Davon haben wir nichts gewusst!

In fast jeder beliebigen deutschen Stadt waren es keine auswärtigen bösen Nazis, die wie Außerirdische über Deutschland kamen, es waren ganz normale Leute, es waren die Nachbarn, die Mitbürger von nebenan, mit denen viele Juden früher gut ausgekommen waren, mit denen man gefeiert hatte.
Das hat sich z.B. in den 1990er Jahren in Kroatien und später in Bosnien wiederholt. Nur waren da nicht so sehr die Juden das Ziel, sondern alle, die einer anderen Religion oder Konfession angehörten als man selbst.

Das scheint ein weit verbreitetes Phänomen zu sein, dass sich das generationenübergreifende friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen durch Nichtigkeiten (in den Augen des Nichtinvolvierten) plötzlich in tödliche Feindschaft verwandeln kann, wenn latenten vorhandene Ressentiments gezielt – auch durch Lügen – geschürt werden.
 
In Chrismon der ev. Kirche ist ein Interview mit Max Czollek und Michel Friedman zu lesen, in dem Friedmann zu Recht den Vorwurf erhebt, Millionen Deutsche hätten von der Judenvernichtung gewußt.
Ich teile diese Ansicht, denn wieviele Deutsche haben sich damals in Schnäppchenmanier an jüdischem Eigentum bereichert und damit genau das getan, was das NS-Regime den Juden vorgeworfen hat, nämlich sich unrechtmäßig an fremdem Eigentum bereichert zu haben.
 
In Chrismon der ev. Kirche ist ein Interview mit Max Czollek und Michel Friedman zu lesen, in dem Friedmann zu Recht den Vorwurf erhebt, Millionen Deutsche hätten von der Judenvernichtung gewußt.
Ich teile diese Ansicht, denn wieviele Deutsche haben sich damals in Schnäppchenmanier an jüdischem Eigentum bereichert und damit genau das getan, was das NS-Regime den Juden vorgeworfen hat, nämlich sich unrechtmäßig an fremdem Eigentum bereichert zu haben.

Das ist in der Form etwas zu dünn.
Der Erwerb des Eigentums der entsprechenden Personen, setzte zwar deren weitgehende Entrechtung und Enteignung, vorraus und auch Deportationen waren offensichtlich, aber daraus allein, resultierte noch kein offensichtlicher Beweis für eine dezidierte Vernichtungspolitik.
Diese drei Faktoren, Entrechtung, Enteignung, Deportation, gab es auch in anderen Systemen, nehmen wir beispielhaft die die Zwangskollektivierung in der Sowjetunion, hinter denen keine dezidierten staatlichen, physischen Vernichtungsprogramme im Sinne eines Genozids standen.

Insofern konnte sicherlich niemand, der am Ankauf enteigneten Eigentums profitierte ableugnen, dass jedenfalls dezidierte Verbrechen großen Stils an der jüdischen Bevölkerung verübt wurden.
Aber das allein ist kein Hinweis auf die Existenz von und die detaillierten Abläufe in Auschwitz, Treblinka, Sobibor und wie die Vernichtungslager alle hießen.

Die Bevölkerung konnte auch wissen, dass die Nazis durchaus bereit waren ihre politischen Gegner zu ermorden. Ist ja nicht so, als hätte es in den frühen KZs im Reich, aus dennen ja auch hin und wieder mal Leute zum Beleg der "Besserung" entlassen wurden, die dann durchaus erzählen konnten, wenn sie es sich denn trauten, keine Morde gegeben und als hätte es etwa etwa das gezielte physische Vernichten der SA-Führung um Röhm nicht gegeben.

Insofern konnte man sicherlich mit einem bisschen guten Willen 1 und 1 zusammenzählen und mindestens mal davon ausgehen, dass das NS-Reich an der jüdischen Bevölkerung nicht nur massive Verbrechen verübte, sondern den Tod, von mindestens Teilen dieser Bevölkerungsgruppe, mindestens mal billigend in Kauf nahm.

So viel konnte sicherlich jeder wissen und dass man sich mindestens das zusammenreimen konnte, lässt sich mMn auch nicht ableugnen.
Auch von den wilden Massakern hinter der Front, vor dem Übergang zum Gezielten Ausbau der Vernichtungslager wird sich einiges rummgesprochen haben, weil einfach zu viele Angehörige der Wehrmacht, mindestens als Augenzeugen involviert, als dass sich das hätte vollkommen geheimhalten lassen, denn die bekamen ja auch irgendwann mal Fronturlaub und werden durchaus nicht immer mit dem, was sie da gesehen haben, moralisch einverstanden gewesen sein.

Was aber die dezidierten Vorgänge in den Vernichtungslagern und da spielte sich der größte Teil der organisierten Vernichtungspolitik einmal ab angeht, sehe ich das etwas anders.
Das waren ja abgeschottete Einrichtungen, deren "Betriebspersonal" eine durachaus überschaubare Größe hatte und zum Teil auch aus kollaborierenden Einheimischen aus denjenigen Gebieten bestand, die in denen sie sich befanden.
Die fuhren nichts ins Reichsgebiet um davon berichten zu können.
Sofern das deutsche Personal in diesen Lagern, die Sache entweder beführwortete oder aber ein Interesse daran hatte den eigenen Posten nicht zu verlieren, um nicht an die Front zu müssen, wird es sich in weiten Teilen der Linie des Regimes gegenüber konform verhalten und die Klappe gehalten haben.

Einzige Ausnahme wäre vielleicht Auschwitz, dass ja immerhin noch so nahm am Reichsgebiet drann war, dass sich mindestens in Schlesien möglicherweise verstärkt Gerüchte über das herumsprechen konnten, was intern passierte.
Aber auch dann war es eigentlich nocn zu abgeschottet um das im detail zu wissen.

Wer sich seinen Teil vielleicht schon eher, sofern zum zivilen Apparat gehörend denken konnte, dürfte dann das in die Transporte involvierte Bahnpersonal gewesen sein und die Produzenten der für die Vernichtung eingesetzten chemischen Substanzen.
Denn, sein wir ehrlich, wenn man Tag für Tag Massendeportationen per Zug abfertigt/mitbetreibt, die Menschenmengen bewegen, für die es eigentlich im Zielgebiet überhaupt keine Unterbringungskapazitäten in diesem Ausmaß gibt (sonst hätte Auschwitz ja die Ausmaße einer veritablen Großstadt haben müssen), hätte man sich eigentlich seine Gedanken machen müssen.
Und ebenso, wozu es in einem angeblichen Arbeitslager unmengen von pstiziden und hochtoxischen Stoffen bedurfte.

Aber wenn wir ehrlich sind, sind dass dann doch eher überschaubare Kreise, die wirklich mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen mussten, dass die Leute, die man dahin deportierte, tatsächlich im großen Stil endgültig verschwinden.
 
Ich denke dass es eine ganz verbreitete Haltung war. Nicht das Wort Konzentrationslager, sondern das Wort "Lager", der Ort "wo alle hinkommen die es verdient haben".
Ich erinnere mich dass meine Mutter mir erzählte dass sie als 13jährige Schülerin einen italienischen Kriegesgefangenen bespuckt hatte, weil die Italiener 1943 ja den schmählichen Verrat begangen hatten.
Sie wird nicht anders als andere Leute gedacht haben.
Es waren zwei verschiedene Dinge: das Mitgefühl mit hungernden russischen Kriegsgefangenen, das Stück Brot am Zaun auf dem Schulweg. Oder das Mitleiden mit einem Gefangenen der von einem älteren deutschen Bewacher mit dem Gewehrkolben in die Rippen gestoßen wurde und der dann sich aus Verweiflung vor den einfahrenden Zug warf.
Aber es gab eine tief verwurzelte Grundhaltung in der deutschen Bevölkerung. Sie wußten dass sie schuldig waren. Gier und Missgunst unter der Zivilbevölkerung waren vielleicht ausgeprägter als das Verständnis, das Soldaten für Soldaten hatten.
Und dennoch gibt es ja den bezeichnenden Titel jener Ausstellung: "Keine Kameraden."
In fast jeder Ortschaft in Deutschland gibt es Gedenkplaketten für irgend etwas. Aber nicht Plaketten und Denkmäler für ermordete Kriegsgefangene und die Namen ihrer Täter. Nur durch Nennen der Täter wäre die Schuld offen gelegt.
 
