Chef der Heeresleitung v. Seeckt an den Reichskanzler 20. November 1923

J

Josephine_25

Gast
Hallo ihr Lieben,
ich habe leider Schwierigkeiten die folgende Textquelle zu verstehen und zwar ab der Erläuterung der Kurse. Was sind hochvalutarische Länder? Warum fordert von Seeckt den amtlichen Deviseneinheitskurs aufzuheben und ein festes Verhältnis zw. Papier- und Rentenmark herzustellen?

Ich würde mich über eine Erklärung sehr freuen.

Der Chef der Heeresleitung an den Reichskanzler 20. November 1923

Im vollen Bewußtsein meiner Verantwortung für die Sicherheit des Reiches habe ich die Pflicht, die Reichsregierung auf die vernichtenden Folgen der Währungspolitik des Reiches aufmerksam zu machen.

Die sachlichen Folgen liegen klar zutage:

Hemmungslose Steigerung der Goldpreise,

Versagen der Rentenmark als wertbeständiges Zahlungsmittel,

Beginn der Unterbewertung der Rentenmark im In- und Ausland,

Zerrüttung der Kaufkraft der Masse des Volkes,

Zurückhaltung der Ernte,

ungesetzlicher Devisenhandel im größten Ausmaß.

Die seelischen Folgen muß ich als noch weit schwerwiegender ansehen. Sie gehen aus den laufenden Berichten der Militärbefehlshaber über die Lage im Reiche und zahlreichen Zuschriften mit ernstester Deutlichkeit hervor. Die Wirtschaftskreise werden gezwungen, auf dunklen Wegen gegen die Autorität des Staates das Dringendste an Devisen sich zu beschaffen. Das übelste Devisenschiebertum steht in voller Blüte.

Die Regierung muß dem Treiben der Kreise machtlos zusehen; auch die eben erlassene Kampfansage gegen den Wucher wird wirkungslos bleiben.

Die Reichsregierung hat dem Volke die Rentenmark als Rettung aus der Not versprochen. Die Rentenmark ist da, ein Halt ist nirgends in der Wirtschaft eingetreten. Das Volk fühlt sich in seiner stärksten Hoffnung durch das Reich betrogen.

Die Kurse vom 15.11.23 hatten gestanden bei 2520 Mrd. M für 1 Dollar, 11 Billionen M für 1 Pfund Sterling, 600 Mrd. M für 1 Goldmark, am 20.11.23 standen die Kurse bei 4,2 Billionen M für 1 Dollar, 18 Billionen M für 1 Pfund Sterling, 1 Billion M für 1 Goldmark. Im Dezemberbericht gab der RKom. f. Überwachung der öff. Ordnung u. a. folgende Darstellung der allgemeinen Lage: „Die Stabilisierung der Papiermark und die Einführung der Festwährung haben zunächst auf die wirtschaftliche und soziale Krise verschärfend gewirkt. Die Preise der meisten Waren, vor allem aber die Lebensmittel, sind zwar einigermaßen stabil geworden, stehen jedoch nach der Goldmarkpreisfestsetzung zumeist weit über der Weltparität. Die Kosten der Lebenshaltung auf dem Niveau des Existenzminimums liegen infolgedessen gegenwärtig weit über den gleichen Kosten in den sogenannten hochvalutarischen Ländern. In seiner Auswirkung bedeutet das die Ausschaltung Deutschlands als industriellen Konkurrenten auf dem Weltmarkt für jene große Reihe von Produkten, bei denen die Spannung zwischen Produktionspreis und Weltmarktpreis nicht von sich aus eine große war oder für die nicht Deutschland aus dem einen oder dem anderen Grunde eine monopolartige Stellung als Produzent einnimmt, wie dies etwa der Fall ist bei gewissen Chemikalien, elektrischen Artikeln, optischen Instrumenten usw.“ Aus dieser Stimmung des Volkes, die zur Verzweiflung drängt, drohen schwere Gefahren für die Einheit und Sicherheit des Reiches; ihnen vorzubeugen, betrachte ich als meine Aufgabe.

Ich bitte, beim Reichskabinett erwirken zu wollen, daß der amtliche Deviseneinheitskurs aufgehoben wird und ein festes Verhältnis zwischen der Papier- und Rentenmark hergestellt wird.

