Liman-von-Sanders-Krise und die Dardanellen. (..Ein Versuch)

Sie kam "zum tragen" und es kam zum Krieg. Militärs werden doch nicht entsandt um sich auf den Frieden vorzubereiten.
Auch im Vorfeld der Planungen und Überlegungen war keine 'Kontrolle' der Meeresengen avisiert. Und welchen Sinn sollte das in Friedenszeiten machen? Eines Tages beschließen Angehörige der Militärmission, die Meeresengen für Schiffe mit Waren aus und für Russland zu sperren?...Gegen den Willen der Regierung, die anderen Mächte schauen tatenlos zu...:D Die Planer der Militärmission konnten sicher nicht hellsehen, die Planung und Durchsetzung wäre wohl auch anders gelaufen.

Die blosse Behauptung, Militärmissionen arbeiten auf einen von ihnen dann ausgelösten Kriegszustand hin, bietet kein valides Argument. Deine Meinung scheint mir zudem einen Zirkelschluss zu enthalten: Die Militärmission arbeitet auf einen Kriegszustand hin - weil das Militärmissionen einfach machen, imperialistische zumal? 'Beleg': Der Einsatz von Offizieren der Militärmission bei der Gallipoli-Verteidigung. Das enthält eine unbelegte, unhinterfragte Unterstellung und verbindet sie mit dem späteren Einsatz von Militärmissions-Angehörigen auf Gallipoli erst ab Ende März 1915. Könnte ja sein, dass dahinter aber tatsächlich eine militärsachliche Entscheidung von Enver bzw. der türkisch-osmanischen Regierung gestanden hat, weil die Leute ja halt da waren....

Die Reaktion von Teilen der Russischen Administration auf die Militärmission kann genauso gut als Beleg dienen, dass Teile der Russischen Administration und Militärs etc. weiterhin auf die Kontrolle der Meeresengen und Istanbuls hinarbeiteten. Wie Du ja selbst zu recht geschrieben hat, für die russische Wirtschaft und deren Entwicklung wie auch für die Finanzierung der Staatsausgaben waren die Meeresengen von entscheidender Bedeutung. Und im April 1912 waren die Dardanellen ja im Rahmen des Balkankriegs 4 Wochen geschlossen, mit bedeutenden Auswirkungen auf die russische Wirtschaft, Finanzen etc.

Diese ist radikal und wird radikalisiert durch einen staatlich geförderten Nationalismus und Rassismus.
Man unterschätzt gerne und notorisch die eigenständigen Pressentwicklungen selbst einer halbfreien Presse, die Entwicklung der öffentlichen Meinung. Das zeigt sich im Zeitalter der Massenpresse seit Ende der 1890er Jahre überdeutlich in den diversen Publikationen von Dokumenten aus Regierungs- und Diplomatiekreisen zum Entstehen des I. Weltkriegs.
 
Sie kam "zum tragen" und es kam zum Krieg. Militärs werden doch nicht entsandt um sich auf den Frieden vorzubereiten.

Das Osmanische Reich wurde 1911 von Italien und 1912 von Griechenland, Bulgarien, Serbien und Montenegro angegriffen. Die Landstreitkräfte hatten sich in ihren Verteidigungsbemühungen nicht nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Die militärischen Probleme, die zu den Niederlagen in den beiden Kriegen geführt hatte, galt es möglichst zügig abzustellen, um so beispielsweise den begehrlichen Blicken Griechenlands begegnen zu können.[/QUOTE][/QUOTE]
 
Hatl, Du behauptest immer wieder und wiederholt irgendwelche Dinge/schlichte Konstrukte, ohne dass zumindest ich erkennen kann, ob Du dich auch mit der beispielsweise von mir oben ausdrücklich genannten, durchaus einschlägigen geschichtswissenschaftlichen Literatur mal beschäftigt hast. Von bekannten Dokumenten-Veröffentlichungen sowieso abgesehen. Soll wohin führen?

Wallachs Grundlagen-Werk Anatomie einer Militärhilfe hat inzwischen Patina angesetzt, kann dennoch ob seiner umfassenden und gründlichen Recherche zur Militärhilfe. u.a. in den diplomatischen und militärischen relevanten Unterlagen, ungemein hilfreich sein. Hinter diesen Kenntnisstand kann man nicht ohne weiteres zurück gehen, auch was Vorläufer und Planungen der Militärhilfe angeht, die in die Liman-Mission mündeten. Und die langjährige, vorhergehende Militärmission um Goltz-Pascha hatte gleichfalls die Kontrolle der Meeresengen weder zum Ziel oder 'undercover' erreicht oder zu erreichen versucht, soweit ersichtlich.
 
Und die langjährige, vorhergehende Militärmission um Goltz-Pascha hatte gleichfalls die Kontrolle der Meeresengen weder zum Ziel oder 'undercover' erreicht oder zu erreichen versucht, soweit ersichtlich.

Ich verstehe auch ganz ehrlich gesagt nicht, warum das Thema Kontrolle oder Nichtkontrolle der Meerengen hier in der Diskussion so hoch gehängt wurde.

Selbst wenn die Meerengen damit unter faktischer deutscher Kontrolle gewesen wären, hätte es in Friedenszeiten doch ohnehin keine Handhabe gegeben, diese zu schließen. Ist ja nicht so, dass Deutschland dadurch mal eben die Leitung über die Außenpolitik des OR übernommen hätte.
Was wiederrum den Kriegsfall angeht musste demgegenüber doch klar sein, dass angesichts der traditionellen Rivalitäten, der Grenzverläufe im Kaukasus, der russischen Ambitionen in Richtung Meerengen und der russischen Sympathien für die Ambitionen anderer orthodoxer Staaten (Griechenland), gegenüber dem OR, eben dieses Osmanische Reich in Richtung wohlwollender Neutralität gegenüber Russlands Gegnern, wenn nicht zum Bündnis mit diesen tendieren musste.
In diesem Fall, wären die Meerengen, auch ohne deutsche Kontrolle sehr wahrscheinlich ohnehin geschlossen worden.

