kleine Geschichte der Atombombe..

Pakistan und das nukleare Asien 1974-1976

Benazir Bhutto hat 1988, in dem Jahr als sie erstmals Ministerpräsidentin von Pakistan wurde, eine Autobiografie veröffentlicht. 1)
Darin beschreibt sie, in durchaus empörter Tonlage, eine Auseinandersetzung im Jahre 1976 zwischen ihrem Vater, dem dann amtierenden Premier, und Henry Kissinger.
Ich folge einfach mal ihrer Darstellung ab Seite 86. Es sei so gewesen, dass ihr Vater entschlossen gewesen sei ein französisches Angebot für den Kauf einer nuklearen Aufbereitungsanlage* wahrzunehmen. Die US-Regierung habe offensichtlich dieses Geschäft ausschließlich unter dem Aspekt der Möglichkeit die Atombombe zu bauen („only in terms of its potential to produce a nuclear device“) gesehen.
Ja, Kissinger habe gar ihrem Vater recht unverhohlen mit einem schrecklichen Schicksal gedroht.
(„Reconsider the agreement with France or risk beeing made into a ‚horrible example‘ “)
Und das alles sei geschehen, während einer Zeit als die Ölpreise („skyrocketing“) sprunghaft infolge der Ölkrise stiegen, und selbst die robusten Wirtschaften des Westen beeinträchtigten, wie sie mit Bitterkeit anmerkt.
(Ihr Vater wurde drei Jahre später von dem nun regierenden Militärdiktator ermordet.
Sie selbst fiel Ende 2007 einem politischen Attentat zum Opfer, als sie sich für eine dritte Amtszeit als Ministerpräsidentin bewarb.)
Autobiografien sind ja stets eine wacklige Sache, insbesondere wenn sie eine Deutung des Geschehenen darstellen. Es wird nicht einfach sein zu glauben, dass diese intelligente Frau die beschriebenen Geschehnisse nicht vor dem Hintergrund der nuklearen Proliferation deuten konnte.

Denn 1974 hatte das verfeindete Indien eine nukleare Explosion bewerkstelligt.
Kleiner als die „Hiroshima-Bombe“, aber durchaus eine funktionierende Atombombe, wurde diese drohende Demonstration der eigenen Fähigkeit in den fadenscheinigen Schleier einer sogenannten PNE „peaceful nuclear explosion“2) gekleidet.
Es war eine Pu-Bombe und das Pu entstammte eben einer solchen „reprocessing“-Anlage, wie sie Bhutto nun erwerben wollte.
Die USA jedenfalls scheinen nun wachsamer gegenüber einer gefährlichen Schwachstelle im ohnehin schwierigen Nichtverbreitungsmanagement. 3)
Und sie intervenieren gegen den Verkauf von „reprocessing“ (Wiederaufbereitung) im Folgejahr erfolgreich in Südkorea. Kissinger argumentiert, Pu aus zivilen Kraftwerken könne für Atombombenbau verwendet werden. Der Erwerb von Anlagen für die Pu-Gewinnung seien daher ein Schritt zur Bombe der verhindert werden müsse . 4)
Auch in Taiwan intervenieren die USA aus diesem Grund hartnäckig gegen den Erwerb von Aufbereitungsanlagen zu eben dieser Zeit. 5)

Das ist so ungefähr die Lage.
Taiwan fühlt sich bedroht durch die Volksrepublik China, Südkorea durch China und die UDSSR, und Pakistan durch Indien.
Alle drei streben nach Atomwaffen. Alle drei haben eine nennenswerte Abhängigkeit von den USA.
Letztere fürchten begründet die Verbreitung von Atomwaffen, insbesondere in einer spannungsreichen und instabilen Region und machen ihren Einfluss nach Kräften geltend.
(Die Europäer, allen voran Frankreich und Deutschland, denken der weilen bevorzugt an das Exportgeschäft.
..und an die eigenen nuklearen Fähigkeiten.)
Die Geschichte wird für Pakistan einen zweiten Weg zur Atombombe bereithalten.
Während das oben beschriebene stattfindet bricht sich in Europa eine neue Technik der Urananreicherung die Bahn.


* Aufbereitungsanlage (reprocessing plant): In einem Uranreaktor entsteht Plutonium (Pu). Dieses ist ebenso spaltbar wie Uran und kann daher zur Energiefreisetzung genutzt werden.
Das kann in einem Kraftwerk geschehen, in dem man das Plutonium dem Uran beimischt (MOX),
oder durch die Explosion einer Atombombe (Spaltungsbombe).
Die Aufbereitungsanlage trennt das Plutonium aus gebrauchten Kernbrennstäben, unterschiedslos für welchen der beiden Zwecke.
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1) Bhutto, Benazir (2008, 2007): Daughter of destiny. An autobiography. 1st Harper Perennial ed. New York: Harper Perennial. [Nachdruck, Erstveröffentlichung 1988]

2) PNE entsprechen der ungewöhnlichen Vorstellung man könne mit Atombomben Erdbewegungen für zivile Zwecke, wie etwa Bergbau oder Kanalbau, durchführen. Es gab dazu tatsächlich ernsthafte Überlegungen, und auch ein Experiment in den USA und mehr als hundert in der SU.
Immerhin, der wahrlich seltsame Begriff, denn eine „friedliche“ Atombombe bleibt ja eine solche, war entstanden und bedeutend.

„Although the TTBT was signed in 1974, it was not sent to the U.S. Senate for advice and consent to ratification until July 1976. Submission was held in abeyance until the companion Treaty on underground nuclear explosions for peaceful purposes (PNET) had been successfully negotiated ...“
https://fas.org/nuke/control/ttbt/intro.htm

Und auch in Südafrika nutzte man zeitweilig das Feigenblatt PNE um schließlich eine heimliche Atommacht zu werden. https://isis-online.org/uploads/isi...visitingSouthAfricasNuclearWeaponsProgram.pdf S.11ff. „South Africa’s interest in PNEs was not secret at first. The AEB reported in its 1969 annual report that it was researching the use of nuclear explosives for earth-moving.29"
..dies als Hintergrund wieso Indien eine, aus heutiger Sicht, absurde Begründung für den Bombentest nannte.

