Foltermethoden im Mittelalter und früher Neuzeit

Um den Uraltthread erneut auszugraben - es geht ums Fusssohlenlecken durch Ziegen:
Schau mal hier:
->Außer bei Grimmelshausen ist diese Foltermethode, im Unterschied zu dem von ihm ebenfalls beschriebenen Schwedentrunk, nicht sicher bezeugt, sondern könnte auch seiner Phantasie entsprungen sein. Es gibt jedoch im Mittelalterlichen Kriminalmuseum Rothenburg ein Bild zur Darstellung von Ehrenstrafen, was in einem Detail der Geschichte ähnelt."
Kitzeln – Wikipedia

Offenbar hat bisher kein Wikipedia-Autor die ungarische Chronik von Antonio Bonfini aus dem 15. Jahrhundert gelesen.

Selbst nachgeprüft habe ich folgende Ausgabe: Antonii Bonfinii Rerum Ungaricum decades tres, Basel, Offizin Robert Winter, 1543; bzw. die deutsche Übersetzung von Hieronimus Boner, "Dess allermechtigsten Künigreichs in Ungern warhafftige Chronick und Anzeigung", 1545.

In diesem Werk findet sich folgender Satz über Graf Dracula:
"Item Turcis saepe captiuis, cute pedes exuisse, contuso?? sale praefricuisse, mox ligentes salsis plantis capras adhibuisse, quae linguae asperitate cruciatum augerent."
bzw. in der deutschen Ausgabe: "Item er hatt zum offteren malen den gefangnen Türcken die füss schinden/unnd demnach mit salz besprengen/ unnd von den geissen das salz wider vonn inen läcken lassen/ damit ir schmerz gemert wurd."

Damit wir uns richtig verstehen: Das beweist in gar keiner Weise, dass die Ziegenfolter durch Dracula oder sonst jemanden tatsächlich praktiziert worden ist. Es beweist aber, dass diese Art der Folter keine Erfindung von Grimmelshausen in seinem Simplicissimus ist, sondern bereits anderthalb Jahrhunderte früher schriftlich erwähnt worden ist. Allerdings ohne Bezug zu Kitzeln. Letzteres scheint tatsächlich im Simplicissimus erstmals bezeugt.

Mich würden übrigens Quellen nach Grimmelshausen, also v. a. aus dem 18. und 19. Jahrhundert interessieren, welche diese Verbindung - Fusssohlenlecken durch Ziegen und Kitzeln - ebenfalls machen.
 
Die Diskussion um die Historizität von Foltermethoden, die offenbar auch in der Wikipedia ganz erbittert geführt wird, habe ich nie so ganz verstanden. Schriebe ich einen historischen Roman, ich würde getrost davon ausgehen, dass alles, was wehtut oder erniedrigt, irgendwann auch einmal benutzt worden ist.
 
Diese Frage stelle ich platzsparend hier, um nicht extra einen neuen Themenstrang zu eröffnen…

Wie genau erklärt es sich eigentlich, dass an der Folter als Mittel der "Wahrheitsfindung" so lange festgehalten wurde? Man kann natürlich von den Menschen früherer Zeitalter nicht erwarten, mit Konzepten vertraut zu sein, die erst nach ihrer Zeit erfunden wurden.

Je mehr ich jedoch über diese Frage nachdenke, umso mehr drängt sich mir der Eindruck auf, dass die Öffentlichkeit des Mittelalters und der frühen Neuzeit dem "Nutzen" des hochnotpeinlichen Verhörs mit größerer Skepsis hätte begegnen können und müssen.

Denn: Im weltlichen wie im kirchlichen Recht galten Prinzipien, die ohne das Bewusstsein als Grundlage, dass man durch Gewaltanwendung einen Menschen dazu bringen kann, die Unwahrheit zu bekennen und Ungewolltes zu tun, keinen Sinn zu ergeben scheint.

Hier ein paar Beispiele:
  • Die Geschichte ist reich an Fällen, in denen Verträge mit dem Argument widerrufen wurden, das Einverständnis sei erpresst worden. Der Papst erteilte regelmäßig eine Dispens, wenn die Abmachung vor Gott beschworen worden war. Beispielshalber sei der Friede von Paris genannt.
  • Die Kirche vertrat seit jeher mehrheitlich die Auffassung, dass Zwangstaufen wertlos seien. Schon Willerich von Bremen ließ Karl dem Großen ausrichten, die Zwangstaufe der Sachsen sei unstatthaft, weil man annehmen müsse, sie hätten sich nur aus Furcht, nicht Überzeugung, zu Christus bekannt.
  • Matrimonium inter invitos non contrahitur, d.h. für die Eheschließung wurde das ausdrückliche Einverständnis beider Teile verlangt. Lange konnte die Einwilligung in die Ehe durch eine entführte Frau den Entführer vor der Anklage wegen Menschenraubs (raptio) schützen; es blieb dann nur die weniger schwere Anklage wegen raptio puellae, wobei der Vater als Geschädigter galt.
Und es gibt noch mehr Beispiele. Erschwerend kommen dann natürlich noch Stimmen wie die des Humanisten Michels de Montaigne hinzu, der im ausgehenden 16. Jahrhundert kategorisch die Verlässlichkeit von unter der Folter gemachten Angaben bestritt.

