Insgesamt wären die historischen Rahmenbedingungen, die die Rolle von Rasputin am Hofe des Zaren erst ermöglicht haben, sowie die ländlichen Wurzeln und seine Weltsicht ausgesprochen spannende Aspekte.
Das ist das eigentlich Interessante.
Wie tickten die zu der Zeit?
Ich versuche mal ein paar Bruchstücke auf die Leinwand zu werfen .
Dominic Lieven (Nicholas II) schreibt z. B. Rasputin sei tatsächlich in der Lage gewesen die Blutungen des kleinen Zarewitsch zum Stillstand zu bringen. Für diese Tatsache sei keine ausreichend plausible medizinische Erklärung zu finden. Jedenfalls aber sei der Einfluss des Rasputin auf das Zarenpaar dieser Fähigkeit entsprungen. („Rasputin‘s hold over Nicholas and Alexandra was rooted in his unique ability to stop bleeding when Tsarjevitch Aleksei had one of his attacks.)
Das Zarenpaar trifft den Rasputin erstmals im im Herbst 1905.
Die Zarin ist ziemlich runter mit den Nerven. Die
Revolution und der gesundheitliche Zustand des erst einjährigen
Thronfolgers, ihres einzigen Sohnes, haben sie in Angst und Schrecken versetzt. („caused her huge anxiety“)
Vier Töchter hat sie bereits vorher geboren. Und nun, als sie endlich einen männlichen Nachkommen* zur Welt bringt, hat dieser die tödliche Erbkrankheit Bluter, die in ihrer Verwandtschaft bereits Opfer forderte. 1)
Vorgestellt wird Rasputin dem Kaiserlichen Paar durch den Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch, der Mann der
Anastasia von Montenegro. Letztere ist eine Busenfreundin der Zarin. Beide sind das was wir heute esoterische Spinner nennen würden. Und der Zar Nikolaus II ist es sicher auch.
Graf Witte, lässt sich wenig über Rasputin aus, interessanter Weise nur über seine Freundschaft zu Sasanov, was durchaus erstaunlich ist 2).
Doch findet sich in seiner Beschreibung ein Vorgänger Rasputins:
Philippe von Lyon. Ein offenkundiger Scharlatan, der nächtlich okkulte Totenbeschwörungen mit dem Zaren, seiner Gattin und auch den montenegrinischen Prinzessinnen (Anastasia und Miliza) samt ihrer Gatten zelebriert. 3) (Eben mit jenen, die den Rasputin 1905, dem Jahr der großen Krise der Herrscher, staatlich wie auch persönlich, herbeibringen.)
Dieser Philippe steigt zum Sektenführer in Russland auf, nachdem für ihn in Frankreich die Luft brenzlig wurde.
Er huldigt nicht nur dem Okkultismus, sondern auch dem Seraphim von Sarow. Dessen Heiligsprechung drückt das Zarenpaar anmaßend gegen den Widerstand des erbosten Klerus durch.
Diese erfolgt 1903, und ist laut Lieven das wahrscheinlich erhabenste (most uplifting) religiöse Erlebnis ihrer gesamten Regierungszeit. 1)
Der Philippe wird schließlich durch einen Bericht Rachkovsky‘s, dem Chef der russischen Geheimpolizei Ochrana, sozusagen zur Strecke gebracht, sprich seines Einflusses beraubt.
P. stirbt 1905. Just in dem Jahr als der Krieg gegen Japan ein übles Ende nimmt, eine gefährliche Revolution das Zarenreich erschüttert und das unglückliche Zarenpaar erkennen muss, dass der kleine Zarewitsch von einem grausamen Schicksal bedroht wird.
Und 1905 wird Alexander Gerassimoff Chef der Petersburger Ochrana.
Er beschreibt 4) Rasputin als einen Wüstling und Betrüger den „man auf Kanonenschußweite nicht nicht zum Zarenschlosse zulassen durfte“
Wie auch Rachkovsky vor ihm zu Philippe, stellt er Nachforschungen zu Rasputin an, doch gelingt es ihm nicht diesem den Einfluss auf das Reich zu entziehen.
Das Zarenpaar ist aus der Welt gefallen und findet sich doch mitten in dieser, wenn auch verwirrt.
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* nur ein solcher kann Zar werden. Eingeführt hat m.W. diese närrische Regelung Paul, der Sohn von Katharina II, der seine übergroße Mutter hasste.
1) Lieven, Dominic (1996): Nicholas II. Twilight of the Empire. 1. ed. New York: St. Martin's Griffin.
2)
https://archive.org/details/memoirsofcountwi00wittuoft S. 390Ff
3) Ebenda: Witte S. 198Ff
4) Alexander Gerassimoff – Der Kampf gegen die erste russische Revolution – Verlag Huber & Co. - 1934 , S. 231ff