Wie oft muss man Crystal Meth konsumieren, um von dem Zeug abhängig zu werden? (Bitte nicht testen!) Ich möchte mal behaupten, dass es nicht allzuviele Abhängige gegeben haben sollte, da schon während des Krieges bekannt war, dass der Einsatz von Crystal Meth allenfalls in Ausnahmefällen freigegeben werden sollte, da das Zeug Schlaf eben nicht ersetzte und letztlich bei Himmelfahrtskommandos eine Rolle spielte. Ob die negativen Nebenwirkungen schon bekannt waren, weiß ich nicht. Heute kann ja jeder halbwegs talentierte Hobby-Chemiker das Zeug in seiner Gartenlaube zusammenrühren, aber es dürfte zu unterstellen sein, dass Süchtige - sollte es sie gegeben haben - nach dem Krieg ein Beschaffungsproblem hatten. Kalter Entzug, sofern denn überhaupt eine Sucht bestand.
Pervitin wurde anfangs sehr aggressiv beworben und es gab bis 1940 in Deutschland nicht einmal eine Verschreibungspflicht. In Deutschland wurde das Medikament dann rezeptpflichtig, es konnte aber z. B. in Frankreich ohne Rezept gekauft werden. Der junge Heinrich Böll fragte seine Eltern, ob sie ihm Pervitin schicken können. Wer das Mittel wollte, der kam auch dran. Die Nazis hatten sich zwar den Kampf gegen den Alkoholismus und den Krieg gegen "Rauschgift" auf die Fahnen geschrieben, und sie schwadronierten von der "Volksgesundheit". Es waren aber Drogen immer noch relativ leicht zu bekommen, und wenn die Wirkung eine staatlich und gesellschaftlich erwünschte war, gab es wenig Bedenken, Drogen einzusetzen. Böse gesagt, die Sache wurde erst dann zum Problem, wenn Soldaten, Ärzte, Schwestern, Beamte nicht mehr funktionierten. Wenn Kollegen sich beschwerten oder wenn sie jemanden nicht mehr deckten.
35 Millionen Pillen ist ein Haufen Zeug, viele Soldaten haben damit experimentiert, und es gab Mittel und Wege es zu bekommen. Ich muss dabei an ein anderes Medikament denken, dass einen noch stärkeren Imagewechsel erfuhr. Heroin galt einmal als Wundermittel in fast allen populärwissenschaftlichen Artikel wird entsetzt darauf verwiesen, dass es als Hustensaft für Kinder eingesetzt wurde, zeitweise rezeptfrei zu kaufen war. Viele Publikationen vertraten die These, dass es explosionsartig die Zahl der Süchtigen noch oben schnellen ließ, dass die Ärzteschaft total verantwortungslos war.
Die sehr fundierte Arbeit von Michael de Ridder (Heroin- Vom Arzneimittel zur Droge) konnte nachweisen, dass das so nicht zutraf. Heroin wurde aggressiv beworben, Proben wurden an Ärzte versandt. Das Mittel war aber niedrig dosiert, und es wurde oral genommen. In Europa gab es damit bis zum Weltkrieg wenig bis keine Probleme, bei den meisten Abhängigen wurde mehr Morphium oder opiumhaltige Medikamente wie Laudanum konsumiert. Heroin wurde verordnet, als massenhaft konsumierte Droge spielte es aber bis in die 1970er Jahre in Deutschland kaum eine Rolle. Es wurde viel mehr Morphium verlangt, verordnet und illegal verschafft. Besonders beliebt wurde es in den USA um die Jahrhundertmitte. Es wurde berichtet von Süchtigen, die Heroinpillen zerrieben und schnupften oder spritzten, und man entdeckte, dass die Kombination Heroin/Kokain sehr, sehr euphorisierend ist. 1914 wurde die Harrison Act, das amerikanische BtMG verabschiedet, und es begann damit gleichzeitig ein Kampf gegen chinesischstämmige Amerikaner, Afroamerikaner und Latinos. Opium war böse, es war fremd, Kokain und Heroin waren böse und made in Germany. Damals wurde Heroin längst nicht mehr nur von Bayer produziert. Den großen Siegeszug trat Heroin erst dann an, als es praktisch unmöglich wurde, legal an Morphin heranzukommen, da war Heroin aber schon ein illegales Plagiat einer Pharmadroge, und es wurde dämonisiert wie keine andere Droge, und es wurde Heroinabhängige als der Abschaum der Menschheit, die "Sünder vom Bahnhofsklo" stigmatisiert.
