Auswandern um 1420 - wohin?

Teresa C.

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Mir ist völlig klar, dass um 1420 niemand nach Amerika auswandern konnte. Wohin aber hätte damals jemand aus der Reichslandschaft Schwaben auswandern können, wenn er bzw. sie das Heilige Römische Reich bzw. dessen dort gelegenen Teile (Herrschaften, Grafschaften, Herzogtümer) hinter sich zu lassen?
 
Mir ist völlig klar, dass um 1420 niemand nach Amerika auswandern konnte. Wohin aber hätte damals jemand aus der Reichslandschaft Schwaben auswandern können, wenn er bzw. sie das Heilige Römische Reich bzw. dessen dort gelegenen Teile (Herrschaften, Grafschaften, Herzogtümer) hinter sich zu lassen?
Hallo, Teresa! :)
Mein Vorschlag wäre Dijon, falls der Protagonist viel Hausrat mitzuschleppen hat und vor Kriegen und Machtwechseln einigermaßen verschont bleiben soll.
 
Ich las vor Jahren mal einen Reisebericht - es war nicht Arnold von Harff - von einem süddeutschen Ritter, der in Irland irgendeine Höhle besucht hat, die im Mittelalter wohl als Tor zur Hölle galt. Dieser Ritter war auch in Santiago de Compostela und hatte vor, für den König in Portugal in Nordafrika zu kämpfen, hat aber den Anschluss an das portugiesische Heer verpasst und hat sich dann bei den Kastiliern im Kampf gegen Granada verdingt.
 
@Teresa C.

@Stilicho hat bereits Siebenbürgen genannt, das wäre auch mein Tipp gewesen. Wenn man von Böhmen absieht, sind im Spätmittelalter in kein anderes Territorium mehr Deutsche ausgewandert.

Dann wäre da noch der Deutschordensstaat, dessen Obrigkeit nach der Niederlage von 1410 wieder verstärkt Auswanderer aller Stände aus dem Reich umwarb, um im Sinne von "divide et impera" den deutsch-polnischen Kleinadel und die aufsässigen deutschen Kaufleute einzuhegen.

Allerdings müsste man noch den beruflichen Hintergrund des Betreffenden kennen. Spezialisten wie Bergleute oder Büchsenmacher z.B. waren überall gefragt und konnten fast überall in Europa mit Aufnahme rechnen, besonders aber östlich der Reichsgrenzen. Wer sich hingegen aufs Kämpfen verstand, war in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch in Frankreich und Italien sehr willkommen.
 
Die "Kolonisierung" der Azoren, des Madeira Archipels und der kanarischen Inseln hatte schon eingesetzt: via Spanien und Portugal wäre ein bzgl der Reiseroute aufwändiges "auswandern" auf eine dieser Inseln denkbar gewesen.
Natürlich nicht im Sinne einer heutigen Kreuzfahrt oder Badereise :)
 
Es gab im 18. Jhdt. das durch den spanischen Philosophen und Königsberater Pablo de Olavide angeregte Projekt, Bauern in Regionen anzusiedeln, die sehr dünn besiedelt waren. Dazu wurde der in spanischen Diensten stehende Söldner Kaspar Thürriegel beauftragt "gute katholische Bauern" aus "Deutschland" anzuwerben, die man dann in Spanien ansiedeln wollte. Das ganze Projekt diente der Urbarmachung des Landes und sollte dem Bandenwesen, welches für den Verkehr ein Sicherheitsrisiko darstellte entgegenwirken. Das SS-Ahnenerbe hat dann in den 1930er und 40er Jahren Leute nach Andalusien geschickt, die in den fraglichen Regionen (vor allem in Córdoba und Jaén) nach Spuren dieser Deutschen suchen sollten. Die meisten haben sich schon im ersten Jahr nach ihrer Ansiedlung schon wieder aus dem Staub gemacht, entweder, indem sie in die spanischen Städte weitergezogen sind, oder aber indem sie nach Dtld. zurückgegangen sind.
Das Problem war, Kaspar Thürriegel hatte zwar Leute aus der Schweiz, Baden, und Elsaß Lothringen angeworben, aber das waren i.d.R. keine Bauern gewesen, sondern Habenichtse und Tagelöhner. Die hatten zu großen Teilen einfach nicht gelernt, ein Stück Land selbständig zu beackern und außerdem waren diejenigen, welche es gewohn waren, ein Land zu bestellen, mit dem harten und trockenen Boden der andaluischen Regionen nicht vertraut. Daher war dieses Projekt schnell gescheitert. Trotzdem finden man in den fraglichen Orten (La Carlota, La Carolina etc. - benannt nach Mitgliedern der bourbonischen Königsfamilie) hin und wieder noch deutsche Familiennamen. Das sind wohl die Nachkommen der Minderheit, die sich durchgebissen hat.
 