Was aber die dezidierten Vorgänge in den Vernichtungslagern und da spielte sich der größte Teil der organisierten Vernichtungspolitik einmal ab angeht, sehe ich das etwas anders.
Das waren ja abgeschottete Einrichtungen, deren "Betriebspersonal" eine durachaus überschaubare Größe hatte und zum Teil auch aus kollaborierenden Einheimischen aus denjenigen Gebieten bestand, die in denen sie sich befanden.
Die fuhren nichts ins Reichsgebiet um davon berichten zu können.
Allein in Auschwitz taten über die Jahre Zehntausend SS-Männer Dienst. Hinzu kommen die Reichsbahnbeamten, welche die Züge in die Konzentrationlager fuhren und abfertigten. Es kommen die Unternehmen hinzu, die von der SS Sklaven mieteten, von kleineren Unternehmen wie Schindlers Emaillewarenfabrik bis hin zu großen Chemieriesen, wie IG-Farben/BASF. Es kommen Firmen hinzu, wie Topf & Söhne aus Erfurt, die Krematorien entwickelten, die nicht nur eine große Menge an Leichen verbrennen konnten, sondern vor allem auch darauf entwickelt wurden, dass sie besonders ausgemergelte Menschen verbrennen würden, wo eben kein Körpereigenfett mehr den Verbrennungsvorgang unterstützen konnte, also Öl zugefügt wurde, was bei herkömmlichen Krematorien nicht notwendig ist.

Hitler hat am 6. Jahrestag seiner Machtergreifung, also als er in sehr konkreten Kriegsplanungen steckte, in seiner alljährlichen Rede vor dem Reichstag in der Krolloper "prophezeit":

Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.​

Das war keine Geheimrede vor Offizieren der Wehrmacht oder einem engen Kreis der SS, das war eine öffentliche Rede.

Ich konnte mit meinen Großeltern nicht darüber reden, meine beiden Großväter und eine meiner Großmütter starben z.T. lange vor meiner Geburt, meine letzte Großmutter, als ich fünf war. Ich kann nur darauf zurückgreifen, was mein Vater bzgl. seiner Eltern gesagt hat. Ich weiß, wie problematisch das ist. Meine Großeltern besaßen einen Bauernhof an der deutsch-niederländischen Grenze. Ihr älterster Sohn, der älteste Bruder meines Vaters war als Soldat im Krieg, hat nach dem Krieg einmal über den Krieg gesprochen und danach nie wieder (ich wollte ihn immer mal befragen, habe mich aber nie getraut, er ist kurz nach meinem Abi verstorben. Mein Vater war, als sein Bruder aus dem Krieg kam selbst noch klein (ich weiß nicht, ob mein Onkel in Gefangenschaft war oder direkt nach Kriegsende nach Hause kam, daher kann ich das genaue Alter nicht benennen, mein Vater war bei Kriegsende drei Jahre alt). Mein Vater hat mir irgendwann mal erzählt, als wir über Holocaustleugnung in den kleineren Gemeindenn sprachen, dass seine Eltern - als Bauern an der deutsch-niederländischenn Grenze - ihren Aussagen nach immer vom Holocaust gewusst hätten. Oder sagen wir mal, da das Wort ja erst 1979 aufkam, davon, dass die Juden im Osten ermordet wurden. Ob mein Onkel als Wehrmachtssoldat involviert war, ist uns nicht bekannt. Mein Vater hat mir gegenüber aber mal vermutet, dass eine Involvierung welcher Gestalt auch immer* vielleicht erklären würde, weshalb sein Bruder nie darüber reden wollte. Vielleicht wussten meine Großeltern auch von ihm vom Mord an den Juden? Aber selbst in einem kleinen Dorf an der Westgrenze des Reiches bekam man mit, dass die Juden verschwanden. Und meine Großeltern waren eines sicher nicht: Gebildete Leute.

Sofern das deutsche Personal in diesen Lagern, die Sache entweder beführwortete oder aber ein Interesse daran hatte den eigenen Posten nicht zu verlieren, um nicht an die Front zu müssen, wird es sich in weiten Teilen der Linie des Regimes gegenüber konform verhalten und die Klappe gehalten haben.
Man sollte das nicht auf die SS reduzieren. Die ersten, die systematisch Juden erschossen, waren Ordnungspolizisten, welche z.T. bei der Polizei waren, weil sie hatten vermeiden wollen, in den Krieg zu kommen, weil sie hofften, bei der Polizei kriegswichtig zuhause zu blieben. Diese Leute standen teils in innerer Opposition zum Nationalsozialismus, waren nicht unbedingt Antisemiten und gehörten dennoch zu den ersten, die am Holocaust beteiligt waren, also die nationalsozialistische Agenda aktiv umsetzten.

Wenn man Tagebucheinträge und Feldpostbriefe liest, dann erfährt man eine ganze Menge darüber, was die Menschen damals wussten und in die Heimat vermittelten.

Die Leute kannten vielleicht nicht die grausamen Details. Aber sie wussten, dass die Deportation nicht damit endete, dass die Juden irgendwo im Osten angesiedelt wurden. Bei Victor Klemperer taucht irgendwann 1943 oder 1944 der Begriff Auschwitz auf. Er weiß genau, was ihm blüht, als er Anfang Februar '44 die Deportationsbefehle an die letzten noch verbliebenen Juden in Dresden ausstellt, darunter an sich selbst.

In den frühen 30er Jahren haben die Nationalsozialisten dafür gesorgt, dass die Konzentrationlager bekannnt würden. Im Völkischen Beobachter wurde darüber berichtet. Das waren natürlich noch keine Vernichtungslager und die Berichte waren natürlich in gewisserweise geschönt, sie sollten Oppositionelle einerseits ins Angst versetzen, aber andererseits ein Gefühl einer gewissen Ordnung vermitteln.
 
In fast jeder Ortschaft in Deutschland gibt es Gedenkplaketten für irgend etwas. Aber nicht Plaketten und Denkmäler für ermordete Kriegsgefangene und die Namen ihrer Täter. Nur durch Nennen der Täter wäre die Schuld offen gelegt.
Die großen Städte sind zu anonym und bis in die 1980er Jahre war immer wieder zu hören, dass Lokalforschung (etwa in Schülerprojekten) bzgl. nationalsozialistischer Verbrechen, vor allem Täterforschung regelrecht behindert wurde. Das ist sogar zu einem gewissen Grad verständlich, da es auf eine Art den sozialen Frieden erhalten hat. In Spanien gibt es das auf nationaler Ebene bis heute, man nennt es den Pacto de Borrón, den Schweigepakt. Und die PP hat ja Baltazar Garzón, als der diesen Schweigepakt brach, kaltgestellt.
Der Unterschied zwischen Spanien und Deutschland ist natürlich, neben der Dimension der verübten Verbrechen, dass der Faschismus in Spanien zwischen 1944 und 1975/78 gewissermaßen ausgeschlichen wurde und es einen einigermaßen freidlichen, fast* bruchlosen Übergang von der Diktatur in die Demokratie gab. Der Schweigepakt war notwendig, um diesen Übergang zu ermöglichen.

