Geschichte zwischen Deskription und Spekulation, zwischen Faktischem und gewesen sein Könnendem

Ein weitere typische kontrafaktische, geschichtliche Fragestellung bot hier im Forum die Idee, ob der Nationalsozialismus hinsichtlich
der Verfolgung der und des Genozids an den Juden genauso ohne H. geschehen wäre.

Zu vorsichtigen, vorläufigen Beantwortung dieser Fragestellung waren substanzielle GeschichtsKenntnisse des Bereiches notwendig, nicht etwa primär die Kenntnis 'kausaler' Zusammenhänge.
Diese geschichtliche Fragestellung geht darum, ob die Existenz des Politikers Hitler kausal für die Judenverfolgung war. Zur Beantwortung braucht man natürlich substanzielle Geschichtskenntnisse. Wenn die Geschichtswissenschaft dazu keine Aussage treffen könnte (auch keine vorsichtige), wäre das schon traurig.
 
Ob sich die Stimmung dann zu einem revolutionären Aufstand steigert hängt zum einen davon ab, welche Schichten überhaupt betroffen sind.
Trifft die unzufriedenheit nur die unteren wirtschaftlich bedrückten Schichten, ohne entsprechende intellektuelle Anantgarde, die das politische System en gros im Blick hat und über weitergehende als regionale Kenntnisse verfügt, wird daraus in der Regel eine Hungerrevolte oder etwas in der Art, was darauf abzielt spontan doe dringensten bedürfnisse zu befriedigen oder die schlimmstenn Lasten los zu werden, aber dabei wird das System nicht in Frage gestellt.
Andersherum entwickelt Unzufriedenheit in der geistigen Avantgarde, die sich sozial in den mittleren Rängen befindet, die sich ausgebremst und zurückgesetzt wähnt, die aber keine Massenbasis hat, keine dementsprechenden revolutuonären Energien. usw.
(Ich wollte nur das Zitat begrenzen.)
Du hast hier vor allem folgendes getan: meine Trivialtheorie der Revolution um weitere, speziellere Gesetze angereichert. Plus einige Punkte angefügt, die einer allgemeinen Erklärung nicht zugänglich sind. Das widerlegt natürlich nicht die Möglichkeit, allgemeine Erklärungsmuster zu entwickeln und ist auch der Unterschied von wissenschaftlicher Erklärung zu solchen Pseudo-Wissenschaften wie dem HistoMat: hier geht es um "eherne Gesetze", die die Geschichte angeblich beherrschen, dort um Modelle, die einen Ausschnitt eines geschichtlichen Ereignisses (Revolution, Völkerwanderung, Entstehung eines Krieges, einer Seuche etc.) mit einem allgemeinen Modell zu erklären versuchen.
Bei der Völkerwanderung etwa sind es push- und pull-Modelle, und ganz gleich, ob man die nun als Syllogismus hinschreibt oder nur eher kursorisch davon spricht: man verwendet solche allgemeinen Erklärungen. Bei Ausbreitung von Seuchen die logistische Kurve, auf die auch die heutigen Corona-Modelle basieren und oftmals ganz gute Vorhersagen ergeben. Auch das sind, i.w.S., geschichtliche Ereignisse, zumal die logistische Funktion ganz allgemein für die Übertragung von Information gilt und damit auch z.B. die Enstehung von Gerüchten modelliert.
Es ist aber klar: je konkreter man wird, desto weniger werden solche Erklärungsmuster beisteuern können.