Bis in die 1970er Jahre gab es mehrheitlich Morphinisten, die aus Heilberufen stammten, die Kriegsinvaliden waren, die sich ihre "Medizin" verschreiben lassen konnten. Es gab hin und wieder mal einen Einbruch bei Ärzten oder in Apotheken, hier und da mal eine Rezeptfälschung, aber bis 1972 das BtmG eingeführt wurde, gab es praktisch keine "Drogenkriminalität" in der Bundesrepublik. Morphinisten waren in der Regel älter und deutlich älter, als 21 Jahre, integriert und oft gut ausgebildet. Plötzlich aber war die Rede von Kindern, von 12-14 jährigen, und es änderte sich die Wahrnehmung. Der/die "typische Junkiene" der Moderne ist jung, stirbt jung, ist arm, nicht integriert und ungebildet. Um zwischen den 1970er und der Jahrtausendwende Morphium verschrieben zu bekommen, musste man praktisch todsterbenskrank sein, und selbst Tumorpatienten mussten um ihr Morphium kämpfen.
Ich denke, dass El Quijote gar nicht mal so falsch liegt, wenn er annimmt, dass die Zahl der wirklich Abhängigen, der pathologischen Fälle nicht gar so hoch war. Pervitin wurde, Angabe ohne Gewähr 1938 entwickelt. Nachdem die Nebenwirkungen bekannt geworden waren, versuchte man durch Rezeptpflicht den Gebrauch zu kontrollieren, und auch eine Abhängigkeit/Sucht braucht Zeit, um sich zu entwickeln und zu verfestigen, bis sich Schäden am zentralen Nervensystem bemerkbar machen. Viele Suchtkranke leben jahrelang unauffällig. Oft decken Kollegen und Familienangehörige den Konsum. Unter Soldaten, Fliegern, Schwestern und Ärzten war oft bekannt, wenn jemand Morphinist war oder Aufputschmittel nahm, und solange die funktionierten, ließen sich solche Abhängigen oder Gefährdeten integrieren, integrieren auch in die Nachkriegsgesellschaft. Wenn das nicht mehr funktionierte, konnte es schlimme Folgen haben, es drohte der Ausschluss aus der "Volksgemeinschaft". Da konnte wegen einer Ampulle Morphium auch schon mal eine Anklage wegen Sabotage drohen. Soldaten mit problematischem Konsum dürften aber auch eine größere Chance auf den "Heldentod" gehabt haben, wenn sie unter Pervitineinfluss größere Risiken eingingen.
Was sicher aber auch die Integration von Abhängigen in die Nachkriegsgesellschaft erleichterte, war ein verhältnismäßig liberales Betäubungsmittelrecht. Die Höchststrafe war im alten Reichsopiumgesetz 3 Jahre. Das wurde 1972 auf 10, dann auf 15 Jahre angehoben. Bis 1972 war die sogenannte "Drogenkriminalität" marginal. Es gab jährlich weit weniger als 1000 Fälle, in denen wegen Urkundenfälschung, Einbruch, Rezeptdiebstahl, Anklage erhoben wurde. Morphinisten wie Veronika Voss in Rainer Werner Fassbinders Film Die "Sehnsucht der Veronika Voss" oder der Schriftsteller Hans Fallada konnten sich ihre "Medizin" legal verschreiben lassen, und natürlich waren Präparate wie Pervitin und Captagon auch weiterhin verschreibungsfähig. Mein Vater arbeitete in den 1970er Jahren in einem Stuttgarter Krankenhaus. Er sagte mal, dass ihn Spieler des VFB Stuttgart auf Captagon angesprochen hätten. Tony Schumacher wurde als Torwart der Nationalmannschaft abgelöst, weil er sich bekannt hatte, dass er und Kollegen Ephedrin geschluckt hätten, was als Grundstoff für Chrystal Meth Verwendung findet.