Wenn man jetzt mal darüber hinaus annimmt, dass es sich beim potentiellen Krieg, was das betrifft um eine Auseinandersetzung Russlands mit den Zentralmächten handeln musste (für alles kleinere wären die Meerengen ja weder strategisch relevant gewesen, noch hätte sich die Notwendigkeit gegeben diese zu schließen), müsste auch klar sein, dass eine potentielle Invasion angesichts der anderen anstehenden militärischen Herausforderungen, auf der Prioritätenliste relativ weit hinten stehen musste, zumal bei den begrenzten Kapazitäten der Schwarzmeerflotte.
Da ja ohnehin auch niemand von einem wirklich lange andauernden Krieg ausging, hätte sich entsprechenden Denkmodellen nach auch der Schaden durch eine potentielle Blockade, jedenfalls was die Kriegsanstrengungen betrifft, in Grenzen halten müssen.

Insofern meine ich, dass da etwas zur strategischen Relevanz aufgeblasen wird, was realiter unter damaligen Bedingungen wohl eher Prestigecharakter hatte, wenn man sich in diese frage so sehr hineinmanövriert.

Sicher, mit dem heutigen Wissen darum, dass der Krieg der dann kam, 4 jahre dauern sollte und die geschlossenen Meerengen die Möglichkeiten der Entente Russland materiell zu entlasten massiv beeinträchtigen sollten, sieht das in der Rückblende etwas anders aus, aber mit einem Erschöpfungskrieg, der potenziell so heftig sein würde, dass es die wirtschaftlichen Möglichkeiten Russlands völlig aufzehrte, rechnete da doch niemand.
 
Die blosse Behauptung, Militärmissionen arbeiten auf einen von ihnen dann ausgelösten Kriegszustand hin, bietet kein valides Argument.
???
Hat das jemand behauptet?

Hatl, Du behauptest immer wieder und wiederholt irgendwelche Dinge/schlichte Konstrukte, ohne dass zumindest ich erkennen kann, ob Du dich auch mit der beispielsweise von mir oben ausdrücklich genannten, durchaus einschlägigen geschichtswissenschaftlichen Literatur mal beschäftigt hast.
Bitte nicht albern werden.

Ich verstehe auch ganz ehrlich gesagt nicht, warum das Thema Kontrolle oder Nichtkontrolle der Meerengen hier in der Diskussion so hoch gehängt wurde.
Das ist das Thema der Diskussion.
 
Die inhaltlichen "Verformungen" durch deepL-Übersetzungen von englischen Quellen entsprechen zudem nicht dem Geschriebenen, sind nicht grenzwertig, sondern irreführend.

Offenbar ist das trotz Hinweis noch nicht aufgefallen.
 
Faßt man die Position einzelner User des Forums zusammen, dann wird 1. betont, dass es keine imperialistischen Interessen von KW II. im Osmanischen Reich gab und deswegen auch die Liman-Mission keine derartigen Ziele verfolgt hätte. Und es wird ergänzt, dass die Reaktion der Russen, übertrieben, unverständlich oder „hysterisch“ gewesen sei.

Was waren also die Zielsetzungen von KW II., des Reichskanzlers inklusive AA und relevanter Parteienpolitiker, die für die Diplomaten, Spionage, Militärattachè`s in Berlin oder anderswo erkennbar waren. Eine Spurensuche, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, mit teils erstaunlichen Ergebnissen.

Im Rahmen der Nordlandreise 1908 – gleiches Jahr wie „Daily Telegraph-Affäre“ - empfing KW II. den amerikanischen Publizisten Dr. Bayard Hale zu einem Interview., dessen Inhalt sich „wie ein Lauffeuer von Kabinett zu Kabinett verbreitete“ (Röhl, Pos. 1054, Kap. „Die Zuspitzung…“). Im Rahmen des Interviews habe „Der Kaiser …die Absicht zu erkennen gegeben, Ägypten den Engländern zu nehmen und später das Heilige Land der Türkei und damit den Taten der Kreuzfahrer nahzueifern……“ (Röhl, Pos. 1979)

Der Kontext dieser Äußerung erschließt sich durch die Bedeutung der „Weltpolitik“ (vgl. Neitzel). In diesem Sinne formuliert Neitzel in Bezug auf den Nahen Osten: „In der deutsche Außenpolitik nahm der Nahe Osten in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg eine bedeutende Stellung ein, wenngleich sie trotz ihres Engagements beim Bau der Bagdad-Bahn den Berlin-Bagdad-Gedanken nicht aufgriff. Sie strebte vielmehr - z.T. auch aus weltreichstheoretischen Überlegungen - eine wirtschaftliche Durchdringung des Nahen Ostens an. So schrieb der deutsche Botschafter in Konstantinopel, Adolf Freiherr Marschall von Bieberstein, im November 1910: »Der enorme industrielle Aufschwung in den Vereinigten Staaten, der englische Imperialismus und die Entwicklung der Dinge im fernen Osten bedrohen unsere alten und besten Absatzgebiete. Ersatz dafür können wir nur im Orient finden.“ (S. 208)

Und durch die konkrete symbolisch aufgeladene Strategie, im Osmanischen Reich ein prestigeträchtiges technisches Projekt mit der Bagdad-Bahn zu realisieren, das den Anspruch auf „Weltgeltung“ des Deutschen Reichs unterstützen solle, wie bei Laak ausgeführt und eine Strategie einer deutschen »Hochstraße des Weltverkehrs«verfolgte (S. 150ff)