Die Lage gebietet höchste Beschleunigung. Ich bitte, alle Bedenken aus Finanzfachkreisen zurückzustellen.

v. Seeckt
 
Valuta sind Fremdwährungen. Stell dir ein Land mit einer stabilen Währung vor, die nur wenig schwankt und ein land mit einer gallopierenden Inflation.
Stell dir vor, für 20 ¢ (US$) bekommst du ein Brot. Du bekommst heute ein Brot für 20 ¢, morgen 20 ¢ und auch nächsten Monat. In zwei Jahren kostet es vielleicht 21 ¢. Das ist stabil und zudem hochvalutarisch. Du kaufst das Brot nicht für die eigentliche Währung sondern für eine Untereinheit.
Daneben hast du die Reichsmark. Zunächst kostet das Brot 20 Pfennige, vergleichbar mit den 20 ¢. Noch hochvalutarisch. Aber plötzlich kostet es nach zwei Tagen 40 Pfennige. Da hat es sich innerhalb weniger Tage verdoppelt. Noch hochvalutarisch, aber offenbar extrem instabil. Am nächsten Tag schon 1 Mark., drei Tage später 10 RM, schließlich kostet ein Brot um 12:00 Mittags 1 Millionen RM und um 15:00 bereits 3 Millionen RM usw.usf. D.h. die Währung ist nichts mehr wert. Für die Grundeinheit Mark kannst du praktisch nichts mehr kaufen, weil deren Wert so verschwindend gering geworden ist, dass es praktisch nichts mehr gibt, was ihr im Wert entspricht.

Hilft dir das, um den Brief zu verstehen?

Abgesehen davon, dass der Brief manches Richtige enthält: Was hältst du davon, dass sich ein Militär mit währungspolitischen Fragen in einem Brief an den Reichskanzler wendet?
 
Ein Versuch zur Verständlichkeit:

Eine valutarische Währung war eine nach damaligem Verständnis vom Staat "aufgedrängte" ( = ausgegebene und als Zahlungsmittel vorgeschriebene) Währung, die für fällige Zahlungen allgemein verwendet, und dem Gläubiger aufgedrängt werden konnte.

Unter hochvalutarisch verstand man Länder, die sich am Goldstandard für die "aufgedrängte" Währung orientierten und deshalb anhand des Goldstandards theoretisch konvertiert werden konnten, also "wechselbar" waren (und wegen des Goldstandards idR über stabile Wechselkurse verfügten).

"Normal" valutarisch waren Länder mit "aufgedrängter" Währung ohne oder unterhalb des Goldstandards, also staatlich vorgegebene Währung ohne oder nur mit teilweiser Golddeckung.

v. Seeckt schreibt hier als Laie. Er dürfte mit hochvalutarisch andere Industrieländer ansprechen, die keine Währungs-/Valutenprobleme aufweisen, und sich am Goldstandard orientieren.


Zum Verständnis des Textes hilft das hoffentlich etwas weiter. Zum weiteren Verständnis - was Seeckt anspricht - ist auch die Antwort interessant (3 Tage später):

"Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik" Online "Nr. 280 Der Reichsfinanzminister an den Chef d..." (1.167:)
 
Vielen Dank! Es ist spannend, warum sich ein Militär einmischt.

Entweder zeigt es die hochdramatische Lage und/oder die reale bzw. angenommene Machtfülle des Militär. Und es darf sicherlich gefragt werden, wie kompetent von Seeckt war bzw. warum er glaubt, sich einmischen zu müssen. Ich denke, die Inflation war vielleicht die einzige Krise 1923, in welcher das Militär nicht gefragt war.

Verstanden habe ich leider noch nicht, wesshalb er ein festes Verhältnis zwischen der Papier- und der Rentemark hergestellt wissen will bzw. wie es denn vordem gewesen war.
 
Darüber bin ich auch gestolpert.
Was bildet der sich ein.

Tja, was bildet der sich ein?
Normalerweise sollte man meinen, habe sich ein Militär aus den Angelegenheiten der zivilen Politik heraus zu halten.

So wie ich das in diesem Fall auf Basis der von ihm aufgestellten Mängelliste sehe, befürchtete der Mann durchaus schwerwiegende soziale Konsequenzen und einen Rückfall in die schlimmsten Episoden der Hyperinflation bei Beibehaltung des geldpolitischen Kurses der Regierung.
Das wiederrum ging ihn meines Erachtens aber schon etwas an, weil er davon Unruhen befürchten musste und auch, dass möglicherweise dann die Reichswehr zur Wiederherstellung der Ordnung herangezogen hätte werden müssen.

