Wie groß sind die Unterschiede wirklich und gibt es sie überhaupt?

Griffel

Mitglied
Ich will mal die Gelegenheit und dieses Forum benutzen, um einer Frage nachzugehen. Die mich schon lange beschäftigt.:confused: Meine Verwandtschaft, hat gute Kontakte nach Bella Italia. Natürlich durch Urlaub entstanden.
Dabei habe ich mich mal mit einer angeheirateten Cousine unterhalten.

Sie meinte mal zu mir, dass die kulturellen Unterschiede innerhalb Italiens doch sehr groß wären. Es fällt mir schwer das zu Glauben! Da es sich bei Italien doch um ein Land handelt. Sicherlich, es mag regionale Unterschiede geben. Bei der Sprache, Küche und anderen Dingen, aber die gibt es bei uns in Deutschland auch.
So wie ich meine Cousine verstanden habe, soll der Unterschied zwischen Norditalienern und Süditalienern aber eher wie der von Deutschen und Portugiesen sein. Nur mal als willkürliches Beispiel. Verkürzt kann man es auf folgende Formel bringen:

Die Menschen im Norden von Italien sind eher wie wir Deutsche. Die Menschen im Süden eher wie die Griechen.

Aber kann man es sich so einfach machen?
Das letzte Mal als ich in Italien war, ist fast 30 Jahre her. Genauer gesagt waren wir damals in Südtirol. Und die Menschen dort, zumindest die Deutschen bzw. Österreicher, sind auch ein ganz eigenes Völkchen. Es wäre nett wenn, es mir mit eurer Hilfe gelänge, meine Wissenslücken zu schließen.
 
Griechische Dialekten werden in der Tat in einigen wenigen Orten in Süditalien gesprochen.

800px-Linguistic_map_of_Italy.png


Es gibt aber vor allem aber einen Wohlstandsunterschied zwischen dem reichen Norden und dem Mezzogiorno im Süden.
 
Das mit dem Wohlstandsgefälle war mir schon bekannt. Aber wenn, ich mich korrekt an die Unterhaltung erinnere, konnte man den Eindruck bekommen, bei den Bewohnern von Norditalien und Süditalien, handelt es sich um eigene Völker.

Natürlich weiß ich, dass Italien, ähnlich wie Deutschland, keine reine oder geradlinige Geschichte hat! Die Staatsbildung war ja auch erst Ende des 19. Jhd. abgeschlossen. Dennoch sollten die Gemeinsamkeiten klar überwiegen.

Auch in Italien gab es ja mehrere kulturelle und wirtschaftliche Zentren. Man denke an die Handelsstädte Pisa und Genua. Nicht zu vergessen, Venedig, das ja über Jahrhunderte in einer eigenen Liga gespielt hat.:cool: Deswegen habe ich eingangs meine Überschrift so gewählt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die sozialen und ökonomischen Unterschiede in Italien immer noch so groß sein sollen. Im Laufe von 60 Jahren EWG bzw. EG Mitgliedschaft, sollte sich eine Anpassung vollzogen haben. Und da ich mal ganz naiv annehme, dass die Menschen im Süden der italienischen Halbinsel nicht dümmer sind als die Landsleute im Norden, sehe ich keinen echten Grund, warum man nicht auch im Süden Industrie ansiedeln können sollte? Mal abgesehen von der Infrastruktur! Aber das ist ja kein unlösbares Problem. Oder etwa doch?
 
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die sozialen und ökonomischen Unterschiede in Italien immer noch so groß sein sollen.
Mir fällt es schwer nachzuvollziehen, weshalb...
um einer Frage nachzugehen. Die mich schon lange beschäftigt.
...es so schwierig zu sein scheint, mittels Suchbegriffen wie bspw.
sozialen und ökonomischen Unterschiede in Italien
einfach mal die Suchmaschine(n) der Wahl zu bemühen?
 
Natürlich weiß ich, dass Italien, ähnlich wie Deutschland, keine reine oder geradlinige Geschichte hat! Die Staatsbildung war ja auch erst Ende des 19. Jhd. abgeschlossen. Dennoch sollten die Gemeinsamkeiten klar überwiegen.
Gemeinsamkeiten in was genau?

Und was genau sagt Staatsbildung noch gleich über potentielle kulturelle Gemeinsamkeiten der Bevölkerung aus?




Auch in Italien gab es ja mehrere kulturelle und wirtschaftliche Zentren. Man denke an die Handelsstädte Pisa und Genua. Nicht zu vergessen, Venedig, das ja über Jahrhunderte in einer eigenen Liga gespielt hat.:cool:

Zunächstmal könnte aber mit Hinblick auf die städtischen Zentren auffallen, dass sich die bedeutenderen davon, Neben Venedig, Genua und Pisa, sicherlich vor allem auch Florenz und vor allem Mailand, potentiell aber auch solche, wie Siena, Lucca, Parma, Pavia, Verona, Ferrara oder Bologna und natürlich Rom alle in Ober- oder Mittelitalien befinden.

Was an größeren, Zentren gab es denn so im wirklichen Süden?