3) „In 1974, India, which had acquired reprocessing technology — ostensibly for a breeder

reactor program — conducted a “peaceful” nuclear explosion that utilized plutonium
produced in a reactor supplied with U.S. heavy water. The U.S. government realized
that civilian reprocessing was facilitating nuclear-weapon proliferation“

http://fissilematerials.org/library/rr14.pdf

4) https://nsarchive.gwu.edu/briefing-...eans-break-contract-french-reprocessing-plant

5)Ausführlich bei: Albright, David; Stricker, Andrea (2018): Taiwan's former nuclear weapons program. Nuclear weapons on-demand. Washington, DC: Institute for Science and International Security.

https://isis-online.org/books/detail/taiwans-former-nuclear-weapons-program-nuclear-weapons-on-demand/15
 
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Major Harold Hering

kommt als noch junger Vietnamveteran zu den Nuklearen Raketenstreitkräften und nimmt dort zunächst an einem Schulungsprogramm teil. 1973 stellt er im Rahmen dessen als guter Schüler eine naheliegende Frage:
Woher kann ich wissen, dass der Präsident der einen nuklearen Schlag befiehlt, zurechnungsfähig ist?
Und wie es scheint war ihm die Frage wichtig genug um sie wiederholt zu stellen.
https://www.washingtonpost.com/news...ck-isnt-sane-a-major-lost-his-job-for-asking/

Und das trifft den wunden Punkt, stellt die Entscheidungsprozedur insgesamt in Frage.
Immerhin stand vorher Kennedy unter dem Einfluss starker Schmerzmittel, Nixon war zu dieser Zeit öfter mal sturzbetrunken und Reagan zeigte später bereits zu Amtszeiten Anzeichen der Demenz. Ohne Zweifel sind das Gegebenheit, die geeignet sind die Urteilsfähigkeit zu beeinträchtigen.
Im Falle des noch amtierenden POTUS ergab sich die Situation starker Medikation, nebst geringer Blutsauerstoffwerte, im Rahmen seiner Covid-Erkrankung im Oktober 2020. Bemerkenswert an dieser Episode ist sicher, dass er nicht etwa, wie nicht unüblich während eines Krankenhausaufenthaltes, den Atomkoffer dem Vize übergab, sondern in Zugriffsweite seine Bettes behielt.
https://thebulletin.org/2020/10/tru...-why-its-time-to-retire-the-nuclear-football/

Bei den drei erstgenannten Präsidenten darf man zuversichtlich annehmen, dass ihre Zurechnungsfähigkeit insgesamt gegeben war, beim letzten bestehen Zweifel.

Der Major Hering wird jedenfalls entlassen, da an seiner Zuverlässigkeit, die ihm zugewiesene Aufgabe zu erfüllen zurecht gezweifelt wird.
Der ehrbare Major kämpft noch vor Gericht dagegen, doch vergeblich.
https://www.nytimes.com/1975/01/13/...mmends-discharge-of-major-who-challenged.html

Doch wie kommt es zu dieser seltsam verrückten Regel, dass der POTUS ohne Einschränkung und zu jeder Zeit einen Atomschlag befehlen kann?
 
Das Thema der Ad-Hoc-Nuklearmächte ist insbesondere in der Nachkriegszeit in Europa sehr akut, also zur Zeit der Gründung der EURATOM. Neben Frankreich plante auch die Bundesrepubik Ende der 1950er ernsthaft die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. Die von der CDU/CSU beschloss im Bundestag die atomare Aufrüstung. Auch Italien arbeitete einige an der nuklearen Aufrüstung. Die deutschen und italienischen Bemühungen um eigene Atomwaffen wurde dann aber durch die "atomare Teilhabe" an den amerikanischen Atomwaffen innerhalb der NATO ersetzt.
Das Thema blieb akut und wurde global.
1976 schreibt Albert Wohlstetter in der „Foreign Policy“:
The basic problem in limiting the spread of nuclear weapons is that in the next 10 years or so many countries, including many agreeing not to make bombs, can come within hours of a bomb without plainly violating their agreement—without “diverting” special nuclear material and, therefore, without any possibility of being curbed by “safeguards” designed to verify whether material has or has not been diverted.“
http://www.npolicy.org/userfiles/file/Nuclear Heuristics-Spreading the Bomb without Quite Breaking the Rules.pdf

Die Ad-Hoc-Nuklearmacht welche derzeit unsere größte Aufmerksamkeit hat, ist wohl der Iran, nachdem Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea offensichtlich die Schwelle überschritten haben.
 
Apologeten



Apologeten sind die, welche Atomkraft betreiben wollen mit dem Argument, sie sei sauber, die aber den Zusammenhang von Krebs/Leukämie und Strahlung bzw. die Endlagerproblematik ignorieren bzw. zwar Atomstrom nutzen, das Endlager aber anderen aufbürden wollen. Nur in diesem Zusammenhang wurde das Wort Apologet verwendet.
...

Ich würde gern diesen Begriff in einen weiteren Zusammenhang stellen.
Nämlich in den der engen Beziehung zwischen der „friedlichen Nutzung der Kernkraft“ und der militärischen.
Hatten die USA in den 40ern noch eindeutig, jedoch unter hoher Geheimhaltung, die Grundlagen der Kerntechnik für den militärischen Einsatz entwickelt,
.. und dabei auch Anreicherung, Reaktorbau und Plutoniumgewinnung bewerkstelligt, so verschwammen später die Grenzen.
Die genannten Fähigkeiten waren unverzichtbare Grundlagen für die Bombe, ja sogar deren schwerste Hürden.

Ebenso aber auch für die „zivile Kernkraft“, welche in späteren Jahren sich weit verbreitete und fast stets für die Bemäntelung für Atomwaffenprojekten gebraucht wurde.
Die Liste dieser Apologeten ist wahrlich lang, und auch bisweilen überraschend. https://geschichtsforum.de/thema/kalter-krieg-und-nukleare-strategie.51941/page-4#post-791239

Dem Aufwand der betrieben wurde um den Konsumenten zu suggerieren Kernkraftwerke seien grundsätzlich beherrschbar, steht der Aufwand gegenüber eine Distanz zur Bombe suggerieren, die noch weniger gegeben war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Major Hering, dekorierter Rettungsflieger des Vietnamkriegs, und später bei den Raketenstreitkräften, ist heute 85 Jahre alt.
1975 wurde er entlassen, oder besser gesagt gefeuert, weil er grundsätzliche Fragen zur Kontrolle des POTUS stellte, im Falle dieser einen Atomschlag befehlen sollte. (s. o.)
Was mag er sich wohl denken, wenn er heute liest,
dass wohl der derzeitige Generalstabchef Mark Milley, sozusagen ad hoc, den POTUS Trump nuklear entmachtete?
(Dies zwei Tage nach dem Sturm auf das Kapitol.)
"Milley also summoned senior officers to review the procedures for launching nuclear weapons, saying the president alone could give the order — but, crucially, that he, Milley, also had to be involved."
https://www.washingtonpost.com/politics/2021/09/14/peril-woodward-costa-trump-milley-china/

Damit ergriff das Militär vorübergehend ein Vetorecht, sofern der Bericht stimmt.
Die WP weist in ihrem Artikel auf einen ähnlichen Fall in 1974 hin, über den die NYT berichtet:
In the days leading up to Nixon’s resignation in August 1974, Mr. Schlesinger, as he confirmed years later, became so worried that Nixon was unstable that he instructed the military not to react to White House orders, particularly on nuclear arms, unless cleared by him or Secretary of State Henry A. Kissinger.“
James R. Schlesinger, Willful Aide to Three Presidents, Is Dead at 85 (Published 2014)
(Das just die Zeit, zu der der Major Harold Hering seine höchst unbequemen Fragen stellt.)