Schauen wir hierzu vielleicht auch einfach mal auf das Datum der Denkschrift: 20. November 1923

Also keine zwei Wochen, nachdem am 9. November 1923 in München der Hitlerputsch niedergeschlagen wurde.

Die Äußerung von Bedenken, auch aus militärischen Kreisen, im Hinblick auf regierungspolitische Maßnahmen, auf Grund der Annahme durch die Äußernden, dass diese Maßnahmen geeignet sein könnten öffentliche Panik hervor zu rufen, halte ich vor einem derartigen Hintergrund, durchaus für nicht unberechtigt.
Wie weitblickend und fachlich sinnvoll die Inhalte solcher Meinungen sind, ist natürlich eine gänzlich andere Frage.
Der insistente Tonfall der im Hinblick auf die letzten drei Zeilen ist so natürlich eine Frechheit, aber mir fiele jetzt nicht leicht hier zu unterscheiden, ob das bloße, arrogante Anmaßung oder Panik, vor einer Entwicklung ist, die v. Seeckt kommen zu sehen meinte.
 
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Vor dem allgemeinen Hintergrund der Staatskrise und der Wahrnehmung, dass alle Ordnung zu kollabieren droht, würde ich diesen Brandbrief wie Shini bewerten. Den wird Seeckt als seine Pflicht begriffen haben.

Zu den ökonomischen "Forderungen" denke ich, es sollte ebenfalls sein Kontext berücksichtigt werden. Evt. war es für einen Militär der alten Schule unmöglich zu verstehen, wieso diese explodierenden Staatsfinanzen, Geldwert-, Kurs, Finanzprobleme nicht im "Befehlsweg" zu ordnen und aus dem Weg zu räumen waren. Für Seeckt war das vermutlich und schlicht auch ein "Führungsproblem", verursacht durch Regierungschaos -> so als Wahrnehmung und unabhängig von gegebenen Realitäten.
 
In diesem Sinne formulierte v. Seeckt am 10.09.1923 einen Erlaß an die Reichswehr: "Wir stehen vor der größten Krise, die das Reich bisher durchgemacht hat. Nur durch die unbedingte und rücksichtslose Aufrechterhaltung der Staatsautorität wird diese Krise überwunden werden." Gordon, 1959, S. 237).

Und damit bezog er sich auf die Herausforderungen, wie schon oben von Shinigami und Silesia beschrieben, von Links und Rechts. Primär sah er dabei die Gefahr, dass die nationalstaatliche Einheit der Republik durch eine weitere Radikalisierung gefährdet wäre. Da er es als möglich ansah, dass Frankreich militärisch intervenieren würde und im Rahmen der Besetzung eine Teilung der Republik vornehmen würde.

Daß er auf eine weitere Destabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse als Gefahr für den inneren Frieden hinwies, war eigentlich folgerichtig. Durch die Inflation war die Arbeiterklasse verarmt und ebenfalls große Teile der Mittelschicht. Daraus resultierte die Gefahr revolutionärer, bürgerkriegsähnlicher Zustände.

Dass er sich bei seinem Schreiben auf ein Gebiet gewagt hatte, auf dem ihm jegliche Kompetenz fehlte ist verwunderlich, aber vermutlich wird ihm von Seiten der Wirtschaft entsprechende Memos zur Verfügung gestellt worden sein. Und in diesem Memos werden die zentrale Probleme der wirtschaftlichen Gesundung der Volkswirtschaft bzw. von einzelnen Unternehmen ausgeführt worden sein. Und auch in diesem Fall ist unklar, mit welcher Fachkompetenz. Zumindest nimmt Luther ihn in seiner folgenden Antwort ernst (vgl. Link Silesia)

Vor diesem Hintergrund intervenierte er - im Namen der Reichswehr, - die weitgehend hinter ihm stand, wie es im Laufe des Hitlerputsches deutlich geworden ist (Gordon 1978, S, 407ff).

Gordon, Harold J. (1959): Die Reichswehr. und die Weimarer Republik 1919-1926. Frankfurt am Main: Bernard & Graefe.
Gordon, Harold J. (1978): Hitlerputsch 1923. Machtkampf in Bayern, 1923-1924. München: Bernard & Graefe.
 
