Zur Bedeutung rechtsradikaler Einstellungen in der deutschen Gesellschaft

Das wäre jetzt die ‚Echokammer‘; der Resonanzraum.
Interessant fand ich in dem Zusammenhang diese Arbeit:
https://www.ssoar.info/ssoar/bitstr...rokin_et_al-Radikal_Online_-_Das_Internet.pdf

In der Arbeit steht,
"Eine allumfassende Theorie der Radikalisierung gibt es jedoch nicht. Damit einhergehend sind auch die vorhandenen Definitionen vielfältig und vor dem Hintergrund der jeweiligen Disziplinen und Perspektiven unterschiedlich eingefärbt (Borum 2011; Pisoiu 2013; Schmid 2013; Young et al. 2013). "

Wenn das nicht bekannt ist, wird eine Diskussion schwierig.
 
Wenn das nicht bekannt ist, wird eine Diskussion schwierig.

Genau das wird in #95 bereits ausgeführt. Wenn Beiträge nicht zur Kenntnis genommen werden und nur punktuell gelesen wird, dann werden Diskussionen schwierig. Betrachtet man allerdings beispielsweise die Arbeiten von Pisoiu auf die "schaf" in Anlehnung an Stumpf referenziert, dann trifft man auf Erklärungsansätze, die sich im Rahmen von Gruppenprozessen, geschlechtsspezifischer Rollenmuster bzw. generell im Umfeld von Sozialisationsprozessen bewegen. Also thematisch sich in der Zusammenfassung durch den Handbuchartikel bewegen.

https://www.hsfk.de/fileadmin/HSFK/hsfk_publikationen/prif0618.pdf

Allerdings ist m.E. auch anzumerken, dass die Referenzierung im Handbuchartikel auf die "relevanteren" Autoren verweist, die die Diskussion der letzten Jahrzehnte mit geprägt haben, wie Backes oder Stöss etc.

Unabhängig davon kann es auch keine "allumfassende Theorie der Radikalisierung" geben, da derartige Ansätze völlig unterschiedliche Aspekte erklären müssen. Zunächst ist überhaupt zu erklären, wie auf der ideengeschichtlichen Seite ein entsprechender Überbau formuliert wird. Im nächsten Schritt wäre zu beantworten wie entsprechende "politische Eliten" - als frühe Adaptoren dieser Idee - diese aufgreifen. Und erst im dritten Schritten wären die Gründe für die Möglichkeit zur Mobilisierung einer Massenbasis zu betrachten.

Für die Phase der Weimarer Republik wurde die Radikalisierung der frühen politischen Eliten betrachtet.
https://www.geschichtsforum.de/thema/die-radikalisierung-der-rechten-in-der-weimarer-republik.52652/

Jede dieser drei Phasen wird auf unterschiedliche methodische Ansätze zurückgreifen.

In diesem Sinne sind unterschiedliche Ansätze zur Erklärung von Rechtsextremismus nicht - in der Regel - als rivalisierende Erklärungen zu betrachten, sondern eher als komplementär. Wobei wir uns erkenntnistheoretisch schon lange von der Vorstellung verabschiedet haben, dass ein Erklärungsansatz alles erklären kann.

Und es ist Shinigami zuzustimmen, dass Rechtsextremismus in der mobilisierenden Ansprache emotionalisierend wirkt und damit auch "Ängste" aufgreift. Aber ebenso rationale Vorstellungen über Nationalismus, einen cäsaritischen Führer und die starke Stellung des Staates, auch gegen den Rechtsstaat propagiert. Also ein Gebäude der ausformulierten Theorie des Staates mit transportiert (vgl. z.B. Lilla zu Carl Schmitt, S. 49ff)

Nein, es handelt sich definitiv um mehr als eine Ansammlung von Ängsten, gerade auch, wenn man historische Beispiele Bemüht.