Aus dem Umfeld der „Alldeutschen“ gab es expansive Vorstellungen in Bezug auf das Osmanische Reich. " Die Alldeutschen formulierten ihre Erwartung eines deutschen Einflusses im Osmanischen Reich am drastischsten in einem Artikel der »Welt am Montag« vom 21. November1898: »Nur die Türkei kann das Indien Deutschlands werden. [...] Wir helfen den Türken, Eisenbahnen und Häfen anzulegen. Wir suchen, eine Industrie bei ihnen zu erwecken. Wir stützen sie mit unserem Kredit. Wir liefern ihnen Schiffe und Kanonen samt den Offizieren, die ihnen das Manövrieren dieser Schiffe und das Richten dieser Geschütze beibringen. Wir leihen ihnen deutsche Beamte und deutsche Militärs, die die höchsten Stellen inder Zivil- und Militärverwaltung besetzen, zunächst natürlich zum Nutzen des türkischen Reichs. Der >kranke Mann« wird gesund gemacht, so gründlich kuriert, daß er, wenn er aus dem Gesundheitsschlaf aufwacht, nicht mehr zum Wiedererkennen ist. Man möchte meinen, er sehe ordentlich blond, blauäugig germanisch aus. Durch unsere liebende Umarmung haben wir ihm soviel deutsche Säfte einfiltriert, daß er kaum noch von einem Deutschen zu unterscheiden ist" (Laak, S. 158)

Insgesamt konnten die europäischen Mächte, inklusive Ö-U, durchaus den Eindruck gewinnen, dass die Expansion des DR in Richtung Naher Osten abzielte, inklusiver der wirtschaftlichen Durchdringung des Balkans.

Eine allgemeine, vermutlich auch einflussreiche und vielleicht auch typische Rezeption bzw. Darstellung der konkrete Ereignisse um die Liman von Sanders Krise, bietet Kissinger (S. 211) und er schreibt: „….Wilhelm II., von dem Wunsch beseelt, diesem bedrohlichen Schritt noch zusätzliche Dramatik zu verleihen, schwang anläßlich der Entsendung der Militärberater auch noch hochtrabende Reden, indem er seiner Hoffnung Ausdruck gab, dass die „deutsche Fahne schon bald über den Befestigungsanlagen des Bosporus wehen wird.““

Als Quelle – in der FN 36 – wird Lieven, S. 46 angeführt. Eine entspreche Textstelle läßt sich dort erkennen und es gibt einen Verweis – via FN 59 – auf Fritz Fischer und „War of Illusions“ bzw. „Krieg der Illusionen“, S. 334-6. Mir liegt die englische Version nicht vor, auf die sich Lieven bezieht. In der deutschen wird die Liman von Sanders Krise ab S. 481 behandelt. Die entsprechende Passage mit der Fahne ist auf S. 488 bei Fischer zu finden. In der FN 21 schreibt Fischer: „Die meisten Berichte über die Tätigkeit der deutschen Militärmission stammen vom russischen Militärattachè in Konstantinopel, Leontew, an den Chef des Stabes des Kiewer Militärbezirks.

Die konkrete Zielsetzungen der Mission soll KW II. im Rahmen einer geheimen Abschiedsaudienz am 9. Dezember 1913 umrissen haben (Fischer, S. 486ff). Unter anderem soll sie zum Ziel gehabt haben, die „Germanisierung der türkischen Armee voranzutreiben“. Eine Zielsetzung, die stark an die Erwartungen aus dem Alldeutschen-Lager erinnert. Und weiter soll KW II. ausgeführt haben, dass eine starke Armee geschaffen werden solle, die seinem Befehl gehorchen würde.

Auch in diesem Fall bezieht sich Fischer auf „Spionageberichte“ . In der entsprechenden FN 18 (S. 487) wird „Bericht des russischen Militärattachès in Berlin Bazarow vom 16.12.1913 angeführt. „Bazarow verfügte immer über beste Informationen..“ (S. 487) Insgesamt schreibt Fischer zur Quellenlage: „Die hier zitierten Stellen sowjetischer Autoren stützen sich auf nicht veröffentlichtes Quellenmaterial aus dem Archiv des russischen Außenministerium und verschiedener historischer Archive“. Für mich nicht überprüfbar ist, ob diese Informationen nach Öffnung der Archive verifiziert worden sind.

Vor diesem skizzenhaften Hintergrund wird deutlich, dass die Entsendung der Mission an den Bosporus für Russland aus geostrategischen und aus handelspolitischen Überlegungen als eine massive Bedrohung der eigenen Großmachtposition wahrgenommen wurde. Die, um nicht mißverstanden zu werden, nicht geringer expansiv und imperialistisch war wie die des Deutschen Reichs, Frankreichs oder von GB.

Im Ergebnis der Mission, nachdem sie ca ein Jahr in Konstantinopel aktiv war, formuliert Wangenheim folgende m.E. zutreffende Beschreibung im September 1914, indem er an Jagow schreibt (PAA/AA, R 22402, 24. September 1914, No. 4): „Turkey currently controls the Straits and the Black Sea. …..Since Turkey knows that its strength depends amlmost entirely on our officers, it will have to suit policies to Germany`s wishes for as long as [it] needs our officers. Germany is hence currently in charge of Turkis affairs and is therefor able to control, through Turkey, the Straits, the Black Seas, and, to a certain extent, also the Balkan.“ (zitiert in Aksakal, S. 163)

Und damit kann man m.E. durchaus den Schluss als legitim ansehen, dass die Mission im Sinne der Zielvorgaben durchaus erfolgreich ihre Wirkungen gezeigt hat. Und dieser Erfolg maßgeblich dazu beigetragen hat, Russland im WW1 erfolgreich wirtschaftlich zu bekämpfen.

Aksakal, Mustafa (2010): The Ottoman road to war in 1914. The Ottoman Empire and the First World War. 1. Aufl. Cambridge, New York: Cambridge University Press
Fischer, Fritz (1969): Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik von 1911 bis 1914; Düsseldorf: Droste.
Kissinger, Henry (1994): Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Aussenpolitik. Berlin: Siedler.
Lieven, D. C. B. (1983): Russia and the origins of the First World War. New York: St. Martin's Press
Neitzel, Sönke (2000): Weltmacht oder Untergang. Die Weltreichslehre im Zeitalter des Imperialismus. Paderborn, München, Wiens, Zürich: Schöningh.
Röhl, John C. G. (2013): Wilhelm II. 1. Aufl. München: Beck (C.H. Beck Wissen, 2787).
van Laak, Dirk (2004): Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880 bis 1960. Paderborn, München, Wien, Zürich: Ferdinand Schöningh.
 