Waren es 1974, so hat es den Anschein, beim Fall Nixon der Verteidigungsminister und der Außenminister, die ein formell nicht bestehendes Vetorecht beim Zugriff auf Nuklearwaffen ausübten,
so sind wir Jan. 2021 auf der Ebene des Militärs angekommen.

Gab es noch mehr solche oder ähnliche Fälle? Wenn jemand etwas findet, wäre sicher interessant.
 
Ergänzung:

"Historic concern over missing checks and balances has been episodic, associated with periods of heightened international tensions or when presidents were perceived as bellicose. In 1972, Senator William Fulbright (D-AK) proposed an amendment to the pending War Powers Resolution (WPR)—rejected by 68-10—that would have prohibited the President from ordering first use of nuclear weapons without prior congressional approval or a declaration of war. During Ronald Reagan’s presidency (1981-1989), legal and scientific authorities deemed offensive nuclear war illegal or unconstitutional. The most recent legislation is notable for winning greater congressional support—the Markey-Lieu bill attracted 81 co-sponsors in the House (80 Democrats, one Republican) and thirteen in the Senate (12 Democrats, one Independent)—and approval from former public officials, the New York Times editorial board, and non-proliferation advocacy groups during 2017-18."
Singh, Unchecked and Unbalanced? The Politics and Policy of U.S. Nuclear Launch Authority, FPRI 2019, S. 116

Dazu online verfügbar:
The President and Nuclear Weapons: Authorities, Limits, and Process by Mary DeRosa, Ashley Nicolas :: SSRN
sowie
Cholden-Brown/De Wolff/Figueroa/McCullough, Protecting Against an Unable President: Reforms for Invoking the 25th Amendment and Overseeing Presidential Nuclear Launch Authority" (2020). Reports. 11.
The Fordham Law Archive of Scholarship and History
https://core.ac.uk/download/pdf/345985091.pdf

Major Herings Fall ist nach meinem Eindruck diffus,
Air Force Panel Recommends Discharge of Major Who Challenged Tailsafe’ System (Published 1975)

Ist Schlesingers Erzählung von dritter Seite (Kissinger, Militärs) bestätigt worden?
 
Ergänzung:

"Historic concern over missing checks and balances has been episodic, associated with periods of heightened international tensions or when presidents were perceived as bellicose. In 1972, Senator William Fulbright (D-AK) proposed an amendment to the pending War Powers Resolution (WPR)—rejected by 68-10—that would have prohibited the President from ordering first use of nuclear weapons without prior congressional approval or a declaration of war. During Ronald Reagan’s presidency (1981-1989), legal and scientific authorities deemed offensive nuclear war illegal or unconstitutional. The most recent legislation is notable for winning greater congressional support—the Markey-Lieu bill attracted 81 co-sponsors in the House (80 Democrats, one Republican) and thirteen in the Senate (12 Democrats, one Independent)—and approval from former public officials, the New York Times editorial board, and non-proliferation advocacy groups during 2017-18."
Singh, Unchecked and Unbalanced? The Politics and Policy of U.S. Nuclear Launch Authority, FPRI 2019, S. 116

Dazu online verfügbar:
The President and Nuclear Weapons: Authorities, Limits, and Process by Mary DeRosa, Ashley Nicolas :: SSRN
sowie
Cholden-Brown/De Wolff/Figueroa/McCullough, Protecting Against an Unable President: Reforms for Invoking the 25th Amendment and Overseeing Presidential Nuclear Launch Authority" (2020). Reports. 11.
The Fordham Law Archive of Scholarship and History
https://core.ac.uk/download/pdf/345985091.pdf

Major Herings Fall ist nach meinem Eindruck diffus,
Air Force Panel Recommends Discharge of Major Who Challenged Tailsafe’ System (Published 1975)

Ist Schlesingers Erzählung von dritter Seite (Kissinger, Militärs) bestätigt worden?

So wie ich das überblicke wurde „Schlesingers Erzählung“ nicht bestätigt.
Für Wellerstein ist das „a famous anecdote about Secretary of Defense James Schlesinger....“
die unbelegt ist.
Diese „Anekdote“ fügt sich in eine andere. Der öfter mal schwer alkoholisierte Nixon habe in der Endzeit seiner Präsidentschaft das Mitglied des Kongresses Alan Cranston angeplärrt, er könne in sein Büro gehen, den Telefonhörer abheben und binnen 25 Minuten seien Millionen Menschen tot.
(I can go in my office and pick up a telephone, and in 25 minutes, millions of people will be dead.)
Dieser nun beunruhigte Senator habe darauf hin den Schlesinger angerufen und ihn gebeten den Nixon nuklear in Schach zu halten.
Auch diese Erzählung findet sich in allen möglichen Publikationen, ohne dass ich jetzt erkennen könnte wodurch sie belegt ist.
Es ist ja auch nicht ohne weiteres plausibel, dass Nixon, der ja gegen erhebliche Widerstände Entspannungspolitik betrieb, geneigt sein würde, einen Nuklearschlag zu befehligen.
Oder doch?
Denn falls er wirklich durchdreht kann er den Atomkrieg auslösen und im Amt bleiben.

Vielleicht stimmen diese so häufig wiedergegeben Erzählungen um Schlesinger und Cranston, vielleicht nicht und vielleicht sind sie auch übertrieben.
Sie berühren aber einen wunden Punkt und finden sich im Zusammenhang mit einer anhaltenden Diskussion des Entscheidungsautomatismus beim Nuklearschlag.

Danke @silesia für Deinen sehr lesenswerten Link https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3595440

Die Zugriffsbeschränkung des POTUS auf die nuklearen Streitkräfte wird da weiter diskutiert. Eine Lösung des Problems wurde bis heute nicht erreicht.

Zwar würde ein tollwütiger Präsident mit einem willkürlichen Erstschlag gegen zahlreiche Gesetze verstoßen, international wie national, doch gäbe es keine gesetzlich festgelegte Prozedur die den schnellen militärischen Automatismus nach dessen Befehl aufhalten würde. Damals wie heute.

