Theologische Änderung durch spätantike Bekehrungen

Das ist vielleicht eine Frage von allgemeinem Interesse: Ich nehme mal an, dass sämtliche Quellen den vandalischen Glauben als arianisch bezeichnen (homöisch ist ja sowieso ein neuzeitlicher Begriff). Möglicherweise rechtfertigt diese Tatsache schon die weitere Bezeichnung als Arianer, auch wenn wir heute meinen, dass die vandalische Theologie der von Wulfila entsprochen habe und sich diese von der des Arius deutlich unterschieden habe.

Als hinkender Vergleich: Vielleicht sollten Historiker heutzutage auch gar nicht mehr von Goten, Vandalen und so weiter als Barbaren sprechen, weil wir heute wissen, dass diese abwertende Bezeichnung nicht gerechtfertigt war.
 
(Prokop bezeichnet Goten, Vandalen, Gepiden, Heruler als "gotische Stämme" mit derselben Sprache, aber unterschiedlichen Namen - ob sein Urteil da zutrifft?)
Die fragmentarischen Sprachzeugnisse des Wandalischen fügen sich jedenfalls nahtlos ins Gotische ein:

"Das Ergebnis der folgenden Untersuchung wird sein, dass die Ergebnisse Wredes in Details zu korrigieren sind, aber die Korrekturen die Wirkung haben, dass wir mit noch größerere Sicherheit als früher sagen können, dass man keine Unterschiede zwischen Wandalisch und Gotisch nachweisen kann."
Hermann Reichert, Sprache und Namen der Wandalen in Afrika (2009)

Sprache und Namen der Wandalen in Afrika
 
Jetzt ist bei mir der Groschen gefallen: die Vandalen, Ost-&Westgoten, Gepiden (?), Langobarden u.a. german. Kriegsverbände der Völkerwanderungszeit waren homöisch, was aber von nicänischer Seite als "arianisch" im Sinne von ketzerisch bezeichnet wurde (was wohl ebenso auf Donatisten zutraf)
Insofern meint das Schlagwort "arianische Germanenreiche" streng genommen "homöische", da streng genommen "arianisch" halt ganz explizit auf Arius' Lehre bezogen sein müsste.
...die heutige wissenschaftliche Begriffs"strenge" war den Quellen des 4., 5., 6. Jhs. allerdings noch nicht geläufig.

Siehe Beitrag 33....

Natürlich waren die vermeintlich 'arianischen' Goten-/Germanengruppen tatsächlich homöisch. Natürlich gab es auch orthodoxe/katholische Germanen-/Gotengruppen, wie die Franken oder die Krimgoten; die Krimgoten, die übrigens ebenfalls die Wulfila-Bibel beispielsweise bei ihren Gottesdiensten ihrer Gemeinden in Konstantinopel unter Patronage von Bischof Johannes Chrysostomos nutzten, von welcher im 19. Jh und noch sehr weit im 20. Jh. behauptet wurde, sie wäre 'arianisch'.
 
Das ist vielleicht eine Frage von allgemeinem Interesse: Ich nehme mal an, dass sämtliche Quellen den vandalischen Glauben als arianisch bezeichnen (homöisch ist ja sowieso ein neuzeitlicher Begriff). Möglicherweise rechtfertigt diese Tatsache schon die weitere Bezeichnung als Arianer, auch wenn wir heute meinen, dass die vandalische Theologie der von Wulfila entsprochen habe und sich diese von der des Arius deutlich unterschieden habe.

Das meinen 'wir' heute nicht nur, und es ist historisch sowieso nachweisbar, dass die Vandalen das homöische Bekenntnis rezipiert hatten und nicht die Position des Arius. Und der Begriff 'homöisch' wurde bereits in der Spätantike von den Vertretern des entsprechenden Bekenntnis verwendet.
 