Ich möchte mal kurz auf die andere Seite der Wissenschaft schauen: zum Newtonschen Gravitationsgesetz. Es gibt wohl kaum ein Gesetz, das so gut belegt ist wie das (lassen wir den Einstein mal außen vor; lassen wir auch weg, dass es in den ersten 10^-14 Sekunden nach dem Big Bang nicht gegolten hat). So grundlegend dieses Gesetz auch ist: versucht man, die Bahnen von 3 oder mehr Körper, die sich gegenseitig anziehen, zu berechnen, gerät man schon im Fall 3 an die Grenzen der Mathematik, und darüber hinaus erst recht. (Three-body problem - Wikipedia ). M.a.W: versucht man, dieses allg. Gesetz auf konkrete Körper zu übertragen, wird es so komplex, dass es praktisch gar nicht lösbar ist. Und das schon bei 3 Körpern! Folgt daraus, dass man sich in der Physik vom Gravitationsgesetz verabschieden muss und besser die einzelnen Körper anschaut und qualitativ, vlt. sogar phänomenologisch, analysiert?
Und, gibt es da inzwischen einen empirisch aufgestellten Wert; der auch allgemein anerkannt, empirisch überprüfbar und skalierbar ist? Nein, meine ich.
In der Psychologie kann man aber schon Zufriedenheitsmaße und bspw. Arbeitsmotivation in Beziehung setzen (Herzberg's 2-Faktoren oder auch Heckhausens U-Kurve), natürlich auf kleinerer Flamme als Revolutionsmodelle. Außerdem, ich wiederhole das: das war nur ein Beispiel, üblicherweise verlaufen solche Erklärungsmodelle ordinal, d.h. nach > und <: steigt x, dann steigt y oder steigt x, dann fällt y. usw. Pychologische / soziologische Gesetze haben nicht die Messqualität wie physikalische.

Es ist also hinlänglich gezeigt, dass bei der Erklärung geschichtlicher Vorgänge auch allgemeine Gesetze herangezogen werden können, die sich mehr oder weniger gut bestätigen. Das heißt aber natürlich nicht, dass alles, was sich geschichtlich ereignet, dadurch erklärt werden kann, denn nicht nur übersteigt das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren schnell jedes Maß, sondern auch partikuläre Ereignisse, Personen etc., wie z.B. das Mauseloch, das für den Tod von Dschingis Khan verantwortlich gemacht wird.
Ja.
Kausalitäten:
Diese gibt es nur in idealisierten Modellen welcher Art auch immer. Das gilt auch für die Physik.
Kommt man aber mit der Idealisierung dem beobachtbaren Verlauf nahe, so kann man hoffen eine neues Werkzeug im Bastelkasten der Erkenntnis zu haben.
So ungefähr sehe ich das auch. Idealisierte Modelle bietet etwa die Wirtschaftsheorie. Beschäftigt man sich nun mit der Wirtschaftsgeschichte, können solche Modelle, sofern sie empirisch überprüft sind, wertvolle Hinweise für gewisse Ereignisse geben, etwa bei Parallelwährungen, bei Inflation, bei Arbeitslosigkeit (Stichwort: Weltwirtschaftskrise, die eine riesige Menge geschichtlicher Ereignisse nach sich gezogen hat.) Mehr wohl nicht, aber das ist auch nicht wenig.
 
Diese geschichtliche Fragestellung geht darum, ob die Existenz des Politikers Hitler kausal für die Judenverfolgung war. Zur Beantwortung braucht man natürlich substanzielle Geschichtskenntnisse. Wenn die Geschichtswissenschaft dazu keine Aussage treffen könnte (auch keine vorsichtige), wäre das schon traurig.
Fest steht: Antisemitismus war in der Gesellschaft verbreitet (und ist es leider heute immer noch oder wieder). Die NSDAP war eine Partei, die den gesellschaftlich verbreiteten Antisemitismus zu ihrem Leitmotiv erhoben hat. Und zwar mit dem 25-Punkte-Programm, welches in der Drexler'schen Küche verfasst wurde; inwieweit H. auf das Programm Einfluss nahm, ist umstritten.
1933 bis 1938 ist eine Phase der allmählichen, schrittweisen dabei aber radikalen Entrechtung der Juden. Eine Zäsur findet 1938 mit den Novemberpogromen statt. Im Januar 1939 droht H. mit der "Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa".
Ab 1941 kommt es zum systematischen Mord an den Juden in den nationalsozialistisch beherrschten Gebieten Europas.
Diese systematische Ermordung fing zunächst noch recht unsystematisch an und bekam dann aber recht schnell eine erschreckende Dynamik, welche dann 1942 in der Wannseekonferenz nicht in Frage gestellt wurde, sondern diskutiert wurde, wie man die Abläufe effizienter gestalten könnte.
Wenn der richtige Offizier an der richtigen Stelle zum richtigen Zeitpunkt den Befehl gegeben hätte, den Massenmord einzustellen, etwa, weil das barbarisch und feige sei, hätte die Geschichte noch eine ganz andere Wendung nehmen können. Trotz H. an oberster Stelle. Das Problem ist aber: Wenn man einmal angefangen hat zu morden, dann bekommt das Morden eine ganz eigene Logik. Das Morden zu stoppen wäre das Eingeständnis gewesen, dass das Vorherige Mord war (was natürlich trotzdem jeder wusste, aber man hat den Mord eben nicht Mord genannt, sondern anfänglich "Banditenbekämpfung", später "Endlösung".)
 
