Bitte um zwei Buchtipps zum Dritten Reich

PeterWestfale

Mitglied
Am Anfang dieses Forum-Teils sind Literatur- und Link-Listen zu Holocaust, Widerstand und Drittem Reich. Allerdings zum Dritten Reich nur eine Link-Liste.
Was würdet ihr für ein Buch nennen, das

a) das Dritte Reich im allgemeinen Überblick beschreibt. (z.B. Überblick, Anfänge, Wehrmacht, SS, Holocaust, Weltkrieg) Es kann bei diesem breit gefächerten Überblick natürlich nicht sehr in die Tiefe gehen. Vielleicht gibt es ein so allgemein gehaltenes Buch gar nicht?

b) das einige Nazi-Funktionäre aufführt, aber mehr als in "Hitlers Helfer" (sind glaube ich sechs Personen) und weniger als in "Das Personenlexikon zum Dritten Reich" (sind 4300 Personen!).

(a) und (b) natürlich nicht in EINEM Buch sondern in zwei verschiedenen.

Und c) auch wenn das etwas abschweift und vielleicht wilde Diskussionen auslöst:
Wieso kostet "Hitlers Helfer" so viel Geld (ab circa 100 Euro aufwärts) bei Amazon? Muss ja sehr rar und begehrt sein. Ist das so ein tolles Standardwerk oder kaufen die ganzen Neonazis das Buch?

Grüße
Peter
 
Bei "Eurobuch" geht es mit "Hitlers Helfer" bei 1 € los... Und als Überblickswerk zum Dritten Reich würde ich das dreibändige von Richard J. Evans vorschlagen.
 
Sehr empfehlen will ich: Götz Aly - Hitlers Volksstaat.
"In dem vorliegenden Buch soll die Symbiose von Volksstaat und Verbrechen sichtbar gemacht werden." (S. 11)
Das Buch wird diesem Anspruch gerecht.
 
Danke für die Tipps. Sowohl Eurobuch allgemein als auch Evans sind gute Tipps.

Alys "Hitlers Volksstaat" werde ich mir wahrscheinlich nicht holen. Trotzdem danke für die interessante Buch-Nennung. Es gibt halt so viele gute Bücher über das dritte Reich, jedes mit einem anderen Schwerpunkt, da kann ich nicht alle wählen. Das gilt auch für Hitlers Helfer, denn sechs Personen, das ist mir einfach zu begrenzt. Ich möchte auch über Göring, Goebbels, die Generäle, Himmler, Heydrich, Röhm, Speer usw. lesen.

Grüße
Peter
 
Es gibt unzähliges Literatur zum Dritten Reich und zahlreiche gute Biographien:

Hier ein paar Tipps von mir:

Richard J. Evens: Das Dritte Reich. Drei Bände - Band 1: Aufstieg, Band 2: Diktatur, Band 3: Krieg.
Richard J. Evens: Das Dritte Reich. Geschichte und Erinnerung

Peter Longerich: Joseph Goebbles. Biographie
Peter Longerich: Himmler Biographie
Robert Gerwarth: Reinhard Heydrich
Magnus Brechtken: Albert Speer. Eine deutsche Karriere
Heike B. Görtemaker: Eva Braun: Leben mit Hitler