Siehe nochmals Betrag 33, und die Antwort von Hanns-Christof Brennecke an mich,

[...]
Die von mir gewählte Formulierung in der Abschiedsvorlesung ist an der kaiserlichen Religionsgesetzen seit Theodosius orientiert, die eben sehr deutlich zwischen Arianern, Makedonianern und Eunomianern unterscheidet, die in den theologischen Auseinandersetzungen alle als »Arianer« angesehen wurden (z.B. bei Athanasius). Die in den Gesetzen als Makedonianer (nach einer ihrer prägenden Führungsgestalten: Makedonius von Konstantinopel) Bezeichneten, sind eine im Osten ziemlich verbreitete Gruppe, die in der Forschung »Homöusianer« genannte wird, die Eunomianer ebenfalls eine in den theologischen Auseinandersetzungen des 4. Jh. selbständige Gruppe. Bei den von den kaiserlichen Gesetzen als «Arianer« bezeichneten handelt es sich immer um die Homer. Wichtig ist nun, daß Arianer (Homeöer), Makedonianer und Eunomianer aus derselben Gruppe der Kritiker des Konzils von Nicaea kommen und eben z.B. von Athanasius immer alle zusammen als Arianer diffamiert wurden. Alle drei Gruppen unterscheiden sich erhablich theologisch von Arius und noch einmal untereinander.
[...]

Für Einsteiger mag die Orientierung an tradierten, polemischen Kampfbegriffen anfangs naheliegen. Und die deutschnationale Tradition forcierte etliche Jahrzehnte die Fixierung auf den vermeintlich allen 'Germanen' nahestehenden 'Arianismus', teils sogar aus Verwechslung mit den legendären, vermeintlichen Germanenvorfahren 'Ariern'. Davon ist man zu recht seit den 1960ern allmählich wieder abgekommen.
 
Blickt man in die heutige Haarspalterei um diesen Begriff, blickt man in die theolog. Haarspaltereien der Spätantike, fragt man sich umso mehr, wie das im Verstehenshorizont eines damaligen vandal. oder got. Warlords aufgenommen wurde...
Diese Frage schwirrt mir immer noch durch den Kopf.

fest steht wohl, wie auch das Zitat (Antwort von Prof. Brennecke in #33) deutlich macht, dass
(1) "arianisch" in der damaligen Theologie (Athanasius etc) in Bausch und Bogen als Häresie für Homöer, Donatisten, Eunomianer, Madekonianer verwendet wurde (quasi polemischer Kampfbegriff),
dass (2) die kaiserliche Gesetzgebung diese abweichenden Glaubensrichtungen innerhalb des Imperiums verbot (hierbei mit "arianisch" ausschließlich die homöische Glaubensrichtung meinte; vom Verbot ausgenommen waren Foederaten)
dass (3) wir heute schlauer sind und arianisch streng auf den etwas älteren Arianismus beziehen, ansonsten korrekter als die damaligen Streithähne und Gesetzgeber die Begriffe homöisch, makedonianisch, donatistisch, eunomianisch etc differenzieren,
dass (4) nach heutiger Begriffsstrenge die "arianischen Germanenreiche" sachlich korrekt als homöisch bezeichnet werden müssen, auch wenn das viele spätantike Quellen anders handhaben

Damit ist aber die sozusagen politisch-historische Dimension dieser primär religiösen Streitigkeiten noch nicht geklärt. Spätestens seit den in #33 erwähnten Gesetzen war es heikel, "arianisch" recte homöisch zu sein, denn dann befand man sich in Opposition zu den imperialen Gesetzen. Symptomatisch dafür: der homöische Burgundenkönig Gundobad, als Foederat magister militium und patricius, sein Sohn Sigismund (der heilige), dito magister militum und patricius, setzte schon 497 aufs andere Pferd und ließ sich von Avitus "katholisch" taufen. Merowingerkönig Chlodwig setzte von Anfang an auf das katholische Pferd (salopp gesagt) - die vandalischen und ostgotischen Könige blieben beim homöischen Bekenntnis.
Mir scheint diese politische Dimension von einiger Relevanz zu sein.

...was von alledem begriff ein ostgotischer, burgundischer, vandalischer Anführer eines Truppenkontingents?
 
Damit ist aber die sozusagen politisch-historische Dimension dieser primär religiösen Streitigkeiten noch nicht geklärt.

Doch, ziemlich weitgehend. Denn für die ehemaligen wie aktuellen Foederati mit homöischem Bekenntnis galt auch und gerade innerhalb vor allem Oströmischen Reiches 'Glaubensfreiheit'. Das Burgunderreich und die Burgunden waren ansonsten zu jener Zeit ihrer Territorialbildung 'Burgund' keine Foederati von wem oder was auch immer gewesen. Und schon gar nicht ein Gebiet oder Teil des Oströmischen Reiches.

