Teotihuacan

was heißt "gehäuft"?
Wenn z. B. in einem Satz, in dem fünf verschiedene Begriffe vorkommen, vier davon mit Nawa-Wörtern bezeichnet werden (davon drei, die mit Ackerbau nichts zu tun haben).

Ich differenzier allgemein zwischen Dialekten, in denen sich die Sprecher noch verständigen können, und Sprachen, die sich soweit auseinander entwickelt haben, dass man - wie bei den romanischen Sprachen Europas - von eigenständigen Sprachen auch mit einem eigenen Wortschatz spricht.
Der Übergang erscheint mir aber fließend.
So ist es, der Übergang ist fließend. Eine saubere Abgrenzung zwischen "Sprache" und "Dialekt" ist nicht möglich. Manchmal versteht ein Sprecher des Dialekts A den Nachbardialekt B, jedoch nicht mehr den weiter entfernten Dialekt C, während der Sprecher des Dialekts B alle drei Dialekte versteht (Dialektkontinuum). Wo soll man die Grenze ziehen?

Wenn ich sage: Alle menschlichen Sprachen folgen erkennbaren Regeln und entwickeln sich auch nach erkennbaren Regeln, dann schließt das selbstverständlich auch Dialekte ein.
 
Der Kult um Quetzalcoatl ist in ganz Zentralamerika verbreitet, er ist durch uralte Darstellungen - so auf der Stele 19 (um 900 v. Chr.) bei den Olmeken - dokumentiert.
Die Mythen haben sich bei den Maya (Kukulcan), Tolteken und Azteken in unterschiedlicher Form ausgebildet und mit Legenden um den toltekischen König Ce Acatl vermischt - wobei die Tolteken ja der Nahua-Sprachgruppe angehören. Insofern ist es nicht überraschend, dass solche Versionen auch einen Bezug zur Nahua-Sprachgruppe haben.
Woher aber nimmt die Autorin die "selbstverständliche Annahme, dass in Tehtihuacan eine nahua-Sprache gesprochen wurde"? Kannst Du das näher erläutern?
1. Mag sein, daß die La Venta Stele mit der Gefiederten Schlange schon Bestandteil eines "olmekischen" Pantheons war, aber in Teotihuacan erhielt sie eine primordiale Stellung, zumindest wird das durchaus behauptet (in der gegenwärtig in der ZDF-Mediathek verfügbaren Dokumentation über "Die Schätze der Unterwelt" - so der Titel, wenn ich mich recht erinnere). Für Laurette Séjourné, soweit habe ich sie verstanden habe, ist das zumindest auch definitiv so.
2. Kukulkan wäre eine späte Ausformung, die mehr oder weniger offziell mit den postklassischen, vielleicht toltekisierten Maya in Verbindung gebracht wird, sofern ein Nord zu Südeinfluß in Betracht gezogen wird (was freilich nicht unumstritten ist). Interessanterweise hat diese Gottheit im alten Mayagebiet, aber verwirrenderweise bei den Quiché, den Namen Gugumatz - Rafael Girard vertrat die provokative These, dass er sogar das Urbild der gefiederten Schlange wäre und er sieht sogar einen Zusammenhang mit Teotihuacan u., wenn ich ihn richtig verstehe, mit den Tolteken; aber darum geht es bei deiner Frage hier gar nicht, daher das nur nebenbei bemerkt.
3. Madame Séjourné spricht nicht, meine ich zumindest, nicht so explizit von Nahua-Sprechern, sondern von einer nahua-Philosophie, die eben mit dem Quetzalcoatl-Kult in Verbindung stände. Ich lese gerade in meiner schlechten Übersetzung nach: sie spricht sogar von "nahuatl"; z. B. bemerkt sie (ich kompiliere wohl frei aus zwei Textstellen, ev. aus verschiedenen Büchern von ihr): Die Archäologie lege offen, daß es einen unverzeihlichen Irrtum konstituiert, die tausendjährige nahúatl-Kultur, die auf der religiöse Lehre Quetzalcóatls basiere, für die aztekische zu halten... Aber sie spricht öfter von nahuatl-Denken.
4. Und diese Kultur jedenfalls, die der aztekischen vorhergeht und deren Tradition noch vor den Azteken auf dem mexikanischen Altiplano bewahrt wurde, war jedenfalls die von Teotihuacan und für Madame eben auch die toltekische;

=> Um es platt zu formulieren: Totihuacan war gewissermaßen das erste Tollan, wobei Séjorné das eher vorsichtiger formulieren würde: es war das erste toltekische Reich, Und jetzt nimmt deine eigene Auffassung hinzu: Tolteken sind auch Nahuas ...
 
