Städte, Stadtrecht und Stadtmauer im Mittelalter

Das städtische "Stapelrecht" halte ich für kein Recht, sondern eine unverfrorene Art der Selbstbereicherung. Aus welcher Begründung heraus kann man durchziehende Händler zwingen, ihre Waren anzubieten? Würde mich nicht wundern, wenn es als Handelshemmnis von weitschauenden Landesfürsten wieder kassiert wurde.

Wieso sollte es den Landesfürsten stören. Die Händler in der Stadt hatten bessere Einkaufsmöglichkeiten und der Landesfürst gleichzeitig Steuereinnahmen. Die Fernhändler haben versucht es zu umgehen. Bekanntes Beispiel ist die Mauspfad im Kölner Westen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Mauspfad

Sie konnte sich so lange halten, weil sie durch Kurkölner Gebiet ging. Also dem Erzbischof von Köln unterstant.
Dat hilije Kölle hat den Erzbischof 1288 vor die Tür gesetzt. Während 1259 Köln schon das Stapelrecht hatte.
 
Aber selbst wenn die Durchschnittsgröße der "Städte" nur bei 500 Einwohnern gelegen hätte, hätte "Deutschland" (so die zitierte Quelle, nicht das ganze HRR) nach der obigen Rechnung um 1300 bereits 20 Mio. Einwohner gehabt. (...) 4000 (!!!) deutsche Städte um 1300, die mit Mauern umgeben waren, erscheinen mir doch sehr viel.
4000x500 ergibt nach meiner Kopfrechnung auch nicht 20 Millionen. Du bist da um eine Zehnerpotenz verrutscht. Rechne doch bitte noch mal mit einem Taschenrechner nach.
 
4000x500 ergibt nach meiner Kopfrechnung auch nicht 20 Millionen. Du bist da um eine Zehnerpotenz verrutscht. Rechne doch bitte noch mal mit einem Taschenrechner nach.

4000 Städte x 500 Einwohner = 2 Millionen Stadtbewohner

Bei dem besagten Anteil von 10 % Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung ergäbe das 20 Millionen Einwohner insgesamt.

Hatte Deutschland um 1300 20 Millionen Einwohner?

Nein, nicht annähernd soviele.

Also erscheint die Zahl von 4000 Städten zu hoch gegriffen. Oder der Anteil von 10 % Stadtbevölkerung.
 
"Deutschland" (so die zitierte Quelle, nicht das ganze HRR)

Im zitierten Text heißt es mal "Deutschland", mal "Mitteleuropa", mal "Heiliges Römisches Reich". Wahrscheinlich ist letzteres gemeint.
Ich habe mal stichprobenweise ein paar Gegenden abgesucht, wo ich mit der Situation um 1400 relativ gut vertraut bin, und komme jeweils auf durchschnittlich eine Stadt pro 250 km².
 
Diese Seite rechnet nur mit dem "Gebiet des späteren Deutschlands": Bevölkerungs- und Einwohnerzahlen – Mittelalter-Lexikon

Sie gibt die Zahl von 4000 Städten im ausgehenden Mittelalter an. Die Einwohnerzahl Ende 15. Jh. mit 14 Millionen der Anteil der Stadtbevölkerung für diesen Zeitpunkt wird nicht genannt. Ich schätze ihn auf 15%, da er 1400 bereits bei 12% lag und stetig anstieg.
Für das Jahr 1400 wird die Zahl der Städte mit 3000 angegeben, der Anteil der Stadtbevölkerung mit 12%. Die Gesamtbevölkerung ist nicht angegeben, war aber von 14 Millionen im Jahr 1340 abnehmend auf 10 Millionen im Jahr 1470 - ich schätze mal 12 Millionen.

Ergibt gemäss meinen Berechnungen für das Jahr 1400 eine durchschnittliche Einwohnerzahl pro Stadt von 480 und für das Ende des Mittelalters eine von 525.

Auf der Seite wurden explizit alle Einwohner geschätzt, nicht nur die offiziellen Bürger.
So wie es aussieht, basiert der Artikel auf Zahlen von Friedrich-Wilhelm Henning.
 
Im zitierten Text heißt es mal "Deutschland", mal "Mitteleuropa", mal "Heiliges Römisches Reich". Wahrscheinlich ist letzteres gemeint.