*es gab natürlich einige Versuche, wie terroristische Attentate und zwei Putschversuche, den Demokratisierungsprozess zu unterbinden, aber das Attentat auf ein für die KPE arbeitendes Rechtsanwaltsbüro hat nur dazu geführt, dass die KPE, anders, als vom König und seinen Vertrauten geplant, bereits zur Wahl der verfassungsgebenden Versammlung zugelassen wurde. Der eine Putsch (Operación Galaxia) ist über die Planungen nicht hinausgekommen, bei dem anderen Putsch (23-F), bei dem es zum Schussgebrauch im Parlament kam (live übertragen im Fernsehen, berühmt sind die Worte von Tejero "Todos al suelo - alle auf den Boden"), hat sich Juan Carlos in Uniform ins Fernsehen gestellt und allen militärischen Einheiten, die sich außerhalb der Kasernen befanden, befohlen, ihre Panzer wieder in den Arsenalen zu parken und in die Kasernen zurückzukehren. Man hat Juan Carlos daher sehr viele seiner späteren Fehltritte verziehen. Bis zur Elefantenjagd während der Finanzkrise. Da war dann Schluss.
 
Allein in Auschwitz taten über die Jahre Zehntausend SS-Männer Dienst. Hinzu kommen die Reichsbahnbeamten, welche die Züge in die Konzentrationlager fuhren und abfertigten.
Mag sein, und lass es am Ende 20.000 oder 30.000 gewesen sein, die wussten, was konkret in Auschwitz vor sich ging.
Wie viel ist das quantitativ aber gemessen an einer Bevölkerung about 100 Millionen Menschen, wenn man die annektierten, dem Reich zugeschlagenen Gebiete und die faktisch angegliederten Gebiete (Elsass-Lothringen, ab 1943 auch Südtirol) noch mitzählt?
Zumal man ja noch davon ausgehen kann, dass von diesen Menschen dann noch lange nicht jeder auch darüber redete, was da passierte.

Es kommen die Unternehmen hinzu, die von der SS Sklaven mieteten, von kleineren Unternehmen wie Schindlers Emaillewarenfabrik bis hin zu großen Chemieriesen, wie IG-Farben/BASF. Es kommen Firmen hinzu, wie Topf & Söhne aus Erfurt, die Krematorien entwickelten, die nicht nur eine große Menge an Leichen verbrennen konnten, sondern vor allem auch darauf entwickelt wurden, dass sie besonders ausgemergelte Menschen verbrennen würden, wo eben kein Körpereigenfett mehr den Verbrennungsvorgang unterstützen konnte, also Öl zugefügt wurde, was bei herkömmlichen Krematorien nicht notwendig ist.
Diese Gruppe, wie die Bahnmitarbeiter hatte ich ja angesprochen, wobei man, was die beteiligten Unternehmen angeht, meine ich näher differenzieren muss.
Denn das Anmiten von Zwangsarbeitern an und für sich, war ja erstmal noch kein mutwilliges Vernichtungsprogramm, sondern das konnte durch die konkrete Behandlung der Angemieteten KZ-Häftlinge dann vernichtungsähnliche Züge annehmen, hängt dann aber auch vom konkreten Umagang der Unternehmen damit ab.

Das der Mitunter reichlich Leben kosten konnte, und die Bevölkerung das auch mitbekommen konnte ist klar. In der Stadt, aus der ich komme, gibt es ein altes Stahlwerk und nicht weit davon gelegen heute einen Ehrenfriedhof, für diejenigen Sowjetbürger, die lokal genau in diese Maschinerie hineingerieten.





Hitler hat am 6. Jahrestag seiner Machtergreifung, also als er in sehr konkreten Kriegsplanungen steckte, in seiner alljährlichen Rede vor dem Reichstag in der Krolloper "prophezeit":

Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.​

Das war keine Geheimrede vor Offizieren der Wehrmacht oder einem engen Kreis der SS, das war eine öffentliche Rede.
Die Rede ist mir bekannt, so weit mir bekannt ist aber auch bis heute ihre Ausdeutung als dezidierte Ankündigung des Völkermords umstritten, zweifellos ist es aber naheleigend, sie so zu interpretieren.

Ich bitte mich da auch nicht falsch zu verstehen. Man musste schon ganz gewaltige Tomaten auf den Augen haben (wollen) um nicht zu sehen, dass da extrem in problematische Bahnen abgingen.

Allein der konkrete Begriff "Wissen", beeinhaltet für mich die Möglichkeit etwas faktisch verifizieren zu können. Und das sehe ich in der konkreten Form bei der breiten Masse nicht gegeben.

Nun ist nichts gewusst zu haben, in diesem Sinne, dass man es nicht letztgültig nachprüfen konnte, um auch hier nicht falsch verstanden zu werden, keine moralische Ausrede dafür sich dazu passiv verhalten zu haben.
Unter moralischen Gesichtspunkten, was die eigene Handlungslogik angeht, hätte eine berechtigte Vermutung zur Intendierung einer Änderung letzterer bereits hinreichend sein müssen.


Ich konnte mit meinen Großeltern nicht darüber reden, meine beiden Großväter und eine meiner Großmütter starben z.T. lange vor meiner Geburt, meine letzte Großmutter, als ich fünf war. Ich kann nur darauf zurückgreifen, was mein Vater bzgl. seiner Eltern gesagt hat. Ich weiß, wie problematisch das ist. Meine Großeltern besaßen einen Bauernhof an der deutsch-niederländischen Grenze. Ihr älterster Sohn, der älteste Bruder meines Vaters war als Soldat im Krieg, hat nach dem Krieg einmal über den Krieg gesprochen und danach nie wieder (ich wollte ihn immer mal befragen, habe mich aber nie getraut, er ist kurz nach meinem Abi verstorben. Mein Vater war, als sein Bruder aus dem Krieg kam selbst noch klein (ich weiß nicht, ob mein Onkel in Gefangenschaft war oder direkt nach Kriegsende nach Hause kam, daher kann ich das genaue Alter nicht benennen, mein Vater war bei Kriegsende drei Jahre alt). Mein Vater hat mir irgendwann mal erzählt, als wir über Holocaustleugnung in den kleineren Gemeindenn sprachen, dass seine Eltern - als Bauern an der deutsch-niederländischenn Grenze - ihren Aussagen nach immer vom Holocaust gewusst hätten. Oder sagen wir mal, da das Wort ja erst 1979 aufkam, davon, dass die Juden im Osten ermordet wurden. Ob mein Onkel als Wehrmachtssoldat involviert war, ist uns nicht bekannt. Mein Vater hat mir gegenüber aber mal vermutet, dass eine Involvierung welcher Gestalt auch immer* vielleicht erklären würde, weshalb sein Bruder nie darüber reden wollte. Vielleicht wussten meine Großeltern auch von ihm vom Mord an den Juden? Aber selbst in einem kleinen Dorf an der Westgrenze des Reiches bekam man mit, dass die Juden verschwanden. Und meine Großeltern waren eines sicher nicht: Gebildete Leute.

Ja, verschwinden, aber wie gesagt, Verschwinden ist ja nicht gleich Mord.
Inwiefern man mehr oder minder zufällig dewegen etwas wissen konnte, weil Familienmitglieder als Frontsoldaten oder ähnliches von den wilden Massakern etc. war mitbekommen haben, dass will ich nicht bestreiten, ich bezog mich da ja im Kern auf die Massenvernichtung im Rahmen der KZs im Bereich des Generalgouvernements.
Und dann ist eben noch die Frage, was haben die Leute tatsächlich erzählt.

Ein Urgroßonkel von mir war z.B. im Rahmen der Kriegszeit standortmäßig irgendwo in Ostpreußen und Litauen unterwegs und wenn im Familienkreis mal zur Sprache kam, was der da eigentlich gemacht hat, hieß es immer irgendwas von wegen "polizeiliche Aufgaben" ohne dann nähere konkrete Ausführungen dabei zu haben.

Für mich klingt das ziemlich verdächtig nach "Einsatzgruppe A"

Jetzt kann ich das nicht endgültig verifizieren und wenn es so sein sollte, wie sich das für mich anhört, kann ich dann auch nicht sagen, ob die Familie das nicht wusste und nicht wissen wollte oder aber, ob der Mann dazu niemals den Mund aufgemacht hat.
Wenn, dann hätte von der Bereitschaft zu sprechen sicherlich über die Möglichkeit der Verifikation dessen für diesen Teil der Familie bedeutet.