Mein Fehler, Du hast recht
kannst Du entsprechende Quellen angeben, die genau diese Sprachkontakte belegen?

Auch wenn Sepiola das wahrscheinlich nicht meint und eure Diskussion schon wieder OFF TOPIC lief: Wichmann oder Wichmann u. a. haben den Vorschlag gemacht, daß ursprünglich Totonakisch u. Mixe-Zoques-Sprachen zusammengehörten ("Totozoquean" - einfach nur Name und Begriff googeln!); er nimmt oder sie nehmen wohl auch sehr frühe Sprachkontakten zur (Proto-) Uto-Aztekischen Sprache an. Zu den Maya-Huazteken hat sich glaube ich nicht so dezidiert geäußert, aber er vertritt in einem seiner Artikel auch die o. wohl eher eine Macro-Penutian-These...
 
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Wichmann oder Wichmann u. a. haben den Vorschlag gemacht, daß ursprünglich Totonakisch u. Mixe-Zoques-Sprachen zusammengehörten
danke, das ist mir neu - ich bin nach dem Ausschlußprinzip vorgegangen, da wären nur drei Sprachfamilien übrig geblieben, wobei ich mich in der Auswahl zwischen Totonaken / Mixe-Zoque und Oto-Mangue schon positioniert hatte
Schon aufgrund der örtlichen Verbreitung der infrage kommenden Sprachfamilien
Atlas de las Lenguas Indígenas de México würde ich persönlich Nawa/Nahuatl ausschließen und unter den verbliebenen
▇ Totonaco-tepehua
▇ Mixe-zoque
▇ Oto-mangue
die letztgenannte Gruppe bevorzugen. Namentlich die Otomi besiedelten noch in aztekischer Zeit das Umland von Teotihuacan. Anzumerken, dass die den Otomi sprachlich verwandten Mixteken von den Nahuatl-Sprechern schon in vorspanischer Zeit aus dem Hochland in die südlichen Bergregionen verdrängt wurden. Das könnte auf eine "Vor-Nahuatl" bestehende, zwischen Mixteken und Otomi angrenzende, Besiedlungsstruktur hindeuten.
die Positionierung erfolgte aufgrund der heutigen Sprachverteilung einerseits
Mesoamarica%20recortado.jpg

und der "Rückwärtsverfolgung" von bekannten Wanderbewegungen andererseits. Damit ist eine Verschiebung der Sprachverteilung auf frühere Verbreitungsgebiete möglich. So lassen sich die Pipil aus El Salvador/Nicaragua wohl auf das zentrale Hochland zurückführen (was sowohl der eigenen "Wandersage" wie auch linguistischen Erkenntnissen entsprechen würde) und die späteren Azteken als letzter Teil einer (mehrere Wellen umfassenden) Zuwanderung auf die Pazifikküste bei den Cora und Huichol, was sowohl durch die aztekische Ursprungssage wie auch die nahe sprachliche Verwandtschaft zumindest nicht widerlegt wird, sondern eher sogar stützt.
Ich gebe gerne zu, dass das insbesondere wegen der starken Wanderbewegungen im Hochland ein schwaches Argument ist. Es ist aber m.E. die zunächst einzige Methode, mobile Sprachgebiete zu immobilen archäologischen Fundstätten in Beziehung zu bringen - solange andere Möglichkeiten wie eine Schriftidentifizierung nicht möglich sind.
 
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Ich gebe gerne zu, dass das insbesondere wegen der starken Wanderbewegungen im Hochland ein schwaches Argument ist. Es ist aber m.E. die zunächst einzige Methode
Ist das denn überhaupt eine Methode? Einerseits konzedierst Du starke Wanderbewegungen, und trotzdem schließt Du alle weiträumigeren Sprachgrenzverschiebungen, die sich in über 1000 Jahren ereignet haben könnten, schon mal von vornherein aus - mit Ausnahme einer einzigen expansiven Sprachgruppe.

Stell Dir mal vor, wir müssten uns in Mitteleuropa auf die Kenntnisse der Sprachgrenzen, sagen wir mal ab 1000 n. Chr., beschränken und würden nun mit dieser Methode versuchen, z. B. die Sprache der Bewohner des aufgegebenen Oppidums von Manching zu bestimmen.
Dann würden wir wohl allenfalls darüber diskutieren, ob die Bewohner germanisch oder slawisch gesprochen haben. Die Kelten (viel zu weit weg*) hätte niemand auf dem Schirm. Der eine würde die Germanen präferieren (weil die um 1000 schon in der Gegend waren), der andere würde sich auf die Slawen festlegen (weil sich bekanntlich die germanisch-slawische Sprachgrenze im Mittelalter Richtung Osten bzw. Südosten verschoben hat).