Daher noch meine Frage, wer von vielleicht bekannten HistorikerInnen ausdrücklich und hauptsächlich mit Kausalitäten arbeitet? Also nur Kausal-Forscher-Denker-Historiker können beispielsweise über den D-Day oder über Ruhrbesetzung 1923 wissenschaftlich schreiben und arbeiten, können denken? :D

Es hat doch niemand den Sinn bestritten grundsäzlich kontrafaktische Überlegungen anzustellen oder grundsätzliche kausale Zusammenhänge festzustellen, sondern es geht doch viel mehr darum, wie weit kontrafaktische Überlegungen maximal gehen können, wenn sie noch irgendwas sinnvolles mit der Würdigung der historischen Situation zu tun haben sollen und darum, dass man Kausalität nicht mit Determination verwechseln sollte.

Ich bin auch absolut dafür, Kausalität nicht mit Determination zu verwechseln.
 
Diese geschichtliche Fragestellung geht darum, ob die Existenz des Politikers Hitler kausal für die Judenverfolgung war. Zur Beantwortung braucht man natürlich substanzielle Geschichtskenntnisse. Wenn die Geschichtswissenschaft dazu keine Aussage treffen könnte (auch keine vorsichtige), wäre das schon traurig.

Die geschichtliche Fragestellung geht kontrafaktisch dahin, ob und wie weit die Judendiskriminierung, die Eliminierung aus den rechtlichen, kulturellen und sozialen Beziehungen und Lebensbedingungen sowie die Massentötung ohne H. gekommen wären.
Eine differenzierte Antwort setzt substanzielle, vielschichtige (Grundlagen-)Forschungen und Kenntnisse voraus, nicht 'kausale' Methoden, die ja sowie nicht überprüft werden können anhand zukünftiger, realer Ereignisse. Daher scheint mir das Festhalten daran eher ein Placebo zu sein. Und nachträglich aus kontrafaktischen Fragestellungen speziell eine 'kausale' Methodik als Voraussetzung zu behaupten...eine beachtliche Vereinnahmung....;-)

In angenommenen, kontrafaktischen Fall wäre die Judendiskriminierung, die Eliminierung aus den rechtlichen, kulturellen und sozialen Beziehungen und Lebensbedingungen, also die 'Judenverfolgung', wie Du es leider unscharf benennst, ebenfalls ohne H. geschehen. Wahrscheinlich. Die Herausarbeitung der ebenso wahrscheinlich auf die Person H. konzentrierte Verantwortung für die letzten Schritte, der Massentötungen, ist nicht das Ergebnis kausaler Forschung, sowenig wie man anhand 'kausaler' Forschung nun mit absoluter Gewissheit behaupten kann, ohne H. wäre die 'Judenverfolgung' und die Massentötung nicht eingetreten. Und unumstritten bei den viieeelen HistorikerInnen ist, oder gar einhellig über alle Grenzen, Schulen und Generationen geteilt wird, das hast Du gleichfalls übersehen, diese Einschätzung auch nicht.

