excideuil
unvergessen
Und ja, ich halte die Staatsmänner des Wiener Kongresses für "besser", "klüger" und "weiser" als deren Nachfolger in Versailles, das ist natürlich meine persönliche Ansicht.
Im Thread zum Versailler Vertrag wurde ein paar Mal der Vergleich zum Pariser Frieden bzw. zum Wiener Kongress gezogen. In der Summe steht die These, dass die aristokratischen Staatsmänner ein besseres Ergebnis vorlegten als die Macher der Versailler Vertrages.Die aristokratischen Staatsmänner haben es 1815 geschafft, einen vormalig revolutionären Zustand der Mächte untereinander in ein allgemein anerkanntes System der Legitimität zu überführen. Selbst der Kriegsgegner Frankreich konnte sich darin wiederfinden zumal dieses Prinzip Frankreich vor weitergehenden Gebietsabtretungen schützte.
Kann man diese These so stehen lassen? Oder muss konstatiert werden, dass Staatsmänner aller Zeiten sich immer an den konkret bestehenden Bedingungen orientieren?
Ein gutes Beispiel ist der 1. Pariser Frieden:
Nach jahrelanger Dominanz des französischen Empire war dies besiegt. Die Alliierten England, Rußland, Österreich und Preußen standen schon vor dem Einmarsch in Paris vor der Frage, wie eine zukünftige Regierung Frankreichs und die künftige Ausdehnung des Landes aussehen aussehen sollte. Alle Verhandlungen mit Napoleon führten zu keinem Ergebnis.
Die Verträge von Chatillion und Chaumont führten zu dem Ergebnis, dass die Wiedereinsetzung der Bourbonen zweckmäßig sei, auch wenn sich die Alliierten sich nicht direkt in die Wahl einer "neuen" Dynastie mischen wollten. Wichtiger war die zukünftige Ausdehnung Frankreichs. Und diese wurde auf die Grenzen von 1792 festgelegt, was den Verlust der "natürlichen" Grenzen bedeutete.
Frankreich war besetzt. Die Bourbonen wurde wieder eingesetzt. Ein Waffenstillstand wurde geschlossen:
„Je größer die Anzahl der nach Paris zurückkehrenden Offiziere und Soldaten wurde, desto feindseliger wurde die Stimmung des Volkes gegen die fremden Truppen, ja sogar gegen die Souveräne. Man schob ihnen alle möglichen feindlichen Absichten unter. Dieser Hass wurde bedeutend verstärkt durch das Bekanntwerden der am 23. (April, Waffenstillstand) zwischen den verbündeten Mächten und Monsieur abgeschlossenen Übereinkunft, die man dem Publikum nicht gut vorenthalten konnte. Die Bedingungen waren allerdings recht hart. Frankreich hatte einwilligen müssen, in bestimmten Fristen alle außerhalb der französischen Grenzen vom 1. Januar 1792 gelegenen Festungen zu räumen – alles in allem 53, unter ihnen vier Festungen ersten Ranges: Mainz, Antwerpen, Mantua, Alessandria. Den Verbündeten mussten alle Artillerie-Depots und Munitionsvorräte übergeben werden – ein ungeheures Kriegsmaterial: 12000 Geschütze, darunter 11000 bronzene. Die französischen Truppen durften nur ihre Feldartillerie mitnehmen, und zwar auf je 1000 Mann 3 Geschütze.
In Bezug auf die Räumung des französischen Gebietes wurde bestimmt, dass sie von den verbündeten Mächten nach Maßgabe des Abzugs der französischen Truppen aus den ausländischen Festungen bewerkstelligt werden solle.