Weitere kann ich dir noch raussuchen. Wenn gewünscht
 
Wenn ich bei der Gelegenheit mal was zu Brechtkens Speer-Biographie sagen darf: Die ist sicher von überragender Bedeutung und hätte, wäre sie 40 Jahre früher erschienen, das politische Bewusstsein Vieler in Deutschland ein Stück weit erschüttern können. Sie zerstört ja den von Speer und seinen Helfern fabrizierten Mythos vom unpolitisch unschuldigen Mitläufer, unmittelbar zur Rechten Hitlers.
Aber was ich beim Lesen der Biographie immer mitdenken musste: Verzichtet Brechtken nicht, um die Botschaft so klar wie möglich zu lassen, auf ein genaues Psychogramm der Figur? Müsste ein solches Psychogramm nicht vermitteln, dass Speer zwar nicht besser oder weniger schuldbeladen als die anderen Spitzen des Regimes war, aber doch anders? Es ist ja kein Zufall, dass er es wie kein anderer Täter geschafft hat, in der Nachkriegszeit wieder eine Art Reputation aufzubauen.
Beispiel Antisemitismus: Irgendwo steht in der Biographie, dass Speer behauptete, nie Antisemit gewesen zu sein. Brechtken kennzeichnet das als absurd, weil Speer am Schicksal der Juden sehr direkt mitgewirkt hat. Ich denke: Das zeigt das Buch zwar deutlich, andererseits halte ich es für wahrscheinlich , dass antisemitische Vorurteile für Speer tatsächlich keine große Rolle gespielt haben, dass es ihm aber einfach persönlich vorteilhaft schien, bei der Politik der Vernichtung mitzumachen.
Vielleicht sibd solche Überlegungen aus etwas weiterer Perspektive gar nicht so wichtig. Andererseits hätte die Biographie meines Erachtens eine noch größere Überzeugungskraft, wenn die Eigenheiten des SpeersChen Charakters deutlicher würden. Sympathischer würde die Figur dadurch nicht.
 
Aber was ich beim Lesen der Biographie immer mitdenken musste: Verzichtet Brechtken nicht, um die Botschaft so klar wie möglich zu lassen, auf ein genaues Psychogramm der Figur? Müsste ein solches Psychogramm nicht vermitteln, dass Speer zwar nicht besser oder weniger schuldbeladen als die anderen Spitzen des Regimes war, aber doch anders?
Warum sollte es Aufgabe von Historikern sein sich in Spekulationen über psychologische Ferndiagnosen zu ergehen?
Es gibt, etwa was die psychische Verfasstheit Hitlers angeht, mittlerweile wie viele Werke, die das eine oder das andere spekulativ in den Raum stellen? Hat es aber zu irgendeiner Erkenntnis verholfen?
MMn zu umstritten und zu wenig gesichert um wirklich von Nutzen zu sein. Wenn ein zeitgenössisches psychologisches Gutachten vorläge, könnte man das sicherlich in einem Abriss präsentieren, müsste sich dann aber auch damit befassen, ob das gemessen am Stand heutiger Methodik so überhaupt noch zu halten wäre.

Es ist ja kein Zufall, dass er es wie kein anderer Täter geschafft hat, in der Nachkriegszeit wieder eine Art Reputation aufzubauen.
Das würde ich vor allem aber seinen verschiedenen Tätigkeitsbereichen zuschreiben. "Rüstungsminister", dürfte im Gegensatz zum Stararchitekten d. Böhmischen Gefreiten, für einen weiten Teil des Nachkriegs-Publikums erstmal eine Abstraktion gewesen sein, zumal sicherlich nicht jeder die Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie als besonders furchtbar empfunden haben mag, daran gemessen, dass eben Krieg war.
Sieht man heute, wenn man Bilder vor Augen hat, wie die Gefangenen da behandelt wurden, natürlich etwas anders, aber da die Verantwortlichkeiten nachzuvollziehen und das alles aufzuarbeiten, dauerte naturgemäß seine Zeit, bis dahin hatte Speer Gelegenheit seinen Mythos zu schaffen.

Auch wenn Speer da propagandistisch sicherlich viel auf die Beine gestellt hat, aber das haben, meine ich, auch andere hinbekommen, wenn ich da etwa an Manstein denke

Beispiel Antisemitismus: Irgendwo steht in der Biographie, dass Speer behauptete, nie Antisemit gewesen zu sein. Brechtken kennzeichnet das als absurd, weil Speer am Schicksal der Juden sehr direkt mitgewirkt hat.