Und bei der Heiratspolitik und 'Außen'- und Militärpolitik spielten Konfessionszugehörigkeiten keine bzw. eine geringe Rolle. (Ost-)Rom bediente sich ausgiebig homöischer Gotengruppen als Foederati, um mit ihnen schlagkräftige und weit billigere Auxiliartruppen aufzustellen. Und das Bekenntnis der magister militum, in der spätantiken Römerzeit findet man genug germanisch-gotische magister militum mit homöischem Bekenntnishintergrund, war keine Entscheidungsgröße.

Ostrom kooperierte mit dem homöischen Theoderich-Reich, Theoderich heiratete die Schwester Chlodwigs, Gundobad unterstütze Chlodwig gegen die homöischen Westgoten, Gundobads Frau war katholisch, er selber sonst um Ausgleich und Kooperation mit der katholischen Bevölkerung bemüht und hatte nichts gegen den Bekenntniswechsel seines Sohnes.

Nur das Vandalenreich fällt hier aus dem Rahmen mit ihrem Versuch, das homöische Bekenntnis als einzig staatlich legitimiertes, sozusagen 'orthodoxes' Bekenntnis in ihrem Herrschaftsbereich zumindest auf der Leitungsebene (Bischöfe usw.) mit diversen Machtmitteln durchzusetzten.

Zieht man die theologische(n) Propaganda und diffamierenden Auseinandersetzungen um den 'Arianismus' ab, bleibt m.E. letztlich auf politisch-historischer (Macht-/Herrschafts-) Ebene vor allem die übliche Machtpolitik, ggf. eine von gewissen 'Konjunkturen' geprägte innenpolitische bzw. religionspolitische und theologische Instrumentalisierung, Letzteres wohl nur im Oströmischen und nordafrikanischen Vandalenreich zeitweilig und wirklich ausgeprägt.


Der Althistoriker Roland Steinacher schreibt in Byzanz und die afrikanischen Vandalen (in: Menschen, Bilder, Sprache, Dinge. Wege der Kommunikation zwischen Byzanz und dem Westen. 2: Menschen und Worte / Daim, Falko; Gastgeber, Christian; Heher, Dominik; Rapp, Claudia, Mainz : Römisch-Germanisches Zentralmuseum, 2018, S. 29-39, hier S. 35) u.a.:

Die arianische, homöische, Christologie war nach den Konzilien von Rimini und Seleukia 359 kurzzeitig im gesamten Reich akzeptiert gewesen. Homöische Trinität wurde eine Spielart der Theologie, die prestigeträchtige gotische und andere barbarische Gruppen (und eben auch die Vandalen) in den letzten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts im Osten des römischen Reiches und im Illyricum vorfanden und der sie sich anschlossen. Man könnte es folgendermaßen auf den Punkt bringen: Föderaten- und Barbarenverbände verpassten durch ihre gesellschaftliche und juristische Sonderstellung einen reichsweit vollzogenen theologischen Schritt, nämlich den von Nikaia nach Konstantinopel. Sie hingen weiterhin der Mitte des 4. Jahrhunderts akzeptierten und legalen Reichstheologie an. Dazu denken muss man sich weiters in den lediglich 20 Jahren zwischen Rimini und Konstantinopel orientierungslos gewordene Geistliche, die in den neuen militärischen Machthabern nun ihre Patrone fanden. Vertreter des nach 381 als häretisch geltenden und verbotenen lateinischen »Arianismus« konnten bei den barbarischen Militärs als Priester oder Bischöfe nicht nur weiter ihren Glauben leben, sondern auch Karriere machen.

Als sehr knappe Skizze gut zusammengefasst.
 
Die einschlägige, aktuelle Wissenschaftsliteratur betont m.E. zu recht, dass das vandalische, antikatholische Vorgehen in Nordafrika primär aus politischen bzw. machtpolitischen Gründen erfolgte.
Warum?

Im weiteren 5. Jh. hatte sich auch in Nordafrika längst eine einflussreiche, sozial wie macht- und religionspolitisch wirksame episkopale Kirchenstruktur etabliert, natürlich vor allem 'katholisch' geprägt und als anfangs noch römische Provinz Teil der nach Rom, dann auch nach Byzanz orientierten römischen Kirche.

