Es mag plausibel sein, dass die Arbeit von Leibeigenen weniger produktiv war als die freier Lohnarbeiter, aber natürlich muss es volkswirtschaftlich Nachteile mit sich gebracht haben, wenn ein Teil der leibeigenen Arbeit ausfiel. Das gilt unabhängig von der Frage, wer innerhalb der russischen Gesellschaft diese Verluste letztlich tragen musste.
Das Argument wäre nur dann richtig, wenn eine andere Regelung diese Ausfälle verhindert hätte.
Das wäre der Fall gewesen, wenn sich Russland einfach weniger Soldaten geleistet hätte. Aber darum ging es ja nicht, sondern es ging ja in der Frage darum, ob sich die Länge der Dienstzeit von 12 Jahren wirtschaftlich negativ auswirkte.
Volkswirtschaftlich gesehen dürfte es im Prinzip aber herzlich wenig Unterschied machen, ob man einen relativ kleinen Pool von Einwohnern hat, die 12 Jahre lang der Wirtschaft nicht zur Verfügung stehen, oder ob man einen größeren Pool an Rekruten hat, die alle 2 oder 3 Jahre Militärdienst leisten und mmit denen man am Ende auf die gleiche Kopfzahl kommt.
Dann käme noch hinzu, dass es bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Usus war, dass Soldaten ohnehin Teilzeitsoldaten waren, weil wegen der Witterungsbedingungen und der Infrastruktur, die eben noch nicht mit der heutigen vergelichbar war (zumal in Osteuropa), selten im Winter Krieg geführt wurde.
Wenn die Soldaten außerhalb der Kriegssaison in den Quartieren saßen, war es nicht unüblich, dass sie einen erheblichen Teil ihrer Zeit mit handwerklichen Tätigkeiten verbrachten um ihren Sold aufzubessern, mitunter wohl auch zu Bauprojekten herangezogen wurden etc.
So gesehen, waren Soldaten auch kein Totalverlust, von wirtschaftlicher Seite her.
Wenn man sich demgegenüber die Frage stellen wollte, ob Russland nicht auch mit deutlich weniger Soldaten ausgekommen wäre und so die Belastugen hätte reduzieren können, wären verschiedene Dinge zu bedenken:
- Russlands technische und wirtschaftliche Rückständigkeit, die es nicht erlaubte die militärischen Innovationen Westeuropas bzw. technische Lösungen von dort wirklich zeitnah nachzuvollziehen. Z.B. war Russland mit Hinterladern als Standartwaffen für die Infanterie deutlich später drann, ebenso wie mit der Einführung von entsprechenden Patronenmagazinen, die eine schnellere Schussfolge erlaubten, so dass man durch die schlechtere Ausrüstung den Kampfwert eines russischen Soldaten geringer wird ansetzen müssen, als den eines Westeuropäischen.
Gerade das längere Beibehalten von Vorderladern machte es auch notwenig die Truppen weiterhin für den Formationskampf zu drillen, was erfahrungsgemäß sehr lange dauern konnte, bis diese die Mannöver tatsächlich auch beherrschten.
Das war ein Punkt der für tendenziell längere Dienstzeiten sprach.
- Ein anderer Punkt, der für lange Dienstzeiten sprach, war die weite des Raumes. Im Besonderen der "Ferne Osten" war ja vor dem Dampf-Zeitalter tatsächlich extrem Fern und insofern Russland damals mit Alaska ja sogar noch Territorien in Nordamerika besaß, waren die Wege im Extremfall noch mal etwas weiter.
Jules Verne hat in seinem "Kurier des Zaren" die Reise nach Otsibirien (Irkutsk) in den 1870er Jahren mehr oder minder zu einem Abenteuerroman
verarbeitet und spielt da ja mit der Figur eines "Tartarenaufstands", abgerissener Nachrichtenwege nach St. Petersburg und der großen Entfernungen und abenteuerlichen Wegstrecken.
Aber Vernes "Michael Strogoff", muss als Kurier natürlich nicht Unmengen an Verpflegung und Ausrüstung mitschleppen und kann jedenfalls bis Perm bereits auf Eisenbahn und Dampfschiff zurückgreifen, richtig beschwehrlich wird es erst mit der Überquerung des Ural.
In der Zeit vor dem Konflikt um die preußische Heeresreform, die
@Turgot angesprochen hatte, gab es Eisenbahn und gut ausgebaute Dampfschifflinien dort noch nicht und schon einmal überhaupt nicht mit einer Kapazität, dass sie größere Truppen und Nachschub transportieren konnten.
Worauf möchte ich hinaus? Die enorme Ostausdehnung und die rudimentäre Infrastruktur sorgte dafür dass es Monate, im Extremfall Jahre brauchte, bis größere Truppenkörper von Westen her die äußersten Winkel des russischen Territoriums überhaupt erreichen konnten und das auch nur unter enormem Verschleiß von Truppen.
