Funktionsweisen und Leistung von Mühlen

Sisa

Mitglied
Dazu ein paar lose Gedanken.
Der Müllerberuf war sicher körperlich anstrengend. Das gilt aber für alle produktiven Tätigkeiten dieser Zeit.
Ich hab mich gefragt wie hoch wohl die kW-Leistung einer alten Mühle war und nichts dazu gefunden. Es ist aber leicht möglich die theoretisch maximale Leistung eines Wasserstroms abzuschätzen.
Nehmen wir mal einen Wasserkanal von 1 Meter Breite und 1 Meter Höhe und einer Fließgeschwindigkei von 7 Meter pro Sekunde (Mopedgeschwindigkeit) dann beträgt die theoretisch maximale Leistung ca. 180 kW also ca. 200 PS. (Dabei kann ja dem Pferd nicht ständig ein PS abverlangt werden, da es ermüdet, zudem frisst es 10x soviel wie ein Mensch.)
Angenommen es wurden 5% umgesetzt, so hätte unsere Mühle immer noch 10 PS.
(Verdoppelt man die Fließgeschwindigkeit verachtfacht sich die Leistung, und verdoppelt man die Querschnittsfläche, so hat man eine Vervierfachung der Leistung.)

Ich würde vermuten, dass Mühlen insbesondere das waren, was wir heute als Kraftwerke bezeichnen.

(.. falls ich mich verrechnet habe, oder die Proportionalitäten falsch dargestellt, bitte ich um Korrektur)
Vielleicht findet auch ein Forist eine Quelle die Auskunft über die kW-Leistung alter Wassermühlen gibt.

Der Beitrag von hatl stammt aus einem anderen Thread und ist schon einige Jahre alt, aber er hat mich (als Wasserbauingenieur, der Wasserkraftwerke gebaut hat) trotzdem interessiert.

Deine Annahmen liegen alle ausserhalb des Realistischen, trotzdem ist das Resultat am Schluss recht gut! ;-)

Die von dir angenommene Geschwindigkeit ist zu hoch. Ein normaler Bach fliesst zwischen 0,1 bis 3 m/s.

Auch die Wassermenge von 7 m3/s ist für normale Wasserräder deutlich zu hoch.

Bei der Ermittlung der Leistung von Wasserrädern ist grundsätzlich zwischen unterschlächtigen und oberschlächtigen Anlagen zu unterscheiden (seltener gibt es auch mittelschlächtige Wasserräder und andere exotische Formen).

Bei unterschlächtigen fliesst das Wasser unter dem Wasserrad durch und zieht dabei die einzelnen Schaufeln mit.

Bei oberschlächtigen Anlagen fällt das Wasser von oben auf die Schaufeln und durch die Schwerkraft werden diese nach unten gedrückt.

Physikalisch ausgedrückt: Bei unterschlächtigen wird ein Teil der kinetischen Energie des Wassers „abgeschöpft“, bei oberschlächtigen wird potenzielle Energie in kinetische Energie umgewandelt.

Oberschlächtige Anlagen brauchen nicht viel Wasser, dafür grössere Höhenunterschiede. Das trifft man im Oberlauf von Bächen an, also im Gebirge oder Hügeln, wo Bäche noch klein sind.

Unterschlächtige Anlagen brauchen viel Wasser, dafür fast kein Gefälle. Trifft man in den flachen Tälern an.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Wasserrad#/media/Datei%3AEinsatzbereiche.PNG

Was den Wirkungsgrad von Wasserrädern betrifft, beträgt der bei oberschlächtigen Rädern schon seit langer Zeit bis zu 85% (Julius Ludwig Weisbach, 1835, Handbuch der Bergmaschinenmechanik). Bei unterschlächtigen Rädern jedoch nur rund 25-35 % (auch von Julius Ludwig Weisbach).

Ich habe mir ausserdem durchgelesen, was Vitruv vor über 2000 Jahren in seinen De Architectura Libri Decem im zehnten Buch über Wassermühlen schreibt. Das klingt ganz so, wie die Räder auch heute noch aufgebaut sind, samt möglichst reibungsarmen Lagern der Achsen. (Wenn man Abbildungen aus späteren Jahrhunderten anschaut, die nach dem Text von Vitruv erstellt wurden, sind die teilweise haarsträubend. Das geht aber meines Erachtens eher auf Fehlinterpretationen des Textes oder Unvermögen der Zeichner zurück.)

Auch beispielsweise die Resultate der Ausgrabungen im Rotbachtal von zwei Wassermühlen aus dem 9. Jahrhundert zeigen in der Rekonstruktion ebenfalls äusserst ähnliche Konstruktionen wie Jahrhunderte später (Torsten Rünger, 2014, Zwei Wassermühlen der Karolingerzeit im Rotbachtal bei Niederberg). Ganz toll fand ich die gefundenen Brotzeitbrettchen ;-)

Die (offenbar nicht im Original erhaltene) Abbildung aus dem 12 Jahrhundert im Hortus Deliciarum lässt die zentralen Elemente einer Wassermühle klar erkennen.
Und wenn man Abbildungen von Wasserrädern aus der frühen Neuzeit anschaut (z.B. Gregorius Agricola, 1566, De re metallica), sehen die auch nicht wesentlich anders aus als heute.

