Ad Boias, qui nunc Baioarii vocantur

Dieses Thema im Forum "Völkerwanderung und Germanen" wurde erstellt von Clemens64, 4. Februar 2022.

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  1. Clemens64

    Clemens64 Aktives Mitglied

    Ich bin kein Germanist und muss glauben, was die Spezialisten schreiben. Die sagen, *Bajowarjoz sind die Leute, die entweder das Land Baia verteidigen oder dort wohnen. Und dann kann man sich vorstellen, dass der Verband mit Baia das alte Boierland meinte und beanspruchte, dass seine eigenen Vorfahren als Boier dort gewohnt hätten.
    Übrigens kann man sich auch vorstellen, dass diese Geschichte an Bedeutung verlor, als mit Garibald ein Franke (jedenfalls ein Fremder) an die Stammesspitze kam.
     
  2. dekumatland

    dekumatland Aktives Mitglied

    Spaßeshalber die Ethnogenese der Bayern als "Theoderichs weltgeschichtliches Vermächtnis" :D kundig dargestellt vom Landkreis Waldshut:
    Von den Bajuwaren über die Hunnen zu den Goten - Landkreis Landshut
     
  3. dekumatland

    dekumatland Aktives Mitglied

    :D Sogar "den ersten echten Bayern" hat man gefunden und inspiziert:
    Der erste echte Bajuware
     
  4. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Wer vertritt denn heute noch die Bedeutung "wohnen", und vor allem: Mit welcher Begründung?

    Falls "Baia/Boia" einen Landstrich bezeichnet*, wäre die Frage, welcher Landstrich in welcher Zeit damit gemeint ist.
    Der Name der Provinz Raetia hat sich bis heute nur in einem kleinen Randgebiet der Provinz erhalten, dem Nördlinger Ries (https://epub.uni-regensburg.de/31392/1/Katalog der romanischen Ortsnamen in Bayern.pdf).

    Was spricht dagegen, den namengebenden Landstrich in der Umgebung von Boiotro zu suchen?


    * Der "Bayerische Geograph" enthält die Erklärung, der Name sei von einem Fluss namens Boia abgeleitet:
    "Beire non dicuntur bauarii. s[ed] boiarii. a boia fluvio."
     
  5. Clemens64

    Clemens64 Aktives Mitglied

    Ludwig Rübekeil im Historischen Lexikon Bayerns unter "Bayern", im Netz: warjoz: Verteidiger, Bewohner.
     
  6. Clemens64

    Clemens64 Aktives Mitglied

    Dagegen spricht nichts. Aber es gibt eben auch etwa die deserta Boiorum und die civitas Boiorum. Deshalb würde ich denken, dass mit Baia eben nicht nur die unmittelbare Umgebung des kleinen Kastells gemeint war.
     
  7. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Aus der Vita Sancti Severini erfahren wir, dass ihm Zuge des Rugierkriegs Odoakers dessen Bruder Onowulf die Räumung der Provinz befiehlt. Nach den Worten des Verfassers Eugippus verließen sämtliche Einwohner das Ufernoricum, wie die Israeliten aus Ägypten auszogen:

    Quapropter rex Odovacar Rugis intulit bellum. Quibus etiam devictis et Frederico fugato, patre quoque Feva capto atque ad Italiam cum noxia coniuge transmigrato, Post audiens idem Odovacar Fredericum ad propria revertisse, statim fratrem suum misit cum multis exercitibus Onoulfum, ante quem denuo fugiens Fredericus ad Theodericum regem, qui tunc apud Novas civitatem provinciae Moesiae morabatur, profectus est. Onoulfus vero, praecepto fratris admonitus, universos iussit ad Italiam migrare romanos. Tunc omnes incolae tamquam de domo servitutis Aegyptiae, ita de cotidiana barbariae frequentissimae depraedationis educti sancti Severini oracula cognoverunt.
    Der Nachfolger von Severin habe sogar befohlen, die Gebeine der verstorbenen Klosterbrüder mitzuführen.
    Wir müssen diese Aussage freilich nicht als einhundertprozentig wahr lesen (wobei ich durchaus glaube, dass die Gebeine der Mönche mitgeführt wurden, ich meine jetzt eher, dass wirklich alle mitkamen. Es wird Leute aus den ärmeren Schichten gegeben haben, die zurückgeblieben sind. Ebenso - sofern vorhanden - kleinere Bauern. Aber mit diesem Ereignis, dessen Tendenz wir durchaus ernst nehmen sollten, also dass es einen erheblichen Abzug der provinzialrömischen Bevölkerung nach Italien gab, haben wir die deserta Boiorum gut gefasst und diese dürfte räumlich identisch mit der civitas Boiorum sein. Denn eine civitas ohne cives ist eben keine civitas mehr, sondern eine deserta.
     
