Buchtipp: David Frankfurter. Ich tötete einen Nazi

ursi

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Am 4. Februar 1936 erschoss der Medizinstudent David Frankfurter in Davos den NSDAP Landesgruppenführer Wilhelm Gustloff.
Er wurde in der Schweiz zu 18 Jahren verurteilt und nach dem zweiten Weltkrieg begnadigt und aus der Schweiz ausgewiesen.
1946 schrieb er gemeinsam mit Schalom Ben-Chorin seine Lebensgeschichte auf. Seine Memoiren erschienen 1948 auf hebräisch unter dem Titel Nakam (das biblische Wort für Rache).

Im Oktober 2022 erschien nun erstmals ungekürzt in deutscher Sprache seine Memoiren.

Frankfurter David: Ich tötete eine Nazi. S.Marix Verlag. 1946. Neuauflage 4.10.2022. 319 Seiten.


https://www.nzz.ch/feuilleton/david-frankfurter-erinnert-sich-wie-er-gustloff-umbrachte-ld.1712599
 
@ursi die verlinkte Rezension erweckt bei mir den Eindruck, dass das Buch eine zwar formal stringent konstruierte, aber insgesamt pathetische ("sprachgewaltig") Selbstbeweihräucherung sein könnte - du hast das Buch gelesen: ist die Rezension eher unglücklich formuliert, also das Buch lesenswert? Ich habe vorher von dieser Geschichte noch nie gehört.
 
@ursi die verlinkte Rezension erweckt bei mir den Eindruck, dass das Buch eine zwar formal stringent konstruierte, aber insgesamt pathetische ("sprachgewaltig") Selbstbeweihräucherung sein könnte - du hast das Buch gelesen: ist die Rezension eher unglücklich formuliert, also das Buch lesenswert? Ich habe vorher von dieser Geschichte noch nie gehört.

Das Buch ist lesenswert. Seine Memoiren ist alles andere als eine pathetische Geschichte. Zeitnah und ehrlich geschrieben. Er beschreibt seine Kindheit, seine Studienjahre in Deutschland, die Vorbereitung der Tat, die Tat selber, der Prozess, sein Leben im Gefängnis bis zu seine Entlassung und dann wie er in Tel Aviv erfuhr wer von seiner Familie überlebt hat - und seine erste Anstellung in einem Flüchtlingsheim für Kinder. Hier endet es.

Wilhelm Gustloff war der Landesgruppenleiter der NSDAP, er hatte sein Büro in Davos. In der Schweiz gab es schon sehr früh Ortsgruppen, die erste war in Zürich (muss das Datum nachschauen ist mir jetzt gerade nicht mehr präsent.).
Gustloff lebte bereits ab 1917 in der Schweiz, er hatte ein Lungenleiden und deshalb lies er sich in Davos nieder. So weit zu ihm.

David Frankfurter stammte aus einer Rabbinerfamilie und kam 1933 in die Schweiz, er studierte in Bern Medizin. Als er 1934 kurz nach Hause fuhr, wurde er Zeuge wie sein Onkel von Nazis misshandelt wurden.

Er entschloss sich zu handeln - an Hitler kam er nicht ran - dafür an Gustloff in Davos. Am 4.2.1936 ging er zur Wohnung der Gustloffs, Hedwig die Ehefrau von Gustloff lies in rein und führte ihn in Büro, dort warte Frankfurter auf den Landesgruppenleiter und erschoss ihn als er zur Türe reinkam.

Kurz darauf stellte er sich der Polizei.

Die ganze Geschichte ist sehr gut dokumentiert - es gibt unzählige Quellen dazu. Sei es die Propagandabilder wie der Sarg von Davos nach Schwerin transportiert wurde - schriftquellen des Prozesses, Verhörprotokolle von Frankfurter, Zeitungsberichte aus der Schweiz und dem Reich. Was bis jetzt gefehlt hat ist die Deutsche Übersetzung der Memoiren von Frankfurter.

Der Prozess war ein Medienereignis, Goebbels schickte seine besten Männer in die Schweiz und heuerte eine bekannten NS Anwalt an. Und auch hier versuchten die Nationalsozialisten nach dem Urteil Hintermänner zu finden - die gab es nicht.

Ein KdF Schiff wurde nach Wilhelm Gustloff benannt, getauft wurde es 1937 von der Witwe von Wilhelm Gustloff. Versenkt wurde es am 30. Januar 1945 - am Geburtstag von Wilhelm Gustloff. Strassen wurden nach ihm benannt oder umbenannt, etc. In Schwerin wurde 1947 das Denkmal gesprengt. Dann gab es noch die Wilhelm Gustloff Stiftung und die -Werke.

Erst durch das Attentat wurde Gustloff in Deutschland wirklich bekannt - davor war er ein Landesgruppenführer der AO, der da bekannt war aber mehr nicht. Die Schweizer Bundespolizei beobachtete sein tun in der Schweiz.

Und David Frankfurter wurde verurteilt, sass in der Schweiz bis zum Kriegsende im Gefängnis und wurde am 1. Juni 1945 begnadigt und musste die Schweiz verlassen. 1969 durfte er dann wieder in die Schweiz einreisen.

In einem Zeitungsinterview sagte er 1969 auf die Frage ob die Tat heute noch durchführen würde: "Ich weiss es nicht. Ich bin älter geworden, erfahrener; mit 27 handelt man anders als mit 60, die Situation ist heute anders als damals. Und während der 24 Jahre, die ich jetzt in Israel lebe, habe ich sehr viel Distanz zu dieser ganzen Affäre gewonnen. Trotzdem: Wahrscheinlich würde ich noch einmal so handeln." Die Bestraffung fand er in Ordnung, sie war für ihn selbstverständlich. "Ich erschiesse Gustloff, es gibt eine Prozess, ich werde verurteilt und gehe in die Zelle."

