Sonnwendfeuer: originär germanisch oder geschichtsideologischer Ursprung?

Ich würde die europäische Romantik nicht eine Ideologie nennen.

Kannst Du mir, bitte, ein Beispiel für eine “erfundene” im 19. Jahrhundert Volkstradition geben?

Ich sprach ja nicht von Stilrichtungen und Epochen der Kunst sondern von Ideologien.
Die in bürgerlichen Kreisen wohl vorherrschende Ideologie im 19. Jahrhundert dürfte der Nationalismus gewesen sein. Der Nationalismus hat(te) ein Interesse daran, Traditionsgemeinschaften zu konstituieren. Wie konstruiert man Traditionsgemeinschaften? Indem man eine möglichst lange gemeinsame Kulturgeschichte zur konstituierenden Ideologie macht, eine Kulturgeschichte, die bis in die quellenlose Vorzeit zurück reicht.

So wurde im 19. Jahrhundert nicht zufällig die germanische Gottheit Ostara erfunden, um aus der christlichen Ostertradition eine urgermanische Tradition zu machen, die die Christianisierung überlebt hat. Potentiell kann alles, was archaisch wirkt wild als irgendeine Tradition verkauft werden. Nur ist nicht alles, was archaisch wirkt, auch wirklich archaisch. Aber wenn Du wirklich alte Quellen hast, die vom Sonnwendfeuer berichten, oder wenn Du archäologische Studien kennst, die nahe legen, dass es tatsächlich eine alte bulgarische, slawische etc. Sonnwendfeuertradition gibt, dann bitte. Die alleinige Existenz von Sonnwendfeuern und die im Raum stehende Behauptung sie seien alt, beweisen gar nichts - dann müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, sie seien eines "geschichstideologischen Ursprungs".
 
Zuletzt bearbeitet:
El Quijote,
Vielen Dank für die Antwort. Ich bin einverstanden mit Deiner Argumentation. Mich stört aber die Wahrscheinlichkeit (eher Unwahrscheinlichkeit), dass die Nationalisten in zwei oder mehr europäischen Ländern, die sich 1000 Kilometer weit voneinander befinden, genau die gleichen Traditionen „erfunden haben, die mit genau den gleichen mythologischen Vorstellungen verbunden sind. Und das alles im 19. Jahrhundert…..
Ich sprach ja nicht von Stilrichtungen und Epochen der Kunst sondern von Ideologien.
Die in bürgerlichen Kreisen wohl vorherrschende Ideologie im 19. Jahrhundert dürfte der Nationalismus gewesen sein.

Übrigens ich habe zum Beispiel die Brüder Grimm immer im Zusammenhang mit den Ideen der europäischen Romantik betrachtet. Natürlich das Interesse an den Volkstraditionen ist auch mit neuem Nationalbewusstsein verbunden.
 
Um diesen Thread mal wieder ein wenig zu beleben:
Ich habe (leider nur die englische Übersetzung) The Life of Saint Eligius vom Hl. Ouen gefunden.
Darin auch der von Horst zitierte Satz:

No Christian on the feast of Saint John or the solemnity of any other saint performs solestitia [solstice rites?] or dancing or leaping or diabolical chants.

Nun fehlt natürlich immer noch das lat. Original, in dieser Übersetzung steht nur etwas von Sonnenwendriten, nicht vom Feuer, das wäre schon Interpretation. Allerdings wurde schon mehrfach das Springen über das Feuer erwähnt, u.a. von Kiprian, ich selber habe es in Spanien gesehen. Im Übrigen feiert man in ganz Spanien den Tag des Hl. Johannes mit Johannisfeuern, nur in der Stadt Lanjarón, aus der das bekannteste spanische Mineralwasser kommt, feiert man San Juan als Fiesta del Agua.
Ich würde nach den bisherigen Ergebnissen befinden, dass das Sonnwendfeuer vorchristlich ist, aber im Johannisfest aufgegangen. Eine nationale Vereinnahmung ist aufgrund der weiten Verbreitung allerdings nicht möglich.
 