All dies deutet in meinen Augen darauf hin, dass die Erkenntnis, dass Zwang Überzeugung und Wahrheit ausschließt, entweder vorhanden sein musste oder hätte vorhanden sein müssen. Warum also überdauerte die Folter so lange? War sie womöglich allzu praktisch?

Ich meine, selbst heute, trotz all der Mittel, die Polizei und Justiz zur Verfügung stehen, kann die Aufklärung eines Verbrechens Jahre dauern. Brauchte das weniger stabile Gemeinwesen früherer Epochen vielleicht einfach schnelle Urteile, schnelle Strafen?

Oder unterliege ich einem Denkfehler, und der von mir angenommene Zusammenhang ist gar nicht gegeben?
 
Man hatte halt keine forensischen Methoden der Wahrheitsfindung. Im Recht (in der geübten Rechtspraxis sah das sicher anders aus) war Folter gewissermaßen die ultima ratio. Die paenultima Ratio war die Beweisfindung mittels mindestens zweier Zeugen.
Zunächst einmal musste befragt werden. Wenn die Befragung nicht das gewünschte Ergebnis hergab, zeigte man die Instrumente. Wenn der Befragte dann immer noch nicht redete, wurden diese eingesetzt. Der Befragte durfte für den Fall seiner Unschuld keine bleibenden Schäden davontragen (was dazu führte, das Henker die beliebtesten Ärzte waren). Widerrief der unter Folter Geständige später sein unter Folter gemachtes Geständnis, dann galt nach dem damaligen Rechtsverständnis das Geständnis nichts, weil es unter Folter gemacht worden war. Die Frage ist halt dann immer, ob man sich an dieses Rechtsinstitut des widerrufenen Geständnisses hielt. Jedenfalls konnte man mit den unter Folter erfahrenen Kenntnissen weiterarbeiten.
 
Ja, das trifft es ganz gut. Auch manche Aufklärer, die die Folter in der Theorie klar ablehnten, akzeptierten sie als in der Praxis unverzichtbar. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war das Geständnis des Angeklagten oft unabdingbare Voraussetzung für seine Verurteilung gewesen und sollte daher um jeden Preis erzielt werden, doch Ende des 18. Jhdts. erachtete man zunehmend auch andere Beweismittel als ausschlaggebend, was vor allem auf die Fortschritte in den Naturwissenschaften zurückzuführen war, die neue Beweismethoden erschlossen. So betonte etwa der Jurist Justus Henning Böhmer, um die Anwendung der Folter einzuschränken, dass die Verurteilung auch ohne ein erzwungenes Geständnis möglich sein solle, wenn ein voller Beweis auch mit anderen Mitteln erbracht werden könne. Wenn die Folter in einem Land abgeschafft wurde (wie z. B. 1776 in Österreich), geschah das also meist weniger auf den Druck der Aufklärer hin als weil sie ihre praktische Bedeutung zunehmend verloren hatte. Oftmals wurde sie allerdings durch Ungehorsamsstrafen ersetzt: Wenn der Verdächtige leugnete, schwieg oder log, durfte er mit Haft und auch körperlichen Maßnahmen bestraft werden. Man war sich der fließenden Grenze zur Folter durchaus bewusst und entwickelte daher folgende theoretische Rechtfertigung: Ungehorsamsstrafen sollen den Angeklagten nur für seinen Ungehorsam gegenüber dem Gericht bestrafen und nicht wie die Folter seinen Willen brechen.
 
Diese Frage stelle ich platzsparend hier, um nicht extra einen neuen Themenstrang zu eröffnen…

Wie genau erklärt es sich eigentlich, dass an der Folter als Mittel der "Wahrheitsfindung" so lange festgehalten wurde? Man kann natürlich von den Menschen früherer Zeitalter nicht erwarten, mit Konzepten vertraut zu sein, die erst nach ihrer Zeit erfunden wurden.

