Altvorderasiatische Rollsiegel

Traklson

Aktives Mitglied
Mir hat die Bildsprache des Alten Orients immer am meisten Spaß gemacht und offenbar hat der Eine oder Andere auch Interesse.
Ich habe vor 2 Jahren zu meiner privaten Erbauung eine Reihe Bildbesprechungen samt Einleitung geschrieben. Besonders weil in dem Thread "Die Gesellschaft der Sumerer" die Kunst explizit ausgeschlossen war, ist mir verstärkt der Gedanke gekommen, mal was in die Richtung zu posten.

Gerne dürfen auch ägyptische Rollsiegel oder Stempelsiegel Gegenstand von Beiträgen sein.

Ich habe den Text nicht überarbeit, aber auch keine großen Unstimmigkeiten beim Überlesen entdeckt, stammt eh aus der Feder eines Laien. Vielleicht werde ich mich aber noch in dem einen oder anderen Punkt korrigieren müssen.

Bildmaterial: ****Wichtig***
In mein Word-Dok. sind Bilder eingebunden, mehr als ich reinstellen möchte. Die 10 Bilder habe ich daher in ein Album hochgeladen, das über mein Mitgliederprofil einzusehen ist.

Die Literaturverweise im Text beziehen sich auf folgende, damals von mir genutzte Bücher:

A Die altorientalischen Reiche I , Fischer Weltgeschichte Bd. 2, Frankfurt/M., 1965
B Dietz-Otto Edzard: Geschichte Mesopotamiens. C.H. Beck, München 2004
C Lexikon der Kunst, 7 Bde., Harald Olbrich, Gerhard Strauß, Seemann Verlag, Januar 2004
D Die ZEIT-Welt- und Kulturgeschichte in 20 Bänden. 02. Frühe Kulturen in Asien
E Ars Antiqua - Die Großen Epochen der Weltkunst 23 Bände, Freiburg, Herder, 1971-1997
Ägypten: Kunst und Kultur (Michalowski, Kazimierz), 1971
F Geschichte Altvorderasiens / von Hans J. Nissen München : Oldenbourg 1999
G Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie / begr. von E. Ebeling und B. Meissner. Fortgef. von E. Weidner ... Hrsg. von M. P. Streck 12 bde.
H Sumer Assur Babylon, Museum Hildesheim, 1978
I Amiet: Ars Antiqua – die Kunst des Alten Orients, Herder
J Burchard Brentjes: Alte Siegelkunst des vorderen Orients. Seemann Verlag, Leipzig 1983
K Helmut Freydank : Lexikon Alter Orient, Sondereinband, Vma-Vertriebsgesellschaft 1997
L Lurker, Manfred: Lexikon der Götter und Dämonen. Namen, Funktionen, Symbole / Attribute.
Stuttgart, Verlag Kröner, 1984.
M Brigitte Groneberg: Lob der Ishtar, Styx 1997
N Das Tor der Götter
O Vorderasien I ‎- Seite 165 Barthel Hrouda
P Otto, Adelheid: Die Entstehung und Entwicklung der Klassisch-Syrischen Glyptik
 
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Einleitung

Die ersten Rollsiegel stammen aus der frühgeschichtlichen Zeit Sumers und wurden spätestens seit der Schicht Uruk VI (A, S.42) genutzt. Walzenförmige Siegelzylinder wurden mit Bildmotiven versehen, die beim Abrollen auf feuchtem Ton ein unendliches Band erzeugten (Abb. RS01). Sie waren durchbohrt, so dass es möglich war, sie zum Abrollen auf Metallstäbe zu montieren. Der Besitzer trug sie an einer Schnur um den Hals. Für den Geschichtsinteressierten sind die Rollsiegel besonders wegen ihrer Bild- sprache interessant (siehe B, S. 24ff.). Außerdem lassen sich an Hand der verschieden Stile, besonders in früh- geschichtlicher Zeit, kulturelle Einflüsse der einzelnen Gebiete untereinander nachvollziehen.

Der Fachausdruck für die Siegelschneidekunst lautet „Glyptik“. Siegel wurden schon Jahrhunderte vor der Schrift benutzt. Sie tragen dem Rechtsbedürfnis der Menschen, ihr Eigentum von dem Anderer abzugrenzen, Rechnung.
Neben dem Fingerabdruck und dem Gewandsaum waren besonders Amulette früheste Mittel des Siegelns. Der direkte Vorgänger der Rollsiegel war das Stempelsiegel. Der magische Aspekt der Amulette lässt sich auf einigen Stempelsiegeln, besonders bei Jagdszenen, noch erahnen. Darüber hinaus wurden Stempelsiegel gefunden, die den Charakter als Amulett bewahrt haben (Abb. RS02). Diese Stempelsiegel, die wie halbierte kleine Tierskulpturen wirken, tragen an der flachen Unterseite das Bildmotiv.