Beides, die vorhandenen bischöflich-katholischen Machtstrukturen sowie ihre Orientierung/ teils Abhängigkeit nach/von den religiös-theologischen Hauptzentren im Römischen Reich dürften wohl der Grund für den Versuch der vandalischen Herrscherschicht gewesen sein, im Rahmen einer substanziellen Macht- und Herrschaftsetablierung (offenkundig nach römischem Vorbild....) jene bestehenden katholisch-episkopalen Kirchenstrukturen durch ein eigenes, vandalisches Staatskirchentum abzulösen, entsprechend mit dem homöischem Bekenntnis der Vandalen selber.
 
Das Burgunderreich und die Burgunden waren ansonsten zu jener Zeit ihrer Territorialbildung 'Burgund' keine Foederati von wem oder was auch immer gewesen. Und schon gar nicht ein Gebiet oder Teil des Oströmischen Reiches.
das wird in Burgunden – Wikipedia ein wenig anders dargestellt (beide Zitate sind daraus) :
Tante Wiki schrieb:
Ergänzt werden die spärlichen literarischen Hinweise auf ein Burgundenreich am Rhein ansonsten nur durch die Notiz des Chronisten Prosper Tiro von Aquitanien zum Jahr 413 über die Ansiedlung von burgundischen Kriegern am Rhein. Dabei wurde der Bündnisvertrag offenbar noch einmal erneuert, diesmal allerdings mit dem legitimen Kaiser Flavius Honorius als Vertragspartner, und die Burgunden verpflichteten sich, gemeinsam mit weströmischen Truppen als foederati die Rheingrenze zu sichern.

Etwa 20 Jahre lang funktionierte dieses Arrangement recht gut, und Westrom konnte den Rhein noch einmal in seiner ganzen Länge beherrschen. Nach Ansicht einiger Forscher lassen sich burgundische Hilfstruppen archäologisch in römischen Grenzkastellen (etwa in Gellep-Stratum, möglicherweise auch in Alzey[5]) nachweisen. Orosius († um 418) behauptete in seinen letzten Lebensjahren, die Burgunden seien nunmehr Christen und überdies keine Feinde mehr, sondern Beschützer der Römer (Hist. adv. pag. 7,32). Vermutlich um diese Zeit entstand auch die von Orosius in diesem Zusammenhang überlieferte, aber falsche Etymologie des Namens Burgundi als „diejenigen, welche die burgi (Kastelle) besetzen“.
Tante Wiki schrieb:
Einige Jahre nach der katastrophalen burgundischen Niederlage gegen die Römer und Hunnen im Jahr 436 hatten sich die überlebenden Krieger neu formiert und strebten danach, wieder in kaiserliche Dienste zu treten. Dies war der Anlass ihrer wahrscheinlich nach römischem Einquartierungsrecht vollzogenen Ansiedlung im Jahre 443 als foederati in der heutigen Westschweiz und der Sapaudia.
offenbar waren die Burgunden am Rhein erst Foederaten, wurden unbotmäßig und kriegten von röm. & foed. hunn. Truppen zünftig die Hucke voll, ihre Reste wurden umgesiedelt und waren dann erneut Foederaten. Und danach dann wie erwähnt der Bekenntniswechsel von König Sigismund.

Auch im gesamten 5. & 6. Jh. strebten etliche german. Warlords nach hohen römischen (später, nach dem Zerfall des weströmischen Reichs) und oströmischen Militärtiteln. Hierbei kam es zu Titelverleihungen für die Anführer sowohl bei aufgenommenen "eingewanderten" Foederaten, die quasi als "Militär im Dienste Roms/Ostroms" fungierten, als auch bei nicht als Foederaten nominierten Kriegergruppen. Und umgekehrt wurden solche Militärtitel auch gelegentlich seitens des (ost)römischen Kaisers an Warlords verliehen, die seit langem nicht mehr im römischen Einflußbereich waren (so hatte Chlodwig großen Wert auf den ihm 508 von Kaiser Anastasius verliehenen Titel Konsul (vermutlich eher patricius) gelegt!) - so mächtig Chlodwigs Reich auch war, nominell war der oströmische Kaiser in dieser Zeit noch der "Oberboss" auch der weströmischen ehemaligen Provinzen.