Was bleibt sind gesetzlich ungedeckte Absprachen vernünftigerer Entscheidungsträger im Vorfeld.

Eine Anmerkung zu Amendment 25.
So wie ich es verstehe bestand das Ziel dieses Verfassungszusatzes darin, die Fähigkeit eine Nuklearschlags unabhängig vom Zustand des Präsidenten (sei er krank oder gerade verstorben) zu erhalten.
Nicht darin einen körperlich gesunden, aber geistig abnormen vom Einsatz der Atombombe abzuhalten.
 
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Der Pelindaba Vertrag /Atomwaffenfreie Zone Afrika

Bis heute wurden 9 internationale Verträge über NuklearWaffenFreie Zonen (NWFZ) geschlossen.
Der letzte und vielleicht bedeutendste wurde 1996 beschlossen und trat 2009 in Kraft. Der Vertrag von Pelindaba
Damit wurde Afrika zur größten NWFZ.

Die Idee der NWFZ geht auf den den polnischen Außenminister Rapacki zurück, der 1957 vor der UN-Vollversammlung einen Plan zur nuklearen Demilitarisierung in Mitteleuropa vorstellt.
Es sollte eine Zone frei von Nuklearwaffen vertraglich zwischen den entsprechenden Staaten vereinbart werden, ebenso wie ein Kontrollmechanismus zur Einhaltung des Vertrags.
Darüber hinaus sollten sich die Atommächte verpflichten in der vereinbarten NWFZ keine Kernwaffen zu stationieren und auch keinen Staat innerhalb der NWFZ nuklear anzugreifen.
Zwar wird der Rapacki-Plan scheitern, doch eine bleibende Vorlage bilden die später mehrfach aufgegriffen werden wird.

So auch in Afrika,dessen Widerstand gegen Atomwaffen im Jahr 1960 Bedeutung gewinnt.
In diesem Jahr werden 18 Staaten im Rahmen einer fortschreitenden Dekolonisation unabhängig.
Und auch in diesem Jahr führt Frankreich oberirdischen Atombombentest in Algerien durch.

Dies führt zu Protesten und dem vergeblichen Versuch der jungen afrikanischen Staaten eine UN-Resolution zur Denuklearisierung Afrikas erwirken.
1963 wird die OAU (Organisiation of African Unitiy) gegründet, die ebenfalls diese Bemühungen unterstützt. Frankreich beendet schließlich 1966 seine Atomwaffentests in Afrika.
Die diplomatischen Bemühungen um ein atomwaffenfreies Afrika verlieren vorübergehend durch das Inkrafttreten des Atomwaffensperrvertrags 1970 an Schwung.
Doch mit dem Ende des kalten Kriegs scheint es nun möglich Afrika zu einer NWFZ zu machen.
Das größte Hindernis auf diesem Weg stellt Südafrika aus zwei Gründen dar.
Zum einen betrachten es die Staaten der OAU als eine Unmöglichkeit mit dem Apartheitsregime zu verhandeln und zum anderen besteht der Verdacht Südafrika sei im Besitz von Atomwaffen.
Diese Hürden werden von dem kürzlich verstorbenen de Klerk überwunden werden.
1991 tritt Südafrika dem Atomwaffensperrvertrag bei und baut seine tatsächlich vorhandene Atomrüstung ab.
Bestätigt wird dies 1993 durch die IAEA.
Bereits Vorjahr startete de Klerk eine diplomatische Offensive um die Beziehungen zu den anderen afrikanischen Staaten durch zahlreiche offizielle Besuche zu verbessern.
Als sich auch Nelson Mandela öffentlich für ein atomwaffenfreies Afrika ausspricht beginnt sich die allgemeine Haltung gegen Südafrika zu verbessern. Der Geschäftsführer der südafrikanischen AEC (Atomic Energy Commission of South Africa) wird zu 1993 Verhandlungen eingeladen.
Nach den ersten freien Wahlen und dem Amtsantritt Mandelas 1994 wird Südafrika zum vollwertigen Vertragspartner und das größte Hindernis auf dem Weg zum atomwaffenfreien Afrika überwunden.
1996 wird der Vertrag in Kairo geschlossen. Benannt ist er nach Pelindaba, dem Sitz der südafrikanischen AEC.

Dieser Vertrag wird zwei einzigartige Merkmale haben:
Nicht nur sind Stationierung und Bau von Kernwaffen untersagt, sondern auch die Forschung daran.
Es wird eine Kontrollbehörde (AFCONE) vereinbart, die die Vertragstreue der Vertragspartner überprüfen soll. Fortschrittliches Afrika!
Problematisch wird die Umsetzung des Vertrages bleiben und erst 2009 in Kraft treten.

Dazu van Wyk: https://www.academia.edu/2604751/No...earisation_of_Africa_and_the_Pelindaba_Treaty

Zur südafrikanischen Atombombe wie schon bei anderer Gelegenheit verlinkt: Albright / Stricker David Albright / Andrea Stricker – Revisiting South Africa's Nuclear Weapons Program - 2016

Ein Abriss der Entwicklung der NWFZ: https://www.unidir.org/files/publications/pdfs/nuclear-weapon-free-zones-en-314.pdf ab PDF-S. 10

Eine Würdigung de Klerk's will ich nachreichen:
FW de Klerk, who ended South African apartheid, leaves another legacy: nuclear disarmament - Bulletin of the Atomic Scientists
 
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Dem Aufwand der betrieben wurde um den Konsumenten zu suggerieren Kernkraftwerke seien grundsätzlich beherrschbar, steht der Aufwand gegenüber eine Distanz zur Bombe suggerieren, die noch weniger gegeben war.
Nichts für ungut, aber ich halte diese Aussage für falsch, auch auf die Gefahr hin, dass Du mich Apologet nennst.

Die Kernkraft ist sehr viel beherrschbarer als andere großtechnische Anlagen. Steven Pinker hat in seinem neuesten Buch statistisch nachgewiesen, dass mehr Menschen durch Hochöfen als durch Kernkraftwerke ums Leben gekommen sind. Wo bleibt die Forderung, die Stahlindustrie dichtzumachen?

In Fukushima ist nicht ein Mensch durch Strahlung ums Leben gekommen. Man vergleiche dies mit den 32 Menschen, die in Krankenhäusern und Altersheimen elendiglich verreckten, weil das verängstigte Personal auf der Flucht vor einer sich nicht bewahrheitenden Gefahr sie im Stich ließ.

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Der katastrophalste Unfall in einem Kernkraftwerk, das (anders als Tschernobyl) zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme den Erkenntnissen über nötige Sicherheitsvorkehrungen entsprach, hat nicht ein einziges Todesopfer durch Radioaktivität gefordert.