Stempelsiegeln geht mit dem Aufkommen von Papyrus und Tinte einher. Da Papyrusrollen gerollt und an einer Schnur verplombt wurden, waren die Stempelsiegel mit kleinerer Fläche praktischer. Auch die Längsseite der Siegelzylinder wurde oft nicht mehr gerollt, sondern der Abdruck zeigt nur einen Ausschnitt des Gesamtbildes. Eine Anzahl Stempelsiegel ist auf der Abbildung RS03 zu betrachten.

Die ersten Rollsiegel wurden zeitgleich mit den ersten Keilschrifttafeln in der Ausgrabungsschicht IV in Uruk gefunden. Rollsiegel haben gegenüber Stempelsiegel zwei Vorteile. Zum einen lassen sich einfacher größere Flächen siegeln und zum anderen bietet das Rollsiegel mehr Möglichkeiten der künstlerischen Gestaltung. Rollsiegel wurden zu der vorherrschenden Siegelform im ganzen Bereich des fruchtbaren Halbmondes und dem heutigen Iran. Sie fanden sogar in Zypern Verbreitung. In Anatolien sind Rollsiegelfunde nur im Zusammenhang mit assyrischen Einflüssen belegt (vgl. Kanisch, die assyrische Handelsstadt). Seit der neuassyrischen Zahl fanden wieder verstärkt Stempelsiegel Verwendung, da sie sich besser zum Siegeln neuer Schreibmaterialen wie Papyrus eigneten.

Es wurden Zehntausende Stempel- und Rollsiegel gefunden. Noch Herodot bemerkt, dass jeder in Babylonien ein Siegel trage. Zu den Funden der Siegelzylinder kommen noch die der Abrollungen auf Tontafeln, Bullen und Anderem, zu denen aber die Zylinder merkwürdigerweise fast nie gefunden werden konnten. Aus dieser großen Zahl an Funden kann man schließen, dass die Rollsiegel innerhalb der Bevölkerung breite Verbreitung fanden. Tatsächlich waren die ersten Rollsiegel wohl meist Behördensiegel. Neben Siegeln von Institutionen wie Palast und vor allem Tempel kamen dann aber auch hohe Würdenträger, Schreiber und Kaufleute zu ihren persönlichen Siegeln. Im Laufe der frühdynastischen Zeit finden wir die ersten Eigentumsinschriften auf den Rollsiegeln, von denen sich spätestens zur Akkad-Zeit auch der Beruf des Siegelinhabers ablesen lässt. Aus der großen Anzahl Rollsiegel seit der altbabylonischen Zeit lässt sich schließen, dass schließlich jeder Freie ein Siegel besaß. Damit wurden die Rollsiegel zur Massenware, was sich auch vielfach auf die Qualität auswirkte. Daneben hatten auch Rang und Vermögen des Siegeleigentümers Einfluss auf die Qualitätsunterschiede, die bei den Siegeln der einzelnen Epochen beobachtet werden können. Die steigende Verbreitung des Gebrauchs von Rollsiegeln ist sicher mit dem sich Herausbilden von Privatwirtschaft und steigender Bedeutung von Handwerk und Handel zu erklären.

Neben Institutionen und Personen konnten auch Götter eigene Siegel besitzen. So ist auf einer Tontafel neuassyrischer Zeit die Abrollung eines Siegels von Assur, dem assyrischen Gott, gefunden worden. Bei diesem Fund ist außerdem interessant, dass das Siegel aus altassyrischer Zeit stammt und damit mehr als 1000 Jahre in Gebrauch war. Auf der Tontafel fanden sich auch die Abrollungen zweier Vorfahren des vertragsschließenden assyrischen Königs. Diese „dynastischen“ Siegel sollten wohl die Legitimation verstärken.
 
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Einleitung Forts.

Gesiegelt wurde hauptsächlich auf Ton, selten auf Asphalt oder Gips. Eine der ersten Aufgaben von Rollsiegeln war es, Gefäße vor unbefugtem Öffnen zu schützen. So war es weit verbreitet, Krugverschlüsse zu siegeln. Dies konnte auf verschieden Art geleistet werden und kann am besten mit einem Schaubild erklärt werden (RS04). Darüber hinaus lassen sich prinzipiell Behälter jeden Materials mit Ton verschmieren und siegeln. Es wurden Verschlussklumpen gefunden, auf deren Rückseite noch Abdrücke anderer Materialen, z.B. Korbgeflecht, zu erkennen waren. Es ist auch bekannt, dass Türen, z.B. von Lagerhäusern, mit Verschlussklumpen versiegelt wurden. Besonders bei solchen Aufgaben zeigt sich der praktische Nutzen der größeren Siegelfläche bei Rollsiegeln gegenüber Stempelsiegeln.

