Alltag im Zweiten Weltkrieg

menaitsirch

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Hallo, ich bin neu hier im Forum und darauf gestoßen, weil ich mich zurzeit intensiv mit der Lebensgeschichte meiner Mutter beschäftige, Jahrgang 1914. Sie ist schon 1989 verstorben. Historisch kann ich das meiste aus ihrem Leben einordnen. Woran es aber
manchmal scheitert, sind ganz banale Dinge:
Z.B. hatte meine Mutter während des Krieges 1943 oder 44 auf einer dienstlichen Reise nach Brest-Litowsk im Rahmen des Kriegshilfsdiensts einen langen Aufenthalt in Warschau. Bestand denn die Möglichkeit, dort oder auch anderswo, z.B. in Berlin, in ein Cafe oder Restaurant zu gehen? Es sind oft die kleinen, praktischen Fragen, auf die ich in einschlägiger Literatur leider keine Antworten finde. Vielleicht weiß ja jemand eine Amtwort oder kann mich auf Literatur verweisen.
Danke und freundliche Grüße
Menatsirch
 
Die Marken waren für Lebensmittelgeschäfte. Für eine Restaurant- oder Cafebesuch brauchte man (soviel ich weiß) keine Marken.
 
Danke, das ist interessant., dass die Wehrmacht Heime zum Übernachten anbot. Wobei meine Mutter das wohl nicht musste. Ihr Aufenthalt in Warschau dauerte von morgens um halb sieben bis abend kurz vor neun.
Erhielten Leute im Kriegshilfsdienst in den von Deutschen besetzten bzw. eroberten Gebieten auch Lebensmittel-, Kleider- oder Stoffmarken, um sie dort einzulösen?
 
Z.B. hatte meine Mutter während des Krieges 1943 oder 44 auf einer dienstlichen Reise nach Brest-Litowsk im Rahmen des Kriegshilfsdiensts einen langen Aufenthalt in Warschau. Bestand denn die Möglichkeit, dort oder auch anderswo, z.B. in Berlin, in ein Cafe oder Restaurant zu gehen? Es sind oft die kleinen, praktischen Fragen, auf die ich in einschlägiger Literatur leider keine Antworten finde. Vielleicht weiß ja jemand eine Amtwort oder kann mich auf Literatur verweisen.
Die Marken waren für Lebensmittelgeschäfte. Für eine Restaurant- oder Cafebesuch brauchte man (soviel ich weiß) keine Marken.
Ich glaube das schon. Es wäre ja kontraproduktiv, wenn man zum Beispiel Fleich mittels Marken rationiert, dann aber im Steakhaus um die Ecke jeden Abend das 300-Gramm-T-Bone-Steak hätte bestellen können.

Ich habe da eine Biographie in Erinnerung, in welchem ein Junge mit seiner Mutter in ein Restaurant geht und die Marken eingelöst haben. Ich glaube der Junge war um die 12 Jahre alt und es war in Ostpreußen. Aber es ist nur eine fast 35 Jahre alte Erinnerung an das vermeintlich Gelesene.

Ein Cafe-Besuch 1943 / 1944 war sicherlich ganz anders als heute. Kaffee war ein Produkt aus Übersee. Mangels Zugang zu diesen Anbaugebieten konnte man im Deutschen Reich auch in der Regel keinen Kaffee bekommen.
Sahne war ein inländisches Produkt, aber trotzdem rationiert. Daher konnte auch der Verkauf einer Sahnetorte nicht so einfach sein wie heute.

Dänemark war ein großer Produzent von Agrarprodukten. Im Gegensatz zum Deutschen Reich war die Verpflegung deutlich besser. Dies führte dazu, dass Soldaten die dorthin kamen, sich es richtig gutgehen ließen. Dänemark hieß daher bei den Soldaten die Sahnefront.

In Polen / Generalgouvernement wurde die Versorgung knapp gehalten. Für Deutsche wird das sicher besser gewesen sein. Aber ob das Cafe nun ein gutes Sortiment an Waren aufwies, glaube ich nicht. Apfelkuchen ja, Schwarzwälder Kirschtorte wohl kaum.
 