Geschichtlichen Entwicklungen nähert man sich Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Einflüssen, Ereignisrekonstruktionen, Interdependenzen, sehr komplexen Ursachen-, Grund- und Auslöserbedingungen usw. Auch daraus resultieren recht unterschiedliche geschichtswissenschaftliche Positionen, wie bestimmt auch Du bemerkt hast.

Vielleicht täusche ich mich ja. Daher meine Bitte:

C64, belege doch bitte deine ambitionierte (Selbst-) Einschätzung mit einschlägigen Beiträgen, die Du hier im Forum gepostet hast, die auch nicht zuletzt die Überlegenheit oder höhere Qualität zeigen können und schon gezeigt haben gegenüber z.B. Beiträgen von aus Deiner Sicht nach deformierten (Geschichts-) Profis bzw. Nichtdenkern…
Und zeige doch bitte anhand aktueller einschlägiger Publikationen einschlägiger HistorikerInnen die umfangreiche oder relevante Verwendung explizit von ‚Kausalität‘ als notwendiges Element geschichtswissenschaftlicher Methodik/Forschung.

Gerade Letzteres könntest Du bestimmt leicht mit einschlägigen Titeln belegen, zumindest bei Stefan Jordans Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft (2018), wird 'Kausalität' nicht im Register aufgeführt.

Eigentlich vermute ich subjektiv, der hier eingeführte Begriff 'kausal' und Kausalität ist weder eindeutig und jederzeit wie überall klar definiert, schon gar nicht in der Geschichtswissenschaft.
 
Wenn man sich nie überlegt, was unter anderen Umständen passiert wäre, könnte man ja gar keine kausale Aussagen treffen. Dann wäre die Geschichtswissenschaft rein beschreibend.
Clemens64 behauptet hier einen nicht existierenden Zusammenhang, die angeblich Notwendigkeit kontrafaktischer/spekulativer Behauptungen als notwendige Voraussetzung für die nachfolgende Erkenntnis/Formulierung/Feststellung einer angeblich kausalen Geschichte.
Zufällig habe ich mir jetzt diesen alten Thread wieder angesehen, und ich komm auf ihn zurück, weil er mich immer noch erstaunt. Meine oben angegebene Ausgangsfeststellung hielt und halte ich für eher trivial, aber die Gegenposition von andreassolar hat viel Zuspruch erhalten. Dabei störte er sich (wie andere auch) wohl vor allem daran, dass Geschichtswissenschaft kausal sein soll.
Man muss jetzt gar nicht wissenschaftstheoretisch werden (davon habe ich keine große Ahnung), um zu zeigen, dass Kausal-Fragen natürlich auch in der Geschichtswissenschaft eine Riesenrolle spielen. Um Kausalität geht es etwa bei all diesen historischen Dauerbrennern:
Warum ging des weströmische Imperium im 5. Jahrhundert unter?
Warum kam es zum Ausbruch des Ersten Weltkreigs?
Warum verlor Nazideutschland den Zweiten Weltkrieg?
Da wird halt nach Ursachen gefragt. Und wenn man eine im Auge hat, sagt man: Und hätte es die nicht gegeben, dann wäre das Imperium nicht untergegangen, dann wäre der Krieg nicht ausgebrochen.. Und dann ist man im Kontrafaktischen. Es mag ja sein, dass auf diese Warum-Fragen in der Geschichtswissenschaft in der Regel nie definitive Antworten gefunden werden. Sollte man deshalb nie fragen: Warum?
 