Ich glaube nicht, dass im Verlauf der Spätantike/Völkerwanderungszeit die Entscheidung der german. Könige (vereinfacht ausgedrückt), hömöisch oder nicanisch zu sein, politisch eher eine Bagatelle war, wie du @andreassolar es darzustellen scheinst (wenn ich dich richtig verstanden habe) - warum wechselten die Burgunden, später die Westgoten und die Langobarden (die Ostgoten und Vandalen waren weg vom Fenster) von hömoisch ("häretisch-arianisch") zu "katholisch" (nicanisch) ?
 
Rolf Scharf schreibt in Der Dux Mogontiacensis und die Notitia Dignitatum: Eine Studie zur spätantiken Grenzverteidigung, 2005, S. 307 u.a.:

Um das Beispiel der "foederati" aufzugreifen, so bleibt kaum etwas anderes übrig als anzumerken, dass es keinen einzigen Beleg dafür gibt, dass "die" Burgunder römische Foederaten gewesen wären oder als "foederati" bezeichnete Truppen den Römern zur Verfügung gestellt hätten.

Roland Kaiser erwähnt in seiner (kleinen) Monographie Die Burgunder (2004) ebenfalls nicht, dass die Burgunder 'foederati' des Römischen Reiches gewesen wären.

Volker Galle (Hrsg), Die Burgunder: Ethnogenese und Assimilation eines Volkes : Dokumentation des 6. wissenschaftlichen Symposiums der Nibelungenliedgesellschaft Worms e.V. und der Stadt Worms vom 21. bis 24. September 2006, Worms 2008. Hier ebenso.

Ich glaube nicht, dass im Verlauf der Spätantike/Völkerwanderungszeit die Entscheidung der german. Könige (vereinfacht ausgedrückt), hömöisch oder nicanisch zu sein, politisch eher eine Bagatelle war, wie du @andreassolar es darzustellen scheinst (wenn ich dich richtig verstanden habe)

Habe ich in der Tat nicht behauptet. Und schau Dir nochmals Beitrag 48 an, das Steinacher-Zitat bietet genug Substanz für mindestens einen nachvollziehbaren Grund, durchaus auch zwei Gründe für die spätere Konversion der homöischen Germanen- und Gotengruppen....liegt nun wirklich auf der Hand, die späteren Konversionen.
 
Bart Van Loo, Burgund: Das verschwundene Reich (2020), sowie
Herwig Wolfram, Das Römerreich und seine Germanen (2018),

behaupten ebenfalls nicht, die Burgunden seien Foederati der Römischen Reiches gewesen.
 
Dass die Summe der enzyklopädischen Schwarmintelligenz - Tante Wiki - in Sachen Burgunden derart irrt (siehe die Zitate daraus) erschüttert mich nun doch. Also waren die Burgunden nie Foederaten.
 
Roland Kaiser erwähnt in seiner (kleinen) Monographie Die Burgunder (2004) ebenfalls nicht, dass die Burgunder 'foederati' des Römischen Reiches gewesen wären.

Er schreibt das aber in einem kleinen Artikel für das Historische Lexikon der Schweiz (2006):

Als Föderaten mit der Sicherung der Rheingrenze betraut, unterstützten die Burgunder unter dem Befehlshaber Gundahar die Erhebung des Jovinus (411) in der Provinz Germania Secunda, begleiteten ihn nach Südgallien und erhielten nach seinem Tod (413) als Föderaten «einen Teil Galliens nahe dem Rhein», das erste burgundische Reich, das wahrscheinlich am Mittelrhein (Worms) und nicht am Niederrhein zu lokalisieren ist.
Burgunder

Dagegen Max Martin:

Zum Jahr 413 notiert der Chronist Prosper von Aquitanien in lapidarer Kürze: „Burgundiones partem Galliae propinquam Rheno optinuerunt.“ Bisher übersetzte man diese Nachricht gewöhnlich wie folgt: „Die Burgunden erhielten einen Teil Galliens nahe dem Rhein (zugewiesen)“; dabei nahm man an, dass diese als Föderaten noch von Iovinus oder einem Vertreter der legitimen Regierung des Weströmischen Reiches Gebiete am Rhein zur Ansiedlung erhalten hätten, mit dem Auftrag, gleichzeitig auch die zugehörige Grenze zu schützen. Nun aber entspricht lat. „optinere“ nicht einfach frz. „obtenir“, „erhalten“, sondern bedeutet im Sprachgebrauch der Lateinisch schreibenden Chronisten des 5. Jh. eindeutig „(mit Gewalt) in Besitz nehmen“, was die Aktion der Burgunden in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.
https://core.ac.uk/download/pdf/83650182.pdf
 