Auf der Seite England's Immigrants 1330 - 1550 gibt es eine Datenbank, die alle aufgezeichneten Immigranten in England zwischen 1330 und 1550 enthält.
Wenn man nach Germany sucht, gibt es um die 2000 Personen, ums Jahr 1420 aber nicht so viele.
Die Daten stammen aus Denizationsbriefen und aus Steuerbüchern. 1440 soll in England eine spezielle Steuer für Ausländer eingeführt worden sein, was es dann wohl nicht mehr so attraktiv für Auswanderer machte, oder gab es solche Extrasteuern überall?
 
1440 soll in England eine spezielle Steuer für Ausländer eingeführt worden sein, was es dann wohl nicht mehr so attraktiv für Auswanderer machte, oder gab es solche Extrasteuern überall?

In der Regel versprach die Obrigkeit, wenn sie an Anwerbung von Einwanderern/Kolonisten ernsthaft interessiert war, denselben einige Jahre Steuerfreiheit.
Insofern würde ich sagen, dass es das jedenfalls nicht überall gab, wobei dann auch zu hinterfragen wäre, welcher Rechtsstatus Zugezogenen zugestanden wurde.

Von den Verhältnissen in Westeuropa habe ich keine Ahnung, aber ein wenig von den Verhältnissen in Ostpreußen unter der Ordensherrschaft.
Da gab es bei der Anwerbung von Kolonisten öffters mal das Modell diesen den Rechtsstatus von "Zinsbauern" zuzuweisen, was bedeutet, dass sie ihren jeweiligen Grundherren im Gegensatz zu anderen Gruppen Geld- oder Naturalabgaben schuldig waren, dafür aber nicht oder nur in geringerem Maße als üblich der Scharwerkspflicht unterfielen, sprich ihren Grundherren in nur in geringerem Maße Hand- und Spanndienste leisten zu müssen oder eben überhaupt keine.
In diesem Sinne muss zusätzliche finanzielle Belastung nicht zwangsläufig einen rein diskriminierenden Charakter gehabt haben.

Insofern müsste man sich anschauen, ob das eine Steuer gewesen ist, die dezidiert Zuwanderer finanziell diskriminierte oder ob es sich um ein vergleichbares Modell handelte, bei dem zusätzliche finanzielle oder Naturalabgaben die sonst üblichen Fudallasten ersetzte.
 
nsofern müsste man sich anschauen, ob das eine Steuer gewesen ist, die dezidiert Zuwanderer finanziell diskriminierte oder ob es sich um ein vergleichbares Modell handelte, bei dem zusätzliche finanzielle oder Naturalabgaben die sonst üblichen Fudallasten ersetzte.

Das wird in England unterschiedlich betrachtet. In einigen Publikationen wird angenommen, dass das Parlament 1440 einer allgemeinen Ausländerfeindlichkeit nachgegeben habe, andere meinen, dass dies im Zusammenhang mit einer Zunahme der "erleichterten Einbürgerung" (letters of denization) gesehen werden muss.
Das ist wohl noch ungenügend erforscht. Bei einigen Veröffentlichungen zu dieser Frage in jüngster Zeit vermute ich auch politische Hintergründe (Brexit) und lassen mich als Laien vorsichtig werden.

Mein Eindruck ist, dass im 15. Jh. bezüglich Migrationspolitik in England ein wenig experimentiert wurde, was zu zeitweiser Verunsicherung unter den Auswanderern geführt haben könnte und diese dann auch aus diesem Grund andere (weniger komplizierte?) Gegenden, wie den Osten, bevorzugten.
 
Meiner Wahrnehmung nach dürften Einwanderer im europäischen Mittelalter selten wohlgelitten gewesen sein. Allenfalls bei Spezialisten oder zur Besiedlung leerer Landstriche wurde die Zuwanderung obrigkeitlich gefördert; aber auch dann waren die "Walen", "Niemy" usw. nicht nachgerade willkommen.

Allerdings ist der Begriff "Ausländerfeindlichkeit" hier nach meinem Empfinden vielleicht besser zu vermeiden, da er falsche Assoziationen weckt. Die Animosität, die man damit verbindet, schwelte im Mittelalter nämlich durchaus auch zwischen Gesellschaften, die sich in puncto Sprache, Kultur, Aussehen usw. nur wenig unterschieden – als wären heute Hessen und Thüringer Todfeinde.

Manchmal waren diese Feindseligkeiten auf eine kriegerische Vorgeschichte zurückzuführen; bspw. waren die Wallonen in ganz Mitteleuropa unbeliebt, weil sie im Ruf standen, brutale Söldner zu sein.

Eine stärkere Triebfeder könnten aber Palastintrigen gewesen sein, im Zuge derer ab dem Hochmittelalter immer öfter auch die öffentliche Meinung eingespannt wurde. Es kam ja nicht selten vor, dass Monarchen, um ihre Macht abzusichern (oder weil sie unter dem Pantoffel standen), Macht auf ihre angeheiratete Familie und deren Gefolge übertrugen; und gelegentlich entwickelten sich daraus Günstlingswirtschaften, die einheimische Würdenträger zu verdrängen drohten und von diesen entsprechend angegriffen wurden.