Um Kausalität geht es etwa bei all diesen historischen Dauerbrennern:
Warum ging des weströmische Imperium im 5. Jahrhundert unter?
Warum kam es zum Ausbruch des Ersten Weltkreigs?
Warum verlor Nazideutschland den Zweiten Weltkrieg?
Da wird halt nach Ursachen gefragt. Und wenn man eine im Auge hat, sagt man: Und hätte es die nicht gegeben, dann wäre das Imperium nicht untergegangen, dann wäre der Krieg nicht ausgebrochen.. Und dann ist man im Kontrafaktischen. Es mag ja sein, dass auf diese Warum-Fragen in der Geschichtswissenschaft in der Regel nie definitive Antworten gefunden werden. Sollte man deshalb nie fragen: Warum?
Meiner Ansicht nach liegt der Denkfehler in der unterstrichen Passage. Nachdem man infolge einer Warum-Frage eine Ursache ermittelt hat, benötigt man kein abweichen in kontrafaktische Bereiche. Und keine Warum-Frage zielt ins Kontrafaktische.

- Schlichte Warum-Frage:
Warum regierte Julius Caesar das römische Imperium nicht als Kaiser bis ins hohe konsularische Alter?

(Quellenstudium Blabla)
- Ursache / Begründung:
Weil Brutus & Co. dem Caesar deutlich vor dem Erreichen des konsularischen Alters den Lebensfaden gewaltsam kappten.

- Was gemeinhin nicht geschieht, weil es unsinnig ist:
Hätten die ihn nicht gemessert, dann blablabla... (Warum ist das unsinnig? Weil es sich abseits der gestellten Frage befindet!)

Hat man eine plausible Ursache, ist es müßig, sich Alternativen ohne diese auszudenken.

Kurzum: keinesfalls ist es verboten oder verpönt, "warum?" zu fragen.
 
Da wird halt nach Ursachen gefragt. Und wenn man eine im Auge hat, sagt man: Und hätte es die nicht gegeben, dann wäre das Imperium nicht untergegangen, dann wäre der Krieg nicht ausgebrochen.. Und dann ist man im Kontrafaktischen. Es mag ja sein, dass auf diese Warum-Fragen in der Geschichtswissenschaft in der Regel nie definitive Antworten gefunden werden. Sollte man deshalb nie fragen: Warum?
Man sollte halt bei den meisten Problemen nicht erwarten auf eine monokausale Antwort zu kommen sondern das ganze mehr als einen Anlass zum Brainstorming betrachten.
Deswegen wäre es sinnvoller zu formulieren: "Was waren die notwendigen und hinricheichenden Bedingungen für Ereignis XY", statt "warum passierte dieses oder jenes?"

Das ganze auch vor der Prämisse, dass eben auch lange nicht alle Dinge, für die die Rahmenbedingungen vorhanden wären auch eintreten und dass sich eine Kausalität daraus zum Teil nicht herleiten lässt, weil ein Ereignis am Ende eben auch die Summe von Millionen isolierter Einzelentscheidungen sein und genau so absichtlich, wie unwissend herbeigeführt werden kann.

An und für sich bin ich sehr dafür Geschichte auch immer als Möglichkeitsraum zu betrachten, weil neben der Tatsache, dass bestimmte Ereignisse eingetreten sind, es eben nicht nur ein hypothetische Möglichkeit, sondern eine ebenso manifeste Tatsache ist, dass andere mögliche Ereignisse die stattdessen hätten eintreten können, eben nicht eingetreten sind.

Man könnte jetzt argumentieren, dass dieser Umstand die Frage nach dem "warum" erst recht interessant macht genau so führt sie aber auch in die Irre, weil sie nicht unbedingt reflektiert, welche anderen Wege Personen, die Schlüsselentscheidungen trafen alternativ dazu noch sahen und ggf. warum sie sie verwarfen.

Nachdem man infolge einer Warum-Frage eine Ursache ermittelt hat, benötigt man kein abweichen in kontrafaktische Bereiche.
Da wär jetzt die Frage, kann man eine Antwort auf ein "warum" positiv formulieren ohne glichzeitig das "ansonsten" und das nicht gewesene aber mögliche mitzudenken und ist es sinnvoll letzteres als kontrafaktische Annahme auszuschließen, obwohl sich unter Umständen erst daraus die Erklärung für etwas faktisches ergibt?
 