Roland Kaiser erwähnt in seiner (kleinen) Monographie Die Burgunder (2004) ebenfalls nicht, dass die Burgunder 'foederati' des Römischen Reiches gewesen wären.
...ob und was Roland Kaiser im Kohlhammerverlag 2004 über die Burgunden publiziert hat, weiß ich nicht ;)

Aber Reinhold Kaiser Reinhold Kaiser – Wikipedia hat 2004 im Kohlhammer Verlag ein Buch über die Burgunder publiziert: Die Burgunder - Reinhold Kaiser - Google Books
Aus dieser Publikation zwei Zitate, das erste zu den Burgundern am Rhein (Worms) und das zweite zu den Burgundern anläßlich ihrer "Umsiedlung" in die Sapaudia:
[...] Die Burgunder übernahmen in diesem neuen Verteidigungssystem als Foederaten die Aufgaben der comitatensischen Elitetruppen im Hinterland der Grenze [...]
(bezieht sich auf die Reorganisation der Rheinverteidigung 407/408 unter Heermeister Constantius oder Kaiser Constantin III) Reinhold Kaiser, die Burgunder, Seite 30ff
1. Die Einquartierung als Foederaten in der Sapaudia
(eine Kapitelüberschrift auf Seite 38 - dort wird im folgenden ausgeführt, dass es an den Einquartierungen der Alanen (bei Orleans zur Bekämpfung der Bagauden) und der besiegten Burgunder als Foederaten durch patricius Aetius keine Zweifel gibt, allerdings ist umstritten, welche Gebiete bzgl der Umsiedlung der Burgunder unter "Sapaudia"*) genau in den Quellen gemeint seien) Reinhold Kaiser, die Burgunder, Seite 38ff

Ich muss wohl meine zuvor geäußerten Zweifel am Wikipedia-Artikel über die Burgunden, der als Literaturangabe u.a. auch das Buch von Reinhold Kaiser auflistet, revidieren und stattdessen die zu Anfang dieses Beitrags zitierte Aussage mit Skepsis betrachten...

Für das Thema "arianisch"=homöisch ist die Abschweifung zu den burgundischen Foederaten sicherlich nicht zentral - aber für die Frage nach der politischen Bedeutung bis womöglich Brisanz bzgl der Entscheidung verschiedener Kriegsherren verschiedener gentes, ob sie "arianisch"-homöisch in (religions)politischer Opposition zum römischen bzw. später oströmischen Kaiserreich optieren, oder ob sie sich dem "offiziellen" nicanischen Bekenntnis des Kaiserreichs (Imperiums) anschließen, sind die burgundischen Foederaten interessant: laut Reinhold Kaiser könnten sie anfangs "katholisch" christianisiert worden sein, später "arianisch"=homöisch und dann ab König Sigismund (der heilige) wieder "katholisch"/nicanisch


_____________
*) Sapaudia Burgundionum reliquiis datur cum indigenis dividenda gallische Chronik zu 443 bei Kaiser zitiert
 
