Dion
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Aus gegebenen Anlass (Klaasohm-Fest auf Borkum und eine meistens einseitige Berichterstattung darüber im Vorfeld) möchte ich hier eine Diskussion starten über die aus fernen Zeiten stammenden Feste/Rituale, die es überall auf der Welt gibt – siehe z.B. Stierlauf in Pamplona, wo regelmäßig Menschen zu Schaden kommen. Über die Ursprünge dieser und ähnlicher Rituale gibt es gewöhnlich nur Vermutungen. Für Klaasohm-Fest lässt sich z.B. nur feststellen, dass es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wiederbelebt worden ist, d.h. davor war schon mal in Vergessenheit geraten oder wurde nicht mehr gefeiert – vielleicht weil es zu wenige Einwohner gab.
Die Süddeutsche hat vor einigen Tagen einen Interview mit der Kulturanthropologin Regina Bendix gebracht. In diesem sagte sie in Bezug auf Klaasohm-Fest u.a. – Zitat:
Das Klaasohm-Fest ist verschiedentlich untersucht worden, wie auch Perchtenläufe und andere Bräuche, bei denen sich Menschen verkleiden oder sich in welcher Form auch immer durch einen Ort oder eine Region bewegen. Das gibt es weltweit. Nach dem, was ich etwa aus der ethnografischen Filmdokumentation von Thomas Hauschild und Marlies Backhus über Klaasohm weiß, ist es nur eine Facette davon zu versuchen, Frauen einzufangen.
(…)
Jungs und junge Männer finden zusammen, erfahren, wer im jeweiligen Jahr die verkleideten Hauptrollen bekommt. Es gibt Kämpfe unter den Klaasohms, deren Ausgang vorgeschrieben ist; es gibt die Mutprobe, von einer hohen Säule in der Mitte des Ortes in die Arme der versammelten Menge zu springen und viel zu viel zu trinken. Man besucht Häuser und Kneipen im Ort, auch das ist wesentlich.
(…)
Solche Rituale sind zeitlich begrenzte Ausnahmen im alltäglichen sozialen Miteinander mit seinen mehr oder weniger starken Verhaltensregeln. Die sind im rituellen Rahmen aufgehoben, wie etwa auch in der „verkehrten Welt“ des mittelalterlichen Karnevals, wo nur für dessen Dauer die weltlichen und geistlichen Herrscher „gestürzt“ wurden und die Narren regierten.
(…)
Natürlich wäre es in der Gegenwart leicht zu interpretieren, dass Bräuche wie der auf Borkum oder andere mit verkleideten Männern im alpinen Raum, wie den Perchtenläufern, im Zusammenhang stünden mit der gegenwärtigen Frustration von nicht nur jungen Männern. Dass sich da ein Konservativismus mit traditionellen Familienbildern patriarchalen Stils Bahn breche, der Frauen weg haben wolle aus der Öffentlichkeit, wobei der Brauch punktuell dieses Vertreiben oder gar Züchtigen von Frauen „erlaubt“. Aber ich spreche im Konjunktiv, weil diese Lesart wirklich zu einfach wäre.
(…)
Auch im besagten Film von 1990 über Klaasohm werden Frauen gezeigt, die extra in der betreffenden Nacht auf die Straße gingen, um die Gefahr „herauszufordern“. Dass Mädchen und Frauen dann auch schnell zu laufen und zu entwischen wissen, spricht dieselbe körperliche Anstrengung an, wie das Tun der Jungs.
Den letzten Absatz finde ich besonders interessant, weil darin etwas erwähnt wird, das in den aktuellen Berichten, wohl unter dem Eindruck der „Me Too“-Bewegung, völlig unter den Tisch gefallen ist: Dass Frauen sich mitunter freiwillig und gezielt der Gefahr aussetzten, gefangen und geschlagen zu werden.