Warum genau musste man Antisemit sein um daran mitzuwirken? Zum einen ist es ja nicht so, als hätte sich seine Verantwortlichkeit auf Verbrechen an Juden als einzelne Gruppe beschränkt, wenn man an die diversen anderen Gruppen von KZ-Insassen und Kriegsgefangenen denkt, die unter seiner Fuchte verheizt wurden.

Zum anderen, warum muss man speziell Antisemit sein um den Tod von Juden oder als jüdisch betrachteter Personen mindestens mal billigend in Kauf zu nehmen? Ich würde ja meinen, eine technokratisch-amoralische Haltung, die es dem Inhaber erlaubt für seine Projekte jeden Sklaven zu verheizen, den er bekommen kann, gleich um wen es sich dabei handelte, täte da auch hinreichen.

Unter Berücksichtigung dessen, dass unter Speers Verantwortung die billigende Inkaufnahme des Todes jüdischer Zwangsarbeiter, eine Verantwortung neben Anderen, gegenüber anderen Gruppen ist, bei denen er dazu ebenfalls bereit war, ist dies ungeeignet daraus eine antisemitische Haltung ablesen zu wollen, meine ich jedenfalls.
Wenn das Verüben von Verbrechen an einer bestimmten Gruppe, neben anderer ohne nähere Formulierung eines ablehnenden Hintergrunds, demnächst für rassistisch/antisemisch/anti-was-auch-immer gelten soll, müssten wir uns auch etwa über den Antisemitismus Kaiser Vespasians unterhalten, unter dem bekanntlich im Zuge des "Jüdischen Krieges" zigtausend einwohner Judäas in die Sklaverei verschleppt wurden, während auch in römischen Steinbrüchen und auf römischen Galleren der Tod der eingesetzten Sklaven billigend in Kauf genommen wurde.

Ich denke, dass sollte den Unsinn der ganzen Angelegenheit klar machen.

Wären in den KZs und unter der Fuchtel der von Speer geleiteten Rüstungswirtschaft ausschließlich Juden bis zum Tod ausgebeutet worden, könnte man vielleicht noch diskutieren, ob dieser Schluss ohne den Nachweis antisemitischer Äußerungen etc. zulässig ist, so wie die Sache aber einmal stand, ist er das ohne näheren Nachweis in dieser Hinsicht nicht, jedenfalls nicht, so wie ich das sehe.


Ich denke: Das zeigt das Buch zwar deutlich, andererseits halte ich es für wahrscheinlich , dass antisemitische Vorurteile für Speer tatsächlich keine große Rolle gespielt haben, dass es ihm aber einfach persönlich vorteilhaft schien, bei der Politik der Vernichtung mitzumachen.
Vielleicht sibd solche Überlegungen aus etwas weiterer Perspektive gar nicht so wichtig. Andererseits hätte die Biographie meines Erachtens eine noch größere Überzeugungskraft, wenn die Eigenheiten des SpeersChen Charakters deutlicher würden. Sympathischer würde die Figur dadurch nicht.

Ich denke, wenn man in solchen Zusammenhängen als Biograph dezidierten Antisemitismus postulliert, sollte man den an Hand entsprechender überleiferter Äußerungen oder Schriftstücke nachweisen können.

Hinsichtlich der Wichtigkeit, ist es für eine Biographie, meine ich, schon bedeutsam, wenn sich ein persönlicher Antisemitismus denn nachweisen ließe weil dass dann die Frage aufwerfen würde, ob Speer mit irgendwelchen Maßnahmen, die dann möglicherweise auch die Effizienz der Rüstungswirtschaft tangiert hätten (Stichwort Fluktuation und Arbeitsroutine) die Existenzbedingungen der jüdischen Zwangsarbeiter noch künstlich zu verschlechtern um deren Leiden zu verschlimmern und/oder ihr früheres Ableben herbei zu führen.

Wenn ein persönlicher Antisemitismus im Sinne des NS nachweisbar ist, müsste das also in Konsequenz dahin führen, sich die Maßnahmen Speers näher anzuschauen und diese auf einen Doppelcharakter zu untersuchen, demnach damit nicht nur auf die Effizienz der Rüstung und Bauprojekte, sondern auch dezidiert auf eine Beschleunigung der "rassischen Süuberung" hingearbeitet worden sein könnte.
 
