Paläodiät sinnvoll?

Für die industriell hergstellte Nahrung ist das ja ganz nachvollziehbar. Aber auch für die kohlhydrathaltigen Hülsenfrüchte und Getreide? Was meinen die Historiker dazu?
In der ZEIT gabs letztes Jahr mal einen ganz lesenswerten Antwortartikel auf Deine Frage: Paläo-Diät: Wurzeln, Nüsse, Beeren satt |*ZEIT ONLINE

Sämtliche "Zivilisationskrankheiten" auf die Ernährung zu schieben, ist aus meiner Sicht als biozidischer Laie zu kurz bzw. zu weit gegriffen. Wie eigentlich der Name schon sagt, sind solche Verschleißerscheinungen eher durch den Gesamtkomplex unserer modernen Lebensweise bedingt. Ursachen hierfür aktuell sind mit Sicherheit mindestens auch Bewegungsmangel, Haltungsschäden im doppelten Wortsinne (sitzen statt gehen, Bildschirmarbeit), Berufskrankheiten (früher z. B. Hutmacher, Schmiede etc., heute vielleicht z. B. Maurer, Pflegekräfte, Paketboten, Schichtarbeiter), vielleicht Stress, ggf. Elektrosmog, krankhafte Veränderungen verursacht durch (moderne/technische/industrielle) Umweltgifte, aktuell gängige Drogen und Genußmittel, Modekrankheiten etc pp.. Smartphone und Co. werden unser aktuelles Repertoire an Zivilisationskrankheiten sicherlich genauso verändern wie das Verschwinden von Höhlenbär und -löwe oder der bleiernen Wasserleitung.

Was mich verblüfft, ist der doch recht stumpfe Gut-Böse-Vergleich: Es gab in der guten alten Zeit zu einem nicht eindeutig festgelegten Zeitpunkt an einem nicht eindeutig festgelegten Ort mit nicht eindeutige festgelegten klimatischen Bedingungen genau ein allgemeingültiges Shangrila mit einem Ernährungsoptimum (Schnecke? Kabeljau? Pinguinaas? Leguan? oder doch Mammut? Wildpreißelbeere oder Kokosnuss? Vergorene Stutenmilch? Tomaten, Kartoffeln, Kürbisse gut oder böse?) und in der bösen modernen Zeit gibts auch genau eine Standardernährung (Pommes Schranke? Butterbrot? Milch und Honig? Koberind?) und genau einen Satz "Zivilisationskrankheiten".

Wenn man aber mal durch die Geschichte klappert, dürfte man - immer noch platt - für jedes Jahrhundert seinen eigenen Satz Zivilisationskrankheiten finden. Dazu gehören m. E. Sachen wie Hysterie, Tuberkulose, Cholera, Syphillis, Rachitis, Leistenbrüche (DIE klassische Zivilisationskrankheit mindestens der Seeleute während des Age of Sail - auf dem Bau dürfte es ähnlich gewesen sein.) etc. pp. - Zähne! Zähne waren schlimm. Während langer Phasen der Frühen Neuzeit dürften ein Großteil der europäischen Bevölkerung chronische Alkoholiker gewesen sein und gleichzeitig lebenslang mehr oder weniger heftige Folgeschäden zeitweiliger Mangelernährung mit sich rumgeschleppt haben. Skorbut fand auch in der Landbevölkerung statt - die Winter müssen vor dem 20. Jahrhundert schrecklich gewesen sein.

Vor dem Hintergrund verliert so ein :devil: Käsebrötchen :devil: doch eine Menge von seinem Schrecken.
 
Ich denke es ist ganz einfach: Es gab schon immer Gene für Laktoseintoleranz (nach der Entwöhnung von der Muttermilch). Es traten aber auch schon immer (das heißt alle "paar" 10.000 Jahre) punktuelle Mutationen für Laktosetoleranz auf - nur konnte sich dieses Merkmal in der menschlichen Population nicht durchsetzen, da es gegenüber der Laktoseintoleranz keinen Vorteil hatte (übrigens auch keinen Nachteil).

Als der Mensch aber, wahrscheinlich weges des Fleisches, Vieh zu halten, gab man einigen Kindern auch nach der Entwöhnung von der Muttermilch (oder um diese zu erleichtern) tierische Milch. Die meisten Kinder, Laktoseintolerant, vertrugen diese Milch nicht und zeigten die entsprechenden körperlichen Folgen. Einige weniger aber, die Laktosetoleranten, erhielten durch ihr Merkmal einen evolutionären Vorteil.

Statistisch überlebten in Gegenden mit Milchwirtschaft mehr laktosetolerante als intolerante Kinder, und so setzte sich dieses Merkmal innerhalb mehrerer Jahrtausende durch.

Wenn man aber mal durch die Geschichte klappert, dürfte man - immer noch platt - für jedes Jahrhundert seinen eigenen Satz Zivilisationskrankheiten finden.

Ein Wort zu Zivilisationkrankheiten: Sie sind tatsächlich eine Plage, aber die meisten von ihnen sind eben ziemlich "natürlich" und wir können ihnen nicht entgehen. Beispiel Krebs: Man raucht nicht, man ist normalgewichtig etc. Und trotzdem, nachdem sich die Gene wieder und wieder kopiert, die Zellen immer wieder und wieder geteilt haben, gibt es eine Mutation und man bekommt ihn. Der Grund: Pech, und vor allem, das Alter. Denn je älter man wird, desto mehr Kopierfehler treten auf.

