Was heißt eigentlich Toleranz?

Achillas_2042

Neues Mitglied
Hallo zusammen. Undzwar haben wir letztens im Unterricht über das Thema Toleranz gesprochen und irgendwie ist mir noch wirklich unklar, was der Begriff bedeutet. Ich weiß, dass jeder eine eigene Meinung dazu hat, aber gibt es auch eine wissenschaftliche Erklärung dazu und könntet Ihr die mir mal bitte verständlich erklären?

Vielen Dank schonmal im Voraus.
 
Tolerare ist 'ertragen' oder 'erdulden', Toleranz also gewissermaßen die 'Duldsamkeit'. Streng genommen ist Toleranz also, dass man etwas erduldet, auch, wenn man etwas nicht mag. Es ist weniger als Akzeptanz. Aber, heute bedeutet Toleranz dann doch mehr, als nur Duldsamkeit, es geht darüber hinaus.

Nebenbei! Was ich schon als Schüler nur schwer zu tolerieren fand, was aber typisch für Jugendliche ist: Einleitungen mit und zwar...
und zwar...
setzt voraus, dass man bereits etwas zum Thema gesagt hat.
 
1. Demokratische Gesellschaften haben Werte, die als ethische Vorstellungen von einer großen Anzahl von Menschen akzeptiert werden.

2. Demokratische Gesellschaften haben als zentrales Mittel, sich über diese Werte zu verstanden, den Diskurs. Der basiert auf dem nicht eingeschränkten freien Zugang zu Informationen, einer "herrschaftsfreien" Kommunikation und einem fairen demokratischen Entscheidungsprozess. Bei dem sich eine Mehrheit durchsetzt und die Vorstellungen der Minderheit versucht zu berücksichtigen. Als "Teile und Herrsche" und als notwendiger Prozess für die Etablierung von "Legitimation" eines politischen Systems.

3. Es gibt dabei Mehrheits- und Minderheitsmeinungen, von denen manche im Rahmen des Wertesystems einer Demokratie tolerierbar sind und andere sind nicht akzeptabel für Demokratien.

Eines der zentralen universellen Wertesysteme sind die Menschenrechte.

4. Generell stellt sich allerdings die Frage, welche Werte innerhalb einer Demokratie als akzeptabel und wünschenswert angesehen werden können.

Dazu liegen von Philosophen und Sozialphilosophen Vorschläge vor, die am prägnantesten im Kategorischen Imperativ von Kant zusammen gefaßt sind.

Sofern man sich mit anderen Werten wie Chancengleichheit, oder soziale Gerechtigkeit beschäftigt und die Frage stellt, welchen Stellenwert diese für eine Gesellschaft haben, kann ein Ansatz von Rawls aus dem Bereich des politischen Liberalismus genutzt werden.

https://www.geschichtsforum.de/thema/john-ralws-gerechtigkeit-als-fairness.56810/#post-816014

5. Als nicht diskutier- bzw. verhandelbar sind im Umkehrschluss Vorstellungen, die auf die Negierung der Menschenrechte, oder anderer als sinnvoll erachteter kollektiver sozialer Vorstellungen hinauslaufen.

Bzw. nicht tolerierbar sind Ansichten, die den Modus der freiheitlichen, demokratischen Ordnung und die Mechanismen ihrer Umsetzung in Frage stellen. Und statt dessen diktatorische Vorstellungen propagieren. Und diese Personen sind hart und massiv daran zu hindern, Schaden an der Demokratie vorzunehmen.

Ein Spezialfall ist dabei die Frage der Toleranz von "schwachsinnigen pseudowissenschaftlichen Vorstellungen, die im Rahmen einer faktenorientierten Argumentation zu widerlegen bzw. abzulehnen sind. Das betrifft dann aber eher die Frage des "wissenschaftlichen Arbeitens" und die Frage, wie im wissenschaftlichen Sinne "Wahrheit" -also die Frage, ob eine These verifiziert wurde- erreicht wird. Und unsinnige Thesen verworfen werden.

Auch in diesem Fall ist pseudowissenschaftlicher Unsinn nicht zu tolerieren.
 
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Die UNESCO hat ihre Sicht formuliert, was "Toleranz" ist:

https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-03/1995_Erklärung über die Prinzipien der Toleranz.pdf

Und noch eine Anmerkung: Historisch betrachtet war die Forderung nach Toleranz in Europa und Nordamerika eng verbunden mit dem Wirken der Aufklärung und richtete sich primär an die Adresse der Kirche, Weltbilder zu akzeptieren, die auf naturwissenschaftlichen Grundlagen basieren und nicht mehr auf religiösen Vorstellungen.

Und wendete sich mit dieser Forderung auch indirekt gegen die religiöse Fundierung von weltlicher Herrschaft. Daraus ergab sich die doppelte Frontstellung der Aufklärung gegenüber der katholischen Kirche und auch gegen eine durch das "Gottesgnadentum" legitimierte monarchische, weltliche Herrschaft.

Damit ist die Forderung nach Toleranz im sozialphilosophischen Kontext relativ eng verbunden mit rationalen, vernünftigen Begründungen von gesellschaftlichen oder politischen Zuständen. Und an bestimmte Vorstellungen von "Moral" - im Sinne von Kohlberg/Piaget - und "diskursive Vernunft" wie beispielsweise bei Habermas ausgearbeitet.

Und somit gehört die Toleranz zu einem der zentralen Begriffe demokratischer Verfasstheit von Gesellschaften.
 
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