Man denke etwa an Elisabeth von Bayern und Ludwig den Gebarteten, zu deren Zeit bereits ein deutsches Wort zur falschen Zeit genügte, um von den Parisern verdroschen zu werden.
 
Mein Eindruck ist, dass im 15. Jh. bezüglich Migrationspolitik in England ein wenig experimentiert wurde, was zu zeitweiser Verunsicherung unter den Auswanderern geführt haben könnte und diese dann auch aus diesem Grund andere (weniger komplizierte?) Gegenden, wie den Osten, bevorzugten.

Ich weiß nicht, ob der Osten weniger kompliziert war. Im Bezug auf Ostpreußen, wäre darauf hinzuweisen, dass es einfach sehr oft, auch nach der Ordenszeit noch darum ging Kolonisten anzuwerben, weil im Besonderen die sandigen Böden in Masuren sher lange geringe Erträge abwarfen und deswegen erst relativ langsam aufgesiedelt wurden, während Krankheiten und kriegerische Handlungen immer wieder für Dezimierung der Bevölkerung sorgten.
Deswegen gab es hier lange eine Politik, die immer wieder auf das Anlocken von Siedlern abzielte, ab der Reformationszeit dann auch auf das Anlocken religiöser Dissidenten.
Das wird in dieser Form mit England nicht vergleichbar sein, ich wollte nur einfach darauf hinweisen, dass eine gesonderte Besteuerung nicht automatisch eine Diskriminierung darstellen musste, sondern auch der Preis für einen ansonsten vorteilhafteren Rechtsstatus sein konnte.

Meine erste Implikation im auf England 1440 wäre gewesen, dass man wahrscheinlich im ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhundert ein größeres Interesse an Zuzug hatte um die Bevölkerungsverluste der großen Pestepedemie in der Mitte des 14. Jahrhunderts auszugleichen und dass man sich, als das weitgehend erledigt war, von einer etwas offeneren Politik wieder verabschiedete (aber das ist nur eine Vermutung ins Blaue hinein).
 
Wer sich hingegen aufs Kämpfen verstand, war in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch in Frankreich und Italien sehr willkommen.
Passt nicht ganz, aber fast:
Keupp, Jan Ulrich: Der Ruf des Südens: Pfälzer Ritter in Italien (12. bis 14. Jahrhundert). In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz Bd. 108 (2010) S. 381-397.
Gelesen habe ich es nicht, aber Keupp ist eigentlich immer ganz gut.
 
Meiner Wahrnehmung nach dürften Einwanderer im europäischen Mittelalter selten wohlgelitten gewesen sein. Allenfalls bei Spezialisten oder zur Besiedlung leerer Landstriche wurde die Zuwanderung obrigkeitlich gefördert; aber auch dann waren die "Walen", "Niemy" usw. nicht nachgerade willkommen.

In Hessen machten die Landgrafen den Hugenotten durchaus große Zugeständnisse: Hugenotten wurden von Kriegsdiensten, Einquartierungen und Hand- und Spanndiensten befreit, teilweise auch von Steuern.

Das stieß in der einheimischen Bevölkerung teilweise auf heftige Kritik, vor allem die Verschonung von Einquartierungen wurde als überzogene Bevorzugung der Einwanderer kritisiert.
 
In Hessen machten die Landgrafen den Hugenotten durchaus große Zugeständnisse: Hugenotten wurden von Kriegsdiensten, Einquartierungen und Hand- und Spanndiensten befreit, teilweise auch von Steuern.
Da sind wir aber bereits in der Neuzeit, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, und was man den Hugenotten gewährte, war religiöses Asyl – das nicht zuletzt den Landgrafen als politisches Kapital nützte, stärkte es doch ihre Vorrangstellung unter den Reichsfürsten.
 
Zwar nicht 1420, aber 1495:

Et dixerunt mihi due fidedigno Almani qui cum castellano [der Burg Almería] bene tenti, quorum unus Andreas ex Fulden in Hassia et alium Iohannes ex Argentina, se vidisse quod in summitate interiori mesquite in multis locis pendebant campane quas in bellis abstulerunt cristianis.

Und es sagten mir zwei glaubwürdige Deutsche, die mit dem Burgherren gut bekannt waren [das ist wörtlich sehr frei übersetzt, sollte aber inhaltlich das sein, was Hieronymus Münzer sagen wollte], von denen einer Andreas aus Fulda in Hessen und der andere Johannes von Straßburg waren, dass sie im ganzen Innern der Moschee an vielen Orten die Glocken hängen sahen, die sie [die Sarrazenen] in Kriegen den Christen weggeführt hatten.
Andreas aus Fulda und Johannes von Straßburg sind nicht weiter bekannt.
 
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