Neapel und Palermo sicherlich. Ansonsten auf dem italienischen Festland vielleicht noch Taranto, aber sonst?
Ehemalige Zentren aus antiker zeit, wie Capua, Brindisi, Reggio Calabria, Syracusa und Messina, wird man behaupten können, haben sich weder in vergleichbarem Sinne wie die norditalienischen Zentren über das Mittelalter hinaus in dieser Weise entwickelt, noch haben sie sich jemals in dieser Form aus größeren Herrschtaftseinheiten dauerhaft herausgelöst und ihre eigenen Einflussgebiete in diesem Sinne gebildet (jedenfalls nicht dauerhaft).

Dann kommen vor allem noch die verschiedenen Einflüsse über die Zeit hinweg dazu.

Vor allem in Süditalien gab es ja immer schon die Reste der alten griechischen Kolonisation, dazu kamen arabische Einflüsse, vor allem auf Sizilien und die Einflüsse der normannischen Zeit.
Ansonsten eben in allen Landesteilen noch diejenigen Einflüsse der umliegenden Mächte, die immer wieder nach Italien hin ausgriffen.
Vor allem im Norden wandelten sich die Verhältnisse hier ja öffters, während der Süden territorial die meiste Zeit über einigermaßen stabil blieb.


Deswegen habe ich eingangs meine Überschrift so gewählt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die sozialen und ökonomischen Unterschiede in Italien immer noch so groß sein sollen. Im Laufe von 60 Jahren EWG bzw. EG Mitgliedschaft, sollte sich eine Anpassung vollzogen haben.

Mit verlaub, warum genau sollten Unterschiede, die sich über Jahrhunderte herausgebildet haben, binnen einiger Jahrzenhnte komplett verschwinden?

Und da ich mal ganz naiv annehme, dass die Menschen im Süden der italienischen Halbinsel nicht dümmer sind als die Landsleute im Norden, sehe ich keinen echten Grund, warum man nicht auch im Süden Industrie ansiedeln können sollte? Mal abgesehen von der Infrastruktur! Aber das ist ja kein unlösbares Problem. Oder etwa doch?

Nein, von "dümmer" wird man nicht reden können, bis vor einigen Jahrzehnten, war da aber, so weit mir bekannt, ein doch recht drastisches Bildungsgefälle zwischen Nord und Süd feststellbar, was wiederrum mit der starken landwirtschaftlichen Prägung des Südens zusammenhängen mag.
Ist ja überhaupt nicht verwunderlich, dass wenn große Städte als Zentren auch der Wissensvermittlung schlicht fehlen, bei gleichzeitig nicht bombiger Infrastruktur, dass die weitergehende Bildung große Bevölkerungsteile im Süden zunächst mal nicht erreichte.
Gründe, warum das im Süden mit der Industrie nicht so einfach ist?

Ich würde mal behaupten ein ganz wesentlicher Grund, warum es in Italien mit Industrie schon immer schwierig gewesen ist, besteht darin, dass Italien als Land ziemlich arm an Schlüsselrohstoffen ist. Das Problem hatte es schon im 19. und 20. Jahrhundert, im Besonderen, dass es zwar ein paar Erz- aber über so gut wie keiine abbaufähigen oder abbauwürdigen Kohlevorkommen verfügte.
Kohle als Betriebsstoff, musste von italienischer Seite stets importiert werden, je nach politischer Lage vor allem aus Großbritannien, Deutschland oder Belgien.

Mit dem Aufkommen der Eisenbahn, hatte in dieser Hinsicht Norditalien, nachdem man einmal so weit war Güter auch tatsächlich in größerem Stil über die Alpen bekommen zu können einen gewissen Standortfortein, zumal auch die bedeutenderen Häfen des Landes im Norden liegen.

Und wenn wir über die EWG und die EG reden und den gemeinsamen Wirtschaftsraum, war es auch hier sicherlich verkehrsgünstiger in Norditalien zu produzieren, als im Süden.
In Richtung Süden ergaben sich ja im Gegensatz zum Norden dadurch keine weiteren Absatzmärkte, dafür stieg aber natürlich der Konkurrenzdruck, den die bereits bestehende italienische Industrie im Norden sicher besser aushalten konnte, als potentielle "Neuanpflanzungen" im Süden.

Wie genau eine Gegend industrialisieren, die kaum über Rohstoffe und Betriebsmittel für eine moderne Industrie verfügt, deren verkehrstechnische Anbindung verglichen mit dem Norden des Landes eher nachteilig ist, und die sich einen Konkurrenzkampf mit bereits bestehender Industrie im Norden und dann auch mit der der anderern EWG-Staaten hätte leisten müssen?

Süditalien fehlten für eine frühere Industrialisierung schlicht die Voraussetzungen oder die Bedingungen waren mindestens wesentlich ungünstiger, als im Norden. Und ich sehe nicht, wo die EWG daran substanzielles geändert haben sollte.
 
Ich will mal die Gelegenheit und dieses Forum benutzen, um einer Frage nachzugehen. Die mich schon lange beschäftigt.:confused: Meine Verwandtschaft, hat gute Kontakte nach Bella Italia. Natürlich durch Urlaub entstanden.
Dabei habe ich mich mal mit einer angeheirateten Cousine unterhalten.