Ganz genau: Etwas kann als Ursache von einer beobachteten Tatsache nur ausgemacht werden, wenn gezeigt wird, dass es diese Tatsache ohne die Ursache nicht mehr gibt, und dann ist man im kontrafaktischen Bereich.
 
Etwas kann als Ursache von einer beobachteten Tatsache nur ausgemacht werden, wenn gezeigt wird, dass es diese Tatsache ohne die Ursache nicht mehr gibt, und dann ist man im kontrafaktischen Bereich.
Das verstehe ich nicht. Ich kann das, ohne Unsinn zu produzieren, nicht auf mein Caesar-Beispiel anwenden:
- beobachtete Tatsache bzw. ereignisgeschichtliches Faktum: Caesar regierte das römische Imperium nicht als Kaiser bis ins hohe Alter
- ermittelte Ursache: das Attentat auf bzw die Ermordung Caesars.
Beides steht faktisch fest. Wenn ich nun überlege, das Caesar ohne ermordet worden zu sein, länger hätte leben und wirken können, dann erklärt mir diese triviale "kontrafaktische" Überlegung eigentlich nicht eben viel, d.h. sie ist verzichtbar.
 
Dann stellst du dir kontrafaktisch vor, dass Caesar lange Jahre über geherrscht hätte, wäre er nur gesund geblieben. Man könnte aber auch meinen: Caesar hätte auf keinen Fall lang regiert, denn er hatte anders als Augustus keinen Weg gefunden, seine Herrschaft in den Augen der Nobilität zu legitimieren, und darin liege der eigentliche Grund dafür, dass es keinen alten Caesar gegeben hat.

Wenn es nur um die Todesursache geht, ist es natürlich unproblematisch, sich vorzustellen, dass Caesar ohne Attentat mindestend etwas länger gelebt hätte.
 
Dann stellst du dir kontrafaktisch vor, dass Caesar lange Jahre über geherrscht hätte, wäre er nur gesund geblieben
Das ist eine 1. kontrafaktische Überlegung, welche zu den realen Fakten nichts beiträgt (was ich wohl nicht erläutern muss)

Man könnte aber auch meinen: Caesar hätte auf keinen Fall lang regiert, denn er hatte anders als Augustus keinen Weg gefunden, seine Herrschaft in den Augen der Nobilität zu legitimieren, und darin liege der eigentliche Grund dafür, dass es keinen alten Caesar gegeben hat.
Das ist eine 2. kontrafaktische Überlegung, welche sich als Alternative gibt und obendrein konträr zur Faktenlage als "eigentlicher Grund" dargestellt wird.

Tatsächlich aber waren ein paar Dolche/Messer der Grund, weshalb es keinen alten Caesar gegeben hat. Der Erkenntnisgewinn beider Überlegungen ist offensichtlich sehr gering und trägt zur Faktenlage nichts bei.
 
Das verstehe ich nicht. Ich kann das, ohne Unsinn zu produzieren, nicht auf mein Caesar-Beispiel anwenden:
- beobachtete Tatsache bzw. ereignisgeschichtliches Faktum: Caesar regierte das römische Imperium nicht als Kaiser bis ins hohe Alter
- ermittelte Ursache: das Attentat auf bzw die Ermordung Caesars.
Beides steht faktisch fest. Wenn ich nun überlege, das Caesar ohne ermordet worden zu sein, länger hätte leben und wirken können, dann erklärt mir diese triviale "kontrafaktische" Überlegung eigentlich nicht eben viel, d.h. sie ist verzichtbar.
Streng genommen, ist das eine kontrafaktische Annahme

Eigentlich müsste es ja heißen:

- beobachtete Tatsache: Caesar regierte das römische Imperium nicht als Kaiser bis ins hohe Alter.
- ermittelte Ursache: Caesar wurde nie zum Kaiser proklamiert, weder durch sich selbst noch durch sonst wen.