Warum sollte es Aufgabe von Historikern sein sich in Spekulationen über psychologische Ferndiagnosen zu ergehen?
Ein Historiker stellt ja, mehr oder minder, stets "Ferndiagnosen".
Und warum sollte er dann nicht, das Persönlichkeitsbild einer bestimmten Person mit der IDC-10/DSM-5 - Klassifizierung z.B. der narzisstischen Persönlichkeitsstörung abgleichen?
Und sich dann auch fragen, wie hoch der durchschnittliche Anteil einer solchen innerhalb einer typischen Population ist.
Und unter welchen Umständen eine solche Persönlichkeitsstörung, das ist erstmal keine Krankheit, sondern eine ungewöhnliche Charakterausprägung, besondere Möglichkeiten des Gedeihens hat.
Den Versuch zu unterlassen wäre doch das Verpassen einer möglichen Gelegenheit Licht in die zu erhellende historische Ferndiagnose zu bringen.
Peter Longerich: Joseph Goebbles. Biographie
Longerich sieht im schrecklichen Werdegang des Josef Goebbels durchgehend einen Menschen mit einer starken "narzisstischen Persönlichkeitsstörung".
Es ist für ihn das Merkmal, das stets Bestand hat, während andere durchaus schwanken.

.. eine ähnliche Diskussion hatten schon mal:
Narzissmus unter Diktatoren
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein Historiker stellt ja, mehr oder minder, stets "Ferndiagnosen".
Und warum sollte er dann nicht, das Persönlichkeitsbild einer bestimmten Person mit der IDC-10/DSM-5 - Klassifizierung z.B. der narzisstischen Persönlichkeitsstörung abgleichen?
Und sich dann auch fragen, wie hoch der durchschnittliche Anteil einer solchen innerhalb einer typischen Population ist.
Und unter welchen Umständen eine solche Persönlichkeitsstörung, das ist erstmal keine Krankheit, sondern eine ungewöhnliche Charakterausprägung, besondere Möglichkeiten des Gedeihens hat.
Den Versuch zu unterlassen wäre doch das Verpassen einer möglichen Gelegenheit Licht in die zu erhellende historische Ferndiagnose zu bringen.
Auf welcher Basis denn?

Was an Material über einschlägige Persönlichkeiten vorliegt, setzt sich zusammen aus Zuschreibungen Dritter, selbstzeugnissen, von denen man nicht weiß, inwiefern diese als ehrlich einzuschätzen sind und Memoiren, die verklären oder auch einfach dazu geschaffen sein können einen Mythos in die Welt zu setzen.
Dann kommen im Hinblick auf das konkrete Wirken oder zur Durchsetzung eigener Interessen, möglicherweise noch Anpassungsschritte an das entsprechende Umfeld und die Argumentationslogiken der Umgebung hinzu, die ohne dem klar wiedersprechende Selbstzeugnisse, bei denen davon ausgegangen werden darf, dass sie nicht späterer Stilisierung dienten, von tatsächlichen Ansichten kaum zu unterscheiden sind.

Da ist mitunter schonmal das Quellenmaterial in seiner Richtung nicht eindeutig, standardisierte Testverfahren nicht mehr möglich.
Zudem möchte ich mal behaupten, dass die meisten Historiker von Diagnostik im Bereich psychischer Störungen in etwa so viel verstehen, wie ein Walfisch vom Fahrradfahren.
Da sehe ich durchaus eine latente Gefahr zur Tendenz, einer Pathologisierung exzentrischer Verhaltensmuster, die nicht zwangsweise auf eine tatsächliche Störung hindeuten müssen und außerdem die Gefahr, diese losgelöst von ihrem Kontext zu betrachten, in dem sie auch möglicherweise nur der Selbstinszenierung der Person gelten konnten, um welchen Effekt auch immer zu erziehlen.