Sie meinte mal zu mir, dass die kulturellen Unterschiede innerhalb Italiens doch sehr groß wären. Es fällt mir schwer das zu Glauben! Da es sich bei Italien doch um ein Land handelt. Sicherlich, es mag regionale Unterschiede geben. Bei der Sprache, Küche und anderen Dingen, aber die gibt es bei uns in Deutschland auch.
So wie ich meine Cousine verstanden habe, soll der Unterschied zwischen Norditalienern und Süditalienern aber eher wie der von Deutschen und Portugiesen sein. Nur mal als willkürliches Beispiel. Verkürzt kann man es auf folgende Formel bringen:

Die Menschen im Norden von Italien sind eher wie wir Deutsche. Die Menschen im Süden eher wie die Griechen.

Aber kann man es sich so einfach machen?
Das letzte Mal als ich in Italien war, ist fast 30 Jahre her. Genauer gesagt waren wir damals in Südtirol. Und die Menschen dort, zumindest die Deutschen bzw. Österreicher, sind auch ein ganz eigenes Völkchen. Es wäre nett wenn, es mir mit eurer Hilfe gelänge, meine Wissenslücken zu schließen.

Sizilianisch und Italienisch sind zumindest so nahe miteinander verwandt, dass Norditaliener aus Friul oder Venetien mit Sizilianern sich ohne Mühe verständigen können.

Die Sizilianische Sprache gilt je nach Standpunkt als Dialekt der Italienischen Sprache oder als eigenständige (romanische) Sprache.

Sizilianisch hat tatsächlich im Vokabular Anleihen aus dem Griechischen.
Einige Beispiele: Caruso (ital. ragazzo) Griechisch kouros = Der Junge
babiari babazo = herumalbern.
babalucia boubalikon = die Schnecke
tuppuliari typto = klopfen
naca nake = Wiege
nicu nikros, mikros =klein.


Weitere Einflüsse auf die Sizilianische Sprache stammen aus dem Franko-Normannischen, aus dem Arabischen und aus dem Spanischen.

Sizilianische Sprache – Wikipedia
 
Das mit dem Wohlstandsgefälle war mir schon bekannt. Aber wenn, ich mich korrekt an die Unterhaltung erinnere, konnte man den Eindruck bekommen, bei den Bewohnern von Norditalien und Süditalien, handelt es sich um eigene Völker.

Natürlich weiß ich, dass Italien, ähnlich wie Deutschland, keine reine oder geradlinige Geschichte hat! Die Staatsbildung war ja auch erst Ende des 19. Jhd. abgeschlossen. Dennoch sollten die Gemeinsamkeiten klar überwiegen.

Auch in Italien gab es ja mehrere kulturelle und wirtschaftliche Zentren. Man denke an die Handelsstädte Pisa und Genua. Nicht zu vergessen, Venedig, das ja über Jahrhunderte in einer eigenen Liga gespielt hat.:cool: Deswegen habe ich eingangs meine Überschrift so gewählt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die sozialen und ökonomischen Unterschiede in Italien immer noch so groß sein sollen. Im Laufe von 60 Jahren EWG bzw. EG Mitgliedschaft, sollte sich eine Anpassung vollzogen haben. Und da ich mal ganz naiv annehme, dass die Menschen im Süden der italienischen Halbinsel nicht dümmer sind als die Landsleute im Norden, sehe ich keinen echten Grund, warum man nicht auch im Süden Industrie ansiedeln können sollte? Mal abgesehen von der Infrastruktur! Aber das ist ja kein unlösbares Problem. Oder etwa doch?

Auf Sizilien sollte mal ein Staudamm gebaut werden. Mit dem Bauprojekt hätten allerdings die lokalen Mafia-Fürsten, die die örtlichen Wasserrechte besaßen beträchtliche Einbußen erlitten, ergo hat die Mafia erfolgreich das Projekt verhindert. Es wurden Maschinen sabotiert, Arbeiter eingeschüchtert, Arbeiter zusammengeschlagen und letztlich der Bau verhindert.
 
Sizilianisch und Italienisch sind zumindest so nahe miteinander verwandt, dass Norditaliener aus Friul oder Venetien mit Sizilianern sich ohne Mühe verständigen können.

Die Sizilianische Sprache gilt je nach Standpunkt als Dialekt der Italienischen Sprache oder als eigenständige (romanische) Sprache.

Sizilianisch hat tatsächlich im Vokabular Anleihen aus dem Griechischen.
Einige Beispiele: Caruso (ital. ragazzo) Griechisch kouros = Der Junge
babiari babazo = herumalbern.
babalucia boubalikon = die Schnecke
tuppuliari typto = klopfen
naca nake = Wiege
nicu nikros, mikros =klein.


Weitere Einflüsse auf die Sizilianische Sprache stammen aus dem Franko-Normannischen, aus dem Arabischen und aus dem Spanischen.

Sizilianische Sprache – Wikipedia

Ob Italiener aus Friul oder Venetien Sizilianer wirklich automatisch verstehen würde ich doch bezweifeln. Manche Bajuwaren oder auch Plattdeutsch-Sprecher muss man untertiteln, und auch manche alemannischen Dialekte sind für Hochdeutsch-Sprecher schwer verständlich, obwohl es die gleiche Sprache ist. Einige halten Sizilianisch für einen italienischen Dialekt, andere für eine eigene Sprache.