Man sollte das nicht auf die SS reduzieren. Die ersten, die systematisch Juden erschossen, waren Ordnungspolizisten, welche z.T. bei der Polizei waren, weil sie hatten vermeiden wollen, in den Krieg zu kommen, weil sie hofften, bei der Polizei kriegswichtig zuhause zu blieben. Diese Leute standen teils in innerer Opposition zum Nationalsozialismus, waren nicht unbedingt Antisemiten und gehörten dennoch zu den ersten, die am Holocaust beteiligt waren, also die nationalsozialistische Agenda aktiv umsetzten.

Wie du aus obiger Erzählung und auch zu meiner Einlassung im vorangegangenen Beitrag entnehmen kannst, reduziere ich das durchaus nicht auf die SS.

Meine Einlassung betraf ja, wie gesagt konkret die Vernichtungslager im Generalgouvernement, nicht, was in Frontnähe so an wilden Massakern und auch am geziehlten Aufbau von Lynchgruppen etc. so passiert ist.
Demnach stehe ich durchaus auf dem Standpunkt, dass mindestens bei Teilaspekten der Judenvernichtung, die Chance etwas zu wissen größer war.
Nur, wenn man diese Massaker betrachtet, dann waren das auf einen Termin vielleicht einige tausend, maximal einige zehntausend Personen.
Heißt, dann reden wir von ganz anderen Dimensionen, die den Leuten möglicherweise bekannt waren und die man (wenn man das denn unbedingt glauben wollte), noch wesentlich eher der Willkühr lokaler Befehlshaber etc. zuschreiben konnte, als das im Hinblick auf die Lagerkomplexe jemals möglich sein konnte.
 
Wenn man Tagebucheinträge und Feldpostbriefe liest, dann erfährt man eine ganze Menge darüber, was die Menschen damals wussten und in die Heimat vermittelten

Aber wie gesagt, dass sind die Erlebnisse an der Front und in den frontnahen Gebieten. Das wiederspricht ja meinen Ausführungen insgesammt nicht oder jedenfalls möchte ich das nicht als Widerspruch in diesem Sinne verstanden wissen.
Vielleicht sollte ich mich hier auch nochmal präzisieren:

Mein Widerspruch bezog sich darauf, dass die Bevölkerung durch die Deortationen explizit von der Massenvernichtung wissen musste.
Und das kann ich so nicht sehen.
Wie gesagt, die Wahrscheinlichkeit, dass von den Massakern im kleineren Stil in Frontnähe so einiges nach Deutschland drang, halte ich für so gering nicht. Da waren genügend Soldaten und anderes Personal da, um potentiell so viele Zeugen zu haben, dass da zwangsweise einiges durchkam.

Bei den dezidierten Vernichtungslagern, in die deportiert wurde, sehe ich das allerdings entwas anders und wie gesagt, was in der Sowjetunion vor sich ging, war weit weniger organisiert, weit weniger zentralisiert und da konnte jemand, der das vielleicht sah, möglicherweise noch annehmen, dass das jedenfalls nicht unmittelbar auf Befehl der zivilen Regierung vollstreckt wurde.
Dann kann ich auch nicht einschätzen, inwiefern bei der Rezeption dieser Angelegenheiten die rethorisch-rassistische Denkfigur des "Ostjuden" als noch mal sehr spezielle Kategorie da eine Rolle spielte und inwieweit man innerhalb der Bevölkerung, da möglicherweise noch von anderen Behandlungsweisen ausging.

Wie gesagt, ich will nicht behauptet haben, man konnte nicht wissen, dass der NS-Staat Juden umbrachte oder deren Tötung mindestens billigend inkauf nahm.
Meine vorherige Einlassung galt der impliziten Behauptung, die Bevölkerung hätte durch die Deportationen und Enteignungen von einer umfassenden Vernichtungspolitik ausgehen müssen und dementsprechend auch davon ausgehen müssen, dass aus dem Reichsgebiet deportierte Juden unmittelbar der Vernichtung zugeführt wurden.

Das und nicht mehr als diesen Punkt, sollte ich mich da missverständlich ausgedrücht haben, möchte ich bestreiten, denn dadurch hätte man konkret wissen müssen, was in den Lagern im Generalgouvernement vor sich ging. Das wird ein gewisser Personenkreis gewusst haben, aber sicher nicht die Mehrheit der Bevölkerung.


Die Leute kannten vielleicht nicht die grausamen Details. Aber sie wussten, dass die Deportation nicht damit endete, dass die Juden irgendwo im Osten angesiedelt wurden. Bei Victor Klemperer taucht irgendwann 1943 oder 1944 der Begriff Auschwitz auf. Er weiß genau, was ihm blüht, als er Anfang Februar '44 die Deportationsbefehle an die letzten noch verbliebenen Juden in Dresden ausstellt, darunter an sich selbst

Nun, dass man nicht einfach davon ausgehen konnte, dass die Leute regulär irgendwo angesiedelt und dort dann in Ruhe gelassen würden, ist klar.
Denn ansonsten hätten die sich ja sicherlich irgendwann mal postalisch bei ihren Bekannten in Deutschland gemeldet. Ist ja nicht so, dass nicht mehr oder minder jeder Jude auch irgendwo seinen Freundeskreis hatte, den er auf diesem Wege sicherlich hätte beruhigen wollen, wenn es denn so gewesen wäre.
Alleine daraus musste die Bevölkerung ohne Zweifel auf verbrecherisches schließen.
Ich behaupte ja nicht, dass die Bevölkerung die Judenpolitik des NS für irgendwie menschenfreundlich halten konnte, sondern sie musste mit dem, was sie wusste und auch daraus dass man von den Deportierten nichts mehr hörte mal mindestens annehmen, dass diese, wo auch immer sie sich befinden mögen, jedenfalls nicht in Freiheit waren.
Insofern musste die Bevölkerung sicherlich mindestens ein großangelegtes System moderner Sklaverei annehmen.
Ob man daraus aber ein großangelegtes, dezidiertes Menschenvernichtungssystem als erwiesen annehmen musste, dass wiederrum sehe ich nicht so.

Wie gesagt, für die moralische Beurteilung spielt das keine Rolle.
Selbst wenn man nicht von der expliziten Vernichtung ausging, verbot sich vom moralischen Standpunkt her Passivität im Handeln bereits ab einer weit darunter liegenden Schwelle.

In den frühen 30er Jahren haben die Nationalsozialisten dafür gesorgt, dass die Konzentrationlager bekannnt würden. Im Völkischen Beobachter wurde darüber berichtet. Das waren natürlich noch keine Vernichtungslager und die Berichte waren natürlich in gewisserweise geschönt, sie sollten Oppositionelle einerseits ins Angst versetzen, aber andererseits ein Gefühl einer gewissen Ordnung vermitteln.

Eben. Und ich würde meinen, eben dass und dass man, auch dadurch, dass ja in der Frühzeit hin und wieder Politische freigelassen wurden, hatte die Bevölkerung eine gewisse Vorstellung von den frühen KZs.
Wenn sie nun nicht unmittelbar wusste, was in den Lagern im Generalgouvernement vor sich ging, würde es eigentlich nicht unbedingt ferngelegen haben, die Erfahrungen mit dieser Form der Konzentrationslager und den Praktiken darin, auch auf die Lager im Osten zu projizieren.
Wenn man das tat, lag es nah eine dezidierte industrielle Vernichtungspolitik nicht unbedingt voraus zu setzen, denn die wurde ja in den 1930er Jahren, noch dazu auf Reichsgebiet in dieser Form nicht betrieben.


Wie gesagt, ich möchte das, um hier Missverständnisse zu vermeiden nochmal ganz klar betonen.
Ich will nicht behaupten, dass die Bevölkerung in ihrer Mehrzahl nicht wissen musste, dass da ganz massive Verbrechen passierten.
Ich will auch nicht behaupten, dass nicht mindestens Teile der Untaten in der Sowjetunion mit einiger Wahrscheinlichkeit einen nicht geringen Bekanntschaftsgrad erreichten.