Nach diesen Vereinbarungen ließen sich die Bedingungen des endgültigen Friedensvertrages unschwer voraussehen. Man begreift, welche Unzufriedenheit durch das Bekanntwerden eines solchen Vertrages in den schon ohnehin missgestimmten Gemütern erregt werden musste. Da sieht man – hieß es – was wir durch die Rückberufung des Hauses Bourbon gewonnen haben!“ [6/Seiten 130-131]
Schon der Waffenstillstand zeigte, wie der Frieden aussehen würde. Ganz deutlich, die Bedingungen wurden durch die Alliierten festgelegt, Frankreich konnte nur gewisse Erleichterungen erreichen (Rückkehr der Kriegsgefangenen, baldiges Ende der Besetzung)
Dann war es Gewißheit, die "natürlichen" und damit die Rheingrenze waren verloren! Zwar musste Frankreich (noch) keine Kontributionen zahlen, auch die geraubten Kunstschätze blieben erhalten, aber die Rückstufung auf eine Macht zweiten Ranges drohte:
"In den Wintermonaten (1813/14) hatten Rußland und Preußen verlangt, die Verhandlungen mit Frankreich auf die Festlegungen der Grenzen dieses Landes zu beschränken und ihm im übrigen die Teilnahme an der Ordnung der kontinentalen Fragen zu verwehren." [4/ Seite 89]
Damit wird schon deutlich, dass man mit dem Verlierer nicht zimperlich umgehen wollte. Erhaltung als mögliches Gegengewicht sicherlich aber den von Napoleon hinterlassenen und aufzuteilenden Kuchen, ja, den wollte man unter sich teilen.
Und so finden sich in geheimen Artikeln der Pariser Vertrages bereits Regelungen auf die sich die Alliierten schon vor dem Wiener Kongress einigen konnten:
"Nun aber verlangten die Minister Österreichs und Preußens, dass schon im Vertrage Frankreich zur Anerkennung von weiteren "Grundlagen" gezwungen würde, um seinen späteren Einreden zu entgehen, und suchten Bestimmungen über die Festlandsordnung, soweit sie schon feststanden, in den Friedensvertrag zu bringen. In geheimen Separatartikeln musste Frankreich die Ausdehnung Österreichs bis zum Po und Tessin, das um Genua zu vergrößernde Sardinien, die Vereinigung Belgiens mit Holland und die Bestimmung des übrigen linken Rheinufers für Holland, Preußen und andere deutsche Staaten sowie die freie Schifffahrt auf Rhein und Schelde grundsätzlich anerkennen." [4/Seite 91]
Hätten sich die Alliierten bei allen Problemen einigen können, dann hätten wir sie wohl in den §§ des Pariser Friedens als Gesetz gefunden.
So aber sagte der Vertrag:
„Artikel XXXII. Innerhalb einer Frist von zwei Monaten werden alle Mächte, welche von beiden Seiten in den gegenwärtigen Krieg verwickelt waren, Bevollmächtigte nach Wien schicken, um auf einem Generalkongresse die Anordnungen zu treffen, welche die Verfügungen des gegenwärtigen Traktats vervollständigen müssen.“ [1][2/Seite 146]
Die Kröte für Frankreich:
Der erste geheime Artikel des Vertrages hat diesen Wortlaut:
„Artikel I. Die Verfügung über die Gebiete, denen Se. allerchristliche Majestät durch den 3. Artikel des öffentlichen Vertrages entsagt, und die Beziehungen, aus denen ein wirkliches und dauerhaftes System des Gleichgewichts in Europa hervorgehen soll, werden von den verbündeten Mächten auf den unter sich festgestellten Grundlagen und nach den in den folgenden Artikeln enthaltenen allgemeinen Bestimmungen geregelt werden.“ [3]
Talleyrand sagte es deutlich:
„…, und die geheimen Artikel des Vertrages sprechen es unverhohlen aus, dass die Teilung der uns wieder abgenommenen Länder unter den Mächten selbst, und zwar mit Ausschluss von Frankreich, stattfinden sollte.“ [2/Seite 156]