Litha/Sonnenwende

Hallo, kann mir jem. bitte ganz schnell, bzw. heute noch sagen, ob das Hexenfest litha/ sommersonnenwende im Mittelalter gefeiert wurde und ob es heute noch gefeiert wird?
Bräuche dazu wären auch toll!!!
Vielen Dank
 
Historisch sind genaugenommen nur Feierlichkeiten zur Sommersonnenwende (kurz Mittsommerfest), welche in verschiedenen vorchristlichen Kulturen existierten und nach der Christianisierung durch das Hochfest von Johannes dem Täufer - oder kurz: den Johannistag - ersetzt wurden. Gemein ist ihnen das Datum: der 24. Juni, der Tag eben der Sommersonnenwende nach dem Julianischen Kalender (erst im Gregorianischen Kalender wurde dies auf den 21. Juni korrigiert).
Zwar ist dabei häufig zu lesen, daß viele der alten Bräuche christlich umgedeutet worden sind, wirklich Konkretes habe ich dazu jedoch noch nicht gefunden. Dies dürfte übrigens auch nicht ganz einfach sein, da eben seit der Christianisierung der Inhalt auf Johannes den Täufer gelegt ist und das Brauchtum dadurch auch Bezug zu ihm hat.

Anm.: Einen Anhaltspunkt könnte am ehesten noch das schwedische Midsommar geben, bei dem der Bezug zu Sankt Johannis fehlt. Allerdings genügt dort wiederum bereits ein Blick bspw. auf die für Midsommar typische Speisenliste, um zu erkennen, daß viele Modernismen eingeflossen sind.

Was Litha betrifft, so gibt es dafür mW keinen historischen Beleg außer eben diesem und ähnlichen Namen, der sich dann jedoch auf das Mittsommerfest allegemein - siehe oben - bezieht und kein spezifisches Fest bzw. keine spezifische Feierlichkeit kennzeichnet.
Als "spezifische" (Sommer-)Sonnenwendfeier (also von den o.g. zu unterscheiden) oder gar als Hexensabbat begegnet er uns nur in esoterischen/neopaganen Kreisen (Wicca), wo ebenfalls noch hinzuzufügen ist, daß der Begriff des Hexensabbat zudem auf Hexentheoretiker nach 1400 und dann insbesondere der Frühen Neuzeit zurückgeht.
 
Die Datierung des Johannistages auf den 24. Juni ergibt pikanterweise, ergibt sich übrigens aus den Angaben des Lukas-Ebangeliums kombiniert mit der Datierung von Christi Geburt auf den 25. Dezember, also Wintersonnenwende nach dem Julianischen Kalender.
Zwischen der Schwangerschaft Elisebths und Marias liegen 6 Monate, ebenso zwischen der Geburt Johannes des Täufers und Jesu.
Das Wörtchen Lithe wurde übrigens von Tolkien persönlich für den Auenland-Kalender der Hobbits aus altenglischen Sprachmaterial konstruiert.=)
 
Das Wörtchen Lithe wurde übrigens von Tolkien persönlich für den Auenland-Kalender der Hobbits aus altenglischen Sprachmaterial konstruiert...

Genau; altenglisch heißen die ersten beiden Sommermonate ærra Lîða monað ("Monat vor Litha" oder "erster Reisemonat"; entspricht also in etwa dem Juni) und æfter Lîða monað ("Monat nach Litha" oder "zweiter Reisemonat"; entspricht also in etwa dem Juli).
Hier stellt sich jedoch die Frage, ob wirklich gilt Lîða bzw. Litha = Sommersonnenwende; denn lîðan hat die Bedeutung "to go", "to travel", "to sail" bzw. "to glide" (vgl. dazu im heutigen Englisch to lead - mit Bedeutungsverschiebung i.S.v. "cause to go with one" oder "go in front").
Vgl. dazu auch:
THE OLD ENGLISH CALENDAR
Online Etymology Dictionary
Indo-European Lexicon: Pokorny Etymon and IE Reflexes

Nur mit Hexen hat es eben außerhalb der modernen Wicca nichts zu tun... :fs:
 
No Christian on the feast of Saint John or the solemnity of any other saint performs solestitia [solstice rites?] or dancing or leaping or diabolical chants.

Nun fehlt natürlich immer noch das lat. Original, in dieser Übersetzung steht nur etwas von Sonnenwendriten, nicht vom Feuer, das wäre schon Interpretation.

Hier ist es:

Nullus in festivitate sancti Iohannis vel quibusque sanctorum sollemnitatibus solstitia aut vallationes vel saltationes aut cantica diabolica exerceat.

https://www.dmgh.de/mgh_ss_rer_merov_4/#page/706/mode/1up
 
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