Heute gibt es nur noch Empörung. Bezeichnend auch, dass diese Empörung von außen kommt, so nach dem Motto: Wenn ihr diesem Treiben nicht sofort ein Ende setzt, dann seid ihr Barbaren. Den Bewohnern einer Insel vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben, ist nichts anderes als Kulturimperialismus.
Andererseits aber verkommen manche althergebrachte Rituale zu Touristenattraktionen – weil sie des eigentlichen Inhalts beraubt worden sind - siehe z.B. Perchtenläufe.
Die Süddeutsche hat vor einigen Tagen einen Interview mit der Kulturanthropologin Regina Bendix gebracht. In diesem sagte sie in Bezug auf Klaasohm-Fest u.a. – Zitat:
Das Klaasohm-Fest ist verschiedentlich untersucht worden, wie auch Perchtenläufe und andere Bräuche, bei denen sich Menschen verkleiden oder sich in welcher Form auch immer durch einen Ort oder eine Region bewegen. Das gibt es weltweit. Nach dem, was ich etwa aus der ethnografischen Filmdokumentation von Thomas Hauschild und Marlies Backhus über Klaasohm weiß, ist es nur eine Facette davon zu versuchen, Frauen einzufangen.
(…)
Jungs und junge Männer finden zusammen, erfahren, wer im jeweiligen Jahr die verkleideten Hauptrollen bekommt. Es gibt Kämpfe unter den Klaasohms, deren Ausgang vorgeschrieben ist; es gibt die Mutprobe, von einer hohen Säule in der Mitte des Ortes in die Arme der versammelten Menge zu springen und viel zu viel zu trinken. Man besucht Häuser und Kneipen im Ort, auch das ist wesentlich.
(…)
Solche Rituale sind zeitlich begrenzte Ausnahmen im alltäglichen sozialen Miteinander mit seinen mehr oder weniger starken Verhaltensregeln. Die sind im rituellen Rahmen aufgehoben, wie etwa auch in der „verkehrten Welt“ des mittelalterlichen Karnevals, wo nur für dessen Dauer die weltlichen und geistlichen Herrscher „gestürzt“ wurden und die Narren regierten.
(…)
Natürlich wäre es in der Gegenwart leicht zu interpretieren, dass Bräuche wie der auf Borkum oder andere mit verkleideten Männern im alpinen Raum, wie den Perchtenläufern, im Zusammenhang stünden mit der gegenwärtigen Frustration von nicht nur jungen Männern. Dass sich da ein Konservativismus mit traditionellen Familienbildern patriarchalen Stils Bahn breche, der Frauen weg haben wolle aus der Öffentlichkeit, wobei der Brauch punktuell dieses Vertreiben oder gar Züchtigen von Frauen „erlaubt“. Aber ich spreche im Konjunktiv, weil diese Lesart wirklich zu einfach wäre.
(…)
Auch im besagten Film von 1990 über Klaasohm werden Frauen gezeigt, die extra in der betreffenden Nacht auf die Straße gingen, um die Gefahr „herauszufordern“. Dass Mädchen und Frauen dann auch schnell zu laufen und zu entwischen wissen, spricht dieselbe körperliche Anstrengung an, wie das Tun der Jungs.
Den letzten Absatz finde ich besonders interessant, weil darin etwas erwähnt wird, das in den aktuellen Berichten, wohl unter dem Eindruck der „Me Too“-Bewegung, völlig unter den Tisch gefallen ist: Dass Frauen sich mitunter freiwillig und gezielt der Gefahr aussetzten, gefangen und geschlagen zu werden.
Heute gibt es nur noch Empörung. Bezeichnend auch, dass diese Empörung von außen kommt, so nach dem Motto: Wenn ihr diesem Treiben nicht sofort ein Ende setzt, dann seid ihr Barbaren. Den Bewohnern einer Insel vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben, ist nichts anderes als Kulturimperialismus.
Andererseits aber verkommen manche althergebrachte Rituale zu Touristenattraktionen – weil sie des eigentlichen Inhalts beraubt worden sind - siehe z.B. Perchtenläufe.