Was ich behaupten möchte, ist dass man die Enteignungen und Deportationen nicht zwingend als Beweis für eine durch Staart und Partei minutiös durchorganisierte Vernichtungspolitik betrachten musste.

Insofern mussten Verbrechen des Regimes insgesamt bekannt sein, aber nicht unbedingt die Intensität und das Ausmaß.
 
Ganz sicher wusste man dies: durch jede deutsche Stadt wurden russische Kriegsgefangene zur Arbeit getrieben, ausgehungert und entrechtet. In den Zeitungen gab es Berichte über (de iure oder de facto Todes-)Urteile wegen Blutschande zwischen Fremdarbeitern und Deutschen. Und jeder wusste dass eine Aussage in der Nachbarschaft "Ich habe nichts mehr von Familie Lipzek und den beiden alten Kohns gehört" aus gutem Grund gefährlich war.
Mitschuld durch Mitwissen, Mitschuld durch Sich-schuldig-Machen.
Nicht sehr viel anders als die Aufnahmerituale der Mafia oder von Jugendgangs.
Ganz sicher bin ich mir aber dass Frontsoldaten über ihre Erfahrungen und über das Gesehene redeten. Es gibt viele literarische Beispiele über das elliptische, nicht alles mit Namen benennende und doch beschreibende Reden in den gedrängten Tagen des Heimaturlaubs, ich denke z.B. an "Katz und Maus" von Günter Grass.
 
Zuletzt bearbeitet:
1. Die Behauptung ist nicht zutreffen, weil jemand beansprucht, eine "Allaussage" zu machen, die "wahr" sein soll. Die ist schon deswegen falsch ist, weil es genügend Beispiele gibt, dass Zivilcourage überall in Europa vorhanden war und zur Hilfe bei und für politisch und/ oder rassistisch Verfolgten geführt hatte. Deswegen ist der Anspruch "Niemand" schlichtweg inhaltlich und erkenntnistheoretisch abwegig.
Nichts für ungut, aber hier betreibst Du Haarspalterei. Peterson richtete sich an seine Leser, wollte aufrütteln und vor dem Fehlschluss warnen, dass ideologische Scheuklappen oder eine wie auch immer geartete Grund-Bösartigkeit eine unabdingbare Voraussetzung für eine Teilnahme am NS-Unrecht dargestellt hätten.

Damit hatte er zweifellos Recht. Hätten sich Hitler und seine Schergen nur auf die überzeugten Ideologen und Soziopathen stützen können, wären sie nie so weit gekommen.

Ich meine mich zu entsinnen, Goebbels sei in seinen Tagebüchern explizit darauf eingegangen, dass die Gleichschaltung der Gesellschaft, also die Absorbtion des Individuums im NS-Staat, nicht nur eine totale Kontrolle der Bevölkerung sicherstellen sondern die Menschen auch zu Komplizen machen sollte.

Mittäter gehen selten in Opposition. Sie glauben oft, sie steckten "zu tief drin", um noch umkehren zu können. Ebendeswegen versuchen so ziemlich alle Rechtssysteme jene zu belohnen, die von ihrer Teilnahme an einem Verbrechen absehen.

Und ob Petersons Aussage über statistische Realitäten nun überspitzt ist oder nicht, brauchen wir nicht diskutieren, denn das ist eine reine Definitionsfrage. Ein Beispiel:

Kürzlich geisterte eine Nachricht durch den Äther, dass 1:200000 Menschen Träger eines Gens seien, das für SARS-CoV-2 unempfindlich machen könnte. Es mag mathetisch richtig sein, anzunehmen, dass Sie oder ich Träger dieses Gens sein könnten. Und doch würde ich sagen: Es wäre Blödsinn, darauf zu vertrauen.
2. Der Mensch ist zu üblen Taten fähig, aber das ist keine Rechtfertigung dafür, sofern man analytisch über ein Thema referiert, derartig "tief" in die sprachliche Mottenkiste der Emotionalisierung zu greifen.
Mit diesem Einwand kann ich, ehrlich gesagt, gar nichts anfangen. Dies hier ist ein Diskussionsforum, wir gehen hier zwecks Erkenntnisgewinn und Unterhaltung unserem Interesse an der Geschichte nach; ich bin nicht hier, um eine Dissertation zu verteidigen.
Und ob "kriminalistische Studien" einer Generalisierung für andere Situation überhaupt zulassen, ist fraglich oder mindestens diskussionswürdig.
Die Wissenschaft scheint anderer Ansicht zu sein. Der Mensch ist einfach zu manipulieren, weil das Repertoire an Beweggründen, die seine Handlungen motivieren, auf einige wenige Grundbedürfnisse begrenzt ist.

Browning zeigt dies etwa anhand seiner fantastischen Quellenarbeit in seinem Buch 'Ordinary Men' über die Verbrechen der deutschen Polizei im besetzten Osten.

Die Männer des von ihm beleuchteten Reserve-Polizei-Bataillons 101 waren mitnichten alle überzeugte Nazis, sondern hatten oftmals geradezu erbärmliche Gründe für ihre Teilnahme am Genozid – viele wollten nicht als Feiglinge dastehen oder fürchteten die Ausgrenzung.

Das nennt sich Gruppenzwang. Da ist es einerlei, ob Sie Ihren Blick auf die Tötungsmaschinerie nach dem Einmarsch in die Sowjetunion lenken, oder in die Gegenwart auf irgendeine dunkle Unterführung in einem Problemviertel.

Ein weiterer Gedanke:

Das hervorragendste Täter-Psychogramm und eine der eindringlichsten Warnungen vor der verführerischen Gefahr totalitärer Systeme verdanken wir meiner Ansicht nach Bernhard Schlink und seinem 'Vorleser'.

Als seinerzeit die Verfilmung erschien, entpörten sich manche Kommentatoren, der Film suggeriere, es sei schlimmer, Analphabetin denn Massenmörderin zu sein.

Ich konnte diese Kritik nie auch nur nachvollziehen. In meinen Augen kann es kein vernichtenderes Urteil über den Charakter der Hanna Schmitz geben, als dass ihr ihre Unfähigkeit zu lesen peinlicher ist als ihre Schuld am Tod unschuldiger Menschen.

Schlink stellt uns in ihr einen der Archetypen vieler NS-Verbrecher vor, nämlich den des Versagers, der seine Minderwertigkeitsgefühle durch die Ausübung von Macht über andere zu kompensieren versucht.

Je nach Studie sind nur etwa um die 0,5% einer durchschnittlichen Bevölkerung ausreichend dissozial eingestellt, um elementare moralische Normen beharrlich zu verachten und gewohnheitsmäßig zu verletzen.

Laut Peterson kann man sich dieses Segment der Bevölkerung näherungsweise als diejenigen Personen vorstellen, die den Strafverfolgungs- und Vollzugsbehörden als seelisch abartig, besonders gewalttätig oder als ausgeprägte Wiederholungstäter bekannt sind.

Wenn man sich nun vor Augen führt, wie vergleichsweise wenige Menschen in Deutschland derzeit wegen Mordes im Gefängnis sitzen (und es würden nicht einmal deren alle der o.g. Definition unterfallen), lässt sich erahnen, wie gering das Täterpotential einer verwerflichen Ideologie wie des Nationalsozialismus sein müsste, wenn nur (naiv gesprochen) "böse" Menschen dafür infragekämen.

Aber so ist es eben nicht. Täter gab (und gibt) es überall.
 
Ich bin heute anläßlich des Holocaust-Gedenktages auf Facebook auf diesen Artikel aufmerksam geworden:

Jeder konnte es wissen
Ein Jahrhundert-Dokument: Von 1939 bis 1945 führte Friedrich Kellner, ein kleiner Justizbeamter in der hessischen Provinz, sein politisches Tagebuch. Es zeigt, wie viel der Normalbürger von den Verbrechen des NS-Regimes mitbekam. Jetzt wird Kellners Journal erstmals veröffentlicht.
ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl.
 