Außerhalb des sumerischen Kerngebiets, in Nordmesopotamien, dem Iran und besonders Syrien, wurden Rollsiegel auch zur Verzierung von Gefäßen benutzt. Ob die Abrollung neben einem ästhetischen Zweck auch als Besitzzeichen diente, ist unbekannt. Gesiegelt wurden auch Tonbullen (RS05). Unter Tonbullen versteht man Tonplomben, die mit Schnüren verbunden waren, welche jede Art von Ware oder Urkunde umwickeln konnten. Unter die Tonbullen fallen auch jene runde Tonklumpen, in denen Token gefunden wurden (RS06). Es handelt sich hierbei um frühe Lieferscheine. Die Token standen für Art und Menge der Ware. Bald wurden zusätzlich zu den Token auch Zeichen in die Kugel selbst geritzt. Damit wurden die Zähltoken bald überflüssig. Statt der runden Tonkugel wurden die Informationen über Warenart und Warenumfang dann auf Tontafeln geritzt, da sich die runde Form ohne Token als überflüssig erwies. Auffallend ist, dass sowohl Verschluss-klumpen als auch Tonbullen gefunden wurden, die nach der Benutzung gebrannt und aufbewahrt wurden. Vermutlich wurden sie als Belege für die gelieferte Ware aufbewahrt. Schon aus der frühgeschichtlichen Zeit sind Siegelabdrücke auf Tontafeln bekannt (RS07). Über den genauen Zweck der Siegelung von Tontafeln ist mir aus der Literatur leider nichts bekannt. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass Siegel „später“ wie eine Unterschrift unter Verträge gesetzt wurden. Da es sich bei den früheren gesiegelten Tontafeln jedoch um Wirtschaftsurkunden handelte, stellt sich hier die Frage, ob das Siegeln hier als Bestätigung der bloßen Kenntnisnahme (des Warenumfangs, der Begleitpapiere) diente oder auch der Kennzeichnung der aufgeführte Ware als Besitz der siegelnden Person oder Institution. Bei Tontafeln mit Mitteilungen und Botschaften mag das Siegel zur Verifikation des Senders gedient haben. Da die Wirtschaftstexte und gebrochene Bullen und Krugverschlüsse als Etiketten aufbewahrt wurden, mögen die Siegel hier der Zuordnung zu einzelnen Wirtschaftsbereichen gedient haben. Um Briefe vor der Einsichtnahme Dritter zu schützen, wurden sicher nicht die Tontafeln selbst, sondern die zu ihrem Transport verwendeten „Tonschatullen“ und „Tafelkörbe“ gesiegelt oder eine Bulle verwendet.


Das durchschnittliche Rollsiegel hat eine Höhe von 1-5 cm. Rollsiegel mit einer Höhe von 5-8 cm gelten schon als außergewöhnlich hoch. Der Durchmesser beträgt gewöhnlich etwas mehr als die Hälfte der Höhe. Es sind aber auch Rollsigel bekannt, deren Durchmesser und Höhe einander entsprechen. Meist wurde Stein als Material für die Herstellung der Rollsiegel verwendet. Neben Muschel, Kalkstein, Sandstein, Marmor, Gipsstein, Lapis lazuli, Serpentin, Steatit und Alabaster wurden seit Ende des 3. Jahrtausend oft härtere Steine benutzt. Dazu gehören Diorit, Schieferton, Potpyr und Hämatit. Kieselartige Quarzsteine wie Achat, Rosenquarz, Onyx, Amethyst, Karneol, Saphirin, Jaspis, Chalcedon und Bergkristall wurden ebenfalls verwendet.
Seltener fanden andere Materialen wie Fritte (eine Glasmasse, die in weichem Zustand geformt und modelliert wird), Obsidian, Glas oder Ton Verwendung. Auch Tonsiegel aus Holz, Asphalt oder Metall sind belegt. Wenige Rollsiegel wurden aus Elfenbein, Horn, oder Knochen geschnitzt.
Manche der gefundenen Rollsiegel waren mit Kappen aus Metall verziert (RS08). Die ersten Beispiele stammen aus der Akkad Zeit. Solche umfassten Siegel sind bis in die neuassyrische Zeit bekannt.
Bei den meisten Rollsiegeln ist das Motiv im Negativ geschnitten. Es sind aber auch Rollsiegel mit positiv geschnittenen Motiven bekannt. Besonders häufig trifft das auf die Göttersiegel zu. Dass es sich bei solchen Siegeln um reine Schmuckstücke handelt, die der Götterstatue um den Hals gelegt wurden, zeigt, dass die eingeritzten Inschriften im positiv zu lesen waren. Auf einer Abrollung wäre die Inschrift also spiegelverkehrt abgebildet worden.
Seit der Gemdet Nasr-Zeit ist auch eine Kombination von Stempel- und Rollsiegel bekannt (vgl. RS09). Diese sind nicht an der Längsseite durchbohrt, sondern haben oben eine Öse oder die Durchbohrung verläuft horizontal.
Eines der ersten Geräte der Siegelschneidekunst war der Kugelbohrer. Auch der Röhrchen-Bohrer war bereits früh in Gebrauch. Weitere wichtige Werkzeuge, mit denen die Rollsiegel hergestellt wurden waren Meißel, Grabstichel und Schleifrad. Einige dieser Werkzeuge setzten den Gebrauch des Fidelbogens voraus. Wenn weichere Steine noch mit Geräten aus Feuerstein oder Obsidian bearbeitet werden konnten, wurden die Werkzeuge bald aus Kupfer oder Bronze hergestellt, seit dem 1. Jahrtausend v. Chr. auch aus Eisen. Es wird richtige Siegelschneiderschulen gegeben haben. Es ist ein Fund bekannt, wo neben halb fertig gestellten Siegelzylindern auch eine Art „Motivkatalog“, d.h. eine Vielzahl verschiedner Abrollungen, gefunden wurde.