in einem kleinen Artikel für das Historische Lexikon der Schweiz (2006)
für diesen Faden interessant ist der 5. Abschnitt des erwähnten Artikels:
Christianisierung, Arianismus und Katholizismus
Autorin/Autor: Reinhold Kaiser
Nach den übereinstimmenden, aber umstrittenen Aussagen der spätantiken Kirchenhistoriker Orosius und Sokrates waren zumindest Teile der mittel- und rechtsrheinischen Burgunder katholische Christen. Die Könige der zweiten Dynastie – bezeugtermassen Gundobad, Sigismund und Godomar vor ihrer Konversion sowie Godegisel – waren Arianer, möglicherweise aufgrund der von Gregor von Tours behaupteten westgotischen Abstammung bzw. der politisch-religiösen Anlehnung an die Westgoten. Da gleichzeitig viele Frauen des Königshauses (Caretene, Saedeleuba/Chrona, Chrodechilde) katholisch waren, zudem der Burgunder Hymnemodus als Abt in Grigny (bei Vienne) und in Saint-Maurice bezeugt ist, wird anzunehmen sein, dass viele Burgunder im 5. Jahrhundert wohl katholisch waren, die Könige und die Oberschicht in der Generation Gundowechs und Gundobads aus politischer Erwägung hingegen Arianer. Die arianische Kirche unterstand ganz der Obhut der Könige. Auch gewaltsame Umwandlungen katholischer Kirchen in arianische sind vorgekommen. Neben den Arianern gab es insbesondere in Genf die einer adoptianistischen Christologie anhängenden Bonosianer. Die katholische Kirche fand selbst unter den arianischen Königen nicht nur Duldung, sondern auch Unterstützung. Schon 463 wurde König Gundowech durch Papst Hilarius in kirchliche Angelegenheiten hineingezogen. Chilperich I. stattete das Jurakloster Saint-Claude mit Gütern aus. Saedeleuba, die Tochter Chilperichs II., überführte um 500 die Gebeine des Thebäers Victor von Solothurn nach Genf. Gundobad und Sigismund standen unter dem starken Einfluss des Avitus von Vienne. Avitus' Einfluss führte zu Sigismunds Übertritt zum Katholizismus (zwischen 502 und 507) und wenig später zu jenem seines Bruders Godomar. Sigismund trat eifrig für die katholische Kirche ein, reiste zu Papst Symmachus (514) nach Rom, von wo er viele Reliquien mitbrachte und in Burgund verteilte. Er stellte in Genf die im Bruderkrieg von 500/501 zerstörte Kirche wieder her und gründete 515 am Grab des heiligen Mauritius in Acaunum die Abtei Saint-Maurice und stattete sie mit reichem Besitz im Wallis, Waadtland und in Burgund aus. Nach byzantinischem Vorbild richtete Sigismund in Saint-Maurice die laus perennis ein, den ewigen Psalmengesang, der für viele Klöster Galliens vorbildhaft werden sollte. 517 versammelten sich in Epao (vielleicht Saint-Romain d'Albon, südlich von Vienne) die Bischöfe von Sigismunds Herrschaftsgebiet zu einem Konzil, das wie das westgotische Konzil in Agde (506) und das fränkische in Orléans (511) als Reichskonzil gelten kann. Unter den 24 Bischöfen, welche die Akten des Konzils unterzeichneten, waren auch jene von Besançon, Vindonissa, Genf, Octodurus und Tarentaise. Das ganze Gebiet zwischen Genfersee und Hochrhein gehörte damals offenbar zum burgundischen Herrschaftsbereich.
aus Burgunder (hls-dhs-dss.ch)
 
für diesen Faden interessant ist der 5. Abschnitt des erwähnten Artikels:
aus Burgunder (hls-dhs-dss.ch)

Ob dieses aber der Weisheit letzter Schluss ist?

... wird anzunehmen sein, dass viele Burgunder im 5. Jahrhundert wohl katholisch waren, die Könige und die Oberschicht in der Generation Gundowechs und Gundobads aus politischer Erwägung hingegen Arianer.

In der Zwischenzeit ist eine eingehendere Untersuchung erschienen (wurde von @andreassolar schon erwähnt): Uta Heil, Avitus von Vienne und die homöische Kirche der Burgunder, Berlin/Boston: De Gruyter 2011.

Im Augenblick habe ich das Buch nicht greifbar, daher zitiere ich aus der Rezension von Görge K. Hasselhoff, Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 66, 2 (2014), S. 188, das liest sich doch ein wenig anders:

Die Burgunder scheinen mehrheitlich „homöisch“ (in der älteren Literatur meist als „Arianer“ bezeichnet) gewesen zu sein, während der Bischof und ein Teil der Königsfamilie wohl „katholisch“ (auch: „neunizänisch“) gewesen war. Allerdings waren die Differenzen weniger gravierend, als es gemeinhin angenommen wird: „Außer diesem Unterschied in der Taufpraxis gab es kaum Merkmale, die die Kirchen voneinander unterschieden – der Wechsel von einer Konfession zur anderen dürfte daher reibungslos geschehen sein. Hinzuweisen ist noch auf die sogenannte kleine Doxologie im Gottesdienst, die inzwischen modifiziert worden war. In der homöischen Kirche wurde die traditionelle sogenannte präpositionale Form gesprochen: ‚Ehre sei dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geist.’ Die katholische Kirche jedoch übernahm die zur Zeit des Basilius von Caesarea aufgekommene Fassung ‚Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen [!] Geist’, um jegliche Ansätze zu einer trinitarischen Differenzierung und Unterordnung auszuschließen“ (S. 91). Eine weitere Differenz scheint in der Heiligen- und Reliquienverehrung der „Katholiken“ bestanden zu haben.
 
