von Kaiser Heinrich III. - plötzlich «ein Pfeiler der Holzkonstruktion des Speisesaales, in welchem sie sassen, von seinem Platz wich, fielen sie in die Badestube, die eben zu dieser Zeit mit Wasser gefüllt wurde, das über den Berg geleitet wurde». Dabei kam u.a. der Bischof von Würzburg ums Leben. Literarisch wird im «Herzog Ernst» das Badehaus der phantastischen «Burg Grippa» mit zwei rotgoldenen Badewannen und Kalt- und Warmwasserzufluss sowie einem Abfluss aus Eisen etwas überhöht beschrieben.
[...]
Zweifellos hat es nicht auf jeder Burg eine Badestube gegeben, da man hierfür einfach eine Kufe mit Wasser in einem beliebigen Zimmer oder im Freien aufstellen konnte. Auch im Winter konnte jeder beheizte Raum zum Baden genutzt werden. Aus der Erzählung «Der nackte Bote» vom Strickler geht hervor, dass es anscheinend auch auf kleineren Burgen eigene Badestuben gegeben hat, die — im geschilderten Fall - die herrschaftliche Familie im Herbst als Wohnraum nutzte, weil die Kemenate erst im Winter beheizt wurde.

https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=mit-003:2001:6::175

Siehe auch:
Baderegeln oder -verbote im mittelalterlichen Christentum
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier noch der St. Galler Klosterplan aus der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts.
Blau eingerahmt sind die Badehäuser bzw. -räume.

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