Italien im Ersten Weltkrieg

Aber hätte eine "Abkürzung" um jeden Preis nicht auch als Signal gewertet werden können, dass man zu keiner hartnäckigen Kriegsführung fähig, also leicht zu besiegen war?

Das würde ich für eine massive Überbetonung halten.
Denn dass das Osmanische Reich nicht in der Verfassung war, sich einen potentiellen 2-Fronten-Krieg mit Italien und mindestens 2 Balkanstaaten (Mit dem "Balkanbund" war natürlich noch nicht zu rechnen, aber mit Griechenland und mindestens einem aus Serbien/Bulgarien doch) zu leisten, konnte sich eigentlich auch jeder denken.

Was genau gab es da zu beweisen?
 
Waren die Verhältnisse auf den Balkan und die Territorialwünsche Griechenlands, Bulgariens und Serbiens in irgendeiner Form Geheimwissen des italienischen Außenministeriums oder war davon auszugehen, dass man darum auch in Konstantinopel wusste?
Und lässt sich nicht das Wissen um diese Probleme auf der anderen Seite auch als Garant dafür betrachten, dass die osmanische Seite ein unbedingtes Interesse daran haben musste einen Krieg abzukürzen um ihn möglichst lokal zu halten?

Gerade die drei genannten Staaten standen im Spannungsverhältnis untereinander, aufgrund der eigenen Propaganda und Idee eines jeweiligen Großreiches - welches eben auch die Gebiete des Nachbarn umfasste und von einer Primärstellung auch über die Nachbarstaaten ausging. Bulgarien als Musterbeispiel. Der zweite Balkankrieg zeigte ja genau dieses. Und die drei genannten hatten anfangs keinerlei Zusammenarbeit, im Gegenteil; die Kooperation in der Balkanliga war eine überraschende Wendung, die erst während des Ausgreifens, der weiteren Verwicklungen im Rahmen des ital.-türkischen Krieges frühestens Ende Januar/Februar 1912 einsetzte. Und erst der gemeinsame Angriff der Balkanliga war militärisch relevant, natürlich, nachdem das Osmanische Reich militärisch durch den lange währenden Krieg mit Italien in verschiedenen Regionen soweit geschwächt worden war.

Das jungtürkische geprägte Regime wiederum war eine ganz andere Art von Regime wie jenes noch zu Abdülhamids Zeiten. Deutlich nationaler, deutlich mehr auf Ehre bedacht, moderner, weswegen eben auch nicht ein jungtürkisches Regime den Friedensvertrag im Oktober 1912 unterschrieben hatte, sondern eine neue liberal-konservative Regierung, die seit Juli 1912 herrschte, nachdem die Weigerung der jungtürkisch geprägten Regierung, irgendeine Art von Waffenstillstand und Friedensvertrag mit Italien zu akzeptieren, im Frühjahr/Sommer zu den bekannten Folgen und schließlich zum Machtverlust geführt hatte.
 
So, ich habe eine Quelle für meine Behauptung. (falls von Interesse)

Bei Afflerbach, Der Dreibund, steht auf S.694 das Folgende zu lesen:

"Die Türkei lebte in einen Gefühl trügerischer Sicherheit, weil sie sich unter deutscher und österreichisch-ungarischer Protektion wähnte. Schon seit Jahren hatten sich Wien und Berlin bei italienisch-türkischen Streitigkeiten um Vermittlung bemüht."
 
Die Sache liest sich eine Nuance anders in der Aufzeichnung des Vortragenden Rates im dt. AA, von Rosenberg, vom 8.10.1911 in Verbindung mit dem Bundesratsausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Er notiert u.a.:

Seitdem hat Italien wiederholt, unter anderem am Vorabend der Algeciraskonferenz und anläßlich der Annexion Bosniens und der Herzegowina, Anstalten gemacht, seine Anwartschaft auf Tripolis zu realisieren. Wenn es auch den vereinigten Bemühungen der Mächte gelang, Italien zur Vertagung seiner Aktion zu bewegen, so wachten doch die Regierung und die öffentliche Meinung in Rom mit Eifersucht darüber, daß die italienische Vorzugsstellung in Tripoli unangetastet blieb. Dies führte zu unausgesetzten Reibungen mit der türkischen Regierung, die von Italien Vorzugsstellung (begreiflicherweise) nichts wissen wollte und durch Anwendung kleinlicher Abwehrmittel die Nervosität der Italiener nur noch erhöhte. Wir haben es uns angelegen sein lassen, in Konstantinopel sowohl wie in Rom zur Mäßigung und Ruhe zu mahnen, und haben erreicht, daß zahlreiche Zwischenfälle in friedlicher Weise erledigt wurden. Seit Jahresfrist jedoch war nicht mehr zu verkennen, daß Italien eine endgültige Auseinandersetzung wollte.
Frankreichs Vorgehen in Marokko gab den Anstoß.
[...]​
Q: GP 30, 1, S. 99 f., Nr. 10880.

Afflerbach überinterpretiert und verallgemeinert ein bisschen, was sich nur auf Tripolitanien bezogen hatte. Darauf lässt sich schwerlich eine haltbare, substanzielle und gut abgesicherte Aussage aufbauen. Und das jungtürkisch geprägte Regime seit 1908 war gewiss weniger romantisch oder naiv, was Macht, Gewalt, Machtkonstellationen und internationale (Großmacht-) Politik anging. So erfolgte die ÖU-Annexion Bosniens nach Machtübernahme des jungtürkischen Regimes unter Ausnutzung seiner noch ungesicherten Position. Kreta und Bulgarien sagten sich ebenfalls noch 1908 und nach der jungtürkischen Machtübernahme von der (formalen) Oberherrschaft des Osmanischen Reiches los.
 