* 1000 Jahre nach dem Ende des Oppidums finden wir das nächstgelegene keltischsprachige Gegend an die 1000 km von Manching entfernt, das ist deutlich mehr als die Entfernung zwischen Teotihuacan und dem Maya-Sprachgebiet.
 
Stell Dir mal vor, wir müssten uns in Mitteleuropa auf die Kenntnisse der Sprachgrenzen, sagen wir mal ab 1000 n. Chr., beschränken und würden nun mit dieser Methode versuchen, z. B. die Sprache der Bewohner des aufgegebenen Oppidums von Manching zu bestimmen.
Du übersiehst, dass ich auch die tradierten Wanderbewegungen mit berücksichtige. Bei Deinem Beispiel müssten wir also die Überlieferungen über die Boier und Helvetier mit heran ziehen, auch wenn diese nur über Cäsar und damit "vom Hörensagen" über einen Dritten überliefert sind.
Tatsächlich stand ja vor archäologischen Untersuchungen lediglich diese Tradierung zur Verfügung, wenn über die Boier geschrieben wurde. Die Archäologie und deren Erkenntnisse kamen erst später.
Dass die Archäologie inzwischen wesentliche Aussagen von Cäsar bestätigt, steht auf einem anderen Blatt.
 
Du übersiehst, dass ich auch die tradierten Wanderbewegungen mit berücksichtige. Bei Deinem Beispiel müssten wir also die Überlieferungen über die Boier und Helvetier mit heran ziehen, auch wenn diese nur über Cäsar und damit "vom Hörensagen" über einen Dritten überliefert sind.
Das sind doch genau die Schriftquellen, die uns über Wohnsitze keltischer oder anderer Gruppen vor 2000 Jahren unterrichten. Versuch doch mal, Dir vorzustellen, wir hätten aus der Zeit vor 1000 n. Chr. NICHTS.
 
danke, das ist mir neu - ich bin nach dem Ausschlußprinzip vorgegangen, da wären nur drei Sprachfamilien übrig geblieben, wobei ich mich in der Auswahl zwischen Totonaken / Mixe-Zoque und Oto-Mangue schon positioniert hatte

Diese Positionierung lautet:
Namentlich die Otomi besiedelten noch in aztekischer Zeit das Umland von Teotihuacan. Anzumerken, dass die den Otomi sprachlich verwandten Mixteken von den Nahuatl-Sprechern schon in vorspanischer Zeit aus dem Hochland in die südlichen Bergregionen verdrängt wurden. Das könnte auf eine "Vor-Nahuatl" bestehende, zwischen Mixteken und Otomi angrenzende, Besiedlungsstruktur hindeuten.