Hier vielleicht mal ein Beispiel: Brucia la luna ist ein sizilianisches Volkslied, in dem es um vergangene Liebe geht.

Der Song ist die Vorlage für das Leitmotiv in der Godfather Trilogie von Francis Ford Coppola.

Brucia la luna in cielu e iu brucia d´amuri
Focu che si consuma como lu me cori
L´anima chianchi addulurata
Un si da paci chista mala nuttata

Brucia terra mia e abrucia lu me cori
Ci siti acqua idda e iu siti d´amuri
Allura canta la me canzuni?

Lu tempo passa ma un agghiorna
Un ce mai suli s´idda non torna


Brucia la terra mia e abrucia lu me cori
Ci siti d´acqua idda e iu siti d´amuri
Allura canta la me canzuni
Si un ce nuddu ca s´affacia
A lu barcuni

Übersetzung:

Der Mond brennt am Himmel und ich brenne vor Liebe
Die Flamme verzehrt mein Herz
Meine Seele schreit voller Schmerz
Was für eine schreckliche Nacht
Die Zeit vergeht, aber da ist keine Dämmerung
Da ist kein Sonnenschein
Wenn sie nicht zurückkehrt

Meine Erde brennt, und mein Herz brennt
Wie sehnt sie sich nach Wasser
Wie sehne ich mich nach Liebe
Wer wird mein Lied singen
Wenn da keine mehr ist
Die auf dem Balkon steht.


Mir fällt vordergründig nur auf , dass im Italienisch statt cielu, cielo, statt amuri amore statt barcuni balcone usw. stehen würde. In der Aussprache erinnert mich Sizilianisch ein bisschen an Rumänisch, ein wenig an Portugiesisch, und Sizilianisch ist weit schwerer verständlich als Italienisch für jemanden mit Lateinkenntnissen und Grundkenntnissen in Spanisch.

Mich würde mal interessieren, ob Romanisten dazu vielleicht noch mehr sagen können.
 
Einige halten Sizilianisch für einen italienischen Dialekt, andere für eine eigene Sprache.

Das Problem ist, dass es gar nicht so einfach ist, zwischen Sprache und Dialekt zu unterscheiden. Nur manche Dialekte nehmen halt eine überregional bedeutsame Stellung ein, weil sie zur Literatur- und Verwaltungssprache ausgebaut werden, d.h. stärker normiert und geregelt, als die Übrigen Dialekte, man spricht da von Ausbausprache oder sprachlicher Überdachung/Dachsprache, weil der zur Standardsprache gewordene Dialekt nun stärkeren Einfluss auf die anderen Diakekte bekommt. Im Italienischen war das in erster Linie der florentinische Dialekt.

Rothazismus (balcone > barcuni) und Lamdazismus können Kennzeichen einer sprachlichen Differenzierung sein, so unterscheidet sich das Galicisch-Portugiesische etwa von der Restromania durch seinen Rhotazismus:
Plata - prata
Obligado - obrigado
almacén - armacem (arab. al-maẖzan)
Playa - praia (plage, piaggia)
Plaza - praza (piazza, place, Platz)
Sie sind es aber nicht zwingend, so findet sich auch im Andalusischen der Rhotazismus vereinzelt wieder, etwa el hombre > er hombre
Rothazismus reicht also nicht aus, um einen Dialekt zur Sprache zu erklären,

Auch Sondervokabular ist durchaus typisch für Dialekte. Denk nur an die vielen Dutzend Worte im Deutschen für Butterbrot.
Mobile Phone (britisches Englisch)
Cellular Phone (amerikanisches Englisch)
móvil (spanisch)
celular (amerikanisches Spanisch)
Ordenador (Spanisch) - computadora (amerikanisches Spanisch)
Aguacate (mesoamerikanisches Spanisch) - palta (Andenspanisch)
Chili (mesoamerikanisches Spanisch) - ají (Andenspanisch)

Auch phonetisch gibt es durchaus Unterschiede. Wo das Europaspanische Akzente setzt, dehnt das Amerikaspanische die Vokale. Im Ecuadorianischen wird -o oft zu [-u] und im Argentinischen wird ⁠[ʎ⁠]/[ ⁠ʝ⁠] zu [⁠ʒ⁠] oder gar [⁠ʃ⁠]. Und obwohl das Argentinische noch Sonderwortschatz und -grammatik hat (tu eres > vos sos) hat - wie im Übrigen auch das Chilenische (entiendes? > cachai?) - ist es dennoch unzweifelhaft Spanisch.

Will sagen: die von Dir aufgeführten Unterschiede reichen nicht für die Unterscheidung von Dialekt oder Sprache - und sind doch hinreichend.
 
Das mit dem Wohlstandsgefälle war mir schon bekannt. Aber wenn, ich mich korrekt an die Unterhaltung erinnere, konnte man den Eindruck bekommen, bei den Bewohnern von Norditalien und Süditalien, handelt es sich um eigene Völker.