Und so stand er mit nichts als einem Prinzip den Mächten auf dem Wiener Kongress gegenüber:
„Ich verlange nichts, sondern bringe Ihnen etwas, und zwar etwas sehr Wichtiges: das geheiligte Prinzip der Legitimität.“ [7]
Vllt. noch mit dem Prinzip der Hoffnung:
"Dank dem Vertrag von Paris trat Frankreich als möglicher Faktor in dem Gleichgewicht auf. Zugegeben, es wurde zu dem Kongress nur hinzugezogen, um dessen Entscheidungen zu ratifizieren. Durch die Restauration war aber Frankreich ein "annehmbarer" Bundesgenosse geworden. Es gab keine "ideologische" Kluft mehr, die es vom Rest Europas trennte. Würde irgendeine Nation ein für sie ungünstiges Urteil hinnehmen, ohne vorher den Versuch gemacht zu haben, sich durch Annäherung an Frankreich eine stärkere Position zu verschaffen?" [5]
Machtpolitik ist kein "wünsch dir was". Zu keiner Zeit. Ein Friedensschluss ist die eine Sache, was daraus wird, kann nur die Zukunft zeigen. Im Fall des Pariser Friedens war von Vorteil, dass sich die Machtverhältnisse in Europa kaum änderten und Frankreich Zug um Zug in den Kreis der Großmächte wiederaufgenommen wurde. (Aachen 1818)
Dass die "natürlichen Grenzen" nicht vergessen sind, zeigt dieses Zitat:
„Unglücklicherweise begann man nach dem Sturz Napoleons die Friedensverhandlungen mit den europäischen Mächten. Im vertrag von Paris vom 30. Mai wurde Frankreich in seine Grenzen von 1792 zurückgewiesen, von seinen revolutionären Eroberungen blieben ihm nur noch Savoyen, Avignon und Montbéliard. Belgien kam zu Holland, Venetien und die Lombardei wieder an Österreich; über die anderen Gebiete sollte auf einem Kongress in Wien entschieden werden. Zahlreiche Befestigungen in Deutschland, Italien und Belgien, vor allem Antwerpen und Hamburg wurden wieder aufgebaut mit einer beachtlichen Ausrüstung. Der Stolz der Franzosen war verletzt. Man sah in diesen Abtretungen, die in Wirklichkeit mit voller Zustimmung Talleyrands erfolgten, „das Trinkgeld, das die Bourbonen an die Alliierten zu entrichten hatten“; der Verlust der Eroberungen schien die Bedingung für die Wiederkehr der Monarchie zu sein.“ [8]
Eine Alternative zeigt Tulard allerdings auch nicht auf.
Grüße
excideuil
[1] Soden, J. Graf von: Archiv des Wiener Kongress, Bd.1, Nürnberg, 1815, Seite 87
[2] Talleyrand: „Memoiren des Fürsten Talleyrand“, herausgegeben mit einer Vorrede und Anmerkungen von Herzog de Broglie, Original Ausgabe von Adolf Ebeling, Köln und Leipzig, 1891-1893, Bd. 2
[3] Pappermann, Heinrich K.: Diplomatische Geschichte der Jahre 1813, 1814, 1815, F.A. Brockhaus, Leipzig 1863, Bd. 1, Seite 502
[4] Griewank, Karl: Der Wiener Kongress und die europäische Restauration 1814-15, Koehler & Amelang, Leipzig, 1954 (1942)
[5] Kissinger, Henry A.: Das Gleichgewicht der Großmächte Metternich, Castlereagh und die Neuordnung Europas 1812 – 1822, Manesse Verlag, Zürich, 1986, Seite 273
[6] Pasquier, Étienne Denis: Napoleons Glück und Ende – Erinnerungen eines Staatsmannes 1806 – 1815, Verlag von Robert Lutz, Stuttgart, 1907, Bd. 2, Seiten 130-131
[7] Günzel, Klaus: „Der Wiener Kongress – Geschichte und Geschichten eines Welttheaters“, Koehler & Amelang, München, Berlin, 1995, Seite 87
[8] Tulard, Jean: Napoleon oder der Mythos des Retters, Wunderlich, Tübingen, 1978, Seite 475