Lilla, Mark (2016): Reckless Mind. Intellectuals in Politics. New York: New York Review Books
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie notwendig eine fundierte Information über das NS-System wäre, zeigt die unhistorische Diskussion über den Nationalsozialismus und Faschismus.

Eine im Prinzip richtige Warnung spricht Winkler aus, der zu Recht vor einer inflationären Nutzung des Vergleichs mit dem "Faschismus" warnt.

https://www.deutschlandfunk.de/hist...smus-begriff.2849.de.html?drn:news_id=1099516

Generell kann man in der öffentlichen Diskussion eine breite Unkenntnis erkennen, wenn es um die Bewertung der "Konservativen Revolution", von "Faschismus" und dem "Nationalsozialismus" geht.

Die starken Bezüge der modernen extremen Rechten (auch der "Identitären) an den Arbeiten eines Moeller van den Bruck (vgl. z.B. Schlüter: Moeller van den Bruck & Maas: Kämpfer um ein Drittes Reich) werden in den Arbeiten von Weiss zwar hervorgehoben, sind aber fast nicht relevant für die Diskussion über völkisch-nationalistische Ideologie. Und somit auch nicht für die Abgrenzung der Gruppierungen und auch für die vorhandenen Schnittmengen.

So unterschiedlich die ideologischen Wurzeln des italienischen Faschismus zum deutschen Nationalsozialismus sind (vgl. die Darstellung bei Sternhell: The Birth of Fascist Ideology) so ähnlich ist die Erscheinung während der zeitlich versetzten "Bewegungsphase in Deutschland und Italien (vgl. MacGregor Knox: To the Threshold of Power, 1922/1933). Und dennoch unterscheidet die deutsche Diskussion nicht präzise zwischen deutschem Nationalsozialismus und italienischem Faschismus. Auch wenn man "Faschismus" unpräzise als "Gattungsbegriff" über beiden legt.

Und in der Sicht bei Winkler wird darauf verzichtet, den Nationalsozialismus und den italienischen Faschismus in der Erscheinungsform als "Bewegung" und in der organisatorischen Manifestation im Rahmen der Herrschaftsausübung, zu betrachten. Nur im Rahmen des Vergleichs mit dem ab 1939 massiv ausgeweiteten Vernichtungssystem läuft ein Vergleich Gefahr, den Nationalsozialismus bzw. Faschismus zu verharmlosen. Ein Vergleich zur Bewegungsphase läuft keine Gefahr der Verharmlosung.

In diesem Sinne können Vergleiche heutiger rechtsextremer Parteien in Deutschland mit früheren Phasen der deutschen Geschichte durchaus hilfreich sein, um die Kontinuität, in die sich diese heutigen Gruppierungen selber stellen, zu verdeutlichen.

Aber genauso ist zu betonen, dass sich der Vergleich nur auf die Bewegungsphase der NSDAP beziehen kann und nicht auf die Phase nach der Machtübernahme. Und letztlich ist jedem klar, dass sich Geschichte nicht einszueins wiederholt.

Aber manchmal wird sie - auch ungewollt - als Parodie erneut aufgeführt. Und entfaltet trotzdem ihre Wirkungen. Es stimmten schon 1981 5 Millionen Deutsche der Aussage zu: "Wir sollten wieder einen Führer haben" (vgl. SINUS-Studie mit dem entsprechenden Buchtitel).
 
Eine interessante Studie, die erklären hilft, warum sich Gruppen radikalisieren. Und im Prozess der Identitätsbildung - "Wir" - alle anderen als "die Anderen begreift. Folgt man den Autoren der Studie führt diese Dichotomisierung des "Lagerdenkens" zum Verlust der Mitte, da diese jeweils den gegenüberliegenden politischen Rändern zugeschrieben wird.

Soziologie - Wenn die "politische Mitte" verschwindet, gedeihen Extreme

Falling through the cracks: Modeling the formation of social category boundaries
 
Zurück
Oben