Natürlich weiß ich, dass Italien, ähnlich wie Deutschland, keine reine oder geradlinige Geschichte hat! Die Staatsbildung war ja auch erst Ende des 19. Jhd. abgeschlossen. Dennoch sollten die Gemeinsamkeiten klar überwiegen.

Auch in Italien gab es ja mehrere kulturelle und wirtschaftliche Zentren. Man denke an die Handelsstädte Pisa und Genua. Nicht zu vergessen, Venedig, das ja über Jahrhunderte in einer eigenen Liga gespielt hat.:cool: Deswegen habe ich eingangs meine Überschrift so gewählt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die sozialen und ökonomischen Unterschiede in Italien immer noch so groß sein sollen. Im Laufe von 60 Jahren EWG bzw. EG Mitgliedschaft, sollte sich eine Anpassung vollzogen haben. Und da ich mal ganz naiv annehme, dass die Menschen im Süden der italienischen Halbinsel nicht dümmer sind als die Landsleute im Norden, sehe ich keinen echten Grund, warum man nicht auch im Süden Industrie ansiedeln können sollte? Mal abgesehen von der Infrastruktur! Aber das ist ja kein unlösbares Problem. Oder etwa doch?

Natürlich sind die Bewohner Süditaliens nicht dümmer, als die in Norditalien. Es ist aber das Bildungssystem im Norden der Halbinsel weitaus besser ausgebaut. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, war Analphabetismus sehr weit verbreitet, und nur wenige Kinder gingen regelmäßig zur Schule, und Mädchen erhielten überhaupt keine Bildung. Vielfach wurde die Arbeitskraft der Kinder in der Landwirtschaft gebraucht.

Dann hat Süditalien und Sizilien auch eine Menge an Humankapital verloren. Junge Leute, gut ausgebildete Leute verließen zu Tausenden das Land, suchten in den USA, in Norditalien, Deutschland oder Frankreich sich eine Existenz aufzubauen.

In Süditalien und auf Sizilien gaben Rentiers und Großgrundbesitzer den Ton an

- Süditalien und Sizilien sind arm an Rohstoffen, arm an Wasser, arm an Bodenschätzen.

- Es fehlt an Infrastruktur

- Es sind Süditalien und Sizilien verkehrsmäßig ungünstig gelegen.
- Schließlich ist auch die organisierte Kriminalität ein enormes Problem. Die Mafia oder Camorra bildet(e) in Süditalien und auf Sizilien durchaus so etwas wie eine zweite Regierung.
Es sind ganze Familien auf Sizilien, Sardinien oder in Kalabrien Fehden, Blutrache und Vendettas zum Opfer gefallen.

Welcher Unternehmer würde gerne ein Unternehmen gründen, wo die nötige Infrastruktur erst gebaut werden muss, wo erst einmal größere Investitionen getätigt werden müssen, bevor man (vielleicht) etwas verdient?
Wo qualifizierte Fachkräfte rar sind, weil sie dort keine Zukunft hatten.
Wo dann, wenn etwas verdient wird der lokale Capo der Mafia oder Camorra dem Unternehmer ein Angebot macht, das er nicht ablehnen kann und Schutzgeld oder Gewinnbeteiligung fordert.
Wo, gibt man solchen Erpressungen nicht nach Maschinen sabotiert und Arbeiter eingeschüchtert werden oder der Unternehmer umgebracht wird.
Wo die Mafia oder Camorra seit 100 Jahren fest verwurzelt ist und durchaus auch einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung hat.
Wo die organisierte Kriminalität vielfach staatliche Organisationen infiltriert hat, wo die Mafia oder Camorra Einfluss auf Medien, Wirtschaft und Politik ausübt und vielfach verflochten ist.
 
- Es sind Süditalien und Sizilien verkehrsmäßig ungünstig gelegen.

Da würde ich allerdings widersprechen. Süditalien und Sizilien liegen immerhin direkt am Meer und der Transport von Gütern per Schiff gilt ja immer noch als der günstigste. Und dann liegen beide auch noch an einer der wichtigsten Schifffahrtslinien der Welt. Normalerweise kommt fast jedes Schiff, dass von Westeuropa oder Nordeuropa nach Asien fährt, an Sizilien vorbei, zumindest wenn man im Roten Meer nicht gerade von Terroristen mit Raketen beschossen wird. Dass die normalerweise dort nicht anhalten, ist ja kein Naturgesetz, sondern liegt eben daran, dass dort wirtschaftlich nicht viel los ist. Bei entsprechendem Ausbau könnte aber z. B. ein Hafen auf Sizilien oder in Süditalien eine Hubfunktion für Teile des Mittelmeeres haben, wo Container von den Containerriesen im Linienverkehr auf der Asienroute in kleine Feederschiffe umgeladen werden, um damit andere Häfen z. B. an der Adria oder in Nordafrika zu bedienen, ähnlich wie Hamburg für Skandinavien und den baltischen Raum. Aber auch ohne so eine Hubfunktion kann man von Sizilien oder Süditalien immer noch seinerseits mit Feederschiffen Waren z. B. nach Marseille oder Genua transportieren und hat dadurch kostengünstig Anschluss an den Welthandel.