Zuletzt bearbeitet:
Faßt man die Position einzelner User des Forums zusammen, dann wird 1. betont, dass es keine imperialistischen Interessen von KW II. im Osmanischen Reich gab und deswegen auch die Liman-Mission keine derartigen Ziele verfolgt hätte. Und es wird ergänzt, dass die Reaktion der Russen, übertrieben, unverständlich oder „hysterisch“ gewesen sei.

Danke @thanepower.

Ich will kurz was anmerken zu den erwähnten „Positionen“ und deren vermuteten Vertretern.
@Shinigami bezweifelt (auch bei anderer Gelegenheit) eine maßgebende imperialistische Neigung des DR. Er bleibt, wie stets, eine seine Ansicht stützende Quellen schuldig.
@andreassolar vertieft sich bewundernswert in Primär-Quellen, arbeitet aber noch an der sehr schwierigen Aufgabe diese auch zum Bild zu puzzlen.
@Turgot hat viel gelesen und hat wohl eher Vertrauen auf anerkannte Historiker.
(Dass er nicht immer zu meinen Schlüssen kommt ist mir kein Problem sondern willkommen.)
Und tatsächlich scheint mir der Ausdruck „hysterisch“ in Bezug auf die Reaktion Russlands passend.

………..
Ja der Wili II „schwang anläßlich der Entsendung der Militärberater auch noch hochtrabende Reden, indem er seiner Hoffnung Ausdruck gab, dass die „deutsche Fahne schon bald über den Befestigungsanlagen des Bosporus wehen wird.“
Auch hier:
„Wilhelm .. told Liman dramatically: ‚Either the German flag will soon fly over over the fortifications on the Bosphorus or I shall share the sad fate of the great exile on St. Helena“ - MacMillan, Margaret (2013): The war that ended peace. How Europe abandoned peace for the First World War ; Profile Books. S. 494
(‚Entweder wird die deutsche Fahne bald über den Festungen des Bosporus wehen, oder es wird mich das traurige Schicksal des großartigen Exils auf St. Helena ereilen.‘ - Übersetzung durch mich )
Die Verbindung die Du zum Jahr 1908 herstellst finde ich sehr gelungen. Denn spätestens ab da wurde der Deutsche Kaiser auf internationaler Bühne als riskant und unberechenbar wahrgenommen.
Und folgt man MacMillan, so war auch die Zweite Marokko-Krise 1911 nicht etwa durch die konkreten Ereignisse bestimmt, sondern durch eine nicht erkennbare Strategie des DR, und dessen vorgebliche Bereitschaft einen Krieg riskieren zu wollen.

Hysterische Zeiten.
(Auch in Russland, welches just in diesen den Anschluss an die moderne Welt bis heute verspielte.)
 
@Shinigami bezweifelt (auch bei anderer Gelegenheit) eine maßgebende imperialistische Neigung des DR. Er bleibt, wie stets, eine seine Ansicht stützende Quellen schuldig.

Und dürfte ich mal fragen, wo genau er diese Neigung bezweifelt?
Ich habe lediglich zum Ausdruck gebracht, dass ich der Meinung bin, dass es für den Status der Meerengen an und für sich keinen Unterschied machte, ob diese nun unter einer wie auch immer gearteten direkten oder indirekten deutschen Kontrolle standen, da im Kriegsfall Russland sich ohnehin auf Grund seiner wohlbekannten Ambitionen sich niemals auf das Wohlwollen des Osmanischen Reiches verlassen konnte und im Falle eines großen Krieges mit den
Zentralmächten ohnehin auch zunächst andere militärische Prioritäten haben musste.

Sicherlich war das Gebaren des DR an dieser Stelle ein imperialistisches. Die Frage ist nur, was dass denn tatsächlich änderte.
Politisch befand sich dadurch, dass Russland stets ein Auge auf die Meerengen hatte das OR mehr oder minder zwangsläufig in Opposition zu Russland und damit auch zur Entente, sofern diese bereit war Machtverschiebungen zu Gunsten Russlands auf dem Balkan und in der Schwarzmeer-Region auf Kosten des OR hinzunehmen.

Insofern stellt das politische Handeln Deutschlands in dieser Hinsicht nicht einmal einen entscheidenden Beitrag zur Veränderung der äußeren Politik des OR dar, sondern man griff lediglich das ab, was einem auf Grund der gegebenen Konstellation und der Bedrohungslage des OR durch Russland in der Tendenz ohnehin vorgegeben war.

Wenn du dafür Quellen einforderst, würde ich mit dem gleichen Recht gerne mal deinen Quellen dafür sehen, dass ein deutsches Kommande über die Meerengen maßgeblich dafür war, dass diese im Konfliktfall unter Involvierung Russlands geschlossen würden, bzw. dass Russland ohne weiteres in der Lage gewesen wäre die, die Meerengen abriegelnden Kräfte zu überwinden.
Da sieht es mit deinen Nachweisen nämlich auch mau aus.;)



Oder war das auf die Start und Enddaten des Italienisch-Osmanischen Krieges und des ersten Balkankrieges gemünzt oder auf die Tatsache, dass ersterer in Libyen, der Levante in Teilen sogar im Jemen ausgetragen wurde, mit entsprechender Verteilung von Kräften?

Oder bezweifelst du generell, dass es Geld kostet ein Jahr lang einen, wenn auch begrenzten Krieg zu führen und das ein solcher ein weitegehend vorindustrielles Staatswesen mitunter arg strapazieren konnte?

Oder bezweifelst du, dass auf Grund der Schauplätze in Libyen, der Levante und im Jemen Teilstreitkräfte des OR, als es nahezu zeitgleich mit dem Friedensschluss mit Italien auf dem Balkan losging, dort nicht zur Verfügung standen, da es dem Sultan einmal nicht möglich war, sie von einem Platz zum anderen zu zaubern?