 
Rollsiegel 2-10 (RS25):

Und nun das erste Siegel. Der längste Text, aber nicht nur, weil es sich um eines der bekanntesten Rollsiegel handelt, zum Einstieg ein Muss.


Das Grünsteinsiegel des Schreibers Adda

Das Siegel:
Dieser akkadische Siegelzylinder aus Grünstein wird auf 2300-2200 v. Chr. datiert. Er ist 3,9 cm hoch und hat einen Durchmesser von 2, 55cm. Die Eigentumsinschrift verrät nicht nur den Namen des Siegelinhabers, Adda, sondern auch dass es sich dabei um einen Schreiber handelte. Zu sehen ist es in London, im Britischen Museum.

Das Motiv:
Diese Siegelabrollung eignet sich hervorragend als Beispiel mythologischer Darstellungen in der Akkad-Zeit. Wir begegnen gleich fünf der großen, sumerischen Gottheiten. Alle Figuren tragen die „Hörnerkrone“, die mit Hörnern verzierte Götterkrone. Es handelt sich hier um die Standartvariante, die sich in der Akkadzeit entwickelt hat und noch bis in das erste Jahrtausend v. Chr. hinein belegen lässt (G, Bd.4, S. 432f.) Die Hörnerkrone geht auf die Verehrung des Stieres zurück. Die Anzahl der Hörner ist ein Hinweis auf den Rang der Gottheit. Auch der vergöttlichte Herrscher Naramsin hat sich auf der berühmten Kampfstele mit Stierhörnern darstellen lassen (RS26). Vergleiche hierzu auch Abb. RS27, eine Tabelle der verschiedenen Hörnerkronen.
Der Löwe ganz links wird nach einer möglichen Interpretation als Hinweis auf den hohen Rang des in der Eigentumsinschrift darüber genannten Schreiber Adda gedeutet. Eine Interpretation des Löwen als Bedrohung für die Herde scheint hier ausgeschlossen.
Die Gottheit ganz rechts stellt den janusgesichtigen Isimud, den Boten und „Wesir“ des Enki dar. Er begleitet seinen Herrn, der links von ihm abgebildet ist. Enki ist gut an dem Wasser zu erkennen, das aus seinem Oberkörper fließt, hier mit Fischen ergänzt, eine übliche Darstellung. Enki war Gott des Süßwasserozeans und der Weisheit. Zeitweise verdrängte er Anu und Enlil als oberste Gottheit und befehligte in dieser Position die Annunaki. In manchen Mythen gilt Enki als Schöpfer der Welt und der Menschen, gebietet über die Schicksalstafeln und das Wasser des Lebens.

Rechts des Gebirges ist eine Ziege, ein Steinbock oder ein Stier abgebildet. Die Fantasiebegabten unter uns mögen hier vielleicht auch eine frühe Einhorndarstellung erkennen. Eine eindeutige Interpretation kann ich hier nicht anbieten. Der Stier versinnbildlicht die göttliche Kraft und steht zudem für Fruchtbarkeit oder Wettergottheiten. Auch der Adler darüber taucht meist in Verbindung mit Wettergottheiten, besonders Ningirsu, auf.
In der Bildmitte erkennt man den sumerischen Sonnengott Utu (Schamasch), zu erkennen an der Säge in seiner Hand und die Sonnenstrahlen, die aus seinen Schultern steigen. Mit der Säge bahnt sich der Sonnengott morgens den Weg aus der Unterwelt (L, S. 362) oder dem Gebirge im Osten (I, S. 135). Daher auch hier die für uns befremdliche Darstellung mit dem Sonnengott, der in einer Grube zu hocken scheint. Nach Amiet sind Gebirge und Unterwelt gleichzusetzen (I, S. 136). Das ist etwas verkürzt dargestellt. Mit dem Gebirge ist sicher das im Osten liegende Gebirge zum Iran gemeint. Nach sumerischer Vorstellung befand sich dort der Tunnel zur Unterwelt, den auch Gilgamesch auf seiner Suche nach dem Kraut der Unsterblichkeit durchschreiten musste. Der Sonnengott beendete seine Bahn abends im Meer des Westens, brachte des Nachts Licht und Speise in die Unterwelt und stieg dann im Gebirge wieder auf. Auf Abb-RS28 ist der Aufgang aus der Unterwelt mit zwei Pförtnern und Türflügeln dargestellt. Die sieben (vierzehn) Tore der Unterwelt kennen wir aus dem Mythos von Inannas Gang in die Unterwelt.