Ich hatte bisher Schwierigkeiten mit beiden Sprachen, insofern ich die Sprachverwandtschaft bisher noch nicht begriffen hatten; verschiedene Quellen, die ich dazu konsultiere (Lyle Campell, Dieter Wunderlich) bestätigen deine Behauptung einer Verwandtschaft von Mixtekisch und Otomi, insofern sie zu einer Sprachfamilie gehören; obwar wohl heute diese Sprachen hauptsächlich in Mexiko gesprochen werden, war sie wohl einst auch sehr weit verbreitet:
"Otomanguean is an expansive language family that has been centered around the core of the Mesoamerican cultural (Kirchhoff 1967[1943]) and linguistic area (Campbell et al. 1986) for as long as we can detect. It extends a little beyond the northern limits of Mesoamerica into the state of San Luis Potosí, Mexico (Pame), and it previously reached as far south as the Gulf of Nicoya along the Pacific slope of Costa Rica (Mangue).”
(Eric W. Campbell, 2017) Das eben lesend, bin ich doch arg überrascht, weniger darüber, dass die ganze Familie als eine "genetische Einheit" (genetic unit) kürzlich von Cecil H. Brown in Frage gestellt wurde. Wie dem auch sei, als Urheimat wurde für diese einzige, wesentlich mesoamerikanische Sprachgruppe ("único grupo lingüístico essencialmente mésoamericano", Wigberto Jiménez Moreno) - nach Übersicht bei Eric W. Campbell (Otomanguean historical linguistics: past, present and prospects for the future. Language & Linguistics Compass 11/ 2017) - das Tehuacan-Tal vorgeschlagen. Was das dazugehörige prähistorische Zeitfenster betrifft, wäre eine archaische Periode anzusetzen, aber Daten habe ich in dem Übersichtsartikel ohne Erfolg verzweifelt gesucht und was die Beziehungen der Sprachen untereinander und zu anderen Sprachgruppen betrifft, gehen laut Campbell die Meinungen wohl sehr weit auseinander, gerade, was die Beziehung zu den Mixe-Zoque-Sprachenbetrifft, scheint völlige Unklarheit zu herrschen.
Vielleicht findest du ja in Campbells Übersicht eine Fundierung für deinen Vorschlag einer Prä-nahua Besiedlungsstruktur. Aber bei solch einer Behauptung bleibt deine Implikation zeitlich unfundiert, wann dann irgendwelche Proto- Otomí-Mixteken aus dem mexikanischen Hochtal im Zuge des Niedergangs der dortigen klassischen Hochkultur verdrängt wurden.
Du schreibst dann weiter:
die Positionierung erfolgte aufgrund der heutigen Sprachverteilung einerseits [Karte] und der "Rückwärtsverfolgung" von bekannten Wanderbewegungen andererseits. Damit ist eine Verschiebung der Sprachverteilung auf frühere Verbreitungsgebiete möglich. So lassen sich die Pipil aus El Salvador/Nicaragua wohl auf das zentrale Hochland zurückführen (was sowohl der eigenen "Wandersage" wie auch linguistischen Erkenntnissen entsprechen würde) und die späteren Azteken als letzter Teil einer (mehrere Wellen umfassenden) Zuwanderung auf die Pazifikküste bei den Cora und Huichol, was sowohl durch die aztekische Ursprungssage wie auch die nahe sprachliche Verwandtschaft zumindest nicht widerlegt wird, sondern eher sogar stützt.
Ich gebe gerne zu, dass das insbesondere wegen der starken Wanderbewegungen im Hochland ein schwaches Argument ist. Es ist aber m.E. die zunächst einzige Methode, mobile Sprachgebiete zu immobilen archäologischen Fundstätten in Beziehung zu bringen - solange andere Möglichkeiten wie eine Schriftidentifizierung nicht möglich sind.

Was meinst du hier mit "einzige Methode"? Völker auf einer Karte über Jahrtausende hin- und herzuschieben; ich hätte jetzt gerne eine Kritik der "ethnozentrischen Methode" parat, aber selbst finde ich diesen Zugang zu faszinieren, als ihn einfach beiseite zu schieben. Aber es gibt einen Denkfehler in deiner Argumentation: Du willst mutwillig der aztekischen Wanderlegende trauen, da sie sich irgendwie mit der linguistischen Forschung einer Urheimat im weiten Norden gut verträgt; nicht in Betracht ziehst du, daß sich der aztekische Adel wie ein Parasit verhalten haben könnte und sich Traditionskerne angeeignet hatte, um ihren Führungsanspruch zu legitimieren.
Großer Bestandteil der Traditionskerne, die die Azteken mutmaßlich für ihre Zwecke ideologisch annektierte, wären eben die heldenhaften Tolteken; und die Mythen, die um dieses sagenhafte Volk, die vielleicht Nahuas waren, vielleicht aber nicht, sind bisher in den Diskussionen zu wenig dekonstruiert worden. Ohne zunächst genauer ins Detail zu gehen, gibt es den (alten, durchaus umstrittenen) Vorschlag, daß Teotihuacan das erste Reich der Tolteken bildete, in Tula einen Stützpunkt bildete, der dann selbst die Hauptstadt wurde - analog zur Ausbreitung nach Süden ins Mayagebiet (Kaminalyuyú, später Tikal und noch später eben Chichén Itzá). So bedauerlich es ist, aber die Verteidigung dieser Idee, zumindest in diese Richtung - ich denke namentlich an David Stuarts Vorschlag, daß der Städtename Teotihuacans tatsächlich einst Tollan lautete - hat die Mesoamerikanistik bisher wohl noch nicht überzeugt. Die ältere Version dieser Zwei-Reiche-Theorie, die versucht, die dabei die Geschichte der Pipiles zu rekonstruieren versuchte, legte Rafael Girard vor: er argumentierte für "die Identifizierung der Pipil-Kultur mit der der Nahua-Chichimeken, die verwirrender Weise dabei u. a. auch ursprünglich in Tehuácan gesiedelt hätten. Hier waren sie aber dann schon vor dem Fall von Teotihuacan; interessanterweise hielt er es aber auch für einen einschlägigen Irrtum, "daß die Gründer Tulas Nahuas waren"; diese waren in seiner umfassenden Rekonstruktion eher Maya, und er gibt es an einer Stelle (und das noch Ende der 1960er Jahre) als seine Auffassung an, daß sogar die olmekische Kultur an der Golfküste letztendlich nur den Maya zuzuschreiben wäre! Ich finde diese Idee einfach faszinierend, obwohl ich als Fan der olmekischen Kunst skeptisch bleiben muss...
 
