Wobei man eines nicht vergessen darf: Wir sehen heute den Krieg an der Heimatfront als stetiges Auf-der-Hut-Sein vor Fliegerangriffen, Flucht in den Keller bzw. in den Bunker. Aber bis Sommer 1942 waren die Alliierten in der Defensive. Der Bombenkrieg über Dtld. nahm erst ab 1943 Fahrt auf (natürlich gab es auch 1939/40 schon Luftschläge gegen Dtld., aber vergleichsweise wenig). Wirklich massiv Wohnraumproblematiken gab es erst gegen Ende des Krieges, wobei hier Ausgebombte und Kriegsflüchtlinge zusammmentrafen.
Ich weiß, dass meine Großmutter mit meiner Mutter (die noch zu jung für die KLV war, ihr Bruder (1945 13 Jahre alt) war mit seinen beiden Cousins (13 und 15) in Tschechien, die drei schlugen sich teils zu Fuß, teils mit Hilfe der Amerikaner bis ins Ruhrgebiet durch) nach Sachsen-Anhalt geflohen war, während mein Großvater (Kriegesversehrter bereits im WKI, im WKII nur noch im Volkssturm) im Ruhrgebiet blieb, um die Wohnung zu sichern. Eine Wohnung hatten meine Großeltern abgeben müssen (warum die zwei Wohnungen hatten, weiß ich nicht, wahrscheinlich war die eine noch von meinem Urgroßvater). Meine Mutter erinnerte sich, dass ein Blindgänger das Haus getroffen hatte und bis in den Keller durchgerauscht war. Sie konnte entweder noch bevor sie mit ihrer Mutter nach Sachsen-Anhalt ging, oder als sie nach dem Krieg wieder zurück waren, aus der Wohnung in den Himmel schauen, daran erinnerte sie sich (zu Kriegsende war sie viereinhalb).
Trotz Lebensmittelmarken: DenDeutschen ging es im Zweiten Weltkrieg vergleichsweise gut. Natürlich, weil das Dritte Reich eine Kleptokratie par excellence war.
Hitler hat ja immer betont, dass es keinen zweiten November 1918 geben darf, und eine Lebensmittelknappheit und Hungersnot wie 1916/17 hat es im Deutschland im Zweiten Weltkrieg nicht gegeben, nicht zuletzt auch deshalb, weil das Deutsche Reich rücksichtslos auf die Ressourcen der besetzten Gebiete zurückgriff.
In den besetzten Gebieten ließ es sich durchaus gut leben, manche schickten aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und aus Polen "Beute" nach Hause, mancher prahlte mit Pelzen und Schmuck, das man Juden abgenommen hatte. Fast alle Überlebenden, berichten von Beamten, die wie Heuschrecken über Polens Ghettos herfielen, anfangs meist schäbig gekleidet, in kurzer Zeit aber herausgeputzt in feinstem Tuch, das "beschlagnahmt" wurde.
1942 aber war ein Jahr, wo sich das Blatt spürbar wendete, und viele Veteranen, die den Feldzug im Westen mitgemacht hatten, wurde bald bewusst, dass mit dem Unternehmen Barbarossa ein Krieg ganz eigener Dimension begonnen hatte. Ein Rasse- und Vernichtungskrieg, der mit unglaublicher Brutalität geführt wurde. Immer mehr Deutsche mussten an die Ostfront, und 1942 flog die Royal Air Force den ersten 1000 Bomber Angriff auf Köln. Auch wenn Deutschlands Städte erst 1943 in Ruinen verwandelt wurden, wirkte sich die Angst vor Fliegerangriffen psychologisch aus. Auch in ländlichen Gebieten, die bis 1944 kaum vom Luftkrieg betroffen waren, baute sich mancher selbst einen Bunker. Das brennende Kassel das im Oktober 1943 zum großen Teil zerstört wurde, konnte man noch 60 km südlich sehen.
Viele Veteranen, die im Kriegseinsatz in Frankreich, Polen oder Norwegen waren, wurde bewusst, dass mit dem Unternehmen Barbarossa der Krieg eine andere Dimension annahm. Die unglaublich brutale Kriegsführung, der Terror gegen Zivilisten, der Partisanenkrieg und die "Vergeltungsmaßnahmen" mit denen er bekämpft wurde, und der Genozid an Juden und Roma, von dem die meisten irgendwie mitbekamen oder verwickelt wurden, und schließlich der Winter 1941/42 als weitaus mehr Soldaten durch Erfrierungen, als durch Kampfhandlungen starben oder verstümmelt wurden, war traumatisch für fast alle Teilnehmer, und das bekam natürlich auch die Zivilbevölkerung an der "Heimatfront" mit, wo das NS-Regime mit schwindendem Kriegsglück die Schraube anzog.