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Darüber bin ich auch gestolpert.
Was bildet der sich ein.

Hierzu sollte man ergänzen, dass Friedrich Ebert nach dem Marsch auf die Feldherrenhalle den Ausnahmezustand verhängt hatte und in diesem Zusammenhang v. Seeckt temporär, von Nov. 23 bis Feb. 24, die oberste Reichsexekutive übertragen hatte.

Von Seeckt war als de facto Regierungschef und hat in diesem Rahmen unter anderem die NSDAP und die KPD verbieten lassen. Daher ist auch sein Einmischen in die Finanzpolitik keine Kompetenzüberschreitung.
 
Überschneidung der Postings:
Noch eine Ergänzung, die als Hintergrund nicht unwichtig ist (vgl. zum Beispiel Shirer, Kap3)

Der Konflikt und die Beendigung des passiven Widerstands an der Ruhr gegenüber Frankreich ist ein wichtiger Hintergrundaspekt. Und ebenso der Konflikt zwischen Bayern und Thüringen. Stresemann war im Ergebnis als Reichskanzler mit einer Revolte von Links und Rechts konfrontiert. Vom Reichspräsidenten Ebert hatte er deswegen die Ausrufung des "Notstandes" erbeten. Um innen- und außenpolitisch, neben der Einführung der "Rentenmark" zur Beendigung der Hyperinflation, die Weimarer Republik zu stabilisieren.

Vom 26.September 1923 bis Februar 1924 wurde im Rahmen einer Notstandsgesetzgebung durch Ebert die exekutive Macht in den Händen von Reichswehrminister Gessler und dem Befehlshaber der Reichswehr Geneneral v. Seeckt temporär übertragen.

"In reality this made the General and his Army virtual dictators of the Reich."

https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Geßler

Spätere Reichskanzler (vor allem Schleicher etc.) der Hindenburg`schen Präsidialregierungen hatten sich an diesem Modell orientiert und streben eine ähnliche Regelung an (vgl. MacElligott, Pos. 6256 "Conclusion")

MacElligott, Anthony (2014): Rethinking the Weimar Republic. Authority and authoritarism, 1916-1936. London: Bloomsbury Academic.
Shirer, William L. (1998): The rise and fall of the Third Reich. A history of Nazi Germany. London: Arrow Books.

Das Jahr 1923 im Überblick
https://www.weimarer-republik.net/429-0-1923.html
 
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Hierzu sollte man ergänzen, dass Friedrich Ebert nach dem Marsch auf die Feldherrenhalle den Ausnahmezustand verhängt hatte und in diesem Zusammenhang v. Seeckt temporär, von Nov. 23 bis Feb. 24, die oberste Reichsexekutive übertragen hatte.

Von Seeckt war als de facto Regierungschef und hat in diesem Rahmen unter anderem die NSDAP und die KPD verbieten lassen. Daher ist auch sein Einmischen in die Finanzpolitik keine Kompetenzüberschreitung.
Das ist an mir vorbeigegangen, auch weil v. Seeckt sich in dem Brief ja an den Reichskanzler richtete. Ich habe da Josephine auf eine falsche Fährte geleitet.
 
Eine brauchbare Darstellung findet sich bei Taylor. Eine einschneidende Veränderung ergab sich mit der Schaffung der Rentenbank und der Übernahme der entscheidenden Position von Schacht als Reichswährungskommisar.

Bereits beim ersten Zusammentreffen am 19 November 1923 des Verwaltungsrates der Rentenbank mit RK Stresemann formulierten sie, die aus Industrie und Landwirtschaft kamen, weitreichende Forderungen. Diese zielten im wesentlichen auf die Rücknahme der sozialen Reformen aus 1918 ab. Und machten sich im wesentlichen die Forderungen von Stinnes zu eigen.

Aufgrund der Notstandsverordnungen wurden viele Entscheidungen durch v. Seeckt getroffen, für die ursprünglich zivile Minister zuständig waren, so Taylor (S. 332) .

Und das erklärt aus diesem Kontext die operative Einflussnahme zu einem extrem sensiblen und komplizierten Zeitpunkt, der Einführung der Rentenmark.