Selbst wenn dein zweiter Satz aber stehen bliebe, nimmt es den kontrafaktischen Bereich mit, weil du ja unterstellst, dass Caesar, wenn er nicht ermordet worden wäre bis ins hohe Alter an seiner faktischen Herrschaft festgehalten hätte.
Das wissen wir aber natürlich nicht.
Er hätte genau so gut nach 5 Jahren an Burnout leiden, seine Diktatur aufgeben und sich ins Privatleben zurückziehen können.

Die Möglichkeit ist letztendlich genau so kontrafaktisch, wie diejenige, dass er so lange als möglich an der Macht festgehalten hätte. Wir können weder das Eine noch das Andere mit Sicherheit sagen, ohne uns in den spekulativen Bereich zu begeben, auch wenn die Annahme, dass er sich an die blutig erkämpfte Macht lange geklammert hätte durchaus plausibel und wahrscheinlich ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich kann nur wiederholen, was ich damals. als der Thread eröffnet wurde, schrieb:
Die Möglichkeiten des was wäre wenn sind dennoch sehr begrenzt. Es sind allenfalls Handlungsalternativen die man aufzeigen kann (und darauf aufbauend das Werturteil fällend), als große Geschichtsentwürfe. Da fehlen dann einfach die validen Daten. Unsere validen Daten sind die Quellen. An denen kommen wir nicht vorbei.


Will sagen: Natürlich betrachten wir - niedrig skaliert - immer das Was wäre wenn, sobald wir ein Werturteil fällen, eben wenn wir die Handlungsoptionen oder Möglichkeitsspielräume in Betracht ziehen.
Als 1941 in der Ukraine jüdische Männer ussortiert wurden und als mögliche "Banditen" (Partisanen) erschossen wurden, da hätte es die Möglichkeit gegeben, dass ein hoher Polizeioffizier gesagt hätte: "Stopp! Das ist ein Kriegsverbrechen!" Ich bin fest davon überzeugt, dass der Holocaust dann nicht seine Dynamik entwickelt hätte. Im Dezember 1941 war es dafür bereits zu spät, der Massenmord an Männern, Frauen und Kindern war angelaufen und quasi nicht mehr aus der Spur zu bringen. Evans würde meine Haltung jetzt kritisieren, weil ich Geschichte als von Personen gemacht beschreibe, aber genaus das ist es hier: Es waren Entscheidungen bzw. Nichtentscheidungen von Personen, welche eine Dynaik entfacht haben. Da kann man über was wäre wenn diskutieren, muss es sogar, um zu einem Werturteil zu kommen. Anders sieht es aus, wenn man die Frage stellt, wie die Welt heute aussähe, wenn die Shoa nicht stattgefunden hätte. Gäbe es den salafitischen Islamismus, wenn die Shoa nicht stattgefunden hätte? Da würden wir viele Variablen und Unbekannte außer acht lassen. Die Möglichkeiten des was wäre wenn sind eben begrenzt. Geschichtsforschung ist Quellenforschung!
 
Wenn es nur um reale Fakten geht und nicht auch um (kausale) Zusammenhänge zwischen ihnen, braucht es Fragen wie: "was wäre gewesen wenn?" natürlich nicht.
Mir wäre eine andere Formulierung oder Überlegung lieber: wenn es Lücken zwischen realen Ereignissen gibt (fehlende Quellen), bleiben uns zur Überbrückung nur möglichst plausible Wahrscheinlichkeiten. Ob diese ggf kontrafaktisch sind, können wir nicht nachprüfen (es sei denn, es tauchen bislang unbekannte Quellen auf). Daraus lässt sich streng genommen keine methodische Notwendigkeit ableiten, kontrafaktische Überlegungen einzubeziehen.
Ich glaube, die Diskussion gerät ins missverständliche, wenn wir Wahrscheinlichkeiten, Möglichkeiten und kontrafaktisches vermengen.
 
Übrigens schreibt Herfried Münkler heute in der SZ-Rubrik "Was ich gern früher gewusst hätte" unter anderem:
Beobachten ohne Fragestellung ist unterhaltsam, aber zwecklos.
 
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