Was meinst du hier mit "einzige Methode"?
ich schrieb
zunächst einzige Methode, mobile Sprachgebiete zu immobilen archäologischen Fundstätten in Beziehung zu bringen
und kann das gerne erläutern:
1.
wir haben archäologische Fundstätten, die in Tehuacán (Mexiko) den
"Nachweis einer ununterbrochenen Reihe aufeinanderfolgenden Kulturstufen vom 8. vorchristlichen Jahrtausend bis zur spanischen Eroberung"
bringen (zitiert aus Hasso von Winning: "Die Ausgrabungsergebnisse von Tehuacàn (mexiko) und ihre Stellung in der Kulturgeschichte Mittelamerikas" in Paideuma: Mitteilungen zur Kulturkunde Bd. 9, H. 2 (Nov., 1963)).
Damit ist über die ethnisch-sprachliche Zugehörigkeit der Kulturträger aber nichts gesagt.
Es ist durchaus möglich, dass Zuwanderer anderer "Sprachen" in die Gesellschaft integriert wurden und die kulturelle Entwicklung trotz eines ethnischen Wechsels der Bevölkerung nahtlos weiter ging.

2.
In dieser Phase kommen die Wanderlegenden der Völker in's Spiel. So ist die "Gotengeschichte" des Jordanes ja nichts anderes als die von anderen (Cassiodor) übernommene, verschriftliche Herkunftslegende der Goten.
Das war auch zunächst - über Jahrhunderte hin - die einzige "Geschichtsquelle". Geschichtlich "fassbar" sind die Goten ja erst seit ihren Raubzügen aus der ersten Hälfte bzw. Mitte des 3. Jh., wo Goten aus dem Gebiet der heutigen Ukraine und Moldawiens römische Städte (Histria, in der Provinz Moesia inferior) plünderten.

Archäologische Funde können diese Legende heute unterstützen - oder auch auch Zweifel begründen.
Die Santana de Mures-Kultur und die Cernajachow-Kultur wurden erst in jüngerer Zeit erforscht (und konnten dem Herrschaftsgebiet der gotisch dominierten Barbaren zugeordnet werden), und die beiden Kulturen scheinen wiederum allmählich aus der Wielbark-Kultur an der Weichsel entstanden, freilich unter starker Einbindung indigener Elemente und anderer Einflüsse.
Man kann das jetzt unterschiedlich werten - ist damit die Gotengeschichte des Jordanes zumindest ab der Weichsel bestätigt, oder fand die Ethnogenese der späteren Goten erst in der Ukraine statt, so wie die der Alemannen im Dekumatenland oder der Bajuwaren zwischen Alpen und Donau?

Damit sollte das "zunächst" erläutert sein. Wir haben in Mittelamerika diverse Wanderlegenden (insbesondere der Azteken oder der Pipil, die im Forum schon diskutiert wurden), wir haben linguistische Bezüge, archäologische klare Bestätigungen fehlen aber (noch).

3.
Man kann über die Auswertung unterschiedlicher archäologischer Fundstätten (etwa mit der Abnahme von bestimmten Grabsitten an einem Ort und der nahtlosen Übernahme und Weiterführung dieser Gebräuche an anderen Orten, mit genetischen Untersuchungen von Skelettresten und Zähnen usw.) mögliche Wanderbewegungen von Gruppen vermuten oder von Einzelpersonen belegen. Solange solche Auswertungen nicht in ausreichend großer Menge vorliegen kann man nicht sicher sein, ob die Vermutung einer Ausbreitung durch Wanderbewegung zutrifft.

Das Ergebnis ist nämlich nicht zwingend: die Änderung der Grabkultur kann auch auf die Ausbreitung einer religiösen Überzeugung, die Verbreitung von Kleidungsteilen o.ä. auf Modeerscheinungen, die Ausweitung von handwerklichen oder landwirtschaftlichen Erzeugungsmethoden samt deren Benennung von Geräten und Produkten (Kakao, Mais) auf Akkulturation zurück zu führen sein.

Erst das Gesamtbild wird zunehmend sichere Aussagen erlauben.