Ein Cafe-Besuch 1943 / 1944 war sicherlich ganz anders als heute. Kaffee war ein Produkt aus Übersee. Mangels Zugang zu diesen Anbaugebieten konnte man im Deutschen Reich auch in der Regel keinen Kaffee bekommen.
"Muckefuck" oder andere Kaffee-Surrogate waren wohl eher erhältlich. wiki erwähnt, dass diese Ersatzprodukte in der NS-Zeit staatlich verwaltet wurden; es also entweder Bezugsscheine für den privaten Konsum gab oder ein Cafe eine gewisse Menge zugeteilt bekam, die man dann wie auch immer an Gäste verkaufen konnte.
 
Habe eben diesen Artikel "Mit Lebensmittelkarten ins Restaurant" aus der Lingener Tagespost gefunden.
Kann eider nicht den Beitrag lesen, aber der Titel scheint ja darauf hinzuweisen, dass Lebensmittelmarken auch im Restaurant eingesetzt wurden.
Kann mir aber nicht so recht vorstellen, wie das funktionieren soll!? Die Marken galten ja für eine bestimmte Menge an Lebensmitteln, z,B. Butter, Kartofeln, Fleisch, Milch usw.
Wie rechnet man das ab, wenn man ein komplettes Gericht vorgesetzt bekommt? :confused:
 

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Es gibt da Marken für R-Brot und Brot. Steht R für Roggenbrot oder für Russenbrot

"Russenbrot" gab es für Zwangsarbeiter aus Russland und der Ukraine:
Russenbrot - Haller Zeiträume

Zwar aus der Nachkriegszeit, aber die Abkürzungen dürften sich nicht so schnell geändert haben:

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"Insbesondere beim täglichen Brot (R-Brot, S.1, steht für Roggenbrot, W-Brot, S.2, steht für Weizenbrot), aber auch bei Fleisch und Fett musste gespart werden."

https://www.landesarchiv-bw.de/media/full/60965
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke für all die hilfreichen Hinweise. - Meine Mutter war im Rahmen des Kriegshilfsdienstes in Brest-Litowsk und später für längere Zeit (m.E. von Ende 1943 bis Sommer 1944) im Generalgiuvernement in Lublin in der Verwaltung tätig. Sie war dort wohl mit der Angleichung der polnischen an die deutschen Verwaltungsabläufe beschäftigt. Es wird im KHD natürlich anders zugegangen sein als im RAD auf dem Land innerhalb von Deutschland und in Polen nochmals anders als in Deutschland. Es gibt ein recht interessantes Buch "Weiblicher Arbeitsdienst in Deutschland" (1932- 1945) von Miachel Jonas, aber merkwürdigerweise ist Lublin dort gar nicht als Ort erwähnt. Auch im Internet habe ich keinerlei Hinweise gefunden. Ich weiß, dass sie auch nach Krakau musste, wo ja die Gedob ihren Hauptsitz hatte. Aber all das sind sehr vage Informationen aus der Erinnerung heraus. Leider hatte ich nie näher nachgefragt.
 
Hallo zusammen, schon wieder bin ich auf eine Frage gestoßen, die mir vielleicht jemand beantworten kann. Die Reichsbahn (oder die Wehrmacht) hatte wohl für die Kriegshilfsdienstster, die in der Verwaltung arbeiteten, jeweils für Frauen und Männer getrennte Wohnheime zur Verfügung gestellt. Nun hatte meine Mutter damals einen Freund in Berlin, einen Feldwebel bei der Luftwaffe, der sie 1944 einmal in Lublin besuchte. Gab es in einem solchen Wohnheim auch Gästezimmer, oder musste er sich ein Hotel suchen? Vielleicht ist die Frage zu speziell, und man kann das gar nicht mehr rauskriegen, aber ich dachte, ich versuche es mal auf diesem Weg. -
Habt ein schönes Wochenende mit vielen Grüßen
Menatsirch
 