Im Lexikon des Mittelalters findet sich unter "Stadt. B. Deutschland" auch die Zahl. Danach gab es um 1320 nahezu 4000 Städte, die allermeisten unter 2000 Einwohner und 20 Hektar Fläche. Die Angabe verweist allerdings auf keine Quelle und die Bibliographie am Ende des Lemmas ist zu lang, um diese zu erraten. Womöglich ist die Urquelle gar kein Gegenstand kritischer Betrachtung mehr und die Zahl der mittelalterlichen Städte spukt nach dem Vorbild 'hoher Eisengehalt in Spinat' einfach weiter in der Literatur herum.
 
Beim Fürstentum Waldeck, eine sehr ländliche Gegend, kommen auf 1055 km² 13 Städte. Gut die "Hauptstadt" Arolsen wurde erst 1719 zur Stadt, also waren es vor 1400 12 Städte.
Das ist schon eine ziemlich hohe Dichte.
Anderswo sah es weit dünner aus. Auffällig wenige Städte gab es in Altbayern:
Städte und Märkte in Altbayern (Mittelalter/Frühe Neuzeit) – Historisches Lexikon Bayerns

Eine ziemlich unterschiedliche Dichte haben wir auch in Schleswig-Holstein. In der ostholsteinischen Ecke haben wir die größte Dichte, die kommt aber an das Fürstentum Waldeck nicht annähernd heran:

Mitte des 13.Jahrhunderts endete die erste Phase der Stadterhebungen. Der Landesausbau im östlichen Hügelland Holsteins war damit weitgehend abgeschlossen. Rechtlich bestimmt von Lübeck, das 1226 zur freien Reichsstadt aufstieg und damit eigenständig gegenüber dem Landesherren wurde, war ein Netz von Städten entstanden. Die Distanz von einer Stadt zur nächsten lag bei knapp 30 Kilometer, also je ein Tagesmarsch. Anders war die Situation an der Westküste. Wie das östliche Hügelland sind auch die Marschen äußerst fruchtbar, blieben jedoch bis in das 19.Jahrhundert hinein „verkehrsfeindlich“. Nur Ripen, Tondern, Meldorf und Itzehoe konnten zu Städten aufsteigen. In der Landesmitte, die von Geest– und Sanderflächen (siehe Eiszeitland) bestimmt ist, stieg nur Rendsburg (wahrscheinlich um 1235) zur Stadt auf.

Stadtrecht « Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte
 
Beim Fürstentum Waldeck, eine sehr ländliche Gegend, kommen auf 1055 km² 13 Städte. Gut die "Hauptstadt" Arolsen wurde erst 1719 zur Stadt, also waren es vor 1400 12 Städte.

Scheint wohl ein Extrembeispiel für eine besonders hohe Dichte zu sein. Ein Beispiel für eine sehr niedrige Dichte: In der Grafschaft Oldenburg kam an der Schwelle zur Neuzeit auf etwa 2800km^2 eine Stadt (bis 1974 gab es im Oldenburger Land den einzigen Landkreis Deutschlands ohne Stadtrechte (Ammerland)). Im angrenzenden Ostfriesland war die Städtedichte ebenfalls recht gering.
 
Bei der Berechnung von lokaler Städtedichte ist Vorsicht angebracht:
Auf dem Gebiet der heutigen Schweiz gab es um das Jahr 1200 35 Städte. Im Jahr 1300 hatte sich die Zahl verfünfacht. Man kann davon ausgehen, dass auf diesem Gebiet im Mittelalter insgesamt 200 Städte gab, wovon ca. 50 bis ins Jahr 1400 wieder verschwanden. (z.B. Glanzenberg).
Davon waren 50 Kleinstädte mit 200-500 Einwohnern und 50 Städte hatten weniger als 200 Einwohner.
Quelle: D.W.H. Schwarz, Die Städte der Schweiz im 15. Jahrhundert

Wenn man nur die Gesamtfläche der heutigen Schweiz in Betracht zieht, käme man auf eine geringe Städtedichte. Wenn man aber davon ausgeht, dass damals nur etwa ein Drittel der Fläche besiedelbar waren oder zur Besiedlung geeignet betrachtet wurden, kommt man auf eine relativ hohe Städtedichte von ca. 14 Städten pro 1000 qkm.
Das gilt natürlich auch für grosse Sumpflandschaften oder Waldgebiete im Flachland.
 
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