Rafael Girard ... argumentierte für "die Identifizierung der Pipil-Kultur mit der der Nahua-Chichimeken, die verwirrender Weise dabei u. a. auch ursprünglich in Tehuácan gesiedelt hätten.
nur damit wir nicht aneinander vorbeireden:
Du meinst das bereits oben erwähnte Tehuácan von Mexiko und nicht die gleichnamige Fundstätte in El Salvador?

Die Chichemeken sind ja - wie die Azteken auch - ein Stamm der Nahua-Sprachgruppe. Sie sollen als "Vereinigung einiger Nomandenstämme" unter dem legendäre Häuptling Xolotl von Norden her nach Süden in die Mesa Central und ins Toltekenreich eingedrungen sein und dessen Untergang bewirkt haben. Sie zerstörten angeblich die toltekische Stadt Tula oder Tollan.
Die überlebenden Tolteken brachten den eingefallenen Barbaren aus dem Norden die Landwirtschaft und den Bau ihrer Häuser bei, verheirateten sich mit den Chichimeken, so dass sich beide Völker miteinander vermischten und mit der Übernahme der Schrift von den Mixteken (in der ersten Hälfte des 14. Jh.) eine hohe Blüte in der neuen Hauptstadt Texcoco (vorher war das Tenayuca).

Die Weiterführung dieser Legende findet sich bei den Pipil, die ihre vorherige Heimat Tollan verlassen haben sollen und aus denen das Volk der Pipil hervorging. Es gab zunächst eine Reihe von Stadtstaaten der Nahua, die um das Jahr 1200 unter der Vorherrschaft von Cuzcatlan vereinigt wurden.
 
ich [...] kann das gerne erläutern:
1.
wir haben archäologische Fundstätten, die in Tehuacán (Mexiko) den bringen (zitiert aus Hasso von Winning: "Die Ausgrabungsergebnisse von Tehuacàn (mexiko) und ihre Stellung in der Kulturgeschichte Mittelamerikas" in Paideuma: Mitteilungen zur Kulturkunde Bd. 9, H. 2 (Nov., 1963)).
Damit ist über die ethnisch-sprachliche Zugehörigkeit der Kulturträger aber nichts gesagt.
Es ist durchaus möglich, dass Zuwanderer anderer "Sprachen" in die Gesellschaft integriert wurden und die kulturelle Entwicklung trotz eines ethnischen Wechsels der Bevölkerung nahtlos weiter ging.

Ganz genau! Und da wir nicht wissen, wer die Indigenen waren, die - um gerne in der zentralmexikanischen Gegend zu bleiben - , dort erstmals sesshaft wurden, nennen wir sie X, die sicherlich durch irgendeine Sprache verständigen. Mit der Bevölkerungszunahme und Zuzug entwickelten sich diese Sprache weiter und diversifizierte sich. Es wird noch die Frage sein, ab wann man halbwegs plausible Zuschreibung zu irgendwelchen Sprachträgern machen. Daten liefern Glottochronologie, wobei ich leider für Otomangue keine parat hätte; aber mutmaßlich ist erst einmal mit einigen Jahrtausenden zu rechnen, bevor wir geschätzte Daten ansetzen können. Die sprachliche Aufspaltung Mesomerikas hat man vor vielleicht 4000 Jahren angesetzt - eventuell ein Zeitfenster, das von Swadesh stammt. Das nächste Datum dass ich kenne, bezieht auf die Maya, die aber in der Gegen nicht unbedingt situiert werden, obwohl ich da auch nicht sicher wäre, insofern das Huaztekische, das sich schon früh trennte, ja weit nördlich von dem Gebiet liegt, wo sich die klassische Mayakultur entwickelte. Protoformen der Mixe-Zoques Sprachen sollen sich nach Wichmann u. Kaufmann in der ersten Hälfte des 2. Jts v. Ztr. aufgespalten haben. Die Nahuas sind außen vor.

2.
In dieser Phase kommen die Wanderlegenden der Völker in's Spiel. [...] Archäologische Funde können diese Legende heute unterstützen - oder auch auch Zweifel begründen. [...] Man kann das jetzt unterschiedlich werten - [...] Damit sollte das "zunächst" erläutert sein.

Ich will beim Thema bleiben; das von dir vorgebrachte Beispiel (Gotengeschichte) hatte ich tatsächlich im Hinterkopf, als ich von "Traditionskernen" sprach, die die Azteken mutmaßlich in ihrer Herkunftsideologie integriert haben dürften.

Wir haben in Mittelamerika diverse Wanderlegenden (insbesondere der Azteken oder der Pipil, die im Forum schon diskutiert wurden), wir haben linguistische Bezüge, archäologische klare Bestätigungen fehlen aber (noch).