Im Nachlass einer während des Krieges in Thüringen lebenden Tante meiner Frau war der Brief eines jungen Wehrmachtsangehörigen, mit dem sie 1943 einige Tage in Berlin verbracht hatte. Dabei war ein Selbstportrait der beiden morgens im Bett, im Hotel, mitsamt dem Reisewecker der an die Pflicht zum Aufstehen erinnerte. Während des Krieges war sie als kaufmännische Angestellte einer kriegswichtigen Firma öfters beruflich unterwegs.
Eine Liebesgeschichte mit sicherlich traurigem Ausgang, sie blieb unverheiratet.
Also gab es Hotels, aber ich denke dass mit der Zahl der infolge Bombardierung obdachlos Gewordenen freier Wohnraum bald nicht mehr in der Provinz verfügbar war und komfortablere Hotelunterkünfte rar.
 
Danke für die schöne, wenn auch tragische Geschichte von Deiner Tante! Vielleicht gab es ja tatsächlich noch das einiger andere unversehrte Hotel in Lublin. Im Frauenwohnheim hat der Freund meiner Mutter wahrscheinlich nicht übernachtet, höchstens bei einem der männlichen Kollegen.
 
Also gab es Hotels, aber ich denke dass mit der Zahl der infolge Bombardierung obdachlos Gewordenen freier Wohnraum bald nicht mehr in der Provinz verfügbar war und komfortablere Hotelunterkünfte rar.
Wobei man eines nicht vergessen darf: Wir sehen heute den Krieg an der Heimatfront als stetiges Auf-der-Hut-Sein vor Fliegerangriffen, Flucht in den Keller bzw. in den Bunker. Aber bis Sommer 1942 waren die Alliierten in der Defensive. Der Bombenkrieg über Dtld. nahm erst ab 1943 Fahrt auf (natürlich gab es auch 1939/40 schon Luftschläge gegen Dtld., aber vergleichsweise wenig). Wirklich massiv Wohnraumproblematiken gab es erst gegen Ende des Krieges, wobei hier Ausgebombte und Kriegsflüchtlinge zusammmentrafen.

Ich weiß, dass meine Großmutter mit meiner Mutter (die noch zu jung für die KLV war, ihr Bruder (1945 13 Jahre alt) war mit seinen beiden Cousins (13 und 15) in Tschechien, die drei schlugen sich teils zu Fuß, teils mit Hilfe der Amerikaner bis ins Ruhrgebiet durch) nach Sachsen-Anhalt geflohen war, während mein Großvater (Kriegesversehrter bereits im WKI, im WKII nur noch im Volkssturm) im Ruhrgebiet blieb, um die Wohnung zu sichern. Eine Wohnung hatten meine Großeltern abgeben müssen (warum die zwei Wohnungen hatten, weiß ich nicht, wahrscheinlich war die eine noch von meinem Urgroßvater). Meine Mutter erinnerte sich, dass ein Blindgänger das Haus getroffen hatte und bis in den Keller durchgerauscht war. Sie konnte entweder noch bevor sie mit ihrer Mutter nach Sachsen-Anhalt ging, oder als sie nach dem Krieg wieder zurück waren, aus der Wohnung in den Himmel schauen, daran erinnerte sie sich (zu Kriegsende war sie viereinhalb).

Trotz Lebensmittelmarken: DenDeutschen ging es im Zweiten Weltkrieg vergleichsweise gut. Natürlich, weil das Dritte Reich eine Kleptokratie par excellence war.
 
Wobei man eines nicht vergessen darf: Wir sehen heute den Krieg an der Heimatfront als stetiges Auf-der-Hut-Sein vor Fliegerangriffen, Flucht in den Keller bzw. in den Bunker. Aber bis Sommer 1942 waren die Alliierten in der Defensive. Der Bombenkrieg über Dtld. nahm erst ab 1943 Fahrt auf (natürlich gab es auch 1939/40 schon Luftschläge gegen Dtld., aber vergleichsweise wenig). Wirklich massiv Wohnraumproblematiken gab es erst gegen Ende des Krieges, wobei hier Ausgebombte und Kriegsflüchtlinge zusammmentrafen.