Die Gottheit links im Bild ist nicht eindeutig zuzuordnen. Nach einer Variante wird er als Nusku, eine Jagdgottheit, gedeutet (IA, add B02). Nusku ist uns als Begleiter, Bote und „Wesir“ des Himmelsgottes Enlil bekannt. In akkadischen Texten erscheint er allerdings vor allem als Licht- und Feuergott, weshalb ihm die Öllampe als Göttersymbol zugeordnet wird (K, S. 324; L, S.302). Eine andere Interpretation deutet die Figur als namenlose Vegetationsgottheit. Eindeutig zu identifizieren sind aber die vier anderen abgebildeten Götter. Die zweite Gottheit von links stellt Inanna/Ischtar dar. Die Pflanze links von ihr dürfte ihr in ihrer Funktion als Fruchtbarkeitsgöttin zugeordnet werden. Die Göttin ist hier mit Flügeln dargestellt. Die Flügel gehören nicht zwingend zum typischen Erscheinungsbild der Inanna/Ischtar, sind aber auch kein ungewöhnliches Element der Darstellung. Laut Bildbeschreibung des British Museum (IA, add B02) stehen die Flügel für den „Sieg“, ähnlich wie bei der griechischen Siegesgöttin Nike. Auch in Schriftquellen wird Inanna/Ischtar als fliegende Gottheit beschrieben. Allerdings scheinen die Flügel eher den Aspekt der Göttin als „Wind-„ oder „Sturmgöttin“ widerzuspiegeln. Groneberg assoziiert die Göttin mit der Sturmdämonin „Lilu“ (M, S. 126ff.). Wir kennen bereits die Verknüpfung von geflügelten Tieren und Mischwesen mit Wetter- und Sturmgottheiten (vgl. Zu, Löwenkopfadler, u. ä.). Die „Strahlen“ (L, S.187), die aus ihren Schultern sprießen, werden mehrheitlich als Pfeile gedeutet. Es sind auch Darstellungen mit zwei Köchern statt der sechs Strahlen bekannt. Außerdem ist Ischtar in der Bildkunst statt mit den Pfeilen auch mit Keulen oder einem Bogen belegt (G, Bd.5, S.88). Auch in dem Mythos „Inanna und Ebeh“ tritt die Göttin mit einer Keule bewaffnet auf. Auf dieser Grundlage ist der runde Gegenstand, den Inanna/Ischtar in ihrer linken Hand hält, als Keule zu deuten (vgl. „Keule des Mesilim“ RS15). Dabei fällt auf, dass nur der Arm mit der Keule abgebildet ist, der andere fehlt.
Die Darstellung als bewaffnete Göttin geht auf ihre Doppelfunktion als Göttin der Liebe und des Krieges zurück. Die starke räumliche und zeitliche Verbreitung der Inanna/Ischtar geht allerdings mit einer starken Variation der Göttin in Kult und Darstellung einher. Ob es sich jeweils um eine Variante derselben Gottheit oder ob verschiedene Göttinnen unter dem Namen der Göttin subsumiert wurden ist von Fall zu Fall unterschiedlich zu werten. Legen wir aber die gesicherten, zugegebenermaßen jüngeren Darstellungen der Inanna/Ischtar als bewaffnete Göttin zugrunde, lässt sich die linke Gottheit mit dem Bogen vielleicht neu deuten. Da nicht nur Pflanzen, sondern auch Tiere in den Einflussbereich der Inanna als Fruchtbarkeitsgöttin fallen und da Pfeil und Bogen nicht nur als Kriegswaffen, sondern auch als Werkzeug der Jagd gedeutet werden können, handelt es sich bei der linken Gottheit vielleicht um einen Begleiter der Inanna, einen ihr untergeordneten Jagdgott. Es ist anzunehmen, dass so elementare Funktionen wie die Jagd vielen regionalen Gottheiten mit begrenztem Machtbereich zugleich zugeordnet wurden. Vielleicht hatte der Siegelinhaber ein persönliches Verhältnis zu diesem