Premierminister Asquith hatte eine unmissverständlich Meinung zu der italienischen Aggression:

Asquith betrachte den Angriff als noch nicht dagewesene Friedensstörung und Aggression, er wundere sich, dass der König von Italien Sanktion dazu erteilte.Italiens Veröffentlichung zur Rechtfertigung des Angriffes türkischen Territoriums sei so schwach, das es nicht der Mühe wert sei, sie zu lesen. Er befürchte, dass trotz der in England bestehenden starken Sympathien für Italien sich hier in der Öffentlichkeit sehr starke Entrüstung manifestieren wird.

Auch in Wien, St.Petersburg und Berlin hielt sich die "Begeisterung" über den italienischen Angriff in sehr überschaubaren Grenzen. Die gemeinsame Befürchtung war, dass das Feuer auf dem Balkan überspringen könnte.

Eine sehr berechtigte Befürchtung. Bereits am 04.Oktober diente sich Montenegro Italien zwecks eines Angriffs auf Albanien an. San Giuliano wies das Ansinnen zurück, aber wir wissen wo die Entwicklung hingeführt hatte.

Österreich-Ungarns Außenpolitik, Band 3, Dokument 2698
 
Zuletzt bearbeitet:
"Wurde Italien durch den 1. Weltkrieg zur Nation?"

Dazu muss man die Situation vor und nach dem Krieg vergleichen. Vor dem Krieg war der wirtschaftliche Unterschied zwischen Nord und Süd strukturell deutlich stärker als in fast allen anderen europäischen Ländern. Unter Giolitti gab es bis 1914 erhebliche Änderungen, z.B. eine Kolonialpolitik mit Erwerbungen (allerdings war der dafür nötige Aufwand beträchtlich und belastete den Staat schwer) und eine Industrialisierungspolitik mit entsprechenden sozialen Auswirkungen wie massiver Binnenwanderung von Süd nach Nord, Sozialpolitik gegen die industrielle Armut (Stichwort "Brotfrage", Sozialversicherung, Einführung des allgemeinen Wahlrechts). Dabei entstanden aber auch die organisierten katholischen und sozialistischen Volksmassen und die zum Faschismus werdenden Arbeiterbünde. In den 40 Jahren vor dem ersten Weltkrieg wanderten 14 Millionen Italiener nach Nord- und Südamerika aus, das sind täglich 1000 Personen!
Eine Minderheit im Parlament unter der Führung von Salandra und Sonnino betrieb sehr aktiv den Kriegseintritt gegen eine Mehrheit im Parlament und in der Bevölkerung durch geschickte Beeinflussung der öffentlichen Meinung.

Nach dem Krieg hatte Italien viele Tote, eine ruinierte Wirtschaft (nicht zuletzt durch die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft, die nicht einfach zurück zu drehen war), eine nach wie vor nicht geklärte soziale Frage (verstärkt durch die Versorgung der Versehrten und Kriegswitwen und-Waisen) und eine politische Krise, weil Nationalisten eine "Verstümmelung des Sieges" durch Verzichtspolitiker und Alliierte vorwarfen.

Es folgten zwei Jahre der "linken Agitation" mit teils gewalttätigen Streiks, Werks- und Landbesetzungen. Die Unfähigkeit der Regierungen, diese Situation in den Griff zu bekommen und die Angst vor einer bolschewistischen Revolution führte dann zum Aufstieg Mussolinis. Die Auswanderung ging nach dem Krieg unvermindert weiter.

Ich kann also weder vor noch nach dem Krieg eine besondere Vereinheitlichung erkennen, die Situaion in den verschiedenen Landesteilen war und blieb sehr heterogen. Auch vermochte der Staat es nicht, seinen Einwohnern eine überwiegend gemeinsame Identität zu geben.

ist es wahr. und das ist heute so und wer versucht, der Nation etwas Gutes zu tun, muss ins Ausland gehen

Korruption ist ein Krebsgeschwür.

wahrscheinlich das einzig gute im WK1 traf Norden und Süden und so konnte ein sizilianer kaum mit einem mailänder sprechen, aber sie fühlten sich in der gleichen situation.
 
Infanterie-Brigade wurde von jedem Bürger zusammengestellt, wobei einzelne Regionen in einer ganzen Einheit vermieden wurden

Die Sassari-Brigade war einzigartig, aber die anderen waren gemischt, zum Beispiel wurde die Roma-Brigade nicht von Männern aus Rom zusammengestellt

Offiziere konnten oft turinesisch oder neapolitanisch sein die brigade Catanzaro bestand aus Sizilianern, und aus Angst, dass sie desertieren, vermied sie ihnen die Ruhezeit

Also gab es einen Aufstand und mit "decimazione" erschossen sie einige von ihnen, sogar Rekruten kamen Tage nach dem gescheiterten Aufstand an die Front
 
Aber hätte eine "Abkürzung" um jeden Preis nicht auch als Signal gewertet werden können, dass man zu keiner hartnäckigen Kriegsführung fähig, also leicht zu besiegen war?

Südtirol ist Österreich, ich war dort und wir sind umsonst gestorben, besonders Bozen gestohlen, 98% deutschsprachig im Jahr 1918

Offensichtlich starben meine Vorfahren, arme Bauern, Salandra und andere Politiker, die unterzeichneten, aber den einfachen Bürger nach vorne schickten
 
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