Ich weiß, dass meine Großmutter mit meiner Mutter (die noch zu jung für die KLV war, ihr Bruder (1945 13 Jahre alt) war mit seinen beiden Cousins (13 und 15) in Tschechien, die drei schlugen sich teils zu Fuß, teils mit Hilfe der Amerikaner bis ins Ruhrgebiet durch) nach Sachsen-Anhalt geflohen war, während mein Großvater (Kriegesversehrter bereits im WKI, im WKII nur noch im Volkssturm) im Ruhrgebiet blieb, um die Wohnung zu sichern. Eine Wohnung hatten meine Großeltern abgeben müssen (warum die zwei Wohnungen hatten, weiß ich nicht, wahrscheinlich war die eine noch von meinem Urgroßvater). Meine Mutter erinnerte sich, dass ein Blindgänger das Haus getroffen hatte und bis in den Keller durchgerauscht war. Sie konnte entweder noch bevor sie mit ihrer Mutter nach Sachsen-Anhalt ging, oder als sie nach dem Krieg wieder zurück waren, aus der Wohnung in den Himmel schauen, daran erinnerte sie sich (zu Kriegsende war sie viereinhalb).

Trotz Lebensmittelmarken: DenDeutschen ging es im Zweiten Weltkrieg vergleichsweise gut. Natürlich, weil das Dritte Reich eine Kleptokratie par excellence war.

Hitler hat ja immer betont, dass es keinen zweiten November 1918 geben darf, und eine Lebensmittelknappheit und Hungersnot wie 1916/17 hat es im Deutschland im Zweiten Weltkrieg nicht gegeben, nicht zuletzt auch deshalb, weil das Deutsche Reich rücksichtslos auf die Ressourcen der besetzten Gebiete zurückgriff.

In den besetzten Gebieten ließ es sich durchaus gut leben, manche schickten aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und aus Polen "Beute" nach Hause, mancher prahlte mit Pelzen und Schmuck, das man Juden abgenommen hatte. Fast alle Überlebenden, berichten von Beamten, die wie Heuschrecken über Polens Ghettos herfielen, anfangs meist schäbig gekleidet, in kurzer Zeit aber herausgeputzt in feinstem Tuch, das "beschlagnahmt" wurde.

1942 aber war ein Jahr, wo sich das Blatt spürbar wendete, und viele Veteranen, die den Feldzug im Westen mitgemacht hatten, wurde bald bewusst, dass mit dem Unternehmen Barbarossa ein Krieg ganz eigener Dimension begonnen hatte. Ein Rasse- und Vernichtungskrieg, der mit unglaublicher Brutalität geführt wurde. Immer mehr Deutsche mussten an die Ostfront, und 1942 flog die Royal Air Force den ersten 1000 Bomber Angriff auf Köln. Auch wenn Deutschlands Städte erst 1943 in Ruinen verwandelt wurden, wirkte sich die Angst vor Fliegerangriffen psychologisch aus. Auch in ländlichen Gebieten, die bis 1944 kaum vom Luftkrieg betroffen waren, baute sich mancher selbst einen Bunker. Das brennende Kassel das im Oktober 1943 zum großen Teil zerstört wurde, konnte man noch 60 km südlich sehen.

Viele Veteranen, die im Kriegseinsatz in Frankreich, Polen oder Norwegen waren, wurde bewusst, dass mit dem Unternehmen Barbarossa der Krieg eine andere Dimension annahm. Die unglaublich brutale Kriegsführung, der Terror gegen Zivilisten, der Partisanenkrieg und die "Vergeltungsmaßnahmen" mit denen er bekämpft wurde, und der Genozid an Juden und Roma, von dem die meisten irgendwie mitbekamen oder verwickelt wurden, und schließlich der Winter 1941/42 als weitaus mehr Soldaten durch Erfrierungen, als durch Kampfhandlungen starben oder verstümmelt wurden, war traumatisch für fast alle Teilnehmer, und das bekam natürlich auch die Zivilbevölkerung an der "Heimatfront" mit, wo das NS-Regime mit schwindendem Kriegsglück die Schraube anzog.
 
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