namenlosen, regional verehrten Jagdgott, vielleicht war dieser sein persönlicher Schutzgott. Auch Inanna/Ischtar war eine dienende Gottheit mit Namen Ninschubura als Bote zugeordnet. Dieser wächst mit der Zeit mehr in die Rolle als „Wesir“ der Inanna/Ischtar hinein und wird in dieser Funktion mit einem Stab dargestellt. Ninschubura ist allerdings schon in präsargonischer Zeit belegt und würde besser ins Gesamtbild passen als Nusku, dessen typische Ikonographie auf dem Siegel ebenfalls fehlt. Der Löwe ganz links im Bild gilt in vielen Darstellungen als Begleiter der Inanna/Ischtar. Er ist allerdings auch als Begleiter anderer Götter belegt. Der Löwe gilt vor allem als Symbol der Macht und Herrschaft (besonders über die Erde). Die den Bogen tragende Gestalt wäre dann von zwei Symbolen (Löwe und Baum) umschlossen, die den Herrschaftsbereich der Inanna umreißen. Auch der Bildaufbau deutet auf eine solche mögliche Interpretation hin. Die Figur ganz rechts tritt ja auch nicht als selbstständige Gottheit, sondern als „Wesir“ und Begleiter des Enki auf. Dann würde die zentrale Gestalt der Darstellung im Bildmittelpunkt, der Sonnengott Schamasch, von zwei der höchsten sumerischen Gottheiten flankiert, die mit einem ihrem Wirkungsbereich zugeordneten Begleiter zwei Bildgruppen bilden. Damit würde sich der formale Bildaufbau in der Interpretation widerspiegeln. Bemerkenswert ist auch die Blickrichtung der Götter. Das linke Paar ist in Vorderansicht, das rechte Paar im Profil dargestellt.
Damit würde die Abrollung drei zentrale Bildthemen umfassen: Wasser, Sonne, Fruchtbarkeit. Erst das Zusammenspiel der drei Gottheiten garantiert dem Menschen die Überlebensgrundlage. Dabei sind in dem Bildthema auch drei grundlegende Zyklen der sumerischen Vorstellungswelt enthalten. Inanna, Göttin der Fruchtbarkeit, steht für den Wechsel von Sommerdürre und Erntezeit. Schamasch, der Sonnengott, steht für den Zyklus von Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit. (Sein Sonnenlicht ist grundsätzlich positiv besetzt. Nergal, Gott der Unterwelt, war Gott der tödlichen Sommerhitze.) Und Enki, Gott des Süßwasserozeans, steht für den Zyklus von Frühlingsflut und Niedrigwasser. Passender wäre in dem Zusammenhang, wenn Enki vom Gebirge herabsteigen würde, statt hinauf, ebenso wie Euphrat und Tigris vom Gebirge in die Steppen Mesopotamiens hinabsteigen.Inanna, Göttin des Venussterns, kündigt den Sonnenaufgang im Gebirge an (Morgenstern).Amiet interpretiert die Darstellung als Sinnbild für das „neue Jahr“.
Schwieriger ist es die abgebildeten Tiere, den Stier und den Adler zu deuten. Ich hatte die Idee, Adler und Stier als Wettersymbole mit den Annunaki, den Götterhelfern, in Verbindung zu bringen. In mindestens einem Mythos wird der Südwind mit einem der Annunaki gleichgesetzt. Zumindest in assyrischer Welt stellte man sie sich als Mischwesen (Adlermensch, Stiermensch) vor. Und wie erwähnt galt Enki zumindest zeitweise als Herr der Annunaki. Allerdings erscheint mir das Herstellen eines solchen Zusammenhangs konstruiert und unwahrscheinlich. Der Adler kann vielleicht mit dem Sturmvogel Zu in Verbindung gebracht werden, dessen Zuflucht das unbegehbare Gebirge war (N, S. 92f.). Aber das bleibt Spekulation.
 