Je mehr ich jedoch über diese Frage nachdenke, umso mehr drängt sich mir der Eindruck auf, dass die Öffentlichkeit des Mittelalters und der frühen Neuzeit dem "Nutzen" des hochnotpeinlichen Verhörs mit größerer Skepsis hätte begegnen können und müssen.

Denn: Im weltlichen wie im kirchlichen Recht galten Prinzipien, die ohne das Bewusstsein als Grundlage, dass man durch Gewaltanwendung einen Menschen dazu bringen kann, die Unwahrheit zu bekennen und Ungewolltes zu tun, keinen Sinn zu ergeben scheint.

Hier ein paar Beispiele:
  • Die Geschichte ist reich an Fällen, in denen Verträge mit dem Argument widerrufen wurden, das Einverständnis sei erpresst worden. Der Papst erteilte regelmäßig eine Dispens, wenn die Abmachung vor Gott beschworen worden war. Beispielshalber sei der Friede von Paris genannt.
  • Die Kirche vertrat seit jeher mehrheitlich die Auffassung, dass Zwangstaufen wertlos seien. Schon Willerich von Bremen ließ Karl dem Großen ausrichten, die Zwangstaufe der Sachsen sei unstatthaft, weil man annehmen müsse, sie hätten sich nur aus Furcht, nicht Überzeugung, zu Christus bekannt.
  • Matrimonium inter invitos non contrahitur, d.h. für die Eheschließung wurde das ausdrückliche Einverständnis beider Teile verlangt. Lange konnte die Einwilligung in die Ehe durch eine entführte Frau den Entführer vor der Anklage wegen Menschenraubs (raptio) schützen; es blieb dann nur die weniger schwere Anklage wegen raptio puellae, wobei der Vater als Geschädigter galt.
Und es gibt noch mehr Beispiele. Erschwerend kommen dann natürlich noch Stimmen wie die des Humanisten Michels de Montaigne hinzu, der im ausgehenden 16. Jahrhundert kategorisch die Verlässlichkeit von unter der Folter gemachten Angaben bestritt.

All dies deutet in meinen Augen darauf hin, dass die Erkenntnis, dass Zwang Überzeugung und Wahrheit ausschließt, entweder vorhanden sein musste oder hätte vorhanden sein müssen. Warum also überdauerte die Folter so lange? War sie womöglich allzu praktisch?

Ich meine, selbst heute, trotz all der Mittel, die Polizei und Justiz zur Verfügung stehen, kann die Aufklärung eines Verbrechens Jahre dauern. Brauchte das weniger stabile Gemeinwesen früherer Epochen vielleicht einfach schnelle Urteile, schnelle Strafen?

Oder unterliege ich einem Denkfehler, und der von mir angenommene Zusammenhang ist gar nicht gegeben?

Noch im 17. Jahrhundert und zu Beginn des 18. Jahrhunderts gab es eine lebhafte Debatte um das Für und Wider der Folter, und die Folter fand durchaus prominente Fürsprecher wie Benedikt Karpzow und Jean Bodin. Kritiker waren dagegen Friedrich Spee von Langenfeld und Christian Thomasius.

Nach dem Beispiel der Niederlande wurden im 16. und 17. Jahrhundert Zucht- und Arbeitshäuser gebaut, und erstmals wurde der Anspruch formuliert, den Delinquenten zu bessern und zumindest in der Theorie sollte die Strafe zu einer Resozialisierung des Täters führen. Diesen Idealen standen dagegen handfeste wirtschaftliche Interessen entgegen. In seiner Studie "Überwachen und strafen-die Geburt des Gefängnisses weist Michel Foucoult darauf hin, dass in der neuen Institutionen des Gefängnisses streng darauf geachtet wird, dass den Gefangenen keine körperlichen Schmerzen zugefügt werden wie in der alteuropäischen Justiz.

Die mittelalterliche Justiz bedurfte des "Theaters des Schreckens", des Festes der Matern wie Richard van Dülmen es nannte. Es gab weder den Anspruch, den Delinquenten zu bessern und zu resozialisieren, noch gab es eine Gefängnisarchitektur, in der so etwas sich hätte umsetzen lassen. Die Strafen waren äußerst brutal und grausam, aber das mussten sie auch sein, sonst hätten sie in diesem Kontext keinen Sinn gemacht.

Auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts dürfte das Gedankengut eines Christian Thomasius noch wenig verbreitet gewesen sein. Als Friedrich II. in Preußen die Folter 1740 abschaffte, war er den meisten europäischen Staaten um Jahrzehnte voraus, und auch in Preußen wurde sie nicht völlig beseitigt. Bei Staatsverbrechen, bei Mord und Raubmord und gegen Angehörige von Räuberbanden konnte nach wie vor Folter verhängt werden, und (exzessiver) Gebrauch der Prügelstrafe zählte überhaupt nicht als Folter.

