Holodomor

Das Thema beschäftigt auch wieder die Politik. Es geht um den Historikerstreit in der Bewertung, die Anerkennung als Genozid vs ökonomisch-agraischer Kollaps in der SU idF der Industrie- und Rüstungspolitik, Distributionschaos und Korruption in der Fläche/Missmanagement (auch nicht-ukrainische Städte waren mit zehntausenden Toten betroffen).

Aus der morgigen FAZ:

"Das Thema beschäftigt auch den Bundestag. Proukrainische Aktivisten in Deutschland haben mehr als 70000 Unterschriften unter ihrer Petition Nr. 89118 versammelt („Anerkennung des Holodomor 1932–1933 in der Ukraine als Genozid“). Der Deutsche Bundestag möge anerkennen, so wie „23 Regierungen anderer Länder dieser Welt“, dass diese geplante Gewaltmaßnahme ein Genozid gewesen sei. Jetzt müssen sich die Fraktionen dazu verhalten und Experten anhören. Den Anfang machte ausgerechnet die eher russlandfreundliche AfD, wohl wissend, dass die Genozid-These im heutigen Moskau auf scharfen Widerspruch stößt. Der Osteuropa-Historiker Gerhard Simon sagte im Bundestag, eine Anerkennung als Völkermord „bedeutet eine Verneigung vor den Opfern eines Menschheitsverbrechens und die Distanzierung vom mörderischen Regime Stalins“.
 
Ist nicht Völkermord als absichtliches Vernichten einer ethnischen, religiösen Gruppe definiert.

Stalin waren Tote egal, aber das er die Ukrainer absichtlich damit vernichten wollte, finde ich eine gewagte These.
 
Nach meinem Eindruck ein kurze Zusammenfassung des durchaus komplizierten Themas:
Norman Naimark: Revolution, Stalinismus und Genozid

Zitat aus dem Fazit: "die Massenmorde unter Stalin waren ein zutiefst irrationaler und psychotischer Akt"

Es erscheint mir nicht sinnvoll die Geschehenisse in der Ukraine ohne den gesamt-sowjetischen Kontext zu betrachten.

Zu beachten ist auf jeden Fall welchen starken Einfluss die Sowjet-Union vor dem Eindruck der eigenen Taten auf die Ausformulierung der Völkermord-Konvention nahm, um politische und soziale Gruppen nicht durch die Konvention zu schützen. Verfolgt wurden in der ukrainischen Sowjet-Republik vor allem soziale und politische Gruppen, zum Teil auch eigens dafür erfundene soziale und politische Gruppen wie eben die "Kulaken", "polnische Agenten" und "ukrainische Nationalisten".

Noch ein Zitat von Naimark:
Kennzeichnend für den Genozid an den Ukrainern war brutale Gewalt gegen die Bevölkerung. Jörg Baberowski vermutet, dass dieser Hang zur Gewalt aus dem kaukasischen Hintergrund Stalins und vieler seiner Handlanger herrührte, und dass der Anklang, den sie in den unteren Rängen der Partei und der Geheimpolizei gefunden hat, auf die Rückständigkeit der russischen Bauern zurückzuführen sei. Auffallend ist die Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leid, die die sowjetischen Regierungskreise in der Zeit Stalins an den Tag legten. Während ukrainische Bauern täglich zu Zehntausenden verhungerten, zeigte der Kreml nicht das geringste Mitgefühl. Stalin, Molotow, Kaganowitsch und andere erklärten die ukrainischen Bauern zu "Feinden des Volkes", die den Tod verdient hätten.​
Ich denke es wird deutlich, dass es hier vor allem um Bauern ging. Ob diese Bauern russischer oder ukrainischer Nationalität waren, ist zweitrangig. Entscheidend ist, dass diese Gruppen als gefährliche Verräter und "Blutsauger" diffamiert wurden.

Wie immer wurde nicht beachtet, dass Lasar Kaganowitsch im Gouvernement Kiew geboren wurde und daher trotz jüdischer Herkunft auch selbst als Ukrainer gelten kann. Als 1. Sekretär der ukrainischen KP forcierte Kaganowitsch in den 1920ern noch eine Sprachenpolitik zugunsten der ukrainischen Sprache.
 
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