Schaut man sich als Paradebeispiel an, was es etwa über Hitlers Psyche an Abhandlungen gibt, ist man doch dadurch, dass sich diverse in diester Hinsicht qualifizierte und nicht qualifizierte Personen dazu berufen fühlten, alle möglichen Ferndiagnosen in die Welt zu setzen, mit der Folge, dass der Person mittlerweile das halbe Spektrum der bekannten psychischen Störungen in toto zugeschrieben, selbiges von anderer Seite vehement bestritten wird und man am Ende dann genau so schlau ist, wie vorher auch:

Psychopathographie Adolf Hitlers – Wikipedia

Natürlich kann man sich bemüßigt fühlen, auch seinen Senf dazu zu geben, aber das ist in aller Regel doch wohl eher in ihrer Substanz recht beschränkte Küchenpsychologie, die den Regeln dieser Disziplin kaum genügen dürfte, wenn die Diagnose einfach nur dadurch zu stande kommt, dass ein Laie auf diesem Gebiet Störungsbilder mit, mitunter
unsicheren und aus dem Kontext gerissenen Zeugnissen abgleicht.

Wenn es überhaupt (was ich als Laie nicht feststellen kann), Sinn macht, sich qua psychologischer Ferndiagnose über Tote, die man nicht mehr untersuchen kann, auszulassen, kann das überhaupt allenfalls von einem Team aus Historikern und Psychologien, sauber bearbeitet werden, um einerseits bei jedem einzelnen Zeugnis, neben jemandem, der in der Diagnose von Störungen einigermaßen erfahren ist, auch den weitestmöglichen historischen Kontext zu haben.
Ansonsten ist absehbar, was bei solchen Angelgenheiten herauskommen muss:

Ein Historiker, der sich daran alleine versucht, wird in weit größerem Maße zur Pathologisierung von Verhaltensweise neigen, die ihm selbst ungewöhnlich vorkommen, ohne diese aber nach medizinischen Kriterien sauber klassifizieren zu können.
Ein Psychologe, der in Diagnostik in diesem Bereich kompetent ist, könnte das vielleicht besser trennen, kennt aber den Entstehungskontext einzelner Zeugnisse nicht und wir dadurch möglicherweise eher dazu neigen Inszenierungen aufzusitzen.

Ich denke, eine historische Biographie sollte nicht nur zeigen, was jemand gemacht hat, sondern auch, was das für ein Mensch gewesen ist, wenn das denn die Quellenlage erlaubt.

Und eben da, kommen wir zum Problem, was psychische Phänomene angeht. Was genau erlaubt uns denn die Quellenlage zweifelsfrei?
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber man kann z.B. die Taten "sprechen lassen". Wie aktiv hat z.B. Speer sich an der Juden-Diskriminierung und -Ermordung beteiligt? Hat er Progaganda-Reden geschwungen? Hat er sich einen Deut für die Opfer des großdeutschen Traums interessiert? Daraus kann man schon etwas über die Psyche ableiten.

Ob ein Nazi Karrierist oder Überzeugungstäter war, ist allerdings in der Tat schwer zu ermitteln. Aber auch hier kann man gucken, wie er (oder sie) sich verhalten hat. Ich wage außerdem die Behauptung, dass Opportunisten (wie es nun einmal viele Menschen sind), gar nicht so einen großen Unterschied zwischen rassistischer Überzeugung und Karrierevorteilen machen. Man passt sich halt an...

Und wenn schon ein Allgemeinarzt oder sogar mancher Psychologe nicht psychiatrisches Wissen hat, umso weniger kann ein Historiker sich dazu kompetent äußern. Man müsste halt mal einen Historiker und einen Psychiater zusammenarbeiten lassen.

