Ästhetisierung der Politik

M

Maestro

Gast
Hallo zusammen!

Was ist unter Ästhetisierung von Politik zu verstehen? Was meint Walter Benjamin damit?

Danke für eure Hilfe.
 
Benjamin bezieht sich spezifisch auf die ästhetisierte Form der Inszenierung von Politik im Faschismus/Nationalsozialismus - Massenaufmärsche, nächtliche Fackelzüge, die Uniformen und Symbole der diversen Massenorganisationen. Der Reichsparteitagsfilm von Leni Riefenstahl 'Triumph des Willens' führt das exemplarisch vor. Benjamin führt einmal aus, der Faschismus habe die Politik ästhetisiert, der Kommunismus die Ästhetik politisiert. Hitler selbst hielt sich bekanntlich für einen verkannten Künstler.
 
Ein paar Ergänzungen zu den richtigen Bemerkungen von "michaell".

Lassen wir Benjamin (vgl. Link1) selber zu Wort kommen:
" Der Faschismus läuft folgerichtig auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus. Der Vergewaltigung der Massen, die er im Kult eines Führers zu Boden zwingt...Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Poltik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg."[1,S. 42]

Mit dieser Sichtweise bewegt er sich im Rahmen der Interpretation des Faschismus / Kapitalismus via einer neo-marxistischen Interpretation der Theorie der Verdinglichung (vgl. dazu "Kritische Theorie"), die beispielsweise bei Goldman inhaltlich treffend formuliert ist:

"...daß die gesamte Sozialstruktur [gemeint ist die Gesellschaft, Anm Tp], der globale Charakter der zwischenmenschlichen Beziehungen immer mehr aus dem Bewußtsein des Individuums schwindet und so die Späre, ..., beträchtlich verkleinert wird, so daß nur noch eine individualistische ...Sicht der Beziehungen der Menschen untereinander...möglich ist. ...die Wirklichkeit verliert ihre Durchsichtigkeit" [5, S.22].

Im Prinzip ist damit auch dass von Luhman thematisierte Phänomen gemeint, dass der Wahrheitsgehalt von medial erzeugter Realität eigentlich nicht mehr zu überprüfen ist und wir permantent Gefahr laufen, trotz eines aktiven Widerstands (intensiver und vielfältiger Medienkonsum etc.) mehr oder minder Manipuliert zu werden.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie der Kollektivwille bzw. die politische Vergesellschaftung in seinem Endziel, dem sozialen Konsens, noch erzeugt werden kann und welche Geltung, sprich Legitimation, er faktisch noch erhält. Und zudem ein Abgleiten einer Gesellschaft in einen politisch und sozial nicht kontrollierten Prozess (Chaos etc.) zu verhindern ist.

Im Idealfall wäre als Antwort die Anwendung eines gesellschaflichen Diskurses [6], der die Interessen der Teilnehmer der Gesellschaft bündelt und zur Handlungsmaxime für staatliches Handeln werden läßt, die sinnvolle demokratische Strategie, um die magelnde Legitimation staatlichen Handelns zu entschärfen. Und das Individuum dem Staat gegenüber emanzipiert.

Da es während der Weimarer Republik und in der Folge im 3. Reich zu derartigen konstruktiven, rationalen Prozessen in nicht ausreichendem Maße gekommen ist bzw. nicht kommen konnte, erfolgte eine hilfsweise Steuerung des nationalen Handelns via politischer Symbolik (vgl. Link 2) [2], pseudodemokratischen Akten und Repression. Dieses wird in der politischen Durchführung und den politischen Zielen hervorragend bei Pross [2], Edelmann [3] und Mueller [4] im einzelnen dargestellt.

Die von Benjamin angesprochene Ästhetisierung war somit im wesentlichen der Versuch des NS-Regimes, eine rationale Diskussion über Politikziele zu verhindern und dennoch eine kollektive Zielvorgabe zu etablieren. Der Führer diente dabei als zentrales politisches Symbol und der Führerwille als Surrogat für eine demokratische Meinungsbildung waren dabei die zentralen Mechanismen der Durchsetzung von Politik.

Die Ästhetisierung folgte somit politischen Zielen und bezog sich weniger auf ästhetische Standards, sondern eher auf klassische, emotional gesteuerte Mechanismen der Erzeugung politischer Gefolgschaft.

Link 1
Walter Benjamin ? Wikipedia

Link2
Politisches Symbol ? Wikipedia

1. W. Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, bes. S. 42-44 in: ders. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1963, S. 7-44
2. H. Pross: Politische Symbolik. 1974, bes. S. 114-117
3. M. Edelman: Politik als Ritual, 1976
4. C. Mueller: Politik und Kommunikation, bes. S. 156 ff
5. L. Goldmann: Kultur in der Mediengesellschaft, 1973, S. 19ff
6. J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, 1981, Bd. 1 und 2
 
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