Dem Hinweis folgende, habe ich kurzerhand was von dir dazu rausgesucht:

Pipil als Vertreter der östlichen Nawa sind nach archäologischen Kenntnissen bereits seit etwa 900 n. Chr. in ihren Siedlungsgebieten nachweisbar (vgl. Kaufmann S. 13),

dann könnte daraus abgeleitet werden, dass die Vorfahren Pipil zu den ersten Nawa- (=Nahua-)Sprechern gehörten, die (möglicherweise in einer "ersten Welle") im zentralen Hochland angekommen sind und dieses durchquert haben. Das könnte durchaus im Kontext zum Zusammenbruch von Tiahuanaco stehen (ab 650 bis 750)
Eine Bestätigung der Pipil-Wanderung hat man sogar mit ärchäologischen Kulturfunden in Beziehung gesetzt. Rafael Girard, der diese Frage in seinem einschlägigen Buch Die Ewigen Maya (erweiterte Version) aus dem Ende der 1960er Jahre) meint, daß sie in dem oben thematisch fokussierten Bereich saßen. Er sieht in ihnen frühe seßhafte Chichimeken, die den Tolteken (ebenso früh, d. h. in der Klassik), tributpflichtig waren. Hanns Prem z. B. weist auch gerne auf die Ähnlichkeit der Wanderlegenden hin und gibt Auskunft, daß man das Nonoalcat an der Golfküste; das hilft uns leider nicht sofort weiter, es sei denn, man bringt beide Vorschläge zusammen unter dem Begriff der Pipilherkunft aus so etwas wie dem, was Manzanilla u. andere (2012) als “Teotihuacan corridor to the Gulf Coast” *(Manzanilla et al., 2012)

Manzanilla et al., Caracterización de la población multiétnica de Teopancazco por isótopos estables, isótopos de estroncio y elementos traza. In: Manzanilla LR, editor. Estudios arqueométricos del centro de barrio de Teopancazco en Teotihuacan. Mexico: UNAM. 2012. pp 449–465.

Du meinst das bereits oben erwähnte Tehuácan von Mexiko und nicht die gleichnamige Fundstätte in El Salvador?

Jawohl. Girard sieht einen toponymischen Zusammenhang einem Vorschlag Walter Lehmanns folgend: "Lehmanns geographische Lokalisierung der ehemaligen Heimat der Pipil scheint zutreffend. zu sein, denn in den Ortsbenennungen der Pipil in Guatemala, El Salvador u. Honduras wiederholen sich geographische Namen aus dem Staat Puebla wie Itztapa, Zacatepec, Tehuacán, Cholula, Tilpa, Suchitepec, Chapulco usw." (Die Ewigen Maya, Teil II, Kp. 6, S.480)

3.
Man kann über die Auswertung unterschiedlicher archäologischer Fundstätten (etwa mit der Abnahme von bestimmten Grabsitten an einem Ort und der nahtlosen Übernahme und Weiterführung dieser Gebräuche an anderen Orten, mit genetischen Untersuchungen von Skelettresten und Zähnen usw.) mögliche Wanderbewegungen von Gruppen vermuten oder von Einzelpersonen belegen. Solange solche Auswertungen nicht in ausreichend großer Menge vorliegen kann man nicht sicher sein, ob die Vermutung einer Ausbreitung durch Wanderbewegung zutrifft.

Das Ergebnis ist nämlich nicht zwingend: die Änderung der Grabkultur kann auch auf die Ausbreitung einer religiösen Überzeugung, die Verbreitung von Kleidungsteilen o.ä. auf Modeerscheinungen, die Ausweitung von handwerklichen oder landwirtschaftlichen Erzeugungsmethoden samt deren Benennung von Geräten und Produkten (Kakao, Mais) auf Akkulturation zurück zu führen sein.

Erst das Gesamtbild wird zunehmend sichere Aussagen erlauben.