Grüße
Peter
 
Genau, Taten sprechen lassen, mit oder ohne Psychiater. Beispielsweise hatte Speer ein Architekturstudium absolviert und war Assistent bei dem namhaften Architekten und Hochschullehrer Heinrich Tessenow gewesen. Damit hatte er recht gute Aussichten auf eine erfolgreiche Laufbahn in einem bürgerliche Beruf, und mein Grundwissen über das Dritte Reich lässt mich vermuten, dass eine solche MINT-Ausbildung für die wichtigsten Nazigrößen nicht typisch war. Ich weiß jetzt nicht mehr, ob Brechtken das auch irgendwo in seinem Buch sagt, aber er setzt eben den Akzent sehr einseitig auf das Typische, wofür er, wie gesagt, ja seine eigenen guten Gründe hat.
 
Ich teile Shinigamis Unbehagen. Nicht so sehr, weil ich es für schwierig halte, auch psychologische und/oder psychiatrische Expertisen (Psychologen sind die mit Verhaltenstherapie, Psychiater die mit Medikamenten) an bereits Verstorbenen vorzunehmen, wenn man denn das notwendige Datenmmaterial hat - und das hat man bei den Nazi-Größen - sondern weil das in die Irre führt. Einige hunderttausend Deutsche haben aktiv in verschiedenen Positionen an Massenmorden mitgewirkt. Hunderttausende mehr, wenn nicht Millionen, haben davon gewusst und ihren Nutzen daraus gezogen. Früher hat man versucht das zu exkulpieren mit "Wenn das der Führer wüsste..." heute gibt es immer wieder Leute, die versuchen, all die Verantwortung auf die Führungsriege und die SS zu schieben. Das ist nachvollziehbar, weil die Wahrheit schwer zu ertragen ist, aber eben auch nur eine Form der Exkulpation. Hitler ist verantwortlich. Nicht Onkel Max, von dem einige Fotos existierten, die mal irgendwann verbrannt wurden. Warum nur? Irgendwas mit nem Gewehr und ner Schnappsflasche und Onkel Max mit seiner Polizei- oder Wehrmachtsuniform zwischen ausgemergelten Nackten, die irgendwie versuchen ihre Scham zu bedecken.
Aber in den Archiven da liegen sie noch, die Briefe von den Familien ans Finanzamt, die darum bitten, dass man doch die Judenwohnung beziehen dürfe oder dass die beschlagnahmten Möbel der Hausgemeinschaft zur Verfügung gestellt würden etc. Die Mehrheit der Erwachsenen, zumindest diejenige, die mehr als nur von 12 bis Mittag denken konnten, wussten was Sache war und die wenigsten haben dagegen aufbegehrt. Nun will ich niemandem mangelnden Mut vorwerfen. Aber viel zu viele haben mitgemacht oder Profit aus der Sache geschlagen. Das ist das Problem mit den Psychopathologien der Himmlers, Hitlers, Görings und Goebbels, der Speers und Schachts, der Eichmanns und Heydrichs... Wenn wir die psychopathologisieren, müssen wir das mit einem ganzen Volk machen.
 
Das ist das Problem mit den Psychopathologien der Himmlers, Hitlers, Görings und Goebbels, der Speers und Schachts, der Eichmanns und Heydrichs... Wenn wir die psychopathologisieren, müssen wir das mit einem ganzen Volk machen.
Ja, das wäre mal ein interessantes Buch (obwohl es sogar das glaube ich schon gibt): Die Psyche de 08/15-Nazi-Mitläufers.

Nur wird das auch dazu führen, dass man sieht, dass die eigentlich ganz normal waren und nicht anders als irgendein Volk gestern oder heute. Gut, die Bereitschaft das Denken (oder besser das Gewissen) anderen zu überlassen, war vielleicht stark ausgeprägt, aber die Schuld des Einzelnen (die auf jeden Fall da war) wird nicht richtig sichtbar, auch nicht in so einem Psychogramm, oder? Man müsste herausarbeiten, wie der Einzelne eher unbewußt moralische Entscheidungen getroffen hat, die Andere das Leben kostete. Oder vielleicht nicht unbewußt sondern ignorant (sich sehenden Auges dumm stellend)?