Das Buch ist seit einiger Zeit auf dem Markt und es wurde häufiger schon im Forum darauf hingewiesen. Die bpb hatte es als Sonderdruck im Angebot.

Im Prinzip hatte Kellner die ihm zur Verfügung stehenden Medien kritisch und "zwischen den Zeilen" gelesen und die richtigen Schlussfolgerungen ziehen wollen. Und er hat sie auch gezogen, obwohl er wußte, dass es ihn in Konfrontation zum Regime bringen würde.

Kellner, Friedrich (2013): "Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne". Tagebücher 1939-1945. Göttingen: Wallstein.
 
Ich erinnere mich deutlich an einen Ferienaufenthalt bei meinen Großeltern, als meine Oma mal zu uns (ich, meine Schwester und unsere beiden Cousins sagte:

"Euer Opa hat niemals irgend etwas getan, wofür man sich schämen muss, auch nicht in Russland wie so viele andere."

Ich weiß noch, dass wir alle stutzten, denn wir vergötterten unseren Opa und wären gar nicht auf die Idee gekommen, seine Integrität in Frage zu stellen. Ich war damals noch sehr jung und über die Judenvernichtung nur sehr oberflächlich informiert, und das Ereignis fand lange vor der Erstausstrahlung der Serie "Holocaust" statt.

Ich habe jahrelang nicht mehr daran gedacht, und ich bedaure sehr, dass ich meine Großeltern nicht mehr danach fragen kann. Mein Opa gehörte zu den wenigen Kriegsveteranen, die häufig über den Krieg gesprochen haben. Einmal, das war schon kurz vor seinem Tod habe ich ihn gefragt, ob man an der Front ab und zu mal etwas von Judenverfolgung und -Vernichtung mitbekommen habe. Da sagte er:

"Ja, wenn man gewusst hätte, was sie denen mal antun würden, da hätte man manches nicht getan."

Mein Opa, Jahrgang 1914 war im ländlichen Mittelhessen aufgewachsen. Es gab dort relativ viele Juden, und man spielte denen zuweilen Streiche, die man nur als gemein bezeichnen kann. Die Jugendlichen hatten mal einen jüdischen Hessen mit Schweineblut bespritzt.

Ich habe später viel Zeit investiert, den Lebenslauf von meinem Opa aus Erzählungen und Dokumenten zu rekonstruieren. Nach dem was ich herausgefunden habe, halte ich es für wahrscheinlich, dass mein Opa 1942 im Raum von Rschew in irgendeiner Form etwas mitbekommen haben muss, dass ihn sehr schockierte. Ich bin heute fest davon überzeugt, dass er seine Erlebnisse ausführlich meiner Oma erzählt hat und ihr eine Art Versprechen abgenommen hat, dass sie niemals und zu niemandem darüber sprechen darf.

"Das mit den Juden, davon haben wir nichts nichts gewusst"- Das wurde nach Krieg und Nationalsozialismus zu einer Art Prinzip. In der Regel wusste man in einer hessischen Kleinstadt, wer besonders gierig bei Arisierungen war, wer vor 1945 Nachbarn denunziert hatte, wer den ausgebombten Kasselern und Kasselänern die Perserteppiche und das Familiensilber zu Dumpingpreisen abgekauft oder die Zwangsarbeiter aus dem nah gelegenen Stalag geschunden hatte.
Das wussten im Grunde alle von den Älteren, und es gab hin und wieder mal ein wissendes Raunen, wenn ein verdienter Sozialdemokrat geehrt wurde, der vor 1945 Nationalsozialist war.

Dieses Wissen aber auszusprechen, war etwas ganz anderes. Als ich mit 15 oder 16 Jahren versuchte, herauszufinden wie die "Reichskristallnacht" im lokalen Bereich abgelaufen war, stieß ich auf eine Schweigespirale. Nur eine alte Lehrerin, deren sich in der bekennenden Kirche engagierten, war bereit, offen Auskünfte zu geben.
 
Ich bitte mich da auch nicht falsch zu verstehen.
Man kann dich gar nicht falsch verstehen, denn deine 3 langen Beiträge an einem einzigen Tag sprechen eine deutliche Sprache: Es gibt da nichts außer Relativierungen und Entschuldigungen, die man schon in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg hören und sogar verstehen konnte. Aber das 75 Jahre nach dem Krieg wieder zu bringen, dafür muss man schon die meiste Zeit des Lebens blind und taub gewesen sein oder zu den Ewiggestrigen gehören.
 
Man kann dich gar nicht falsch verstehen, denn deine 3 langen Beiträge an einem einzigen Tag sprechen eine deutliche Sprache: Es gibt da nichts außer Relativierungen und Entschuldigungen, die man schon in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg hören und sogar verstehen konnte. Aber das 75 Jahre nach dem Krieg wieder zu bringen, dafür muss man schon die meiste Zeit des Lebens blind und taub gewesen sein oder zu den Ewiggestrigen gehören.

Das sind nun Unterstellungen, die ich mir verbitte.

Ich habe in meinen Beiträgen nichts relativiert und schon gar nichts entschuldigt. Ich habe vor allem meine Ansicht dargelegt, das bestimmte Gruppen der Bevölkerung bessere Chancen hätten von einigen konkreten Dingen zu wissen als andere.

Ich gebe dir jetzt hiermit die Chance, diese Einlassung zeitnah entweder zurück zu nehmen oder aber die einzelnen Punkte zu belegen und zu motivieren, sonstigenfalls wird das als nicht weiter begründetes ad hominem gemeldet.
 
Ich erinnere mich deutlich an einen Ferienaufenthalt bei meinen Großeltern, als meine Oma mal zu uns (ich, meine Schwester und unsere beiden Cousins sagte:

"Euer Opa hat niemals irgend etwas getan, wofür man sich schämen muss, auch nicht in Russland wie so viele andere."

Ich weiß noch, dass wir alle stutzten, denn wir vergötterten unseren Opa und wären gar nicht auf die Idee gekommen, seine Integrität in Frage zu stellen. Ich war damals noch sehr jung und über die Judenvernichtung nur sehr oberflächlich informiert, und das Ereignis fand lange vor der Erstausstrahlung der Serie "Holocaust" statt.

Ich habe jahrelang nicht mehr daran gedacht, und ich bedaure sehr, dass ich meine Großeltern nicht mehr danach fragen kann. Mein Opa gehörte zu den wenigen Kriegsveteranen, die häufig über den Krieg gesprochen haben. Einmal, das war schon kurz vor seinem Tod habe ich ihn gefragt, ob man an der Front ab und zu mal etwas von Judenverfolgung und -Vernichtung mitbekommen habe. Da sagte er:

"Ja, wenn man gewusst hätte, was sie denen mal antun würden, da hätte man manches nicht getan."

Mein Opa, Jahrgang 1914 war im ländlichen Mittelhessen aufgewachsen. Es gab dort relativ viele Juden, und man spielte denen zuweilen Streiche, die man nur als gemein bezeichnen kann. Die Jugendlichen hatten mal einen jüdischen Hessen mit Schweineblut bespritzt.

Ich habe später viel Zeit investiert, den Lebenslauf von meinem Opa aus Erzählungen und Dokumenten zu rekonstruieren. Nach dem was ich herausgefunden habe, halte ich es für wahrscheinlich, dass mein Opa 1942 im Raum von Rschew in irgendeiner Form etwas mitbekommen haben muss, dass ihn sehr schockierte. Ich bin heute fest davon überzeugt, dass er seine Erlebnisse ausführlich meiner Oma erzählt hat und ihr eine Art Versprechen abgenommen hat, dass sie niemals und zu niemandem darüber sprechen darf.