Oder bezweifelst du, dass die Belassung von Teilkräften in Kleinasien um die Grenze zu Russland zu decken und dieses nicht dazu einzuladen, sich kampflos noch einen eigenen Bissen osmanisches Territorium unter den Nagel zu reißen, unter damaligen Gesichtspunkten sinnvoll gewesen ist?

Oder bezweifelst du, dass die verbliebenen osmanischen Balkanprovinzen damals einmal nicht mehrheitlich von ethnischen Türken und Muslimen bewohnt wurde, die man sicherlich auf Grund nationalistischer oder religiöser Motive, spontan zum mindestens passiven Widerstand gegen etwaige eindringende "fremdländische" und "falschgläubige" Invasoren hätte annimieren können, sondern dass in den meisten dieser Gebiete die Balkanmächte mindestens mal nennenswerte Anzahlen an Sympathisanten hatten und darüber hinaus den Vorzug, dass auch die von ihnen eingesetzen Kräfte mit den lokalen Sprachen und Gebräuchen der Bevölkerungen vertraut waren und somit auch ganz andere Mittel hatten, in ihrem Sinne dort einzuwirken, als das bei einem x-beliebigen Eroberungskrieg gegen ein Land irgendwo anders aus dem Erdball der Fall gewesen wäre und dass die Geschwindigkeit der Vereinnahmung der europäischen Balkanprovinzen sich gegebenenfalls auch daraus ergibt, dass auf Grund dieses Umstands, die Kontrolle des rückwärtigen, eroberten Terrains erheblich vereinfachte, während sich für die osmanische Seite die Verteidigung im entsprechenden Maße erschwerte?


Viel mehr als das, habe ich argumentativ überhaupt nicht angebracht und ich halte das durchaus nicht für eine wie auch immer geartete abstruse Meinung, sondern schlicht für eine angemessene Würdigung des historischen Kontextest.
Ich stehe ehrlich gesagt, was das weitere betrifft, auch auf dem Standpunkt, dass es, wenn man es, wie oben getan auf die einzelnen Einwände herunterbricht, auf dem Standpunkt, dass es unnötig ist separat zu bequellen, dass Kriege kostenintensiv sind, auch das Osmanische Reich seine Truppen nicht an zwei oder drei Orten gleichzeitig haben konnte (jedenfalls nicht in voller Stärke), auf Grund der historischen Gegebenheiten die Rolle Russlands als passiver Faktor, auch wenn es letztendlich nicht in den ersten Balkankrieg eingriff zu berücksichtigen ist, etc.

Das sind Dinge, die sich mMn von selbst verstehen und die ich bei deiner Betrachtung so ein wenig vermisste, wenn du da einfach abschätzig über die "Minimächte" vom Balkan herschwadronierst, dabei aber unterschlägst, dass die bisher keine Kriegsbeteiligung zu stämmen hatten, dass sie auf dem Balkan nur eine Front hatten, während auf der anderen Seite die Tinte unter dem Friedensvertrag mit Italien noch nicht trocken war und Russland als zu berücksichtigender Faktor sich im Rücken des OR befand, ergo nicht damit zu rechnen war, dass das OR seine gesammelte militärische Macht denn auch wirklich Zeitnah mittels der bekanntermaßen übermäßig stark und nur für diesen Zweck ausgebauten Osmanisches Reichsbahn, auf den Balkan verschieben konnte, wie eben auch die Haltung der Bevölkerung der betreffenden Territorien, die von der Lebensweise her mit den Invasoren mitunter mehr Gemeinsamkeiten hatte, als mit den Verteidigern.

Ich behaupte an dieser Stelle mal ganz braun, dazu allein, bedarf es keiner Spezialliteratur.


Was das Thema Imperialismus als solchen betrifft, verbitte ich mir in Zukunft Unterstellungen, ich würde solche Ambitionen im Allgemeinen negieren, wenn du sie nicht belegen kannst, was du nicht kannst, weil ich derlei nie geäußert habe.
Ich lehne es lediglich ab, die Bestrebung sich im OR ein informal Empire zu errichten mit ortsgebundenen Allmachtsphantasien gleichzusetzen oder mich in die Behauptung einzulassen ein paar Händen voll deutscher Militärs, die sich auf Wunsch des OR vor Ort befanden, wäre ein entscheidender Faktor in der Außenpolitik des OR zugekommen, während die Russischen Ambitionen in Richtung Meerengen und deren Rückkopplung mit der europäischen Bündniskonstellation dabei keine Rolle spielten oder die Einlassung, dass das OR ohne dem militärisch nicht in der Lage gewesen wäre die Meerengen zu sperren.
Gerade letzteres, wo wir beim Über- und Unterschätzen imperialistischer Tendenzen sind, halte ich übrigens nebst dem abschätzigen Komentar in Richtung "Minimächte" für eine ziemlich chauvinistische (und im übrigen ebenfalls in keiner Weise bequellte) Einlassung.
 
Wenigsten haben ich einen Literaturfund zu dieser interessanten Thematik greifbar, der Rest liegt immer noch verpackt in meinen Umzugskartons.:D


Aus einem Telegramm des russisches Außenministers Sasonow vom 07.Dezember 1913 an seinem Botschafter in London Graf Benckendorff geht hervor, das Sasonow wußte, das Liman nicht das Kommando über die Meerengen haben würde.

Sasonow schreibt: “Wir haben davon abgesehen, die Meerengen zu erwähnen, da aus dem Irade hervorgeht, daß sie dem deutschen General nicht unterstellt sind. (1) Was die Kompensation angeht, so wollen wir sie erst bei weiteren gemeinsamen Schritten erwähnen, nachdem wir uns über deren Natur geeinigt haben. Bitten Sie den Minister den Botschafter in Konstantinopel die nötigen Instruktionen zu geben. Text der Note: Die Tatsache, daß das Kommando über das türkische Armeekorps in Konstantinopel einen deutschen General anvertraut wird,würde diesem eine Stellung geben, welche bis jetzt weder ein deutscher noch ein fremder Offizier eingenommen hat. Die Folge würde sein, daß das ganze diplomatische Korps sich in der Gewalt Deutschlands befinden würde [..].“ (2)

Man muss sich hier fragen, welche Prämissen Sasonow bei seinen Überlegungen zu Grunde gelegt hat. Offenbar ist er gleich vom übelsten Fall, nämlich dem Krieg, ausgegangen.