Grüße
Peter
 
Gibt es: Browning, Ordinary Men, in dt. ÜS als Ganz normale Männer vorliegend, und darauf basierend Welzer, Täter, Wie aus ganz normalen Männern Massenmörder werden. Welzer geht, auf Browning basierend über den Nazi-Tellerand hinaus und schaut sich dann auch Genozide in Bosnien und Rwanda an.
 
Ich teile Shinigamis Unbehagen.

Das „Unbehagen“ von @Shinigami ist sehr berechtigt.

Es gibt dazu eine sehr interessante Gemeinschaftsarbeit eines Mediziners und eines Historikers:
Hans-Joachim Neumann und Henrik Eberle – War Hitler krank?-

Es wird ausführlich auf die Haltlosigkeit verschiedener Vorstellungen eingegangen: von der Hysterie Hitlers, seiner Unterrückung sexueller Neigungen, über unterstellte Wesensveränderung durch Parkinson oder auch mal Masern, genetischer Geistedefekt durch Inzucht im Waldviertel, bis zur Behauptung Dr. Morell habe ihn mit bewußtseinsverändernden Drogen zugedröhnt, so dass er in „Trance“ nicht mehr wusste was er tat.
Und noch vieles andere mehr, welches Ursache sein soll, dass diese unfassbaren Verbrechen statt fanden. Gekrönt wird der ganze unfundierte Schmonzens mit der Legende, der Hitler habe anfangs nur das Gute gewollt, sei dann leider aber wahnsinnig geworden …. und so war denn auch keiner schuld.
Na Gottseidank.....
sondern weil das in die Irre führt
Noch 1955 denken fast 50% der (Bundes)Deutschen, ohne Krieg wäre Hitler „einer der größten Staatsmänner“ gewesen. (S. 296)
Neumann und Eberle stellen alles was sie über den Gesundheitszustand Hitlers recherchiert haben zusammen. Ab 1934 sind kontinuierliche Aufzeichnung vorhanden. Insbesondere, aber nicht nur, Morell hat seine Behandlungen und Expertisen akribisch festgehalten.
Die Autoren erklären Krankheitsbilder, die eingesetzten Medikamente, gesundheitliche Veränderungen und gelegentliche Depressionen.
Der eindeutige Schluss aber lautet:
Für eine medizinisch objektivierbare Geisteskrankheit Hitlers gibt es keine Anzeichen.
(S. 290, Hervorhebung durch mich)
Und dabei wäre es dem Zeitgeist nach dem Krieg doch so entgegengekommen, wenn alles nur ein Wahn, ein schlechter Traum gewesen und man in Unschuld wieder erwacht einfach nur weitermachen könnte.
War aber nicht so, und die vielen haltlosen Legenden und Behauptungen führen in ein Labyrinth des Unsinns.

Nicht so sehr, weil ich es für schwierig halte, auch psychologische und/oder psychiatrische Expertisen (Psychologen sind die mit Verhaltenstherapie, Psychiater die mit Medikamenten) an bereits Verstorbenen vorzunehmen, wenn man denn das notwendige Datenmmaterial hat - und das hat man bei den Nazi-Größen

Das würde ich auch so sehen.
Und es geht ja nicht darum eine „Geisteskrankheit“ festzustellen.
Wie könnte denn auch ein Hitler, oder auch ein Stalin, in einem gefährlichen Umfeld überleben, wenn er nicht im Stande wäre rationalen Entscheidungen zu treffen? Das ist ja geradezu undenkbar.