Ein Nachteil gegenüber Norditalien ist natürlich, dass man nicht im Gebiet der Blauen Banane liegt, aber das Schicksal teil man ja mit dem größten Teil Europas. Jedenfalls kann ich nicht erkennen, dass Sizilien und Süditalien ungünstiger lägen als etwa Dänemark, Schweden oder Finnland, die ja wirtschaftlich durchaus prosperieren.

Daher denke ich, dass die Problem schon zum größten Teil hausgemacht sind. Du hattest ja auch schon viele hausgemachte Probleme aufgezählt, die die Regionen auch wirtschaftlich zurückhalten.

Edit:

Hier noch der Link zur Blauen Banane:

Blaue Banane – Wikipedia
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn organisierte Kriminalität zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in einer Region wird, dann wird das in einem zweiten Schritt auch dazu führen, dass man Wirtschaftszweige etabliert, die dazu dienen, das Geld aus kriminellen Aktivitäten zu waschen. In einem dritten Schritt ist dann organisierte Kriminalität in der Lage das nunmehr gewaschene Geld auch in legale Wirtschaftszweige zu investieren und das Wirtschaftsleben einer Region zu dominieren, so dass organisierte Kriminalität schließlich zu einem Konkurrenten und Herausforderer des Staates zu agieren. Staatliche Schutzfunktionen greifen nicht mehr, aus staatlichen Fürsorgeprojekten zieht der Staat sich zurück.

Da entstehen dann Strukturen, in denen es weniger auf Verdienst, Leistung und Können ankommt, als auf Loyalität gegenüber den Freunden der Freunde.

Den Job bekommt man vom Capo, wenn es bei Prüfungen Probleme gibt, dann schickt der jemanden nach Palermo oder Salerno, der mal mit den Professoren redet.

Die Mafia entsendet eigene Kandidaten ins Parlament, betreibt Krankenhäuser, in denen der Bevölkerung kostenlose medizinische Versorgung angeboten wird.

In Mario Puzos Godfather-Epos erscheint der alte Don Vito streckenweise fast als Wohltäter. Der für seinen Patensohn Johnny Fontane die Dinge regelt, der Enzo dem Bäcker die Aufenthaltserlaubnis verschafft und dafür sorgt, dass Signora Columbo ihren Hund halten darf.

Das ist natürlich total überzeichnet, aber das Wesen der Herrschaft der Mafia oder Cosa Nostra wird schon recht gut getroffen. Ein System das auf Terror, Loyalität und Omerta-absolute Verschwiegenheit basiert.

Das ist ein System das sich in mehreren Hundert Jahren entwickelt hat, das die Gesellschaft dominierte. Anzunehmen, das müsse sich mit ein paar EU-Subventionen oder EU-Kommissaren regeln lassen, ist tatsächlich reichlich naiv.

Ein demokratischer Staat tut sich mit der Bekämpfung organisierter Kriminalität schwer. Die Bundesrepublik z. B. hatte schon ein Problem, überhaupt einzuräumen, dass es organisierte Kriminalität in der BR gibt.

Mussolini und dem faschistischen Staat gelang es tatsächlich, in Sizilien die Mafia fast völlig zu neutralisieren. Das waren allerdings Methoden, bei denen jeder auch nur am Rande Verdächtige getötet oder inhaftiert wurde und bei denen natürlich auch sehr viele Unschuldige betroffen wurden. Im Grunde hat Mussolinis Präfekt auch nicht die Methoden eines Rechtsstaats, nicht einmal die eines sehr ruppigen Polizeistaates, sondern die eines übermächtigen Konkurrenten, eines Gangsters oder Mobsters, eines Capo de tutti Capi mit der vollen Staatsautorität hinter sich, der alle Konkurrenten erledigt, so wie Michael Corleone die Häupter der New Yorker Familien erledigt und deren Geschäfte und Funktionen übernimmt.
Bricht dann ein solcher autoritärer Staat zusammen, übernehmen alsbald wieder Vertreter der organisierten Kriminalität die Macht.

Das Wort Maffia bezeichnete wohl mal einen geheimen Ort, und wurde von Geheimbünden benutzt, die im 19. Jahrhundert entstanden. Es gab auch Verflechtungen zu Briganten und Banditen. Die sogenannten Gabelotti waren so etwas wie Verwalter, die die Güter meist adeliger abwesender Großrundbesitzer gegen Banditen und landlose Bauern schützten. Mit der Zeit verselbständigten sich die Gabelotti. Die Adeligen aus dem Norden verloren die Kontrolle, den Einfluss und zuletzt auch den Besitz selbst am Land.

Die Maffia, die vielleicht einmal als Geheimbund der land- und besitzlosen Landbevölkerung entstanden war, wurde so selbst zu Großgrundbesitzern und Patronen, als deren Verwalter sie mal angefangen hatten. Die Mafia vertrat rücksichtslos die Interessen der Besitzenden.

Eine Anekdote mag das veranschaulichen.

Die bedeutendste Frucht auf Sizilien war die Zitrone. Die Navy hatte entdeckt, dass Zitronensaft wirksam gegen Skorbut hilft. Die Navy kaufte Unmengen an Zitronen aus Sizilien auf. 1846 stiegen sie auf Limetten aus der Karibik um, obwohl der Vitamin C-Gehalt geringer ist. Für die Zitronenplantagen waren hohe Ibvestitionen nötig, Wege musten gebaut werden, Plantagen bewässert und gegen Diebe geschützt werden.