Unter dem Datum des 12.Dezember telegraphiert Benckendorff seinen Minister:

„Grey kannte bis jetzt nicht genau die Einzelheiten des Kontraktes des englischen Admirals. Er sagt mir gestern, daß der Kontrakt vor ein paar Jahren abgeschlossen worden sei und die Stellung der verschiedenen englischen Admirale auch des jetzigen bestimmen. Dieser ist in der Tat der Befehlshaber der ganzen Flotte, aber unter Autorität des Marineministers. [….] Die Stellung des englischen Admirals ist in der Tat ein Argument Deutschlands, daß hier Schwierigkeiten bereitet. Nicoloson hat mir mehrere Mal hierüber gesprochen.“ (3)

Auch der türkische Großwesir war der Auffassung, das Limpus seine Stellung mit der Limans vergleich sei und Liman schließlich der türkischen Regierung unterstellt sei.

Jedenfalls nahm Grey , nach dieser Erkenntnis, die tatsächliche Stellung von Limpus in Konstantinopel, eine zurückhaltendere Position ein.

Benckendorff warf in einem Telegramm vom 14.Dezember an Sassonow ebenfalls die Frage der Kompensation auf, obwohl er Zweifel hat, dass es tatsächlich welche geben würde. Ist schon ein wenig irritierend, denn es ging doch um die Lebensader Russlands, die Meerengen.

Ebenfalls am 14.Dezember läßt Giers, russischer Botschafter in Konstantinopel, Sasonow wissen, das er es für keine gute Idee hält, Truppen an der Grenze zusammenzuziehen. Am 15.12. informierte Giers Sasonow darüber, das die Meerengen, die Befestigungen und Sicherung der Ordnung in der Hauptstadt nicht zur Kompetenz Limans gehören. Sie unterstehen den Kriegsminister ebenso wenig wie der Verhängung des Belagerungszustandes.

Um den 20.Dezember kamen Wangenheim und Liman zu der Erkenntnis, das eine Entspannung der Situation vernünftig und wünschenswert ist und wurden in diesem Sinne in Berlin per Telegramm vorstellig.

Imperialistische Motive und natürlich auch wirtschaftlich haben deutscherseits ganz sicher eine erheblich Rolle gespielt, ohne Frage, aber "das war es denn auch". Sasonow war ja nun auch kein Kind von Traurigkeit, wenn es darum ging russische imperialistische Interessen, genannt seien hier beispielsweise Persien, hier sogar gegen den eigenen Partner England, oder China durchzusetzen.

Gerade die schweren Balkankrisen haben gezeigt, das ein konstruktives Vorgehen, hier zwischen England und dem Deutschen Reich, zum Erfolg führen kann.



(1) Graf Benckendorffs diplomatischer Schriftwechsel, Band 3, Seite 208 f

(2) Graf Benckendorffs diplomatischer Schriftwechsel, Band 3, Seite 209

(3) Graf Benckendorffs diplomatischer Schriftwechsel, Band 3, Seite 218
 
Man muss sich hier fragen, welche Prämissen Sasonow bei seinen Überlegungen zu Grunde gelegt hat. Offenbar ist er gleich vom übelsten Fall, nämlich dem Krieg, ausgegangen.

Ich denke das kann man begründet annehmen.
„The affair ...drove Russia and Germany even further apart. Within the Russian government, especially after Kokovtsov fell Januar 1914, it became accepted that Germany was planning a war.“
(Die [Liman von Sanders] Affäre… trieb Russland und Deutschland noch mehr auseinander. Es wurde in der Russischen Regierung, insbesondere nach der Absetzung von Kokovtsov, allgemein davon ausgegangen, dass Deutschland einen Krieg vorbereitete. - Übersetzung durch mich) 1)

Ich würd mal sagen, sollte Sasonow zum Höhepunkt der Krise noch nicht „ gleich vom übelsten Fall“ ausgegangen sein, kurz darauf jedenfalls tat er es und es gelang ihm seine Vorstellung gegen eine einflussreiche Gruppe durchzusetzen, die eine entgegengesetzte Ansicht vertrat.
Da ist zunächst der Ministerpräsident Kokovtsov (auch ‚Kokovcov‘ oder Kokowzow‘), der auf Ausgleich drängt, während Sasonow davon redet Osmanische Häfen zu besetzen.* 1)

Diese Gruppe hält eine kriegerische Auseinandersetzung mit dem DR für eine vermeidbare Katastrophe.
Es gäbe keine Interessenskonflikte mit dem DR, die sich nicht auf diplomatischem Wege lösen ließen.
Vielmehr sei es so, dass ein militärischer Konflikt zwischen Großbritannien und Deutschland weit eher eintreten müsste.
Zu dieser Gruppe gehören neben dem bereits Januar 1914 abgesetzten Kokovtsov auch Witte, Durnovo und, man staune, auch ein rechtsradikaler Duma-Abgeordneter namens Markov. 2)

Im Februar erstellt Durnovo, früherer Innenminister, ein Memorandum in dem er den Zaren eindringlich davor warnt einen gänzlich unnötigen Krieg mit dem DR zu riskieren. 3)

Der Gegenpol ist Sasonow, der schließlich den Zaren von seinen Ansichten überzeugt. 2)

Sasonow geht wahrscheinlich schon vor der Julikrise von der Unausweichlichkeit eines Krieges mit dem DR aus. Und folgt man Trachtenberg 4) dann ist das Sasonows Haltung bereits vor der Mobilisierung der russischen Streitkräfte in den letzten Julitagen.