Was ich mit dem historischen Rückblick sagen will: die Konstruktion von Wasserrädern ist im Prinzip seit zwei Jahrtausenden durchgehend bekannt und fast gleich. Daher gehe ich davon aus, dass der Wirkungsgrad auch im Mittelalter schon recht gut gewesen sein dürfte. Grosse Verluste dürften hingegen bei der Lagerung der Achsen und bei der Umsetzung von horizontaler Drehung in eine vertikale Drehung entstanden sein (oder Säge-Bewegung oder Hammer-Bewegung etc.), sowie bei den Mühlsteinen/Sägen/Hämmern etc.

Wie man nun je nach Wasserradtyp und mit Durchschnittlichen Werten die Leistung errechnet, erspar ich euch hier (ausser es würde jemanden interessieren). Aber Wasserräder im Mittelalter werden typischerweise eine Leistung von 1 bis höchstens 10 kW erreicht haben (nur die Räder, nicht die Gesamtleistung der Anlage, sei dies Mühle, Säge oder Hammerwerk etc).

Als Vergleich ein paar grobe Zahlen von aktuellen Technologien (hier allerdings die Nettoleistung der Anlage).

- Kleinstwasserkraftanlagen: 0 bis 30 kW (Vergleichbar mit einer Mühle)
- Kleinwasserkraftwerke: 30 kW bis 1 MW (5 bis 100 mal grösser als eine Mühle)
- Mittleres Flusskraftwerk: 10 MW bis 100 MW (100 bis 10'000 mal grösser)
- PV Anlage auf Einfamilienhaus: ca. 5 kWp (vergleichbar mit einer Mühle)
- Kernkraftwerk: ca. 10 GW (1'000'000 mal so gross wie eine Mühle)

Insgesamt fand ich es selber spannend zu sehen, dass schon recht früh anspruchsvolle Anlagen mit Wasserhaltung, Wehren und Schützen, künstlichen Kanälen, beweglichen Rädern, Vorrichtungen zur Umlenkung der Drehrichtung etc. erstellt wurden und diese vom Prinzip her fast 2000 Jahre ähnlich blieben, bis zur Entwicklung der Wasserturbinen zu Beginn des 19 Jahrhunderts.
 
Nun habe ich noch eine Frage an euch.
In diversen Zeitschriftenartikeln und auf mehreren Intersetseiten habe ich gelesen, Vitruv habe das oberschlächtige Wasserrad erfunden.
In seinem Buch schreibt er aber von unterschlächtigen und behauptet auch nicht, dass er die erfunden habe.
Etwas belastbares habe ich dazu leider nicht herausgefunden. Weiss da jemand mehr?
 
Danke @Sisa für den interessanten Überblick!

....was die Frage angeht wer was erfunden hat, dann lässt sich üblicherweise nicht eindeutig klären.
(Die Glühbirne hat vielleicht 70 Erfinder.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Laut Wiki gibt es oberschlächtige Wasserräder erst seit dem 13. Jahrhundert:

Wasserrad – Wikipedia

Andererseits gibt es in Südfrankreich in der Nähe von Arles eine römische Wassermühle aus dem 2. Jahrhundert: Mühlen von Barbegal – Wikipedia

Das scheint mir eine oberschlächtiges System zu sein*. S. zu Rekonstruktionen diesen Artikel: Römischer Mühlenkomplex: Der Trick mit dem Knick

Dann müßte das System auch den Römern schon bekannt gewesen sein. (Ob in der Literatur bei Vitruv belegt, ist mir hingegen unbekannt.)



(*Ich muß zugeben, dass ich von Mühlen keinerlei Ahnung habe, und die Begrifflichkeiten ober- und unterschlächtige Wasserräder hier zum ersten Mal höre.)
 
Andererseits gibt es in Südfrankreich in der Nähe von Arles eine römische Wassermühle aus dem 2. Jahrhundert: Mühlen von Barbegal – Wikipedia

Das scheint mir eine oberschlächtiges System zu sein*. S. zu Rekonstruktionen diesen Artikel: Römischer Mühlenkomplex: Der Trick mit dem Knick

Ah genau, über diese recht krasse Anlage habe ich vor ein paar Jahren auch schon mal was gelesen. Danke für die Artikel, werde ich noch etwas genauer studieren.
Und ja, das sind oberschlächtige Wasserräder.
 
