Die Gracchischen Reformbestrebungen und das römische Recht

Aeon

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Folgende Fragen beschäftigen mich:

Wie war es möglich, dass Octavius per Plebiszit abgesetzt werden konnte?

Wie war es möglich, dass die lex Sempronia agraria Gesetzeskraft erlangen konnte?

Wie war es möglich, dass beide Brüder gegen das Iterationsverbot verstoßen konnten?
 
Wie war es möglich, dass Octavius per Plebiszit abgesetzt werden konnte?
Die Absetzung eines Magistrats war zwar ungewöhnlich, aber anscheinend nicht generell unzulässig und ist auch anderweitig vorgekommen. (104 v. Chr. wurde mit der Lex Cassia de senatu sogar ein Gesetz erlassen, das regelte, dass ein abgesetzter Magistrat auch aus dem Senat flog.) Sie galt aber als unangemessen und dem mos maiorum widersprechend; es gab sogar den Aberglauben, dass, wenn ein Magistrat einen Kollegen absetzen ließ, er noch im selben Jahr starb (Cassius Dio 46,49).

Wie war es möglich, dass die lex Sempronia agraria Gesetzeskraft erlangen konnte?
Wieso hätte sie nicht Gesetzeskraft erlangen sollen?

Wie war es möglich, dass beide Brüder gegen das Iterationsverbot verstoßen konnten?
Tiberius Gracchus scheiterte ja bei seinem Versuch.

Gaius Gracchus scheint einen Trick genutzt zu haben: Anscheinend war es ausnahmsweise zulässig, dass ein Volkstribun unmittelbar wiedergewählt wurde, wenn sich nicht genügend Personen um das Amt bewarben (es also nicht mindestens 10 Kandidaten für die 10 Posten gab). Er scheint es also irgendwie hinbekommen zu haben, dass es nicht genügend Kandidaten gab. Die Quellenlage (insbesondere Appian, Bürgerkriege 1,21) ist leider recht schlecht.

Möglicherweise war es so, dass bei fehlenden Kandidaten auch Personen, die nicht kandidierten, gewählt werden durften. (Diesen Schluss würde eine Zusammenschau von Appian und Plutarch, Gaius Gracchus 8, nahelegen.) Vielleicht drehte es Gaius Gracchus also so, dass er zwar nicht offiziell kandidierte, aber dafür gesorgt wurde, dass es nicht genügend sonstige Kandidaten gab, und daher er wiedergewählt werden konnte.

Im Übrigen muss man eigentlich zwischen dem Kontinuationsverbot (Verbot der unmittelbaren Wiederwahl) und der Iteration (Wiederwahl später) unterscheiden. Bei den Gracchen ging es um die Kontinuation.


Ganz generell muss man bedenken, dass es in Rom erstens keine kodifizierte Verfassung gab, sondern nur Einzelgesetze mit Verfassungscharakter sowie Gewohnheitsrecht, und zweitens, fast noch problematischer, keine Verfassungsgerichtsbarkeit oder eine sonstige Instanz, die verbindlich über die Auslegung und Einhaltung der Verfassung und die Verfassungsmäßigkeit von Beschlüssen der Volksversammlungen und des Senats entscheiden können hätte.
Was ging und was nicht, womit man durchkam und womit nicht, ob ein Magistrat oder eine Volksversammlung, die ihre Kompetenzen (allzu?) extensiv anwandten, eingebremst werden konnten, war daher oft eine reine Machtfrage, die - wie man auch am Beispiel der Gracchen sieht - mitunter nur unter Einsatz von Gewalt "gelöst" werden konnte.
 
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Die Absetzung eines Magistrats war zwar ungewöhnlich, aber anscheinend nicht generell unzulässig und ist auch anderweitig vorgekommen.

Offenbar war die Absetzung per Plebiszit rechtswidrig, jedenfalls in der stattgefundenen Art und Weise. Dies schließe ich aus den Quellen (etwa bei Plutarch). Findet sich bei Cassius Dio eine andere Bewertung der Vorgänge?

Wieso hätte sie nicht Gesetzeskraft erlangen sollen?

Weil das Gesetz auf rechtswidrigem Wege zustande gekommen wäre, geht man von der Annahme aus, die Absetzung des Octavius sei ein "verfassungsfeindlicher" Vorgang gewesen.

Tiberius Gracchus scheiterte ja bei seinem Versuch.

Tiberius Gracchus scheiterte in seinem Vorhaben offenbar deshalb, weil der totgeschlagen wurde, nicht aber weil die römische Justiz seinen Rechtsbruch sanktionierte.
 
Offenbar war die Absetzung per Plebiszit rechtswidrig, jedenfalls in der stattgefundenen Art und Weise. Dies schließe ich aus den Quellen (etwa bei Plutarch). Findet sich bei Cassius Dio eine andere Bewertung der Vorgänge?
Der entsprechende Teil von Cassius Dios Werk ist verloren.
Plutarch bezeichnete Octavius' Absetzung tatsächlich als illegal. Das scheint allerdings die einzige eindeutige derartige Bewertung zu sein. (Freilich muss man bedenken, dass die Quellenlage relativ schlecht ist.) Nicht einmal Cicero, der den Vorgang mehrmals erwähnte und ihn ablehnte, bezeichnete ihn, soweit ersichtlich, ausdrücklich als illegal.

Es gab auch mindestens einen weiteren ähnlichen Beinahe-Fall: Dem Volkstribunen Lucilius Hirrus drohte 53 v. Chr. die Absetzung, als er vorschlug, den Pompeius zum Dictator zu machen (Plutarch, Pompeius 54). (Die weiteren Fälle von tatsächlichen Absetzungen von Volkstribunen 44 und 43 v. Chr. lasse ich wegen der damaligen außerordentlichen Zustände beiseite.)

Auch Tacitus erwähnte in seinen Historien 3,37, dass es früher vorgekommen sei, dass Magistrate durch Gesetz abgesetzt wurden.
 
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