"Das mit den Juden, davon haben wir nichts nichts gewusst"- Das wurde nach Krieg und Nationalsozialismus zu einer Art Prinzip. In der Regel wusste man in einer hessischen Kleinstadt, wer besonders gierig bei Arisierungen war, wer vor 1945 Nachbarn denunziert hatte, wer den ausgebombten Kasselern und Kasselänern die Perserteppiche und das Familiensilber zu Dumpingpreisen abgekauft oder die Zwangsarbeiter aus dem nah gelegenen Stalag geschunden hatte.
Das wussten im Grunde alle von den Älteren, und es gab hin und wieder mal ein wissendes Raunen, wenn ein verdienter Sozialdemokrat geehrt wurde, der vor 1945 Nationalsozialist war.

Dieses Wissen aber auszusprechen, war etwas ganz anderes. Als ich mit 15 oder 16 Jahren versuchte, herauszufinden wie die "Reichskristallnacht" im lokalen Bereich abgelaufen war, stieß ich auf eine Schweigespirale. Nur eine alte Lehrerin, deren sich in der bekennenden Kirche engagierten, war bereit, offen Auskünfte zu geben.

Er hat niemals etwas getan, wofür man sich schämen muss."

hat meine Oma damals nicht gesagt, denn wer hätte in seinem Leben nichts getan, was einem nicht peinlich ist. Sie sagte, wenn ich mich recht erinnere.
Krieg ist grausam..., unfassbar was sie damals in Russland mit diesen armen Menschen gemacht haben. Im Krieg ist vieles erlaubt, wofür man im Frieden ins Gefängnis kommt. Aber euer Opa, der hat solche Gemeinheiten nicht gemacht.

Ich weiß heute gar nicht mehr, in welchem Zusammenhang damals die Bemerkung fiel, so richtig konnte ich das erst jahrelang später einordnen. Mein Opa kam im Januar 1942 an die Ostfront, und verglichen mit dem Westfeldzug muss das schon so etwas wie ein Ausflug ins "Heart of Darkness" gewesen sein, verbunden mit einer Verwilderung der Kriegsgesetze, die 1939 noch Proteste auslösten von Teilen der Wehrmachtsführung. Es kam vor, dass Angehörige eines sowjetischen Strafbataillons nachträglich zu Partisanen erklärt und erschossen wurden, dass man sich Kriegsgefangener entledigte, weil man sie nicht bewachen und bei rückwärtigen Stäben abliefern wollte bei -30° Celsius. Solche Verstöße gegen Kriegsgesetze wurden von vielen missbilligt, gehörten aber bereits zu etwas, das toleriert wurde und auch nicht mehr als etwas unerhörtes empfunden wurde.

Die Judenmassaker, die viele deutsche Soldaten mitbekamen, müssen etliche Zeugen dann aber doch als etwas empfunden haben, das alle Dimensionen sprengte. In der Stadt Rschew gab es ein Konzentrationslager, man geht heute davon aus, dass in zwei gefundenen Massengräbern, die Überreste von ca. 70.000 Menschen verscharrt wurden,
 
Bitte sehr:
Der Erwerb des Eigentums der entsprechenden Personen, setzte zwar deren weitgehende Entrechtung und Enteignung, vorraus und auch Deportationen waren offensichtlich, aber daraus allein, resultierte noch kein offensichtlicher Beweis für eine dezidierte Vernichtungspolitik.

Diese drei Faktoren, Entrechtung, Enteignung, Deportation, gab es auch in anderen Systemen, ...
Also solange kein offensichtlicher Beweis, ist das entschuldigt, und mit dem Hinweis auf die andere Systeme, wird relativiert.

Aber das allein ist kein Hinweis auf die Existenz von und die detaillierten Abläufe in Auschwitz, Treblinka, Sobibor und wie die Vernichtungslager alle hießen.
Hier erklärst du, was du unter Beweisen versteht: Man müsste vor Ort gewesen sein und die Abläufe gesehen haben.

Hier erklärst du noch einmal, dass das nur das "Betriebspersonal" wissen konnte
Was aber die dezidierten Vorgänge in den Vernichtungslagern und da spielte sich der größte Teil der organisierten Vernichtungspolitik einmal ab angeht, sehe ich das etwas anders.
Und hier
Das waren ja abgeschottete Einrichtungen, deren "Betriebspersonal" eine durachaus überschaubare Größe hatte und zum Teil auch aus kollaborierenden Einheimischen aus denjenigen Gebieten bestand, die in denen sie sich befanden.

Die fuhren nichts ins Reichsgebiet um davon berichten zu können.
zählst du noch die Einheimische dazu, die nicht ins Reichsgebiet fuhren, und deswegen die Zahl derer, die berichten konnten, noch kleiner wurde.

Sofern das deutsche Personal in diesen Lagern, die Sache entweder beführwortete oder aber ein Interesse daran hatte den eigenen Posten nicht zu verlieren, um nicht an die Front zu müssen, wird es sich in weiten Teilen der Linie des Regimes gegenüber konform verhalten und die Klappe gehalten haben.
Mit der Angst vor der Front, entschuldigst du das Lagerpersonal.

Einzige Ausnahme wäre vielleicht Auschwitz, dass ja immerhin noch so nahm am Reichsgebiet drann war, dass sich mindestens in Schlesien möglicherweise verstärkt Gerüchte über das herumsprechen konnten, was intern passierte.

Aber auch dann war es eigentlich nocn zu abgeschottet um das im detail zu wissen.
Bei Ausschwitz machst du ein halbes Zugeständnis, das du aber sofort wieder zurückziehst, indem du sagst, es war "eigentlich nocn zu abgeschottet um das im detail zu wissen".

Aber wenn wir ehrlich sind, sind dass dann doch eher überschaubare Kreise, die wirklich mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen mussten, dass die Leute, die man dahin deportierte, tatsächlich im großen Stil endgültig verschwinden.
Hier sprichst du erst über überschaubare Kreise, die wissen konnten, dass die Deportierten im "großen Stil endgültig verschwinden", und im nächsten Beitrag
Mag sein, und lass es am Ende 20.000 oder 30.000 gewesen sein, die wussten, was konkret in Auschwitz vor sich ging.

Wie viel ist das quantitativ aber gemessen an einer Bevölkerung about 100 Millionen Menschen, wenn man die annektierten, dem Reich zugeschlagenen Gebiete und die faktisch angegliederten Gebiete (Elsass-Lothringen, ab 1943 auch Südtirol) noch mitzählt?
werden die sogar beziffert, und anschließend zu Gesamtbevölkerungen ins Verhältnis gesetzt, wobei sogar Elsass-Lothringen und Südtirol dazugezählt werden, damit die Zahl 30.000 kleiner erscheine.

Das der Mitunter reichlich Leben kosten konnte, und die Bevölkerung das auch mitbekommen konnte ist klar.
Das hier von dir benutzte Vokabular - ich meine hier "Mitunter reichlich Leben kosten" - ist zynisch, ich könnte mir vorstellen, dass Ähnliches früher auch von SS benutzt worden ist.

Mir reicht’s – ich kann nicht mehr.

PS: Wenn dir das nicht genügt, melde mich ruhig – ich werde stolz darauf sein.
 
Bitte sehr: Also solange kein offensichtlicher Beweis, ist das entschuldigt, und mit dem Hinweis auf die andere Systeme, wird relativiert.

Relativiert wird da gar nichts, sondern lediglich angeführt, dass Enteignungen, Deportationen etc. noch nichts sind, von dem man automatisch auf dezidierte Massenmordprogramme schließen musste, weil wie andere historische Beispiele beweisen haben, solche Programme auch ohne dezidierten staatlichen Massenmord in Form von dezidierten Tötungsfabriken möglich sind.

Das ist weder Entschuldigung noch Relativierung von irgendwas, sondern Tatsache.

Hier erklärst du, was du unter Beweisen versteht: Man müsste vor Ort gewesen sein und die Abläufe gesehen haben.

Hier erklärst du noch einmal, dass das nur das "Betriebspersonal" wissen konnte Und hier zählst du noch die Einheimische dazu, die nicht ins Reichsgebiet fuhren, und deswegen die Zahl derer, die berichten konnten, noch kleiner wurde.