Wir leben also so gesund (damit meine ich ausreichende, manchmal auch zu viel Nahrung, aber auch Hygiene und unser Gesundheitssystem), dass wir doppelt so alt werden wie noch der Jäger der Altsteinzeit; dadurch bekommen wir aber erst die neuen Krankheiten zu spüren, an die andere Menschen, die von Cholera und Typhus geplagt sind, noch gar nicht denken können.

Was ist also besser? Mit 20 an einer ekelhaften Infektion sterben oder mit 80 an Krebs dahinsiechen? Das erste ist die "natürliche" Version, das zweite die "zivilisierte". Mein persönlicher Tipp: Ich habe es nochmal überdacht. Muss jeder selbst sehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
nur konnte sich dieses Merkmal in der menschlichen Population nicht durchsetzen, da es gegenüber der Laktoseintoleranz keinen Vorteil hatte (übrigens auch keinen Nachteil).

Eben

Als der Mensch aber, wahrscheinlich weges des Fleisches, Vieh zu halten, gab man einigen Kindern auch nach der Entwöhnung von der Muttermilch (oder um diese zu erleichtern) tierische Milch. Die meisten Kinder, Laktoseintolerant, vertrugen diese Milch nicht und zeigten die entsprechenden körperlichen Folgen. Einige weniger aber, die Laktosetoleranten, erhielten durch ihr Merkmal einen evolutionären Vorteil.

Statistisch überlebten in Gegenden mit Milchwirtschaft mehr laktosetolerante als intolerante Kinder, und so setzte sich dieses Merkmal innerhalb mehrerer Jahrtausende durch.

Das leutet mir ein. Genau darauf wollte ich eigentlich auch hinaus: Die Mutation hat sich erst durchgesetzt, als man damit begann, den Säuglingen Tiermilch zu verabreichen. Und erst dann kam die Milchwirtschaft.
 
Das gerade glaube ich nicht, da über 99% der Säuglinge Milch vertragen. Die Milchwirtschaft wird schon kurz nach Beginn der Viehzucht gestartet sein. Eventuell als Ziecklein oder Kälber verstorben sind, nach dem Motto was machen wir nun mit der Milch. Auch nicht in jedem Käse ist Lactose, je nach Prozessführung beim Käsen.
Und wenn man im Winter nix zu fressen hat probiert man andere Produkte, ob man sie verträgt.
Kefir könnte übrigens ein frühes Produkt der Milch sein, da hier der Milchzucker zum größten Teil vergoren wird.

Apvar
 
Mein Problem ist, dass im vorliegenden Fall beim Auftreten der Mutation (Spontanmutation) durch das Fehlen der Milchwirtschaft die Gegebenheiten für die "richtige" Selektion noch gar nicht vorhanden waren.

Das ist doch das gleiche Problem wie beim Birkenspanner. Die Mutation fand viel früher statt. Es gab schon lange schwarze Birkenspanner, es gab schon lange laktosetolerante Menschen.
Und nun kommt eben die Selektion dazu. Für den Birkenspanner in Form des Tarnungsvorteils, für den Menschen in Form der positiven Auswirkungen der Milchernährung.
Und erst jetzt treten beide Mutationen auffällig in Erscheinung, das heißt aber eben nicht, dass sie jetzt erst entstehen.
 
Zur Ausbreitung der Laktosetoleranz möchte ich hier auf die Mendel'schen Vererbungslehre hinweisen. Hier ist es relativ einfach dargestellt:

Die Uniformitätsregel - 1. Mendelsche Regel sowie die Spaltungsregel - 2. Mendelsche Regel

In dem Beispiel geht es um die Farbe von Blumen. Hier ist dominant die Farbe Rot - R und rezessiv die Farbe Weiß -w).

Transponiert man das Beispiel von Blumen auf den Menschen und von rot auf laktosetolerant bzw. von weiß auf laktoseintolerant, so läßt sich auch die Ausbreitung innerhalb einer Population erklären.
 
Auch die Ernährungsgewohnheiten sind dem evolutionären Prozess unterworfen.
Nun ja, evolutionsmäßig war die Neolithisiserung, erst "geradeben" (vor ca. 10. - 12.000 Jahren beginnend und sich Jahrhunderte/Jahrtausende hinziehend), um Harari zu zitieren, der meint, dass das Aussterben der Neandertaler vor 30.000 Jahren "aus Sicht der Evolution" erst "gestern Abend" stattfand.
 
Wobei dabei aber natürlich in Generationen und nicht in Jahren zu denken ist. Und 1000 ist dann ja schon eine kleinere Zahl.
 
... nicht in jedem Käse ist Lactose, je nach Prozessführung beim Käsen.
...
Ja. Bei unserem Käse muss man zwischen Labkäse und Sauermilchkäse unterscheiden. Sauermilchkäse gibt es schon seit vielen Tausend Jahren. Er ist aber kaum haltbar und enthält immer mehr oder weniger viel Laktose. Der Labkäse hingegen gibt es Zentraleuropa erst seit dem Mittelalter. Er ist nach seiner Reifung sehr gut haltbar und dann auch komplett laktosefrei.

Gruss Pelzer
 
Bis vor wenigen Jahrzehnten war es - zumindest bei Landwirten - ja noch üblich, Dickmilch täglich zu sich zu nehmen. Ein bisschen wurde immer übrig gelassen und als Gärmasse für die neu hinzugegebene Rohmilch benutzt.
 
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