Nun habe ich noch eine Frage an euch.
In diversen Zeitschriftenartikeln und auf mehreren Intersetseiten habe ich gelesen, Vitruv habe das oberschlächtige Wasserrad erfunden.
Vitruv irgendwelche Erfindungen zuzuschreiben, ist strenggenommen unseriös und beruht auf der Idealisierung antiker Architektur seit der Renaissance. Er ist hauptsächlich als Fachautor bekannt. Siehe dazu:
H.W. Kruft, »Die Überlieferung Vitruvs und die Architekturtheorie im Mittealter« in seiner Geschichte der Architekturtheorie: von der Antike bis zur Gegenwart, 1991, S. 31; @ Google Books.
 
Vitruv irgendwelche Erfindungen zuzuschreiben, ist strenggenommen unseriös und beruht auf der Idealisierung antiker Architektur seit der Renaissance. Er ist hauptsächlich als Fachautor bekannt. Siehe dazu:
H.W. Kruft, »Die Überlieferung Vitruvs und die Architekturtheorie im Mittealter« in seiner Geschichte der Architekturtheorie: von der Antike bis zur Gegenwart, 1991, S. 31; @ Google Books.
Danke Mashkena, genau darauf wollte ich mit meiner Frage raus. So weit ich herausgefunden habe, gibt es von Vitruv „nur“ seine 10 Bücher. In anderen Quellen wird er so weit ich weiss nicht gross erwähnt (stimmt das oder hab ich etwas übersehen?).
Wenn also in seinem Buch und in anderen Texten nichts über eine Erfindung von Vitruv steht, können wir das heute gar nicht wissen (sei das nun ein Wasserrad oder sonst irgendwas).
 
Wenn also in seinem Buch und in anderen Texten nichts über eine Erfindung von Vitruv steht, können wir das heute gar nicht wissen (sei das nun ein Wasserrad oder sonst irgendwas).
So ist es.(mehr oder weniger) Siehe im verlinkten Text oder auch Abschnitt »Rezeption« in »Vitruv«, dt. Wikipedia.

Was die Oberschlächtigkeit antiker Mühlen angeht, hab’ ich auf die Schnelle das gefunden:
“Water Wheels”, @ Water History. Siehe dort den Link zu den Mühlen bei Barbégal (erbaut allerdings erst im 4. Jh.) mit offenbar oberschlächtiger Wasserführung, soweit ich das beurteilen kann…
 
Was die Oberschlächtigkeit antiker Mühlen angeht, hab’ ich auf die Schnelle das gefunden:
“Water Wheels”, @ Water History. Siehe dort den Link zu den Mühlen bei Barbégal (erbaut allerdings erst im 4. Jh.) mit offenbar oberschlächtiger Wasserführung, soweit ich das beurteilen kann…
Ja, das sind die gleichen Mühlen, wie Carolus schon erwähnt hat ;-)
Und richtig, sie sind oberschlächtig.
Das Wort oberschlächtig (oder unter-) kommt daher, dass das Rad von oben mit Wasser beschlagen wird. (Wieso es dann nicht oberschlägig heisst, weiss ich allerdings auch nicht.)
 
Das Wort oberschlächtig (oder unter-) kommt daher, dass das Rad von oben mit Wasser beschlagen wird. (Wieso es dann nicht oberschlägig heisst, weiss ich allerdings auch nicht.)
Wahrscheinlich hat es mehrere parallele Wortentwicklungen gegeben, von denen sich dann am Ende eine durchgesetzt hat. So wie bei
- deutsch und deutlich
oder
- höfisch und höflich
Nur, dass bei diesen ursprünglich dasselbe bedeutenden Varianten sich jeweils eine andere semantische Reduktion (eine Bedeutungsverengung) vollzogen und somit deutsch und deutlich bzw. höfisch und höflich von der Bedeutung her so unterschiedlich geworden sind, dass sie heute nicht mehr gegeneinander austauschbar sind.
 
... (Wieso es dann nicht oberschlägig heisst, weiss ich allerdings auch nicht.)
Das Verschleifen von g zu ch ist häufig, vor allem in der gesprochenen Sprache, man kann sogar sagen , die Regel.
schlagen - Schlacht, tragen - Tracht.
Die "Standardaussprache" der Endung -ig ist -ich.
In einigen Dialekten wird auch g zwischen 2 Vokalen zu ch (stimmlos oder stimmhaft): sagen - sache, Hagel - Harel.
 
Das Verschleifen von g zu ch ist häufig, vor allem in der gesprochenen Sprache
In diesem speziellen Fall handelt es sich nicht um ein "Verschleifen" (Frikativierung), die Entwicklung ist sogar umgekehrt:
Das Wort schlagen lautete im Althochdeutschn slahan, im Mittelhochdeutschn slahen - mit sehr deutlich gesprochenem h, dieses ist in Ableitungen mit auslautendem -t (vgl. Schlacht) erhalten geblieben.

Formen mit -g- gab es schon im Mitteldeutschen: slahen - sluoc - geslagen.
Das Stichwort heißt "Grammatischer Wechsel", diesen haben wir heute noch z. B. im Verb ziehen - zog - gezogen.
 
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