Ob dieses aber der Weisheit letzter Schluss ist?
das weiß ich nicht (woher auch)
Uta Heil, Avitus von Vienne und die homöische Kirche der Burgunder, Berlin/Boston: De Gruyter 2011.
das kenne ich noch nicht, die Rezension erscheint mir sehr interessant wegen der als geringfügig dargestellten Unterschiede zwischen homöisch und nicanisch - ich nehme an, es bezieht sich auf die sapaudischen Burgunden (nach der "Umsiedlung")? (ob sich da was zum Seitenthema "Burgenden waren Foederaten oder waren keine" findet?)
 
Danke für die Korrekturen...:)

Nochmals und vielleicht abschließend, da für das eigentliche Thema hier nicht entscheidend oder bedeutend:
Es sind halt keine burgundischen Foederati-Truppen nachweisbar u.a.m. Mischa Meier schreibt in Völkerwanderung, S. 565, u.a. sinngemäß, dass erste Burgunderreich linksrheinisch - mutmaßlich auf foederati-Basis - sei nicht exakt lokalisierbar. Und weiter sinngemäß, die burgundischen Plünderungszüge 435 seien von Aetius als Aufstand gesehen worden, was für dafür spräche, dass sie bis dahin foederati-Status besessen hätten - und Aetius diesen Aufstand entsprechend militärisch erfolgreich beantwortete.

Gundobad: Dieser war kurzzeitig 472/473 der defacto-Herrscher des weströmischen Restreiches, kurz vor dessen endgültiger Auflösung, als magister militum, soweit ich sehe. Im Fahrwasser seinen Onkels Ricimer aufgestiegen, der schon zuvor viele Jahre defacto weströmischer Herrscher gewesen war. Beide gehörten dem homöischen Bekenntnis an, auf höchster militärischer und politischer Ebene im (katholischen) weströmischen Restreich im 5. Jh. seinerzeit offenbar kein Thema.

Von Gundobad sind keine privaten Burgunder-Truppen und keine burgundischen foederati-Truppen in Ravenna überliefert, soweit ich in Kürze sehe.

Uta Heil, Avitus von Vienne und die homöische Kirche der Burgunder, ist natürlich beim Thema Homöisches Burgunderreich Standartliteratur, sehr ergiebig. Heil selber nutzt den Begriff Foederati dabei nicht, sie notiert:
Sich zunächst als Teil des Römischen Reiches verstehend, verfolgten die Burgunder später eigenständige politische Interessen. Aus den Verbündeten Roms wurden strategische Partner der Ostgoten und später der Franken.

Heil bezieht immer wieder auch die nahezu gleichzeitigen nordafrikanischen, ebenfalls homöischen Vandalen mit ein, Kapitel V sogar nur mit Vergleich mit ihnen und Burgund, Kein Streit um homoousios wie in Nordafrika, S. 251-269.

Archäologisch lassen sich nirgends speziell homöisch-christliche Artefakte, Bauwerke, Gräber, usw. nachweisen bzw. sich von 'katholischen' unterscheiden. Bei den Vandalen nicht, bei den Burgunden nicht etc., soweit mir bekannt.

Auch in der kirchlichen Praxis waren die Unterschiede wohl gering, die burgundisch-homöische Taufe beispielsweise wurde katholischerseits anerkannt (in der Taufformel gab es anscheinend keine Unterschiede zwischen Katholischen und Homöischen), keine erneute Taufe bei der Konversion vom homöischen und katholischen Bekenntnis erforderlich (Avitus vertrat dabei eine andere Position, war aber in der Minderheit bei den katholischen Bischöfen der burgundischen Synode von Epao 517 - aus meiner Erinnerung).
 
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