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  8. Clemens64

    Clemens64 Aktives Mitglied

    Die deserta Boiorum erwähnt schon Plinius. Sie liegen auch weiter östlich im Grenzgebiet zwischen Noricum und Pannonien.
     
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  9. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Okay, dann ist mein Einwand natürlich gegenstandslos.
     
  10. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Da Teile des ehemaligen Noricum noch Jahrhunderte nach Severin romanischsprachig waren, kann man diese Aussage als falsch bezeichnen. Sie könnte allenfalls für den Ostteil gelten.
    Die Ortsnamenkunde zeigt in den norischen Gebieten (Ufer- und Binnennoricum) ein auffälliges West-Ost-Gefälle bei den Namen aus römischer Zeit.
    - Im Westen des Norikum (Salzburg, Osttirol) finden wir die meisten römerzeitlichen Ortsnamen. Dort lässt sich auch eine romanischsprechende Bevölkerung noch bis ins hohe Mittelalter nachweisen.
    - Weiter östlich (Oberösterreich, Oberkärnten) werden die römerzeitlichen Ortsnamen seltener. Eine Namenkontinuität lässt sich etwa bei Lauriacum (Lorch), Ovilava (Wels), Lentia (Linz) feststellen.
    - Noch weiter östlich (Niederösterreich, Unterkärnten, Steiermark) gibt es dann noch ein paar Berg- und Flussnamen, aber so gut wie keine Siedlungsnamen mehr aus römischer Zeit.

    Laut einer Inschrift (in Pannonia praefecto ripae Danuvii et civitatium duarum Boiorum et Azaliorum) lag die civitas Boiorum in Pannonien, außerhalb des norischen Gebiets. Wir bräuchten also hier auch wieder eine spekulative Zwischenhypothese.

    ... verstehe ich so, dass die 'Wohn'-Semantik zuerst im Altsächsischen/Altenglischen nachweisbar ist, während anderswo zumindest im 5. Jahrhundert von der 'Wehr'-Semantik auszugehen ist.

     
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  11. Clemens64

    Clemens64 Aktives Mitglied

    Es gibt aber auch ein Nord-Süd-Gefälle. Salzburg und Osttirol sind weiter romanisch geprägt, das ist der Alpenraum. An der Donaugrenze (wo sich die Severinsvita ja hauptsächlich abspielt) sind die Zeichen für eine demographische Kontinuiutät viel schwächer, sie beschränken sich hauptsächlich auf die Kontinuität von Ortsnamen. Dort ist wohl mindestens die Oberschicht fortgezogen.
     
    Zuletzt bearbeitet: 21. Februar 2022
  12. Clemens64

    Clemens64 Aktives Mitglied

    Der natürlich hypothetische Erklärungsansatz, warum Baia für den Verband namensgebend ist, liegt in der Vermutung, dass die ganze Gegend als alter Wohnort der Boier gesehen werden konnte. Indizien dafür sind die Boier-Namen von Orten wie Boiotro und etwas weiter östlich die deserta Boiorum und die civitas Boiorum.
    Wenn man sagt, die Baiuvaren haben sich wohl nach Boiotro genannt, wird dadurch nicht viel erklärt. Warum sollte dieses eine, eher kleine Grenzkastell unter etlichen und statt größerer Orte für die ganze Gegend namensgebend gewesen sein? Kann natürlich aus irgendeinem unbekannten Grund so gekommen sein. Im Übrigen möchte ich, wie gesagt ohne germanistische Kenntnisse, auch fragen, ob sich "Baia" so glatt aus "Boiotro" ableitet (auch wenn die Germanen vielleicht "Baiotro" oder so gesagt haben).
     
  13. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Wobei Salzburg noch zum Ufernoricum zählt.

    Und in Oberösterreich haben wir doch etliche romanische Ortsnamen im Voralpengebiet, im eigentlichen Alpenraum gibt es keine mehr, ebensowenig in den Tälern der Enns und der Mur.