Ich weiß nicht ob es dir bewusst ist, aber der Faden heißt "davon haben wir nichts gewusst", nicht "davon haben wir nichts geahnt" oder "davon haben wir nichts gehört".
Wissen, ist wenn wir in die erste Stunde Erkenntnisstheorie gehen, wie dir, da du auf den antiken Philosophen (der Weg nach Larisa und so weiter) ja so große Stücke zu halten pflegst, eine verifizierbare und zutreffende, auf berechtigender Prämisse angestellte Annahme.

Wenn wir uns an diese Definigion dessen halten, was "Wissen" ist, werden wir schwerlich umhinkommen, zu erkennen, dass im erkenntnistheoretischen Sinne, ob einem das nun gefällt oder nicht, der größte Teil der Bevölkerung von den Vernichtungslagern und den Praktiken dort, nichts wusste und wissen konnte, da ihm das notwendige Kriterium der Nachprüfbarkeit offensichtlich abgehen musste, Urlaubstourismus nach und Werkführungen in Auschwitz gab es einmal nicht.

Ob die Bevölkerung hören und ahnen konnte, wenn sie denn wollte, ist ganz eine andere Frage. Das konnten die größten Teile sehr wohl und auch wenn sie nicht wussten, was en Detail passierte, war doch klar, dass es kaum etwas gutes sein konnte.

Mit der Angst vor der Front, entschuldigst du das Lagerpersonal.

Ich entschuldige juristisch oder moralisch überhaupt nichts, ich kann es lediglich menschlich nachvollziehen. Das ist alles.

Bei Ausschwitz machst du ein halbes Zugeständnis, das du aber sofort wieder zurückziehst, indem du sagst, es war "eigentlich nocn zu abgeschottet um das im detail zu wissen".

Bei Auschwitz mache ich kein halbes Zugeständnis, sondern Auschwitz ist auf Grund seiner geographischen Lage offensichtlich nochmal gesondert zu betrachten.

Hier sprichst du erst über überschaubare Kreise, die wissen konnten, dass die Deportierten im "großen Stil endgültig verschwinden", und im nächsten Beitrag werden die sogar beziffert, und anschließend zu Gesamtbevölkerungen ins Verhältnis gesetzt, wobei sogar Elsass-Lothringen und Südtirol dazugezählt werden, damit die Zahl 30.000 kleiner erscheine.

Elsass-Lothringen und Südtirol werden nicht hinzugerechnet, um irgendwas an den Zahlen zu drehen, sondern Elsass-Lothringen, da es stillschweigend de facto annektiert wurde, somit mehr oder weniger zum 12-jährigen Reich gehörte umd Südtirol im Rahmen der "Operationszone Alpenvorland" auch dem italienischen Staatsgebilde de facto herausgebrochen wurde, was wie in der Vergangenheit von verschiedener Seite angeführt worden ist, auf einen ersten Schritt zur Annexion hindeutet.

Ich wüsste übrigens nicht, wie diese beiden Gebiete geeigent sein sollten, an den Gesamtzahlen groß was zu verändern. Wie viele Einwohner mögen beide Gebiete zusammen gehabt haben? 2 Millionen, wenn es hoch kommt?

Macht im Hinblick auf die restlichen 80-90 Millionen Einwohner offensichtlich kaum etwas aus.
Somit ist auch dieser Vorwurf absurd.


Das hier von dir benutzte Vokabular - ich meine hier "Mitunter reichlich Leben kosten" - ist zynisch, ich könnte mir vorstellen, dass Ähnliches früher auch von SS benutzt worden ist.

Ja, und ich könnte mir vorstellen, dass ähnliche Methoden, wie die, die du hier verwendest, auch vom Goebbels-Ministerium verwendet worden sind.

Oben wirfst du mit abstruser Weise Entschundigungen und Relativierungen vor und hier wo dieser abstruse Vorwurf noch weniger zieht und vollends lächerlich wäre, sind meine Ausführungen dann eben "zynisch".

Schön, sind meine Ausführungen, im Kopf einer Person, die einmal mehr nicht in der Lage scheint eine stringente Argumentation zu und die darauf abstruser Weise noch stolz ist, eben zynisch.
Damit kann ich ganz gut leben.

Nein, ich werde das oben nicht melden, wozu? Ich kann es nur nicht leiden mit nebulösen Anschuldigungen bedacht zu werden, die Ross und Reiter nicht nennen.
Das hast du hier getan und dich damit der Lächerlichkeit preisgegeben, damit kann ich auch ganz gut leben.
 
Nun kriegt euch mal wieder ein!

Ich denke man muss unterscheiden zwischen einem sicher wissen um den von allerhöchster Stelle geplanten und befohlenen industriellen Massenmord, zwischen dem Wissen um Massaker im Hinterland der Front und "Maßnahmen im Reich", von denen man durch Berichte und Gerüchte gehört hat und dem "wissen und verdrängen".

Auf die eine oder andere Art haben alle etwas mitbekommen, viele aber konnten oder wollten einfach nicht glauben, dass eine industriell betriebene Vernichtungsmaschinerie im Gange war, die von allerhöchster Stelle befohlen und überwacht wurde. Henriette von Schirach bekam auf einer Reise nach Amsterdam mit, wie Juden zusammengetrieben wurden. Bei einem Besuch auf dem Berghof sprach sie Hitler darauf an, worauf sie nie wieder eingeladen wurde.

Die Judenvernichtung war eine "Geheime Reichssache". Über so etwas zu reden, konnte einen in Schwierigkeiten bringen. Victor Klemperer erwähnt, wenn ich mich recht erinnere, irgendwo, dass er von einem Ort Auschwitz gehört habe. Manche Juden konnten es bis zuletzt nicht glauben, schlicht und einfach weil etwas wie Auschwitz das Vorstellungsvermögen übertrifft. Es ist übel, aber psychologisch nachvollziehbar, dass man wegschaut, wenn man Zeuge eines großen Unrechts wird, das man nicht verhindern kann. Viele Deutsche waren beschäftigt mit Alltagssorgen im Krieg, mit Überlegungen wie man Dinge des täglichen Bedarfs organisieren sollte, mit der Sorge wegen der zunehmenden Bombenangriffe, mit der Sorge um Freunde und Verwandte im Kriegseinsatz. Das war natürlich ein Klima, das "wegsehen" und verdrängen begünstigte, dass dazu beitrug, zu verharmlosen und sich in die eigene Tasche zu lügen, sich einzureden, dass alles nur halb so schlimm war. Solange man nicht Jude war, konnte man durchaus in die "Volksgemeinschaft" aufgenommen werden. Mancher kam aus dem Gefängnis oder KZ wieder frei, solange sie sich ruhig verhielten und ihren früheren "Irrtum" eingestanden, konnten selbst ehemalige Sozialdemokraten und Kommunisten in diese Volksgemeinschaft aufgenommen werden. Aus dieser Volksgemeinschaft konnte man aber auch schnell ausgestoßen werden, wenn man sich der immer wieder verlangten öffentlichen Zustimmung zum NS verweigerte, und das wussten alle Deutschen.
 
Longerich weist nach, dass die Judenverfolgung im Deutschen Reich nicht nur in aller Öffentlichkeit stattfand, sondern dass das NS-Regime ab Ende 1941 immer wieder gezielte Hinweise auf die »Vernichtung« der Juden gab. Die konkreten Einzelheiten des Massenmordes unterlagen zwar strikter Geheimhaltung, doch diese wurde immer wieder durchbrochen. Durch seine Propagandapolitik versuchte das Regime der Bevölkerung zu signalisieren, dass sie zu Mitwissern und Komplizen eines Verbrechens ungeheuerlichen Ausmaßes geworden und ihr Schicksal auf Gedeih und Verderb mit der Existenz des Regimes verbunden war.

Ob das Unternehmen wirklich so geheim war hatte ich mich unter anderem gefragt. Weiß jemand etwas genaueres darüber, wovon Longerich spricht? Das Buch ist ja auch schon älter jetzt.
 
Zurück
Oben