Das war natürlich nicht praktikabel.
Diese Ausdehnung und die nicht vorhandene Infrastruktur machten eine gewisse ständige Präsenz von Truppen in Sibiren, mindestens in den Hauptorten notwendig um das Land unter Kontrolle zu halten, zumal dort außer Strafdeportierten kaum Russen lebten (ein paar Kaufleute und Pelzjäger vielleicht), so dass die Gefahr von separatistischen Tendenzen in der Region durchaus real waren.
Ständige Präsenz im Fernen Osten, ließ sich aber nicht mit kurzen Dienstzeeiten vereinbaren.
Wenn die Truppen Monate, im Extremfall bis zu einem Jahr brauchen konnten, um überhaupt ihre Standorte zu erreichen und gleichzeitig die Ausbildung wegen der Vorderlader und des Formationskampfes längere Zeit in Anspruch nahm, als anderswo, wo man bereits zu Infanteriewaffen mit Hinterladervorrichtungenn überging (Tat man in Preußen seit den 1840er Jahren zunehmend), war das ohne die Soldaten tatsächlich auch einige Jahre unter Waffen zu halten, überhaupt nicht machbar.
- Kommt natürlich hinzu, dass die langen Wege es quasi unmöglich machten, dass die im Osten stehenden Truppen, in einem europäischen Krieg zeitig zum Einsatz gebracht werden konnten.
D.h. die Präsenz im Osten musste zusätzlich zu den stehenden Truppen in Europa unterhalten werden, und die widerrum mussten wegen ihrer tendenziellen technischen Unterlegenheit gegenüber Westeuropa die Armeen der potentiellen Kriegsgegner zusätzlich nummerisch deutlich übertreffen, um diesen Nachteil auszugleichen.
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Wenn man sich die reinen Zahlen in
@Turgot s Ausführung anschaut könnte man ja meinen, die russische Armee wäre vollkommen überdimensioniert gewesen, aber auch das übersieht einige Aspekte:
- Die Truppenzahl der regulären preußischen Armee zur Zeit des Konfliktes um die Heeresreform, war vielleicht nicht besonders beeindruckend, aber diese Armee war in zunehmendem Maße mit seit 1848 in Massenfabrikation hergestellten Zündnadelgewehren versehen und außerdem gab es ja zusätzlich zur regulären Armee noch die "Landwehr" als ergänzendes militärisches Instrument.
Außerdem war Preußen ja durch die Strukturen des Deutschen Bundes, der Im Fall eines Angriffs einer außerdeutschen Macht auf Preußen auch Österreich und die Mittelstaaten zur Stellung eines Bundesheeres zur Verteidigung des Bundegebiets verpflichteete gesichert und das Gleiche gilt von Österreich.
- Die Britische Armee, ist zu dieser Zeit nicht besonders groß, sie ist aber im Prinzip bis in den ersten Weltkrieg hinein, eine der bestausgerüsteten Streitkräfte der Welt, was die Ausrüstung des einzelnen Soldaten betrifft und sie war mehr oder weniger eine reine Interventionsarmee, die für die Verteidigung der britischen Inseln selbst kaum eine Rolle spielte, das konnte die Navy übernehmen.
Außerdem ermöglichten es die militärischen Strukturenn in Großbritannien vergleichbar mit der "Landwehr" in Preußen im Ernstfall die Miliz zu mobilisieren und damit die nummerische Stärke der Landstreitkräfte für den Verteidigungsfall deutlich zu erhöhen.
- Frankreich hatte keinen Deutschen Bund und keine Royal Navy, die es schützten, aber seine 400.000 Mann waren wesentlich moderner ausgerüstet, als die Million russischer Soldaten und Frankreich hatte auch keine großen Kolonien, die so weit abgelegen gewesen wären, dass sie vergleichbar dem russischen Fernen Osten dauernd massive Teilkräfte außerhalb Europas gebunden hätten.
Frankreich besaß zu dieser Zeit Kolonien im Maghreb und ansonsten noch ein paar leicht zu kontrollierende Inseln in der Karibik und vor Afrika, so wie einen Zipfel des südamierkanischen Kontinents (Farnzösisch Guayana).
Das ließ sich aber mit geringem Aufwand halten und aus der Küstenregion des Maghreb, konnte man Truppen relativ schnell nach Südfrankreich verschiffen, wenn es denn sein musste.
Auch fing in West- und Zentraleuropa natürlich das Dampfzeitalter und der Ausbau flächendeckend moderner Infarstruktur früher an, als in Russland und ermöglichte eher eine weit größere Mobilität an Truppen.
Das dürfte die von Turgot genannnten Zahlen etwas relativieren.
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