Labels wie "Apologet" oder "Nuklear-Lobby" ändern auch nichts daran, dass zumindest die derzeitigen wissenschaftlichen Methoden auch die über Tschernobyl kursierenden Opferzahlen von angeblich bis zu 600.000 wahrscheinlichen und 93.000 eingetretenen Todesfällen nicht bestätigen können.

Mag sein, dass sich das noch ändert, aber es ist nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft nicht nachgewiesen, und sogar unmöglich nachzuweisen, dass geringere Dosen kumuliert dasselbe Krebsrisiko bedeuten wie eine akut erhaltene Strahendosis derselben Größenordnung.

Was Tschernobyl angeht, ist kaum von mangelnder Beherrschbarkeit zu sprechen, wenn, wie ebendort, grundlegende Sicherheitsvorkehrungen willentlich missachtet werden, die ohne Weiteres eingehalten hätten werden können.

Man mag natürlich argumentieren, dass der menschliche Makel die Nutzung einer so sicherheitssensiblen Technologie durch die Menschheit ausschließt. Vielleicht stimmt das sogar, aber dann wird man nicht umhinkommen, dieselbe Forderung für andere Technologien zu erheben.

Wenn Anlagensicherheit das beste Argument gegen die Kernkraft sein sollte, gäbe es weitaus dringlichere Probleme. Allein die einwandfrei nachweisbaren direkten und indirekten Todesfälle durch die Produkte der chemischen Industrie sprechen hundertmal mehr gegen diese.

Apropos Chemie; bei zahlreichen Vorgängen zur Herstellung alltäglicher Werkstoffe und Gebrauchsgüter fallen Nebenprodukte an, die hochgradig umweltschädlich sind oder sogar sinistere Verwendungszwecke haben. Düngemittel und Sprengstoffe, Nervengas und Hustensaft teilen sich fast alle Herstellungsschritte.

Warum also spricht gegen die Kernkraft, dass bestimmte Kraftwerkstypen Material für Nuklearwaffen liefern können, nicht aber gegen die Düngemittelindustrie, dass sie auch Sprengstoff herstellt?

Auf die Gefahr hin, polemisch zu klingen, möchte ich die deutschen Kernkraftgegner im Forum einmal ernstlich fragen: Warum ist die Atomkraft in vielen Ländern kaum oder gar nicht umstritten, und nur in einer Handvoll Länder ein Reizthema? Warum führt Deutschland diese Hitparade scheinbar an?

Was wisst Ihr, das die Menschen in bspw. Frankreich und den USA nicht wissen?
 
Was Tschernobyl angeht, ist kaum von mangelnder Beherrschbarkeit zu sprechen, wenn, wie ebendort, grundlegende Sicherheitsvorkehrungen willentlich missachtet werden, die ohne Weiteres eingehalten hätten werden können.

Man mag natürlich argumentieren, dass der menschliche Makel die Nutzung einer so sicherheitssensiblen Technologie durch die Menschheit ausschließt. Vielleicht stimmt das sogar, aber dann wird man nicht umhinkommen, dieselbe Forderung für andere Technologien zu erheben.

Wenn Anlagensicherheit das beste Argument gegen die Kernkraft sein sollte, gäbe es weitaus dringlichere Probleme. Allein die einwandfrei nachweisbaren direkten und indirekten Todesfälle durch die Produkte der chemischen Industrie sprechen hundertmal mehr gegen diese.
Absatz 1 ist ja auch, bei Licht betrachtet, eher ein Argument gegen Kernenergie, als für diese. Mal ganz abgesehen von den Ewigkeitskosten, bedarf es nämlich wirklich der immerwährenden Bereitschaft (und des historischen Gedächtnisses), sich um atomare Altlasten auch verantwortungsvoll zu kümmern. Und nachfolgende Generationen werden sagen: „Danke, ihr hattet billigen Strom, nur leider zahlen wir dafür die Zeche. Und das wusstet ihr.“ Das kann man den Betreibern und Nutzern 1960 vielleicht noch nicht vorwerfen, aber den Betreibern und Nutzern 2021 kann man das vorwerfen.

Absatz 3: ich sehe da überhaupt keinen Grund zu priorisieren. Beides muss abgestellt werden. Kernenergie und problematische Chemieindustrie. Warum das eine gegen das andere aufwiegen, wenn beides schlecht für die Lebewesen dieser Erde ist? (Ich bin natürlich Realist genug, um zu wissen, dass ich ein Teil des Problems bin: jedes Endgerät bedeutet Chemie, jede Suchanfrage bei einer Suchmaschine bedeutet Energieverbrauch, wie auch immer diese nutzbar gemacht wurde.)

Apropos Chemie; bei zahlreichen Vorgängen zur Herstellung alltäglicher Werkstoffe und Gebrauchsgüter fallen Nebenprodukte an, die hochgradig umweltschädlich sind oder sogar sinistere Verwendungszwecke haben. Düngemittel und Sprengstoffe, Nervengas und Hustensaft teilen sich fast alle Herstellungsschritte.

Warum also spricht gegen die Kernkraft, dass bestimmte Kraftwerkstypen Material für Nuklearwaffen liefern können, nicht aber gegen die Düngemittelindustrie, dass sie auch Sprengstoff herstellt?
Wie gesagt: Es gibt überhaupt keinen Grund, hier gegeneinander aufzuwiegen.
Allerdings kann man durchaus mal festhalten, dass Sprengstoffe zwar sehr problematisch sind, (und wir in den letzten Jahren doch feststellen müssen, dass nach dem WKII versenkte Waffen plötzlich zum Problem werden, sowohl für den Fischfang, als auch für vermeintliche Bernsteinsammler, denen plötzlich ihre knallbunte Multifunktionsjacke in Flammen aufgeht), aber wir mit Sprengstoffen wohl eher nicht die Ewigkeitskosten produzieren, die wir mit Kernkraft am Ende haben.

Auf die Gefahr hin, polemisch zu klingen, möchte ich die deutschen Kernkraftgegner im Forum einmal ernstlich fragen: Warum ist die Atomkraft in vielen Ländern kaum oder gar nicht umstritten, und nur in einer Handvoll Länder ein Reizthema? Warum führt Deutschland diese Hitparade scheinbar an?

