Grundgesetz, EZB und Bundesbank

Dass Brüssel bis dahin etwas im Dunkeln tappt, ist natürlich den Institutionen nicht anzukreiden, sondern liegt in der Natur der Sache einer geregelten Rechtsprechung und der menschlichen Ungeduld.

Sowohl Urteil wie ausführliche Pressemitteilung wurden am 5. Mai veröffentlicht, online gestellt. Selbst die Pressemitteilung ist ausführlich genug, mehrere Seiten lang.
 
Alpmann Schmidt haben auf Youtube eine vorzüglich sachliche, anschauliche wie verständliche Darstellung des BVG-Urteils und seiner Gründe veröffentlicht, dort einfach unter RÜ-Video 07/20 Wertpapierankaufprogramm des ESZB verfassungswidrig suchen.
 
Nun meldet sich Adam Tooze zu Wort:

Urteil des Verfassungsgerichts: Eine neue Rolle für die EZB

Der Beitrag zeigt, wie wenig die deutsche Problematik in der EU verstanden wird. Hier prallen fundamentalen Perspektivunterschiede aufeinander, die bis hin zu recht unwürdigen Qualifikationen für das BverfG führen.

Die Sprengkraft begriffen zu haben scheinen Kommission und EZB selber, von rhetorischen Manövern mal abgesehen. Sonst hätte man sich wohl kaum so eilig bemüht, das "Problem" formal zu lösen.

Im Hintergrund ist wichtig zu verstehen, dass hier auch - ohne Wertung - ein Dogmen- und Theorienstreit tobt: MMT vs. Klassik in der Geldtheorie. Es gibt eine breite Tendenz zu Meinungen und Modellen, die für die AE eine unlimitierte Verschuldung der Haushalte + eine unlimitiert mögliche Geldpolitik der Notenbanken, mithin ein anderes Verständnis für Kapital sehen.
 
Das wording nimmt an Schärfe zu:

"Ein weltfremder deutscher Angriff auf die Realitäten des Zentralbankwesens des 21. Jahrhunderts"
https://twitter.com/boell_stiftung/status/1280110670709694466?s=21

Für eine Kapazität wie Tooze ist das schon besorgniserregend.

Er redet hier abfällig darüber, wie das höchste deutsche Verfassungsorgan konstitutionelle Grenzen zieht.

Diese Grenzen sind übrigens dieselben wie für die Bundesbank früher, nichts dergleichen ist geschehen, was den Verfassungsrahmen materiell geändert hat, außer dass ein "Durchtauschen" der Zentralbank-Zuständigkeiten erfolgt ist.

Auch wenn mit dem Ökonomen die Pferde durchgehen, und in guter pro-europäischer Absicht gehandelt wird, kann das nicht zu konstitutionellen Beliebigkeiten führen, die irgendwelchen Modellbehauptungen folgen, indem sie sich an angebliche/behauptete Realitäten anpassen.

Verfassungen werden nicht "an Realitäten angepasst", sondern richten sich nach ordentlichen und verfassungsgebenden Mehrheitsbeschlüssen. Wie leben in einem Rechtsstaat und nicht nach makroökonomischen "Modellen", die sich ohnehin alle Dekaden ändern.
 
Ist halt ungünstig, wenn man ein makroökonomisches Modell zur Rechtsgrundlage macht (in dem Fall der EU-Verträge), das sich ein, zwei Dekaden später als falsch heraus stellt.

Die Jurisprudenz, nur das kann man aus diesen Worten schließen, hat kein Verfahren und keine Mittel, um sich selbst davor zu schützen, zum Opfer von Gesetzen zu werden, in denen etwas steht, was unmöglich umsetzbar oder schlicht falsch ist.
Wenn höchste Richter irren... - MAKROSKOP
 
So wie das in der FAZ steht, ist es wohl das Mindeste. Verfassungsrichter im Gespräch: Bundesbank muss EZB Einhaltung der Vorgaben bescheinigen
"darauf zu dringen, dass die EZB ihr Anleihekaufprogramm einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzieht."
In den Verträgen ist das Agieren der EZB nicht vorgesehen , was im MAKROSKOP umständlich und gewunden doch eingeräumt wird. Wenn das gerechtfertigt werden muss, braucht sie es nicht notwendigerweise zu ändern.
Der EURO kann nur mit Transferunion, wie in Deutschland zwischen den Bundesländern, bestehen. Weil es aber keine Transferunion gibt übernimmt die EZB diese Rolle durch Vergabe von Krediten, die niemals zurückgezahlt werden können. Sie übernimmt eine ihr in den Verträgen nicht zugedachte Rolle. Niemand macht sich öffentlich Gedanken darüber ob das ewig so weiter gehen kann und welche Wirkungen das Aufblähen der Geldmenge langfristig hat und das wäre doch das Mindeste (siehe oben).

Die lateinische Münzunion ist gescheitert und der EURO wird auch scheitern .
Lateinische Münzunion – Wikipedia



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(cdu euro kostet nichts 1998 - Google-Suche
Wahlversprechen von 1999: "Was kostet uns der Euro? Muss Deutschland für die Schulden anderer Länder aufkommen? Ein ganz klares Nein! Der Maastrichter Vertrag verbietet ausdrücklich, dass die Europäische Union oder die anderen EU-Partner für die Schulden eines Mitgliedstaates haften. Mit den Stabilitätskriterien des Vertrags und dem Stabilitätspakt wird von Vorneherein sichergestellt, dass die Nettoneuverschuldung auf unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt wird.Die Euro-Teilnehmerstaaten werden daher auf Dauer ohne Probleme ihren Schuldendienst leisten können. Eine Überschuldung eines Euro-Teilnehmerstaats kann daher von Vorneherein ausgeschlossen werden. Was kostet uns der Euro?

Die Verträge werden offensichtlich gebrochen und grundsätzlich stört es das Verfassungsgericht nicht. )
 
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