Bibel-Aramäisch

Also (לָא, auch lâh לָה) ist 'nein', auf Hebräisch lautet es (לֹא, hier ist das Vokaluzeichen der kaum sichtbare "Punkt" über dem lamed ל, das Vokalzeichen ḥōlem [auch chōlem] = o, beim Aramäischen ist es ein pata[patach], das entspricht einem "langen" a) und auf Arabisch (wobei die Verneinung der Vergangenheit im Arabischen lam mit Apokopat wäre, aber das willst du ja nicht wissen.

So, es gibt in den semitischen Sprachen i.d.R. drei Radikale, aus denen ein Wort gebildet wird. Manchmal sind es auch nur zwei Radikale (wobei sich dann meist herausstellt, dass es eigentlich geminierte Radikale sind, also zwei aufeinanderfolgende Radikale sind identisch), selten auch vier und noch seltener mehr.
Bei sein liegen die Radikale HWH oder HJH vor. (W und J sind jeweils als Halbvokale zu lesen, die können sowohl konsonantisch als auch vokalisch gebraucht werden, eben als Gleitlaut [w] bzw [j] oder als langer Vokal [ô/û] oder [î]

Dann gibt es - ich benutze hier jetzt mal die deutsche Sprechtradition der bibelhebräischen Grammmatik AK- und PK-Formen. Aformative und präformative Formen. Im Arabischen ist das Präformativ i.d.R. die Gegenwartsform (und von dieser werden Futur, Apokopat und Konjunktiv abgeleitet) und das Aformativ die Vergangenheitsform.

Was heißt präformativ und aformativ? Die grammatischen Morpheme, welche Person (Numerus und Genus) und Zeit angeben werden vorne vor die Radikale vorgestellt bzw. hinten an die Radikale angehängt.

Im Bibelhebräischen und den anderen altsemitischen Sprachen ist es so, dass man nicht von Vergangenheits und Gegenwartsform spricht, sondern von Perfekt und Imperfekt. Das AK ist Perfekt (also eine abgeschlossene Handlung) und das PK ist das Imperfekt (also eine nicht abgeschlossene Handlung). (Im Neuhebräischen als einer auf dem Althebräischen und europäischen Sprachen basierenden Kunstsprache verwendet man AK und PK nicht mehr.)

Vergleicht man das mit europäischen Grammatiken, wo wir auch Perfekt und Imperfekt kennen, so ist das letztlich so, dass das Perfekt eine "abgeschlossene Handlung in der Vergangenheit" ist während das Imperfekt eine "unabgeschlossene Handlung in der Vergangenheit ist". Im Deutschen ist diese Unterscheidung nicht mehr so richtig präsent. Ob wir sagen ich ging oder ich bin gegangen macht im Deutschen im Prinzip keinen Unterschied. In romanischen Sprachen schon.
 
Unter ܨܠܘܬܐ ܡܪܢܝܬܐ - ܘܝܩܝܦܕܝܐ
findest du die Versionen nach Matthäus (ܕܡܬܝ) und Lukas (ܕܠܘܩܐ). Es handelt sich dabei aber natürlich um Übersetzungen aus dem Griechischen. Also: Jesus hat mutmaßlich mindestens einmal oder wahrscheinlich auch mehrfach*, dieses Gebet mutmaßlich auf Aramäisch (oder doch auf Hebräisch?**) gesprochen. Dies wurde von den Evangelisten ca. 40 Jahre nach Jesu Tod auf Griechisch aufgezeichnet und für syrische Christen wieder ins Aramäische übersetzt. Wie alt diese Übersetzungen sind - also wie nah das Aramäische der Übersetzungen am Aramäischen ist, das Jesus sprach - weiß ich nicht.


*der biblische Narrativ erzählt nur von einem Mal, aber man sollte davon ausgehen, dass die Evangelisten hier zur Vereinfachung ihrer Botschaft chronologisch geglättet haben. Man sollte auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Jesus selbst - wenn die Überlieferung denn an sich historisch ist - "das" Vaterunser in mehreren Varianten vorsprach und die biblisch überlieferten Varianten gewissermaßen eine Zusammenführung der oral überlieferten jesuianischen Varianten sind.
**Umgangssprache dieser Zeit war im Nahen Osten Aramäisch, das das Hebräische als Alltagssprache verdrängte. Aber als Ritualsprache blieb Hebräisch aktiv. Insofern kann man mutmaßen, dass Jesus evtl. auch das Gebet als dem Bereich der Ritualsprache zugehörig auf Hebräisch gesprochen hat. Gemeinhin wird aber angenommen, dass die Originalsprache des Gebets Aramäisch war.
 
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