*Vielleicht steht das im Zusammenhang damit:
Ebenfalls am 14.Dezember läßt Giers, russischer Botschafter in Konstantinopel, Sasonow wissen, das er es für keine gute Idee hält, Truppen an der Grenze zusammenzuziehen.
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1) MacMillan, Margaret (2013): The war that ended peace. How Europe abandoned peace for the First World War ; Profile Books. S. 495

2) https://www.degruyter.com/view/journals/mgzs/32/2/article-p9.xml?language=de

3) https://novaonline.nvcc.edu/eli/evans/his242/Documents/Durnovo.pdf
..sorry, leider nur auf Englisch. Ich denk aber, das lässt sich einigermaßen brauchbar durch den „translator“ jagen.

4) https://www.researchgate.net/publication/254948085_The_Meaning_of_Mobilization_in_1914
Die Übersetzung liegt Dir vor, falls nicht im Umzugskarton :D.
 
Der dt. Botschafter von Pourtales in Petersburg kabelt am 6.12.1913 (Große Politik, Bd. 38, S. 239) nach einer Unterredung mit Sasonow u.a. Folgendes über den Inhalt nach Berlin:

"Minister ist nicht davon abzubringen, daß Ausübung der Kommandogewalt durch deutschen General in der türkischen Hauptstadt einen für Rußland unerträglichen Zustand schaffe, und daß er, falls es bei der Ernennung bleibe, genötigt sein werde, eventuell mit Frankreich und England, in Konstantinopel sehr ernsten Ton anzuschlagen. Herr Sasonow behauptet, die „deutsche Garnison" werde den Hochmut und Größenwahn der Jungtürken derart steigern, daß sie ganz „intraitables" werden würden. Schon jetzt sei eine deutliche Änderung in ihrer Haltung wahrzunehmen. Offenbar infolge des bei uns erhofften Rückhalts fange ihre Sprache an, geradezu herausfordernd gegen Rußland zu werden."


Hier fällt nun auch noch auf, dass gar nicht mehr von den Dardanellen-Forts die Rede ist, die die Meeresenge durch ihre weitreichenden Kanonen blockieren konnten, und von denen anfangs behauptet wurde, sie unterständen dann auch General Liman von Sanders als Chef des 1. Armeekorps. Warum? Weil die Behauptung von Petersburger Seite aus falsch gewesen war, wie schließlich auch der Istanbuler dt. Botschafter von Wangenheim herausgefunden hatte und Ende November nach Berlin gekabelt hatte. Sasonow insistiert bei von Pourtales entsprechend nur auf den Gefahren, die durch die dt. Militär-Mission dadurch entstände, dass der Größenwahn der Jungtürken dadurch gesteigert werden, aus Sasonows Sicht wohl gerade gegenüber der russ. gepRegierung, dem russ. Reich.
Sasonows Vorstellungen beim britischen AA unterscheiden sich inhaltlich davon doch deutlich…


Vereinfacht lässt sich m.E. sagen, dass Sasonows Kritik an der Sanders-Mission gegenüber reichsdeutschen Regierungsvertretern/Diplomaten zunächst auch/vor allem stark gegen die jungtürkisch geprägte Regierung, mithin gegen die Stärkung der militärischen Möglichkeiten der Türkei/des Osmanischen Reiches gerichtet war. Die deutsche Seite sah das erst recht so, das scheint mir glaubwürdig, und sah in der Sanders-Mission wie in ihrer Kompetenz natürlich kein mögliches Einfalls-Tor für eine zukünftige Blockade der Meeresenge gegen russische Schiffe, zumal von Sanders gar nicht die Dardanellen-Forts befehligte, wie sich dann herausstellt, soweit ich sehe. Kurzum, keiner der Berliner Regierungsvertreter verstand die Petersburger Befürchtungen /Unterstellungen innerlich.

Soweit ich sehe, unterschieden sich die Interventionen des russ. AA bei der britischen Regierung gegen die Sanders-Mission argumentativ teilweise deutlich. Da wird von Anfang an nur die große Gefahr durch den möglichen Einfluss der dt. Regierung via Sanders-Mission gegen Russland bzw. die russische Schifffahrt eindringlich thematisiert.

Etwas merkwürdig ist auch, dass im vertraulichen diplomatischen Verkehr von Petersburger Seite bereits Ende November 1913 Abänderungen der Mission vorgeschlagen werden, die man von Berliner Seite aus ab Anfang /Mitte Dezember zumindest gegenüber dem russ. AA zu prüfen versicherte. Kompromiss-Bereitschaft sah ja auch GB-Außenminister Grey bereits Mitte Dezember, doch die "Skandalisierung" von Seiten Sasonows, der allerdings schon sehr erregt und besorgt wirkte, ging weiter, zudem sickerten Inhalte vertraulicher Gespräche zufälligerweise an die ausländische Presse der Triple Entente durch…Sasonow stand andererseits anscheinend selber innenpolitisch, auch durch die russ. Presse, massiv unter Druck.

Der GB-Außenminister Grey schreibt am 11.12.1913, BD, X,1, S. 370f. (Nr. 417) an den GB-Botschafter in Istanbul u.a., dass er die Bedeutung der Sanders-Mission für übertrieben hält. Diese Sichtweise Greys lag zudem nahe, weil er inzwischen darüber informiert worden war, dass die osmanische Flotte unter dem Kommando einen britischen Admirals stand…..

"I am also hampered by discovering that Admiral Limpus has actual command of Turkish fleet in peace time as his two predecessors before him an arrangement that has existed now for several years though I was not aware of it."

Der britische Außenminister war vorher nicht darüber informiert worden, dass der britische Admiral Limpus die türkische Flotte kommandierte.

Das war bereits im September 2015, vor fünf Jahren, gepostet worden, und vieles anderes mehr damals in den Wochen davor und danach substanziell geklärt/belegt/dargestellt worden...
 
Ist doch kein Problem, wenn deine Ausführungen von damals aktuell ergänzt werden. :) Ganz im Gegenteil.
 