Noch ein Buch dazu:
Fuhrer, Armin: Tod in Davos. David Frankfurter und das Attentat auf Wilhlem Gustloff. Metropol Verlag. 2012 189 Seiten.
 
Besten Dank! Das liest sich ganz anders als die Rezension - das Buch ist bestellt.

Dann bin ich mal gespannt. Was ich noch vergessen habe zu schreiben. Die Entstehungsgeschichte, vor allem die Zusammenarbeit zischen Schalom Ben-Chorin und Frankfurter, wird auch erzählt, eine kurze Biographie der Familie und im Nachwort dann noch was danach veröffentlicht wurde. Wie das Buch das ich oben noch erwähnt habe oder der Film Konfrontation von Rolf Lyssy einem Schweizer Regisseur.

Konfrontation (Film) – Wikipedia
 
Schweizer Geschichte - ausgenommen der Festungsbau :D - ist eine meiner vielen Bildungslücken, einen kleinen Teil davon werde ich hoffentlich schließen können :)
 
Interessante Buchvorstellung, @ursi!

Als ursi die Persönlichkeit von Wilhelm Gustloff skizzierte, musste ich noch an einen anderen politischen Mord denken: An Herrschel Grynspan, der 1938 den Gesandten Ernst von Rath erschoss. Grynspans Familie war aus dem Deutschen Reich ausgewiesen worden, wie auch in zahlreichen anderen Fällen weigerten sich die polnischen Behörden, die Ausgewiesenen aufzunehmen, und Grynspans Familie vegetierte wochenlang im Niemandsland.

Daraufhin besorgte sich Herrschel Grynspan eine Pistole und erschoss den deutschen Gesandtschaftsrat von Rath. Dieser politische Mord wurde zum Anlass für die bis dahin heftigsten Pogrome in Deutschland.

Nach Grynszpans Tat wurde von Rath mit großem propagandistischem Aufwand zum Märtyrer und "Blutzeugen der Bewegung" stilisiert. Gegensatz zu Wilhelm Gustloff entsprach Ernst von Rath aber nicht unbedingt dem Bild eines dogmatischen, aggressiven Nazis, und sein Privatleben hätte von Rath auch leicht in Konflikt mit dem Nazi-Staat führen können, der seinen Tod nutzte, um die übelsten Pogrome in D zu entfesseln und diese als spontanen Ausbruch des Volkszorns hinzustellen.

Ernst von Rath war homosexuell, und er verkehrte recht offen in einschlägigen Pariser "Schwulenbars". Bei diesen Kontakten hatte von Rath sich mit einem Tripper infiziert, und er hatte wegen einer gonorrhoischen Mastdarminfektion mehrere Ärzte aufsuchen müssen. Von Rath hatte sich deswegen in Berlin an jüdische Ärzte gewandt, vermutlich weil er davon ausging, dass diese die Diagnose nicht zu seinen Ungunsten benutzen und ihn denunzieren würden.

Ernst von Raths sexuelle Orientierung war in Kollegenkreisen bekannt. Herrschel Grynszpan hatte bei seiner Vernehmung behauptet, von Rath habe ihn mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt und er habe als Zuhälter und Stricher für von Rath gearbeitet.

Goebbels gab sofort die Linie vor: Die Ermordung Ernst von Raths sei ein Fememord gewesen, ausgerichtet von den Weisen von Zion. Um von Rath aber als Blutzeugen der Bewegung zu stilisieren, musste natürlich alles, was an von Raths Biographie nicht so recht ins Bild passte, geglättet werden.

Mit Ernst von Rath wurde ein offen bekennender Homosexueller zum Märtyrer und "Blutzeugen der Bewegung" stilisiert, dessen Privatleben im totalen Widerspruch zur Nazi-Ideologie und zur akzeptierten Sexualmoral stand und das von Rath durchaus in große Probleme bringen konnte.
 
Zu dem Attentat von Herschel gibt es eine Biographie.

Fuhrer Armin: Herschel. Das Attentat des Herschel Grynszpan am 7. November 1938 und der Beginn des Holocaust. Berlin Story Verlag. 2013. 365 Seiten.

Grynszpan wurde in Paris inhaftiert und nach dem Frankreich von den Deutschen angegriffen wurden, von Paris mit dem Zug Richtung Süden gebracht. Er entkam bei einem Bombenangriff wurde aber kurz darauf wieder verhaftet und dann nach Toulouse gebracht. Am 18. Juli 1940 wurde er den Deutschen übergeben. Was aus ihm geworden ist weiss man nicht. Es gibt da unterschiedliche Theorien. Gesichert ist es das er an der Prinz-Albrecht-Strasse war und im KZ Sachsenhausen. Es sollte dann später einen Schauprozess geben, der fand aber wie der von Elser nicht statt. Wann er gestorben ist, dazu gibt es keine Quellen nur Theorien.

Die Eltern von Grynszpan überlebten den Krieg in der Sowjetunion , sein Bruder Markus war in der Roten Armee und überlebte den Krieg ebenfalls, er machte sich 1947/48 auf die Suche nach seinem Bruder - vergebens. Seine Schwester Berta starb noch während des Krieges auf der Flucht.
1960 wurde Herschel in Hannover für Tot erklärt und 1961 war der Vater Zeuge beim Eichmann-Prozess.
 
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