Im Umfang mit dem Zitronenhandel entstanden die ersten Schutzgeld-Erpressungen. Die Mafia schützte die Plantagen, erschoss oder verprügelte Ziotronendiebe. Sie kassierte mit ab für Wasserrechte, Versicherungen. Sie setzte Preise fest, und mit dem Zitronenhandel entstanden auch Geschäftsverbindungen nach Nordamerika.

Der Südfrüchtehandel war natürlich auch gut geeignet, Geld zu waschen und legale Geschäftsfelder zu betreiben, ähnlich wie der alte Corleone sich als Importeur von Olivenöl betätigt und Michael Corleone mit dem Glückspiel.
 
Vielleicht mal ein Erklärungsansatz aus historischer Perspektive, über den ich vor einigen Jahren einen Vortrag gehört habe: Süditalien war seit eh und je unter Fremdherrschaft. Im Hochmittelalter herrschten Normannen und Staufer, während sich in Norditalien selbständige Kommunen herausbildeten. In diesen Städten war totale Willkür-Herrschaft die Ausnahme, stattdessen konnten sich die Bürger darauf verlassen, dass bestimmte gesellschaftliche Spielregeln eingehalten werden. Das führte zur Heraudbildung von sogenanntem Sozialkapital, das insbesondere in gegenseitigem Vertrauen von ansonsten einander unbekannten Personen besteht und für wirtschaftlichen Erfolg einer Region sehr wichtig ist. In Süditalien ist dieses Vertrauen deutlich geringer als im Norden (das kann man in Befragungen messen), und nach dieser Theorie ist das schon seit dem Mittelalter so.
 
In diesen Städten war totale Willkür-Herrschaft die Ausnahme, stattdessen konnten sich die Bürger darauf verlassen, dass bestimmte gesellschaftliche Spielregeln eingehalten werden.

Ich fürchte, dass idealisiert die Zustände in den oberitalienischen Kommunen etwas, bzw. spielt die Außeinandersetzungen innerstädtischer Adelscliquen und andere laufend schwelenden Machtfragen etwas sehr herunter.
Die Auseinandersetzungen, der verschiedenen Parteiungen innerhalb der Städte konnte mitunter bürgerkriegsähnlichen Charakter annnehmen.

Konsequenz vor allem der Fehde-ähnlichen Auseinanderstzungen der Adelsparteiungen in den kommunen, war dann auch, dass die großen Familien in den oberitalienischen Städten so genannte "Geschlechtertürme" errichteten, die zwar letztenndlich auch einen Repräsentativcharakter hatten, ihren Besitzern aber vor allem vor allem bei gewaltätigen Auseinandersetzungen als innerstädtische private Kleinstfestungen dienten, in denen sich das schlimmste Toben meist aussitzen ließ.
Der Umstand, das wer immer innerhalb des städtischen Adels etwas auf sich hielt, sehr schnell dazu überging, sich innerhalb der Stadt sozusagen einen eigenen "Privatbunker" zu bauen, spricht nicht unbedingt für besonderes Vertrauen gegenüber den anderen Einwohnern der Stadt oder die konsequente Aufrechterhaltung von Recht und Gesetz sondern eher für das Gegenteil.

Vielfach sind diese Bauten heute nicht mehr vorhanden, wer allerdings mal nach Bologna kommt, kann das Phänomen noch in Natura betrachten, da sind heute noch 20 alte "Geschlechtertürme" ganz oder zum Teil erhalten.
Allerdings standen in der Stadt einmal bis zu 180 davon.

Geschlechterturm – Wikipedia


Auch ansonsten halte ich die Argumentation für ein wenig fragwürdig:

- Mit der Form der "Signoria", als dem sich selbst verwaltenden, eigenständigen Stadtstaat in Norditalien geht es im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit bereits wieder rapide bergab und außer in Venedig und Genua, mit Abstrichen vielleicht Bologna (so es periodisch gelang die päpstlichen Machansprüche in der Romagna anzufechten), blieb davon eigentlich nicht mehr viel übrig.
In Mailand und Florenz übernahmen (freilich mit Unterbrechungen durch republikanische Systeme, in Florenz auch mit unterbrechung durch eine kurze de facto theokratische Phase, während der Machtausübung Savonarolas) fürstliche Geschlechter die Kontrollen und bauten da im Prinzip seit dem Spätmittelalter (Mailand eigentlich schon früher) Territorialherrschaften auf, in denen die meisten eigenständigen Kommunen untergingen, zeitgleich mit Mailands Expansion entstand die venezianische "Terra Ferma", die sehr schnell ehemals eigenständige Kommunen wie Verona, Padua und Treviso schluckte.
Was neben Venedig und Genau an Stadtstaaten (wobei angesichts der Gebiete die sie beherrschten schon fraglich wäre, ob man sie noch als solche bezeichnen konnte) längerfristig blieb, waren mit einigem guten Willen Ferrara, Mantua, Lucca und vielleicht noch Parma und Modena, wobei gerade letztere zwei allerdings im Prinzip Territorialherrschaftskomplexe bildeten.
So viel blieb davon auf dauer nicht.