Es geht bei einer Persönlichkeitsstörung nicht darum, sondern um eine ungewöhnliche charakterliche Ausprägung.
Z.B. die narzisstische:
„Die Betroffenen haben ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit, sie verlangen nach übermäßiger Bewunderung, sie idealisieren sich selbst und sind stark von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz oder Schönheit eingenommen. Sie glauben von sich, besonders und einzigartig zu sein und nur von anderen außergewöhnlichen oder angesehenen Personen oder Institutionen verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können. Darüber hinaus zeigen sie ein offensives Anspruchsdenken und erwarten, bevorzugt behandelt zu werden. …
In zwischenmenschlichen Beziehungen sind sie häufig ausbeuterisch und ziehen zum Beispiel Nutzen aus anderen Personen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Ihnen mangelt es zudem an Empathie, das heißt, sie sind nicht willens oder fähig, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren. Außerdem sind sie häufig neidisch auf andere oder glauben, andere seien neidisch auf sie. Im Umgang mit anderen geben sie sich überheblich. Mindestens fünf dieser Kriterien müssen erfüllt sein, um die Diagnose stellen zu können.“

Narzisstische Persönlichkeitsstörung: Erkrankung mit vielen Facetten

Das ist, um auf die Biografie durch Longerich zurückzukommen, die Beschreibung der charakterlichen Ausprägung Goebbels.
Ich habe mich vorher schon ein wenig in die Tagebücher Goebbels eingelesen und komme auch da zu dem Schluss, dass Goebbels alle Kriterien erfüllt, und nicht nur die geforderten „mindestens fünf“.

@Shinigami,
die Tatsache, dass zu einem Thema virulent viel Unsinn verzapft wird, sollte keine Hinderungsgrund sein, sich mit einer Thematik zu befassen.
 
@hatl
Um nicht falsch verstanden zu werden, ich wollte auch gar nicht in Abrede stellen, dass es nicht sinnvoll sein kann sich mit dem Thema zu beschaffen, sofern man denn selbst im Bezug auf die Diagnostik psychischer Störungen, in der Lage ist, sich ein fachlich fundiertes Urteil zu bilden oder zu diesem Zweck mit entsprechend kompetenten Personen in Kontakt steht.
Ich sehe lediglich dann Grund zur Kritik, wenn sich jemand ohne fundierte Kenntnisse über a) Diagnostik und/oder b) den historischen Kontext zum verfügbaren Quellenmaterial dazu bemüßigt seinen Senf dazu zu geben und im schlimmsten Fall, die Substanzlosigkeit der Vermutung dann nicht einmal kenntlich zu machen.
Das stiftet einfach mehr Verwirren und Mythen, als es zur Aufklärung beiträgt.
In dem Sinne bin ich zumindest bereit zu honorieren, wenn jemand weiß, dass er von der Materie nichts weiß und sich im Hinblick auf solche Themen dann eben nicht äußert.

Das sollte kein Anspruch sein, von kompetenten psychologischen Einschätzungen, sofern diese von einem Team gewonnen wurden, dass in beiden Gebieten sprich Quellenkontext und medizinischer Herangehensweise versiert ist, die Finger zu lassen.
Ich halte es nur nicht unbedingt für sinnvoll das als "nur" Historiker anzupacken und dann muss man, denke ich letztlich sehen, wer an einem entsprechenden Werk mitgewirkt hat und auf welche Studien und wessen Einschätzungen da verwiesen werden kann.
 
Wie könnte denn auch ein Hitler, oder auch ein Stalin, in einem gefährlichen Umfeld überleben, wenn er nicht im Stande wäre rationalen Entscheidungen zu treffen? Das ist ja geradezu undenkbar.
Gegenfrage:

Wie konnten Millionen von Soldaten den ersten Weltkrieg überleben, wo sie doch immer und immer wieder sinnlos in die feindlichen Stacheldrahtverhaue, Granaten und Maschinengewehre hineingerannt sind, wo es doch, sofern gerade kein Gasangriff stattfand, rational gewesen wäre, sich in den nächsten Trichter zu verdrücken und später im Schutz der Dunkelheit als "Versprengter" wieder zu den eigenen Linien zurück zu kehren?
Jedenfalls wäre das viel rationaler gewesen als den Xten sinnlosen Angriff mit zu machen und sich dabei die Yte Verwundung für Kaiser, Gott und Vaterland zu holen oder nicht?
 
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