Was wisst Ihr, das die Menschen in bspw. Frankreich und den USA nicht wissen?
Zunächst einmal muss man ja festhalten, dass nur eine überschaubare Anzahl von Ländern überhaupt Atomkraftwerke betreibt. Italien (Erbebenland) und Irland sind schon vor Fukushima aus der Kernenergie ausgestiegen.
Der echte Vorreiter ist nicht Dtld., sondern Irland. Es gibt mehrere Staaten, wo die Kerenergiefreiheit Verfassungsrang hat, da gehört Dtld. nicht dazu. Etliche Staaten, die bereits Kernenergie hatten, haben sie vor Deutschland abgeschafft. Aber es ist immer wieder witzig, wir Deutsche halten uns für superumweltfreundlich und superweit in Sachen Umweltschutz, dabei sind wir eigentlich furchtbar schlecht. Und wir sollten uns nicht die USA als Maßstab nehmen. Beispiel: wir waren in New York in einem Hotel. Morgens beim Frühstück gab es nur Plastikteller, Plastikbecher, Plastikbesteck, das würde direkt entsorgt. Das dürfte mittelfristig viel teurer sein, als eine ordentliche Spülmaschine und Porzellangeschirr + Metallbesteck. Zwischen San Diego und Los Angeles gibt es die Ortschaft San Onofre, direkt am Freeway gelegen. Bekannt durch ein Lied der Beach Boys und durch sein malerisch am Strand gelegenes AKW. Wie Fukushima. Mitten im Erdbebengebiet, wenige Kilometer von der Sankt-Andreas-Spalte entfernt. Vernünftig ist was anderes.
Als meine Schwester in den USA war, was sie Kursbeste in Physik. In der Abschlussklasse. Ihrer Meinung nach waren die auf maximal Mittelstufenniveau. Und damals hat man dort noch - sie war mitten drin im Bible Belt - an der Schule Evolutionslehre gelehrt. Heute wird in „ihrem“ Staat der Kreationismus gleichgestellt, das ganze als Glaubenssache betrachtet, nicht nach Beweisbarkeit. Sorry, aber wenn es einen Staat auf der Welt gibt, wo ich bzgl. der durchschnittlichen Bildung der Bürger, obwohl alle zur Schule gehen, skeptisch bin, dann sind es die USA*. Was sowohl bei Frankreich als auch bei den USA, Kanada, Russland oder Brasilien hinzukommt, ist, dass diese Länder einen ganz anderen Fläche:Bevölkerungsschlüssel haben. Das hilft zwar bei einem GAU dann auch nicht mehr, erklärt aber den z.T. extremen Raubbau an der Natur. Beispiel Kanada. Eine Papierfabrik siedelt sich mit ihren Mitarbeitern an einem See an. Wenn der Wald rundherum abgeholzt ist, ziehen Fabrik und Mitarbeiter weiter und zurück bleibt eine Steppe mit einer Chemielache im Zentrum. Dann passiert 100 Meilen weiter dasselbe.

*es gibt auch hochgebildete Amerikaner, gar keine Frage. Ein Freund von mir ist mit einer brillanten amerikanischen Politologin verheiratet.
 
@-muck-,

ich denke nicht, dass es sinnvoll ist im Rahmen des Themas Geschichte der Atombombe über die Betriebssicherheit von KKWs zu diskutieren.

Die Betrachtung in diesem Zusammenhang bezieht sich auf die Verschränkung von ziviler und militärischer Anwendung. (#42, #45, #50, #51, #115, #127, #138 ... #141)
Ohne Zweifel war die „zivile“ Kernkraft Treiber der Proliferation von Kernwaffen.
Und hier sehen wir durchaus eine sehr große Gefährlichkeit der Kernkraft.
 
double-flash – Fingerabdruck der Kernexplosion.

Im Juli 1963, der Schock der Kubakrise sitzt noch in den Knochen, reisen britische und US Delegationen nach Moskau um einen Vertrag zur Einschränkung von Atomtests vorzubereiten.
Über das Kontrollregime ist man sich noch nicht einig, doch in weniger als einem Monat unterzeichnen UDSSR, UK und USA den PTBT. (Partial Test Ban Treaty) 1)

Dieser vereinbart zwar kündbar, doch auf unbegrenzte Zeit, dass die Unterzeichner keine Atomtests mehr in der Erdatmosphäre, bzw. der Erdoberfläche, mehr machen, nicht mehr unter Wasser und auch nicht künftig im All. 2)
Das ist ja schon erstaunlich. Die gefährlichste Konfrontation zwischen den Supermächten ist noch kein Jahr her, und schon setzt man sich zusammen und besiegelt in Einigkeit gemeinsame nukleare Interessen. (man wünscht sich das könnte heute auch noch gehen)
Dem Vertrag der drei Atommächte werden viele weitere Nationen beitreten. Und dieser wird auch den Weg zum Atomwaffensperrvertrag (NPT) 1968/1970 weisen.

Aber wie überwacht man die Einhaltung in den Folgejahren?
Wie unterscheidet man Nuklearexplosionen von anderen Erscheinungen?
Etwa Blitzschlag, Vulkanausbruch, Explosion eines Munitionsdepots oder Kraftwerks, Meteoriteneinschlag, oder was auch immer.

Das Merkmal heißt „double flash“. Es ist eine einzigartige Licht-Zeit-Kurve eines Ereignisses das in der Natur und auch sonst nicht vorkommt.
In 1/20 µs findet die nahezu ganze Energiefreisetzung statt (Serber – Los Alamos Einführungsvorlesung) und in einer µs heizt sich die Bombe selbst auf ca. 10 Millionen Grad auf, und bewirkt durch die Erhitzung der umgebenden Luft (ca. 1 Million Grad) nach weniger als 1ms das Maximum einer sehr hohe Lichtemission. Das ist der erste flash. Der bricht nach wenigen Millisekunden zusammen. Dann kommt der zweite flash.
Der erreicht sein Maximum nach ca. 100ms-1000ms und schwillt dann binnen einer weiteren Sekunde ab. 3)
Sehr schön kann man das in der Grafik Pdf-Seite 5 sehen, und Achtung: die Skalen sind logarithmisch.
Das ist der Fingerabdruck nach dem gesehen werden kann. Und dieser ist unabhängig von der Bauart der Bombe. Sei es eine Uranbombe, eine Pu-Bombe oder eine Wasserstoffbombe. Der Zeitpunkt des zweiten Peaks gibt einen Hinweis auf die Stärke der Explosion. Bei einer Wasserstoffbombenexplosion wird der zweite Peak nach ca. 1000 ms erreicht, bei einer Spaltungsbombe nach ca. 100ms. 4) S. 332

Der Sensor mit dem ein solches Ereignis aufgezeichnet werden kann ist 1963 bereits vorhanden.
Der bhangmeter 5) ist ein schneller und empfindlicher Silizium Photodetektor.

Nun hat man seit wenigen Jahren bereits Satelliten und diese können den bhangmeter tragen mitsamt einer Laserquelle (der erste Laser wurde 1960 gebaut) zur Kalibrierung des Sensors.