    Das kleine Grenzkastell hatte einen bedeutenderen namengebenden Vorgänger Boioduron (das spätere Batavis/Passau); der Name ist keltisch und geht möglicherweise wiederum auf eine keltische Vorgängersiedlung zurück. Auch nach der Umbenennung in "Batavis" ist der alte Name nicht in Vergessenheit geraten; er wurde dann in der (bereits abgeschliffenen Form *Boiodro) wiederverwendet.
     
    Zuletzt bearbeitet: 21. Februar 2022
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  14. Clemens64

    Clemens64 Aktives Mitglied

    Da habe ich jetzt keinen Überblick, aber im Kalsertal in Osttirol gibt es wohl schon Ortsnamen wie Pradell oder Lana, die als romanisch angesehen werden.
     
  15. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Da habe ich missverständlich formuliert. In Oberösterreich finden sich die romanischen Siedlungsnamen nur im Voralpen-, nicht im Alpengebiet: Gampern, Linz, Lorch, Vitta, Wels, eventuell Lambach.
    Auch südlich von Oberösterreich kommt dann eine ganze Weile nichts, erst im DRautal

    Südlich davon ist dann eine ganze Weile nichts, und erst im Drautal gibt es wenige romanische Siedlungsnamen

    (Ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
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  16. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Hab mir den Aufsatz mal zu Gemüte geführt.

    Falls da überhaupt ein Bischofssitz war. So sicher ist das nicht:
    "Die nächste Frage ist die Existenz eines römerzeitlichen Bistums Augsburg. Es gibt dafür Indizien, aber keine Beweise. Wesentlich mehr Sicherheit wird man der (Neu?-) Gründung durch König Dagobert zubilligen müssen."
     
  17. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Der Link funktioniert nicht mehr, der hier sollte gehen:
    Sprachschichten im Kalsertal - Gemeinde Kals am Großglockner
     
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  18. Clemens64

    Clemens64 Aktives Mitglied

    Dieser erste bekannte Baiernherzog Garibald, interessante Figur!
    Erstaunlich für die damalige Zeit die Dauer seiner Herrschaft: 555 oder wenig später bekommt der dux Garibald (laut Gregor von Tours und Paulus Diaconus) Walderada zur Frau, die Langobardenprinzessin, Witwe des verstorbenen Frankenkönigs Theudebald. Vermutlich ist er schon etwas früher von Theudebald als Baiernherzog eingesetzt worden, dessen 548 verstorbener Vater Theubebert nannte in seinem Brief an Iunstinian ja noch keine Baiern. Noch für das Jahr 589 berichtet Paulus, dass Garibald seine Kinder Theodelinde und Gundoald nach Italien schickte, wo sie Königin der Langobarden und er Herzog von Asti wurde. Garibald war also wohl mindestens 34 Jahre Baiernherzog, länger als irgendein Merowingerkönig geherrscht hat. Für die ganze Zeit wird, sympathischerweise, statt von Kriegszügen nur von Familienpolitik berichtet: Schon 575 verheiratete er eine Tochter mit dem langobardischen Herzog von Trient. Es wird ja oft gesagt, dass das ganze Langobardenbündnis letztlich gescheitert ist; ich weiß nicht: Jedenfalls konnte sich seine Dynastie trotz der fränkischen Intervention 590 wohl behaupten, denn sein Nachfolger Tassilo gab sicher nicht zufällig seinem Sohn wieder den Namen Garibald. Und in Italien waren für zwei Drittel der dem Langobardenreich verbliebenen Zeit die Könige entweder mit einem Garibaldsproß verheiratet, oder sie waren selber welche.

    Ansonsten muss sich Garibald um den Aufbau seines neuen Landes gekümmert haben. Dass der ziemlich systematisch erfolgt sein muss, darüber ist in dem Sammelband „Gründerzeit. Siedlung in Bayern zwischen Spätantike und Frühmittelalter" (Hg. Heitmeier, Haberstroh 2019) viel zu lesen.
     
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  19. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Vielleicht hat Garibald schon den Hexameter gedichtet: "Bella gerant alii..."

    Ich habe nicht alle Artikel des dicken Bandes gelesen, welche hältst Du für die substanzreichsten, was a) die Maßnahmen Garibalds und was b) die Systematik des Aufbaus betrifft?
     
  20. Ravenik

    Ravenik Aktives Mitglied

    Chlothar I. 511-560/561
    Childebert I. 511-558
    Chlothar II. der Junge 584-629
     
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