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Die Tierbilder in deinem Album (3 und die letzten) haben mich zuerst angesprochen.
Kommen Tiermotive auf den Siegeln häufig vor?
Zur Interpretation der Menschen(gruppen) muß man tiefer einsteigen. Wie werden die ziegel/wellenförmigen Bodenplatten oder die flügelartigen Federn interpretiert?

Sind die Wellen Wasser und in den Langen Säcken über der Schulter Fische? (erkenne ich jetzt deutlicher in Vergrößerung)
 
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Die Tierbilder in deinem Album (3 und die letzten) haben mich zuerst angesprochen.
Kommen Tiermotive auf den Siegeln häufig vor?
Zur Interpretation der Menschen(gruppen) muß man tiefer einsteigen. Wie werden die ziegel/wellenförmigen Bodenplatten oder die flügelartigen Federn interpretiert?

Sind die Wellen Wasser und in den Langen Säcken über der Schulter Fische? (erkenne ich jetzt deutlicher in Vergrößerung)

O ja. Besonders in den Heldendarstellungen, der gerne als Bezwinger der wilden Tiere und Schützer der „heiligen Herde“ auftritt. Besonders einige Mischwesen dürften Dir dann auch liegen. Ich kann morgen ein Album anlegen.

Die „Platten“ symbolisieren das Gebirge, Die Flügel sind Teil einer typischen Darstellungsweise der Göttin Ishtar, die soweit ich mich erinnere besonders in der Akkad-Zeit kämpferischer aufgefasst wurde. Oben steht zu beidem mehr.

Ja die Fische sind typisch für Enki (Süßwasser-Kulturschöpfer-Bewässerung). Siehe auch hier.


Da stellen sich so viele Fragen. Was ist denn der Wesir eines Gottes?

So aus dem Gedächtnis: Eine Art Begleiter und in gewisser Weise „Diener der Gottheit“. So 100% klar war mir das damals auch nicht, der Begriff taucht in der Literatur in dem Zusammenhang auf. Ich habe aber zu einem anderen Thema ein schönes Beispiel (Nabu) für einen anderen Wesir gefunden, der das Verhältnis etwas besser beleuchtet.
Da werde ich morgen noch mal nachschlagen. Er war soweit ich erinnere Marduks „Schreiber“ und in dem Sinn sein Diener/Wesir/Gehilfe.
So eine Art „Knecht Ruprecht“? Da würde ich gerne noch mehr einsteigen, um etwas klarer zu sehen.

Wie siehst Du denn das Verhältnis von Eros und Aphrodite?

:schlafen:Entschuldigt, ist schon spät, morgen kann ich ein wenig mehr in die Bücher schauen.
 
Die „Platten“ symbolisieren das Gebirge, Die Flügel sind Teil einer typischen Darstellungsweise der Göttin Ishtar, die soweit ich mich erinnere besonders in der Akkad-Zeit kämpferischer aufgefasst wurde. Oben steht zu beidem mehr.
Ishtar war originär eine Kriegsgöttin und wurde später mit Inanna synkretisiert, diese hatte mit "Krieg" eher weniger zutun, war aber eine wichtige Göttin damals daher vermutlich die Vereinigung der beiden "wichtigen" Göttinnen.

Laut Jacobsen kommen die Flügel Inannas von ihrem Aspekt bzgl. Freudenmädchen, sie beziehen sich auf "Eulen" oder auch Kilili und das war einer der Beinamen von Ishtar/Inanna genau in dieser Funktion.

Die Interpretation mit Lilith / Lilu bzgl. der Flügel ist sehr alt und gilt als überholt.
Sie basierte auf einer schlechten Übersetzung von "Gilgamesh und die Unterwelt" bzw. Inannas Baum und einer damals verbreiteten Bibelübersetzung, die die bibl. Lilith als "kreischende Eule" übersetzte.
 
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Die göttlichen Gehilfen

Da stellen sich so viele Fragen. Was ist denn der Wesir eines Gottes?

Ich habe gestern noch mal in den Nabu-Artikel aus dem Reallexikon geschaut und heute im Bus ein wenig über die „Wesire“ gelesen.

Die Bezeichnungen variieren von „minister“, „Servant“ über „Wesir“, „göttlicher Unterkönig“ bis zu Bote und Diener.

Dabei scheint besonders die Botenfunktion wichtig zu sein. Nabus Name leitet sich von dem sumerischen Wort für „rufen“ ab. Er wird im Reallexikon als Herold interpretiert. Nusku wurde von Enlil, dessen Wesir er war, zu Enki geschickt, um dessen Rat zu erbitten.
Auf der anderen Seite übernehmen sie auch den praktischen Teil der Strafen, reißen etwa die Dämme ein, wenn die Sinflut ansteht. Nergal soll das auf den Schicksalstafeln geschriebene für die Götter vollstrecken.
Zugleich haben sie auch eine Vermittlerfunktion, stehen zwischen Gottheit und Gläubigem. An sie wenden sich die Menschen in der Not. Beltz vergleicht sie hier mit den christlichen Heiligen. Die „Wesire“ sind also zugleich auch „Schutzgötter“ (siehe hierzu bes. die „Einführungsszene“ in der altbabybylon. Kunst, wo der Herrscher in diese Rolle hineinwächst).