Dennoch setzten sich Thomasius Forderung der Strafe an einen vernünftigen Zweck allmählich durch, und der Einfluss der Aufklärung machte sich auch in der Justiz bemerkbar. Eine gewisse Humanisierung der Justiz blieb auch nicht ohne Folgen auf die Kriminalität. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts ging die Tötungsrate bei Gewaltkriminalität deutlich zurück.
 
Ja, das trifft es ganz gut. Auch manche Aufklärer, die die Folter in der Theorie klar ablehnten, akzeptierten sie als in der Praxis unverzichtbar. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war das Geständnis des Angeklagten oft unabdingbare Voraussetzung für seine Verurteilung gewesen und sollte daher um jeden Preis erzielt werden, doch Ende des 18. Jhdts. erachtete man zunehmend auch andere Beweismittel als ausschlaggebend, was vor allem auf die Fortschritte in den Naturwissenschaften zurückzuführen war, die neue Beweismethoden erschlossen. So betonte etwa der Jurist Justus Henning Böhmer, um die Anwendung der Folter einzuschränken, dass die Verurteilung auch ohne ein erzwungenes Geständnis möglich sein solle, wenn ein voller Beweis auch mit anderen Mitteln erbracht werden könne. Wenn die Folter in einem Land abgeschafft wurde (wie z. B. 1776 in Österreich), geschah das also meist weniger auf den Druck der Aufklärer hin als weil sie ihre praktische Bedeutung zunehmend verloren hatte. Oftmals wurde sie allerdings durch Ungehorsamsstrafen ersetzt: Wenn der Verdächtige leugnete, schwieg oder log, durfte er mit Haft und auch körperlichen Maßnahmen bestraft werden. Man war sich der fließenden Grenze zur Folter durchaus bewusst und entwickelte daher folgende theoretische Rechtfertigung: Ungehorsamsstrafen sollen den Angeklagten nur für seinen Ungehorsam gegenüber dem Gericht bestrafen und nicht wie die Folter seinen Willen brechen.

Viele Ermittler des 18. und frühen 19. Jahrhunderts machten bei Ermittlungen gute Erfahrungen damit, Delinquenten mit Freundlichkeit zu begegnen. Der Kölner Jurist Anton Keil verbrachte ganze Nächte mit gefangenen Räubern, ließ ihnen Wein und Tabak geben, sprach mit ihnen Rotwelsch und lobte besonders originelle Coups. Für Mathias Weber genannt Fetzer schien Keil durchaus so etwas wie Sympathie zu empfinden. Der merkwürdigste Fall dürfte der Darmstädter Kriminalrichter Brill gewesen sein, der die Tochter eines exekutierten Räubers bei sich aufnahm.

Wer dann aber gestand, musste dennoch mit dem Schlimmsten rechnen, die meisten prominenten Räuber endeten auf dem Schafott.

Sogenannte Lügenstrafen, bei "ungebührlichem Benehmen" im Verhör konnte eine bestimmte Anzahl von Stock- oder Peitschenhieben verhängt werden-und wer kontrollierte schon, ob das überschritten wurde, führte in der Praxis nicht selten dazu, dass Delinquenten halbtot geschlagen wurden. Auch Frauen konnten nicht unbedingt damit rechnen, glimpflicher behandelt zu werden. Der Kriminalist Pfister ließ die "Beihalterin" des Banditen Philipp Lang alias Hölzerlips" mit einem Ochsenziemer schlagen, bis sie gestand. Den jüdischen Banditen Hoyum Moyses, genannt der Lange Hoym" blieb in Coburg lange standhaft. Er brach erst zusammen, als die Untersuchungsbeamten ihm ankündigten, dass man ihn selbst verschonen, seine Freundin aber vor seinen Augen mit Spießruten peitschen werde.

Der Mainzer Jurist Rebmann berichtete von einem Fall, dass ein Delinquent einen falschen Namen angenommen hatte und unter Verdacht geriet. Es wurde ein Geständnis förmlich aus ihm herausgeprügelt. Zum Krüppel geschlagen kam in Mainz durch einen Zufall heraus, dass er die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen haben konnte. Abgebrühte Gauner konnten anscheinend ein paar Peitschenhiebe oder auch die Tortur kaum schrecken. Im 18. Jahrhundert wurde die Folter kaum mehr mit der Brutalität angewendet, die oft für Hexenprozesse typisch waren.
 
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