Taylor, Frederick (2013): Inflation. Der Untergang des Geldes in der Weimarer Republik und die Geburt eines deutschen Traumas. Unter Mitarbeit von Klaus-Dieter Schmidt. München: Siedler.
 
Ich bitte, beim Reichskabinett erwirken zu wollen, daß der amtliche Deviseneinheitskurs aufgehoben wird und ein festes Verhältnis zwischen der Papier- und Rentenmark hergestellt wird.
Wie verstehst Du denn seine Forderung, was einzuleiten wäre?

Lt. Wiki wird am Tag der Forderung (20.11) "Der Wechselkurs zur Papiermark wurde mit 1:1 Billion festgesetzt, und zwar genau am 20. November".
Was war zuerst?
Und am 23. November schreibt der Reichsfinanzminister in einer Antwort: "Die Herstellung eines festen Wertverhältnisses zwischen Papier- und Rentenmark läßt sich in diesen Tagen durch Verordnung nicht bewerkstelligen."

Ich steh da aufm Schlauch.
 
Noch eine Anmerkung zur Problematik der Bewertung der Papier- bzw. der Rentenmark. Im Kern, so Taylor (S. 328ff), stand ein Interessenkonflikt zwischen der Rentenbank auf der einen Seite und der Reichsregierung und Reichsbank auf der anderen Seite. Die unklare Situation, auf die sich auch das Schreiben von v. Seeckt bezogen hat, war das Ergebnis dieses Konflikts, da eine gewisse Pattsituation" eingetreten war, die erst im Laufe der weiteren Ereignisse - sprich der Einführung - sich normalisierte.

Taylor schreibt, dass die Reichsregierung 300 Mio Rentenmark als zinslosen Kredit - weitere 900 standen bereit - erhalten hatte und mit diesen sollten in Papiermark ausgestellte Reichswechsel zurück gekauft werden. Je stärker der Wert der Papiermark fallen würde desto billiger wäre der Rückkauf für die Reichsregierung gewesen.

Das Interesse der Rentenbank ging in eine andere Richtung: "Sie wollte die Rentenmark für so viele Papiermark wie möglich verkaufen, und dies bei einem möglichst hohen Wert der Papiermark." (ebd. S. 330).

Die damit zusammenhängende Währungsreform hatte für das Reich einen extrem positiven Effekt. Der Wert der Kriegsanleihen belief sich im Jahr 1918 auf 154 Milliarden Mark. Dieser Wert war im November 1923 auf 15,4 Pfennige gesunken! (ebd. S. 330)

Damit war vor allem die patriotisch gesinnte Mittelschicht wirtschaftlich depriviert, indem ihre Anlagen praktisch enteignet worden sind. Und der Staat von Weimar war in der einzigartigen Position, dass er kurz nach dem Krieg nahezu schuldenfrei dastand. Zudem nahezu kein Budget für das Militär aufwenden mußte.

Die Hyperinflation bzw. die folgende Währungsreform erzeugte nicht nur ein Trauma für die deutsche Bevölkerung, das auch für die Machtergreifung von Hitler relevant werden sollte. Es hatte auch Konsequenzen für die Gesundung der Wirtschaft (Plumpe, S. 303). Durch die Währungsreform wurde die Kaufkraft des deutschen Binnenmarktes einerseits drastisch reduziert und somit die Belebung der Wirtschaft durch einen expandierenden Massenkonsum verhindert. Das passierte in einer Periode, in der deutschen Unternehmen der Zugang via Export zum Weltmarkt erschwert worden ist und somit das Wirtschaftswachstum und die Erholung in der Nachkriegsphase sich relativ langsam erst einstellte.

Das Problem der Unterausstattung mit Kapital in Deutschland wurde ab 1924 dann u.a. durch den massiven Zufluss vor allem von US-Kapital gelöst. Und zwischen 1924 und 1930 war Deutschland das Land mit dem höchsten Zufluss an ausländischen Kapital (vgl. Feinstein et. al. S. 79). Allerdings ist das auch als "Dreiecksgeschäft" im Kontext der Reparationen zu betrachten.

Feinstein, C. H.; Temin, Peter; Toniolo, Gianni (1997): The European economy between the wars. New York: Oxford University Press.
Plumpe, Werner (2017): Das kalte Herz. Geschichte und Zukunft des Kapitalismus. Originalausgabe. Berlin: Rowohlt Berlin.
 
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