Die US-Seite hat das Vela-Programm vorbereitet und bereits Oktober 1963 gehen die ersten zwei Vela-Satelitten mit bhangmeter in den Orbit und weitere folgen.

Berühmtheit wird der Vela 6911 erlangen als er am 22. September1979 den double-flash einer unerwarteten Nuklearexplosion im Meer südlich von Südafrika aufzeichnete. 6)
Die US-Regierung wird es für politisch geboten halten über diesen Vorfall den Deckmantel des Schweigens und der Täuschung zu legen.
Die Implikationen die mit der Enthüllung des Vela-Zwischenfalls entstünden wären gravierend und kämen zur Unzeit. Dazu später mehr..


1) https://www.atomicheritage.org/history/limited-or-partial-test-ban-treaty-ltbtptbt

2) https://media.nti.org/documents/ptbt_partial_test_ban_treaty.pdf

3)https://web.archive.org/web/2019121...andglobalsecurity.org/archive/sgs25wright.pdf

4) Reed, Thomas C.; Stillman, Danny B. (2009): The nuclear express. A political history of the bomb and its proliferation. Minneapolis: Zenith Press.

5) Bhangmeter ist kein Rechtschreibfehler (müsste eigentlich bangmeter heißen) sondern ein Wortspiel, eine Art Kalauer und geht wohl auf den Physiker Frederick Reines, der an der Entwicklung beteiligt war, zurück.
Das indische Wort Bhang bezeichnet Cannabis und Reines fragte zunächst wie bekifft man sein müsse um auf die Idee zu kommen, dass so etwas einfaches für den Zweck funktionieren könne.
Das Wort hat sich, ebenso wie der Sensor, durchgesetzt und ist der gebräuchliche Fachbegriff
https://www.azosensors.com/Article.aspx?ArticleID=395

6) https://foreignpolicy.com/2019/09/2...-flash-1979-ptbt-south-atlantic-south-africa/
 
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Franck Report und Proliferation

Die Bombe ist noch nicht fertig, doch einige Zauberlehrlinge der Bombe ahnen bereits Schreckliches.

Derweilen wird in Los Alamos fieberhaft auf die Verwirklichung der ersten Nuklearexplosion hingearbeitet. Diese wird am 16. Juli 1945 gelingen, stärker als erwartet.

Fünf Wochen vorher verfassen Kollegen des Manhattan Projects des Metlab in Chicago ein Memorandum für den Kriegsminister. 1)
Den Vorsitz der Autorengruppe hat James Franck, einer der Direktoren des Metlab, welches wesentliche Vorarbeiten für die Verwirklichung der Atombombe geleistet hatte.
Und während Los Alamos heiß läuft, haben die wissenschaftlichen Kollegen in Chicago mehr Zeit den Blick weiter in die Zukunft zu richten.

Man könnte den ganzen Report in diesen Satz zusammenfassen: In dem Moment in dem die Existenz und Wirkung der Atombombe demonstriert wird, beginnt das nukleare Wettrüsten, es sei denn es gäbe vorher eine wirksame internationale Verständigung darüber.
„If no efficient international agreement is achieved, the race of nuclear armaments will be on in earnest not later than the morning after our first demonstration of the existence of nuclear weapons.“

Es sei eine Illusion zu glauben man könne ein Monopol erhalten.
Russland könne in wenigen Jahren gleichziehen.
Das UK, ohnehin von Beginn einbezogen in die Entwicklung, würde ebenfalls Atommacht werden.
Ebenso Frankreich mit dessen Wissenschaftlern auch Austausch beim Manhattan Project stattfand.
(Eine sehr zutreffende Vorschau auf die künftige Entwicklung!)

Es sei daher klug auf die Demonstration der eigenen nuklearen Fähigkeiten zu verzichten um nicht ein sofortiges internationales Wettrennen nach der Bombe auszulösen.
Denn ein solches sei für die USA weit nachteiliger als der Verzicht auf den militärischen Einsatz der Superwaffe.
Das ist Teil einer vertraulichen Diskussion der Wissenschaftler des Manhattan Projects untereinander, und auch mit politischen Entscheidungsträgern so ca. 2 Monate vor dem Abwurf des „Little Man“ auf Hiroshima. 2)

Eine ähnliche Diskussion wird es keine 20 Jahre später in Israel geben.
Die Proliferation von Atomwaffen hat bereits stattgefunden. Die vom Franck Report antizipierten Atommächte sind nun auch solche (UDSSR 1949, UK 1952, Frankreich 1960) und auch China tritt dem Klub 1964 bei.
Israel steht an der Schwelle zu der von Ben Gurion ersehnten Sicherheit durch die Bombe, und ist schließlich in deren Besitz bereits beim Sechstage Krieg 1967. 3)
Wir sehen hier die gleiche Problematik, die der Franck Report für den globalen Maßstab beschrieb, gewissermaßen im verzerrten Brennglas einer kleineren Bühne des Nahen Ostens.
Kann Israel Atommacht werden, ohne ebenso eine nukleare Bewaffnung bei den, sämtlich feindlichen, Nachbarn auszulösen? Wäre dann dieses (winzige) Land nicht weit mehr gefährdet als seine Widersacher? Auch diese Diskussion findet unter Geheimhaltung in kleinem Kreis statt. 4)

Nun mag es ein großer Sprung vom Franck Report, verfasst knapp 2 Monate vor Hiroshima, zu den 60ern im Nahen Osten sein. Zeitlich, wie örtlich und auch im Maßstab der Größe.
Die Problemstellung indes unterscheidet sich weit weniger.


1) https://fissilematerials.org/library/fra45.pdf

2) ausführlicher bei: Alperovitz, Gar (1995): The decision to use the atomic bomb and the architecture of an American myth. 1. ed. New York: Knopf (A Borzoi book). Chapter 14

3) Cohen, Avner (1999): Israel and the bomb. Boulder, Colo.: NetLibrary, Inc. S. 239 : „On the eve of the 1967 war all components of Israel's nuklear weapons where in place."

4) Cohen, Avner (2012): The Worst-Kept Secret - Israel's Bargain with the Bomb. Columbia: Columbia University Press. S. 37ff
 
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Israel, Dimona und die Bombe

Avner Cohen hat zwei Bücher über das nicht leicht zu erschließende zu erschließende Thema geschrieben. 1) 2)
Beide empfehle ich. Man sollte 1) vor 2) lesen, falls man das vorhat.
Auf diese Bücher beziehe ich mich im Folgenden, soweit nicht anders vermerkt.

