(wirklich nicht leicht zu lesen...!) was meinst du: bestätigt das, was z.B. bei Wolfram (das Reich und die Germanen) kurz als "slawische Alternative" (peu a peu "einsickern" slawische Bevölkerung ohne Warlords etc) erwähnt, oder bringt das ein anderes Bild der slawischen Landnahme?
Bei Herwig Wolfram, Das Römerreich und seine Germanen, Wien/Köln/Weimar 2018, S. 414ff liest es sich so:
"Das Phänomen der slawischen Ausbreitung ist mit geläufigen historischen Kategorien kaum zu beschreiben und noch weniger zu erklären. Zwischen dem Ende des 5. und dem Anfang des 7. Jahrhunderts fand in weiten Teilen Ost- und Mitteleuropas zwischen Ostsee und Ägäis eine stille Revolution statt, und kein Mensch kann im Grunde sagen, wieso halb Europa in derart kurzer Zeit slawisiert wurde. Nach der germanischen Völkerwanderung war die Germania, selbst wenn man die Verluste im Osten gegen die Gewinne im Westen und Süden aufrechnet, eher kleiner als zuvor. Das römische Imperium konnte in einem halben Jahrtausend nur einen Teil seines Machtbereichs romanisieren. Die Slawisierung hatte dagegen in wenigen Generationen einen ungleich nachhaltigeren Erfolg, der mehr als das Ergebnis einer bloßen Völkerwanderung war und auch jede imperiale Politik übertraf. Der Niedergang der römischen Ordnung und der Rückgang oder die Abwanderung derjenigen Völkerschaften, die sich an ihr orientierten, gaben nicht nur Zuwanderern, sondern auch neuen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen Raum. Vieles daran wäre im modernen Sinn nicht als Fortschritt zu verstehen, zum Beispiel der deutliche Rückgang der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Doch handelt es sich nicht um einen bloßen »Rückfall in die Barbarei«. So begann sich etwa in Südosteuropa der leichtere, aber den Boden wendende Pflug, der effektives Wirtschaften in kleineren Einheiten erlaubte, erst nach dem Niedergang der römischen Herrschaft durchzusetzen, obwohl das Gerät aus der Antike stammte.
Das am Beispiel der meisten germanischen Wandervölker entwickelte Modell der Stammesbildung ist für die Slawen kaum anwendbar. Maßgebliche Traditionsträger fehlten; wo Herrschaft entstand, war sie oft »importiert«. Rekonstruktionsversuche einer ursprünglichen, »gemeinslawischen« Verfassung können nur unterhalb der königlichen Ebene bei einer segmentären Sozial- und Rechtsordnung ansetzen. Vielleicht lässt sich die obscure progression des Slaves am besten so charakterisieren: Die germanischen Eliten und ihr kriegerischer Anhang wanderten östlich der Elbe ab. Unter der im Lande gebliebenen bäuerlichen Bevölkerung setzte es sich danach einfach durch, Slawe zu sein. Dies geschah nicht kontinuierlich von Ost nach West, sondern zunächst unter Aussparung weiter Gebiete, die erst zu einem späteren Zeitpunkt slawisiert wurden.
[...]
Als die Awaren kamen, befanden sich slawische Gruppen in einem weiten Bogen außerhalb der Karpaten, von der Elbe bis zur unteren Donau; an einigen Punkten hatten sie die Karpaten vielleicht schon überschritten. Doch hatten sich außer den wohl ursprünglich nichtslawischen Anten keine einheitlichen Großverbände gebildet. Viele Gruppen beschränkten sich durchaus nicht auf bäuerliche Beschaulichkeit. Wo Slawen vor 568 in den Quellen erscheinen, traten sie als Krieger und Plünderer auf, denen auch die Bildung gefolgschaftlicher Verbände nicht fremd war, deren Zusammenschlüsse aber wenig dauerhaft blieben. Die alte Frage, ob die Slawen auf awarischen Druck, auf der Flucht vor den Awaren oder aus eigenem Antrieb über die Donau und bis an die Elbe vorstießen, ist ebenfalls kaum zu beantworten. Die Quellen erlauben es nicht einmal, Charakter und Chronologie dieser Expansion zu präzisieren. Die slawische Ausdehnungsbewegung geht auf die Zeit vor dem Kommen der Awaren zurück; sie veränderte sich jedoch durch die völlig neue politische Situation nach 568, als die Langobarden von Pannonien abzogen und das Land den Awaren überließen."