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Der Auslöser, das Signal, der Anreiz oder Anstoß für den I. Balkankrieg (ab Oktober 1912) liegen unbestritten im Italienisch-Osmanischen Krieg 1911-1912 mit seinen Folgen für das OR, wie oben schon notiert (Kröger, Kein serbischer Zugang zur Adria. Britisch-deutscher Friedenskurs im Jahr 1912, in: Jost Düffler u.a., Vermiedene Kriege, 1997, S. 641 f.; Sean McMeekin, The Ottoman Endgame, 2015, S. 66-68; Harry N. Howard, The partition of Turkey. A diplomatic History 1913-1923, 1931, S. 21.). Der Sturz der Jungtürkischen Regierung im Juli 1912 hatte zudem für Unruhe/Aufruhr in der Administration gesorgt (McMeekin, S. 68).

Jehuda Wallach, Anatomie einer Militärhilfe, 1976, geht S. 117-121 auf die Balkankriege in der Perspektive der Militärmission von Goltz Pascha bzw. den wenigen teilgenommenen deutschen Offizieren, alle natürlich vorher aus dem deutschen Militär ausgeschieden, ein. Das interne Urteil zweier von Wallach, S. 118, referierter Offiziere, Endres und Lossow (Lossow im II. Balkankrieg), 'über die türkischen Zustände' sei vernichtend.

Goltz Pascha hat - in apologetischer Intention natürlich - diverse weitere Gründe der Schwäche des türkischen Militärs im Balkankrieg 1913 veröffentlicht (Wallach S. 120); Wallach notiert S. 121, die deutschen Militärs sowohl in der Türkei wie in Deutschland hätten aber die militärische Niederlage der osmanischen Armee dennoch als Schmach für das deutsche Heer empfunden, die vor Ort involvierten Deutschen sofort an eine weitere Militärmission mit drastisch veränderten Tätigkeitsmöglichkeiten gedacht.

Wie die im Januar 1913 wieder an die Macht geputschte Jungtürkische Regierung, die die sehr umfangreichen Befugnisse des französischen General Eydoux als Militärreformer in Griechenland als Vorbild sahen.
 
Die Frage nach den Aufgaben und Vollmachten von General Eydoux in Griechenland ist in GP 38, Abschnitt Liman-Sanders-Affäre, S. 193f, in einer entsprechenden, streng vertraulichen Informations-Bitte des damaligen Außenministers Noradunghian an Botschafter Wangenheim zu finden, wie Wangenheim am 2.1.1913 ans AA kabelt.

Der damalige Ö-U.-Militärattaché Pomiankowski in Istanbul, nach 1919 polnischer Staatsbürger und als polnischer Militärattaché zuletzt in Paris tätig, notiert in seinen Erinnerungen an die Türkei aus der Zeit des Weltkrieges (1927) S. 36 u.a.:
Die Notwendigkeit einer gründlichen Reform der türkischen Armee wurde auch von anderen maßgebenden Persönlichkeiten erkannt und sogar auf eine Reformierung des gesamten ottomanischen Staatsapparates ausgedehnt. Der deutsche Botschafter Baron Wangenheim sprach mir im Jänner 1913 von einem, vom ehemaligen türkischen Botschafter in Paris Münir Pascha stammenden Plane einer Reorganisation des türkischen Staatswesens durch den Dreibund, wobei Deutschland die Armee, Österreich-Ungarn den Verwaltungsapparat und Italien die Gendarmerie reformieren sollten.

Die Idee/Initiative zu einer grundlegenden Militärmission stammt daher aus der türkischen Administration, recht deutlich wohl von der anscheinend recht erfolgreichen Militärmission des General Eydoux in Griechenland angeregt. Hatte die griechische Armee im Türkisch-Griechischen Krieg 1897 eine rasche Niederlage erlitten, zeigte die griechische Armee im Balkankrieg gegen das Osmanische Reich offensive Kampfkraft und zahlreiche Erfolge.

Dass eine grundlegende Militärreform notwendig gewesen ist bei der Osmanischen Armee formuliert der gegenüber Liman und der reichsdeutschen Politik kritische Pomiankowski deutlich S. 35f (er hat selber auch dafür geworben, glaubt man seinen Worten).:

Angesichts dieser so überaus gespannten Atmosphäre [während des Balkankrieges in Istanbul, Anm. von mir] und des offenbar herannahenden Krieges zwischen der Entente und den Zentralmächten, war ich der Ansicht, daß der Türkei als dem zukünftigen Verbündeten der letzteren eine außerordentlich wichtige Rolle zufallen müsse. Diesem Gedankengang folgend war ich seit dem Balkankrieg — ohne eine dahingehende Instruktion aus Wien erhalten zu haben — bemüht, die türkischen Generale und Staatsmänner, sowie auch den deutschen Botschafter und meinen deutschen Kollegen Major von Strempel von der unbedingten Notwendigkeit einer ernsten und gründlichen Reorganisation der türkischen Armee zu überzeugen, welche soeben ihre Unfähigkeit zum Kampf mit europäisch organisierten und geschulten Gegnern erwiesen hatte. Anderseits war es nach dem kläglichen Ausgange des Balkankrieges voll[S. 36]kommen klar, daß die Reorganisation des ottomanischen Heeres durch einige deutsche Instruktionsoffiziere, die ausschließlich eine beratende Stimme, dagegen weder wirklichen effektiven Einfluß noch irgendeine Verantwortung besäßen, nicht bewirkt werden könne. Angesichts der im Kriege bewiesenen Unfähigkeit der überwiegenden Mehrzahl der damaligen türkischen Führer und des türkischen Generalstabes war es unbedingt notwendig, eine entsprechend starke deutsche Militärmission mit einem besonders tüchtigen, hohen General an der Spitze zu engagieren, den deutschen Offizieren die Stellung von tatsächlichen Kommandanten d. h. volles Befehlsrecht zu verleihen und dem Chef der Mission die Leitung und Durchführung der ganzen Reorganisation zu übertragen.
 
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