Abschaffgung des Feudalsystems 1789

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Gans

Gast
Liebe Mitglieder,

ich habe folgendes Verständnisproblem zur Französischen Revolution:

Bei der Abschaffung des Feudalsystems, beschlossen in der Nacht zum 4. August 1789 (spätere Augustdekrete) heißt es:

Art. 1.: Die Nationalversammlung vernichtet das Feudalwesen völlig. Sie dekretiert, dass von den Feudal- wie Grundzinsrechten und -pflichten […] entschädigungslos aufgehoben werden […]

Weiter lese ich, dass als eine Art „Hintertür“ bzw. Klausel eine Art Ablöse (30fache) der „Jahresmiete“ für Ackerland eingeführt wurde, welche für die Bauern natürlich nicht zu leisten war, auch von einer Klausel für die Kirche ist die Rede. Abgeschafft wurde die Ablöse im Jahre 1793.

1. Meine Frage(n): Wurde also Artikel 1 damit nicht umgesetzt? Oder ist unter „Grundzinsrechten“ etwas anderes als die „Miete“ für das Ackerland zu verstehen?

2. Welche „Hintertür“ erhielt der Klerus?

3. Kann man die Formulierung der Klausel/Ablöse irgendwo nachlesen bzw. wann und wo wurde diese veröffentlicht?

Vielen Dank!
 
Zu 1.
Die Erklärung über die Abschaffung des Feudalsystems 04.08.1789 ist eine der großen Etappen auf dem Weg der französischen Revolution. Gerne wird jedoch die abgegebene Erklärung überhöht dargestellt. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass mit der Erklärung Artikel 1 der Adel und der Klerus auf ihre Feudalrechte verzichten.

Zwei Adelige, der Vicomte de Noailles und der Herzog von Aiguillon, forderten in der Versammlung die Abschaffung der Feudalrechte. Diese war sicherlich erfreut über diesen Vorstoß. Auch der Klerus, namentlich die Bischöfe von Nancy und Chartres, forderten die Abschaffung des Zehnten. In den Reden der angegebenen Reformisten wurde jedoch eine Klausel eingeflochten, die die Mehrheit der Versammlung vernachlässigte. Die Bauern konnten sich mit einer "Ablösung zum dreißigfachen Jahresertrag (rachat au denier 30) befreien". Das war ein sehr schwere Belastung, die kein Bauer schaffen konnte. Damit wurde die Wirkung des Artikel 1 hintertrieben.

Beleuchten zu der Klausel muss man die Situation in Gesamtfrankreich im Vorfeld der Versammlung. In Teilen Frankreichs regierte Anarchie und der "Mob" plünderte Eigentum von Adeligen. Die Versammlung wurde daher mit einem Vorschlag eröffnet, das die Mitglieder die Plünderungen verurteilen und die Achtung des Eigentums in einer Erklärung betonen sollten. Das Eigentum sollte unabhängig der Herkunft (feudal oder nicht) geschützt sein. Es herrschte daher bei diversen Mitgliedern der Versammlung Angst um ihr Vermögen.

Zitat des berichtenden Versammlungsausschusses zu den Plünderungen:
"Es scheint, daß das Eigentum und die Besitzungen, gleichviel welcher Art, die Beute der verruchtesten Räuberei sind. Überall sind die Schlösser niedergebrannt, die Klöster zerstört worden, die Pachtgüter der Plünderung preisgegeben. Die Steuern, die herrschaftlichen Abgaben, alles wird vernichtet. Die Gesetze sind machtlos, die Behörden ohne Autorität..." und "...daß die alten Gesetze (die Feudalgesetze) in Kraft sind, bis die öffentliche Gewalt der Nation sie abgeschafft oder geändert hat; daß alle vom Gewohnheitsrecht geschaffenen Abgaben oder Leistungen, wie von alters her, erfüllt werden müssen, bis es von der Versammlung anders geordnet wird."

Im Fokus diverser Mitglieder der Versammlung steht also die Angst um das eigene Eigentum. Der Vicomte von Noailles formulierte also eine Forderung nach der "Gleichheit aller Personen vor der Steuer, die im Verhältnis des Einkommens gezahlt werden sollte; alle öffentlichen Lasten sollten von allen getragen werden; alle Feudalrechte von den (ländlichen) Gemeinden gemäß dem Durchschnitt des Jahreseinkommens abgelöst werden, und endlich die Abschaffung der herrschaftlichen Fronden, der toten Hand und andrer persönlicher Servituten ohne Entschädigung."

Der Herzog von Aiguillon ging in seinen Forderungen noch weiter: "Der barbarische Rest Feudalgesetze, die noch in Frankreich in Kraft sind, stellt, man kann es sich nicht verhehlen, ein Eigentum vor, und alles Eigentum ist heilig. Die Billigkeit verbietet, von jemandem den Verzicht auf ein Eigentum zu verlangen, ohne dem Eigentümer eine angemessene Entschädigung zu gewähren."

Im Kern sollte die bisherige Abgabe durch einen 30fachen Ertrag abgelöst werden, eine ilusorische Forderung.

Zu 2.
Der Klerus ergänzte die angeführte Klausel, dass der Ertrag nicht zu persönlichen Gewinnen oder Zwecken verwendet, sondern zu gemeinnützigen Zwecken genutzt wird.

Fazit: Artikel 1 wurde damit hinsichtlich der Feudalrechte weitgehend ausgehebelt, in der Begeisterung der revolutionären Stimmung gingen diese "Zusatzklauseln" jedoch unter.

Zu 3.
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band I (La Grande Révolution von 1909)
Kapitel 14 - Der 4. August und seine Folgen
 
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