Der Erwerb der Atombombe durch Israel enthält alle typischen Elemente der Proliferation:
- Beharrliches Bestreben mit großem Aufwand.
- Geheimhaltung mit Begleiterscheinungen. (Umgehung sonst üblicher Entscheidungsfindung, Zensur von Information und verschleierte Budgets.)
- verdeckte internationale Kooperation.
- das Streben nach Trägersystemen.
Das findet sich stets,
und meist auch das Vehikel der „Zivilen Kernkraft“.
So auch beim israelischen KKW Dimona, der technischen Basis der Nuklearrüstung.

Der Fall Israel hat auch einmalige Besonderheiten:
1. Seit 1970 wird allgemein davon ausgegangen, dass es Atommacht ist. Doch hat sich Israel selbst nie als solche erklärt, sondern stets darauf beharrt nicht als erstes Land des Nahen Ostens die Atomrüstung einzuführen. „Einführen“ heißt nach israelischer Lesart eine Nuklearexplosion auch tatsächlich durchzuführen. Dementsprechend ist auch kein Atombombentest bekannt der auf Israel zurückzuführen ist. Es ist fast so, als habe es den Kernsatz des Franck-Report von 1945 (siehe #157) beherzigt: „the race of nuclear armaments will be on in earnest not later than the morning after our first demonstration of the existence of nuclear weapons.“
2. Israel ist vergleichsweise winzig an Fläche und Bevölkerung.
3. Israel ist mit Staatsgründung 1948 existenziell durch seine Nachbarn bedroht und kann diese Bedrohung nicht losgelöst von dem Trauma des Holocaust betrachten.
(Avner Cohen geht davon aus, dass es ohne dem Holocaust auch keine Nuklearrüstung Israels gegeben hätte.)


Dimona:
Kurz nach der Ausrufung des Staates Israel 1948 durch Ben Gurion befindet sich der neue Staat im Krieg mit seinen Nachbarn.
Zwar wird dieser siegreich geführt und das Staatsgebiet erweitert, doch fürchtet Ben Gurion, dass ein dauerhafter Friede nicht erreicht wurde und ein erneuter Konflikt nur eine Frage der Zeit sei.
Insbesondere eine Einheit der zahlenmäßig weit überlegenen Araber müsste eine tödliche Gefahr für das kleine Land sein.
Die einzige Ressource die Israel schützen könne, sei dessen Überlegenheit an wissenschaftlicher Kompetenz die es konsequent zu nutzen gelte. Die größte Wirkung dabei sei durch den Besitz der Atombombe zu erzielen.
Er findet dabei den Mitstreiter Ernst David Bergmann, ein 1933 aus Nazideutschland geflohener Chemiker, der mit großem Optimismus die Ansicht vertritt, Israel könne aus eigener Kraft die Aufgabe meistern. Shimon Peres wird ebenso beharrlich das Ziel verfolgen, ist allerdings der zutreffenden Überzeugung, dass dieses nur durch Kooperation mit anderen Staaten erreichbar sein kann. Er wird Hilfe aus Norwegen und insbesondere aus Frankreich organisieren.

Ein großer Schritt zum Ziel wird jedoch zunächst durch das „Atoms for Peace“ - Programm Eisenhowers 1953 möglich.
Israel erwirbt zunächst einen kleinen amerikanischen Reaktor mit wenigen MW thermische Leistung* für Experimente und Ausbildung des benötigten Fachpersonals. (Kernforschungszentrum Soreq). Gleichzeitig werden Wissenschaftler im Ausland, vor allem USA, ausgebildet.
Soreq ist noch im Bau, als bereits der weit größere Schwerwasser-Reaktor Dimona in der Negev-Wüste mit französischer Hilfe errichtet wird. Dieser Reaktor wird Ende 1963 kritisch werden und ab dann Plutonium produzieren.
Beobachtet wird diese Entwicklung mit großem Misstrauen durch die Kennedy-Administration, denn Kennedy befürchtet eine rasche Verbreitung von Atomwaffen auch im nahen Osten. Es wird immer wieder auf amerikanische Inspektionen von Dimona bestehen, die von Israel nach Kräften behindert werden, bei gleichzeitiger Beteuerung des zivilen Charakters der Anlage.
Es geht dabei insbesondere um die Frage, ob Israel im Besitz einer Aufbereitungsanlage (separation Facility) zur Trennung von Plutonium als Kernsprengstoff ist.
Ein Bericht der CIA vom Januar 1963 stellt dazu fest: „We have no evidence to confirm or deny the existence of spearation facilities,..“ 3)
Das ist insofern bemerkenswert als längst Verträge über eine solche (unterirdische) Aufbereitungsanlage mit Saint Gobain Nucleaire geschlossen sind und bereits 1959 beginnen unter der Leitung dieser Firma für diese Anlage die Ausschachtungen der sechs Untergeschosse Dimonas. 1) S. 79; 4)
Darüber wird dann das Kraftwerk selbst errichtet, als das was für die US-Inspektoren sichtbar sein wird, während die darunterliegenden kritischen Installationen verborgen bleiben.

Nach einer Schätzung von David Albright wird der Reaktor bis Ende 2014 Plutonium für ca. 115 Atombomben produziert haben. 4)
(Einen anderen Zweck hat Dimona nicht.)
Die Basis dieser Schätzung ist der PF (plutonium conversion factor) mit 0.95-0.97 g/MWth-d.
D.h bei einer thermischen Leistung von 1 MW entsteht an einem Tag 1g Plutonium.
(Nehmen wir als Beispiel einen üblichen Kraftwerksblock für die Stromerzeugung von 1.000 MW, dann beträgt die thermische Leistung ca. 2.500 MW und es entstehen ca. 2,5 kg Plutonium im Laufe eines Tages. Nach bereits 4 Tagen hat unser KKW-Block idealer Weise ausreichend Pu für wenigsten eine Atombombe entstanden. (Die kritische Masse von Pu239 beträgt je nach Bauart, bzw. Neutronenreflektor, 4,5-10 kg.)

Dimona ist im Vergleich dazu ein Zwerg, doch ausreichend um gut 2 Plutoniumbomben pro Jahr zu produzieren, wie Albright vorrechnet.

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* Thermische Leistung ist zu unterscheiden von der elektrischen Leistung eines KKW, welche ca. 40% der thermischen ist.

1)Cohen, Avner (1998): Israel and the bomb. New York, NY: Columbia Univ. Press.


2) Cohen, Avner (2012): The Worst-Kept Secret - Israel's Bargain with the Bomb. Columbia: Columbia University Press.


3) https://nsarchive.gwu.edu/document/18703-national-security-archive-doc-04-director

4) https://mail.isis-online.org/upload...ry_Plutonium_Stock_November_19_2015_Final.pdf
 
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