Es hat aber keinen Sinn, wenn du diese Abwägungen einfach überspringst, indem du dann - wie im folgenden (hier nicht mehr zitiert) den ganzen archäologischen Krimskrams auslässt und zudem ungeachtet dessen zum Chichimeken-Thema Tollan, Xolotl, u. v. m. frei assoziierst ohne Bezug zum Threadthema zu machen. Ich will mal in nächster Zeit versuchen, in einem entsprechenden Thread (z. B. hier Nahuatl, Tolteken - und ihr Einfluss auf die Maya ) darauf einzugehen.
Für die Sprache von Teotihuacan ist jedenfalls nichts gewonnen; da gibt es unterschiedliche Auffassungen, es könnte als Hauptsprache Nahua gesprochen worden sein, vielleicht nicht gleich in der Frühklassik, aber doch bald später; es könnte dort, vielleicht Popluca, wobei dann die Frage wäre: welches, oder wie Kaufman u. Campbell meinen die Eliten-Sprache eine Mixe-Zoque-Sprache gewesen, und außerdem totonakisch, was L. Campbell für das wahrscheinlich hält. Am Ende (der Klassik) wahrscheinlich eh irgendwie alles und vielleicht noch mehr! Ähnliches gilt anscheinend für das ausgangs thematisierte Tehuacán-Tal ...
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu der immer wieder ins Spiel gebrachten Jahreszahl "500 n. Chr." scheint mir an dieser Stelle der Hinweis angebracht, dass Kaufmans Jahreszahlen zur Frühgeschichte des Nawa-Sprachzweigs auf lexikostatistischen Methoden ("Glottochronologie") beruhen. Ich möchte hier keine Diskussion über diese Methoden vom Zaun brechen, sondern versuche es vorsichtig zu formulieren: Diese Methoden erlauben grobe Schätzungen, bei denen man auch mal daneben liegen kann. Sie sind an Exaktheit überhaupt nicht zu vergleichen mit datierten Inschriften, wie wir sie von den Maya kennen.
Beim Stöbern durch die méxico antiguo-Threads der vergangenen zwei Jahre stolpere ich doch über deinen wichtigen Einwand, und ich hätte eine Frage zum kritischen Hintergrund deines Argumentes, ohne dass ich sofort bei Kaufmann nachlesen möchte: Genau genommen bringt mich die Behauptung zum Nachdenken, daß die Jahreszahl 500 n. Ztr. bei ihm auf glottochronologischer Berechnung basiere. Ich verstand diese äußerst prägnant auf die Jahrtausendmitte gerundete Datum als strategisches Resumé, extrapoliert aus der chronologischen Rekonstruktion Teotihuacans. Aber unabhängig von der Basierung des Datums ist es allzu schematisch.
 
Beim Stöbern durch die méxico antiguo-Threads der vergangenen zwei Jahre stolpere ich doch über deinen wichtigen Einwand, und ich hätte eine Frage zum kritischen Hintergrund deines Argumentes, ohne dass ich sofort bei Kaufmann nachlesen möchte: Genau genommen bringt mich die Behauptung zum Nachdenken, daß die Jahreszahl 500 n. Ztr. bei ihm auf glottochronologischer Berechnung basiere. Ich verstand diese äußerst prägnant auf die Jahrtausendmitte gerundete Datum als strategisches Resumé, extrapoliert aus der chronologischen Rekonstruktion Teotihuacans.
Nein, die glottochronologischen Daten sind die Fixpunkte, an denen er seine Hypothesen festmacht, nachzulesen auf den Seiten 3-5:
"Glottochronology or lexicostatistics, as performed by Ken Hale, Morris Swadesh, Luckenbach & Levy, and Wick Miller, suggest that Pochutec broke off from General Nawa about 500 CE" etc. etc.
 
Sinnvoll ist Glottochronologie doch eh nur dort zu betreiben, wo ihr Erkenntniswert allenfalls gering ist: dort, wo man auch Belege (einigermaßen) phonetisch zu lesender Schriften hat. Da, wo sie interessant wäre, nämlich chronologisch vor den ältesten Schriftzeugnissen der Sprache x, bewegt sie sich im Spannungsfeld von Wissenschaft und Kaffeesatzleserei. In dem Sinne, dass eine wissenschaftliche Methode über ihre methodischen Grenzen hinaus, dort, wo sie sich ihrer Falsifizierbarkeit entzieht, angewandt wird.
Sprich: wir wissen, dass es Sprachwandel gibt. Anhand miteinander verwandter Sprachen können wir gemeinsame Ursprünge (mit gewissen Unsicherheiten) rekonstruieren. Ethnoarchäologie kann u.U. feststellen, wann ungefähr zwei Kulturgruppen, die z.B. anhand der Toponomastik mit Sprachgruppen identifiziert werden können, sich getrennt haben müssen. Etwa in der indoeuropäischen Sprachfamilie während der Bronzezeit, da Verwandtschaftsbezeichnungen, verbreitete Pflanzen und eben neolithische und bronzezeitliche Errungenschaften ihre Spuren im Sprachschatz hinterlassen haben.
Wenn wir das aber alles nicht haben, dann fehlt die für die Glottochronologie notwendige breite Datenbasis.
 
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