Und das gerade in Norditalien unter den Bedingungen der ständigen Kriege und Kleinkriege der Adelsparteien in den Städten und bei den ganzen Auseinandersetzungen der klein und Mittelstaaten und und dem Treiben von mitunter großen Söldnerbanden besonderes Vertrauen gegenüber Fremden entstanden sein soll, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Süditalien wurde sehr lange fremdbeherrscht (die Lombardei übrigens auch), aber diese Herrschaft war wenigsten stabil und brachte eher selten kriegerische Verwicklungen mit sich.
In Norditalien hielten sich die auswärtigen Mächte zwar nicht ganz so lange, dafür missbrauchten Habsburger, Trastamara, Valois und Bourbonen Nordtialien allerdings alle paar Jahre als Austragungsort für ihre Zwistigkeiten, so dass die Region in hübscher Regelmäßigkeit durch Kampfhandlungen und Verwüstungen der Heere auswärtiger Potentaten betroffen war, was das Vertrauen in Fremde nicht gerade gestärkt haben dürfte.

Es ist in diesem Sinne bezeichnent, dass bereits Niccolò Machiavelli am Ende seines "Il Principe", den er Lorenzo de Medici gewidtmet hatte, dazu aufrief, Italien von der Fremdherrschaft zu befreien und die "Barbaren" aus dem Land zu drängen.
Das schrieb er als Florentiner, der anders als die Neapolitaner und Süditaliener und anders als neuerdings die Mailänder von auswärtiger Fremdherrschaft überhaupt nicht betroffen war.



Wenn es darum ging, einigermaßen stabileund berechenbare Strukturen zu schaffen, die dazu geeignet waren in geewissem Maße Sicherheit zu geben, dann hatte Süditalien mit seiner Geschichte seit dem Hochmittelalter eigentlich viel bessere Indikatoren, als Norditalien.

Ich würde mich demgegenüber sogar zu der These versteigen wollen, dass die schwache Ausprägung staatlicher Gewalt in Süditalien, die die entsprechenden Freiräume für die organisierte Kriminalität geschaffen hat, vor allem darauf zurückgeht, dass im Gegensatz zur kriegerischen Vergangenheit Norditaliens, die langen stabilen Friedensperioden, die Süditalien vergönnt waren, einfach nicht die glichen Herausforderungen an Staatlichkeit stellten, wie sie im Norden gegeben waren.

Auch die eher schwache Ausprägung der Urbanisation und die starke Herausbildung von Latifundienwirtschaft, im krassen Gegensatz zu Teilen Norditaliens (in Mittelitalien relativiert sich das etwas), mag mit der fortgesetzten territorialen Stabilität des Raums zusammenhängen, die die Herausbildung regionaler Machtzentren zu Gunsten Neapels eher behinderte (mit Ausnahme des Nebeneinanders von Festland-Territorium und der Insel Sizilien) und lange kontinuierliche Akkumulationprozesse ermöglichte, die anders als im Norden nicht permanent durch Kriege und politische Umbrüche unterbrochen und wieder umgewälzt wurden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und das gerade in Norditalien unter den Bedingungen der ständigen Kriege und Kleinkriege der Adelsparteien in den Städten und bei den ganzen Auseinandersetzungen der klein und Mittelstaaten und und dem Treiben von mitunter großen Söldnerbanden besonderes Vertrauen gegenüber Fremden entstanden sein soll, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Trotzdem waren die norditalienischen Städte im Hoch- und Spätmittelalter außerordentlich erfolgreich. Und nicht zufällig hat sich gerade dort das moderne Bankgeschäft entwickelt, eine Branche, deren Existenz sozusagen auf gegenseitigem Vertrauen fußt.
 
In diesen Städten war totale Willkür-Herrschaft die Ausnahme, stattdessen konnten sich die Bürger darauf verlassen, dass bestimmte gesellschaftliche Spielregeln eingehalten werden. Das führte zur Heraudbildung von sogenanntem Sozialkapital, das insbesondere in gegenseitigem Vertrauen von ansonsten einander unbekannten Personen besteht und für wirtschaftlichen Erfolg einer Region sehr wichtig ist.
Ergänzung zu Shinigamis Beitrag:
Auch wenn viele Städte zumindest vorübergehend republikanisch regiert wurden, waren sie weder Demokratien noch Rechtsstaaten - dafür aber oft von zahlreichen inneren Auseinandersetzungen heimgesucht. Diese endeten oft zumindest mit der Exilierung der unterlegenen Seite. (Dante lässt grüßen.) Diese fand sich damit oft freilich nicht ab, sondern strebte (auch mit Gewalt) nach der Rückkehr. Falls ihr das gelang, folgte nicht unbedingt die Versöhnung, sondern die Tötung oder Exilierung der nun Unterlegenen. Und so weiter ...
Kleineren Städten drohte obendrein laufend, von größeren Städten in ein Abhängigkeitsverhältnis gezwungen zu werden - und wehe dem, der sich widersetzte.
Höchst unruhige Zeiten also. Sicherheit konnte es so wohl kaum geben.
 
Zurück
Oben