Beispiel Gibil (Feuergott, Blitz):
Gibil war Sohn des Anu. ..<wobei das Verwandtschaftsverhältnis eine Hierarchie ausdrückt>
... der Himmel und Erde verbindet.
Er schärfte die Waffen der Götter ,...
Er war ein zuverlässiger Gehilfe und Bote der Götter.
Wenn es Nacht geworden war und alle Götter sich zur Ruhe begeben hatten, so war Gibil doch wach und hörte das Flehen der Frommen.

zitiert aus Beltz: Das Tor der Götter

Die Frage ist, wie sind diese Vorstellungen entstanden, was steckt dahinter? Zwei Ideen:
Zum ersten wird hier eine Hierarchie abgebildet, die vielleicht die Hierarchie innerhalb der großen Wirtschaftsbetriebe, besonders des Tempels abbilden sollte.

Möglicherweise ist die Unterordnung der einen Gottheit unter die andere auch Folge von Eingemeindungen. So bestanden die sumerischen Stadtstaaten ja nicht aus einer Stadt und gerade beim Urbanisierungsprozess Uruks erkennt man das Verschmelzen verschiedener Siedlungen zu einem urbanen Zentrum.

Interessant sind natürlich besonders Figuren wie Nergal, der im Rang aufsteigen konnte und als Gemahl der von ihm besiegten Ereschkigal in der Unterwelt herrschte. Diesen Sieg kann man vielleicht als Ergebnis eines Konfliktes zwischen zwei Städten sehen. Vergleiche hierzu auch die Geierstele, auf der Ningirsu als Stadtgott mit seinem Netz persönlich die Feindes von Lagasch fängt.

[FONT=&quot]Jetzt aber an die Arbeit...[/FONT]:fs:
 
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Wie siehst Du denn das Verhältnis von Eros und Aphrodite?
Nun, abgesehen davon, daß es ja auch in der griechischen Mythologie keine eindeutigen Festlegungen gibt, die Hierarchien werden ja zumeist in den familiären Rahmen gelegt, würde ich Eros Aphrodite nicht als Helfer beiordnen. (Die Frage, wieviel von Inanna/Ishtar/Astarte auf die griechischen Aphroditevorstellungen eingewirkt haben, muß hier mal außer acht bleiben).
Gilt Eros zumeist als Sohn der Aphrodite, der ihr in der Kunst gern mal den Spiegel halten darf, so ist er manchmal ja auch die Urgottheit vom Beginn der Zeit an.
Das "Wesir"-Syndrom würde ich höchstens manchmal im Verhältnis von Zeus und Hermes sehen, wie es ab und an in Komödien auftaucht. Wenn sich Zeus den Ganymed als Mundschenk holt, hat er ja, äh :rotwerd:, auch andere Absichten, so daß da auch nicht ein wirkliches Dienerverhältnis entwickelt.

Aber das nur als Nebenbemerkung, wir wollen ja bei den Vorderasiaten bleiben.
 
Laut Jacobsen kommen die Flügel Inannas von ihrem Aspekt bzgl. Freudenmädchen, sie beziehen sich auf "Eulen" oder auch Kilili und das war einer der Beinamen von Ishtar/Inanna genau in dieser Funktion.

Die Interpretation mit Lilith / Lilu bzgl. der Flügel ist sehr alt und gilt als überholt.

Ich finde es immer etwas schade, wenn ich aus deinen Einwürfen nicht wirklich lernen kann.

Denn wie oben angegeben beziehe ich mich bei Ishtar/Lilith auf Groneberg 1997.
Du nennst das veraltet (?) und konterst mit der Theorie eines Historikers, der 1993 das Zeitliche gesegnet hat (Jacobsen).

Wer sagt denn, dass das veraltet ist?
Und welche Nachweise führt Jacobsen für die "Tempelprostitution" an? Ich rate mal, dass das damit zusammenhängt. Das kann doch nur auf der umstrittenen "Heiligen Hochzeit" beruhen, von der man nicht weiß, ob sie wirklich als kultische Zeremonie vollzogen wurde?
 
Das Grünsteinsiegel des Schreibers Adda

Man braucht schon eine Weile, um anhand deiner Ausführungen, das Siegelbild zu betrachten.
Da ich mich noch nie mit Rollsiegeln beschäftigt habe, ergeben sich einige Fragen:
Steht im Kasten links oben der Name und der Beruf?

Das zentrale Motiv in der Bildmitte mit den Gottheiten Inanna, Schamasch, Enki mit ihrer existenziellen Bedeutung Fruchtbarkeit, Sonne und Wasser hast du gut herausgearbeitet. Kommt dieses Motiv wegen der zentralen Bedeutung öfter vor?

Haben die Größenverhältnisse eine Bedeutung? Mich wundert etwas, dass die Wesire genauso oder größer dargestellt sind als die Hauptgötter in der Mitte.

Dieses Siegel gehörte einem Schreiber, weiß man, welche Personen und ca. wieviel Prozent der Bevölkerung ein solches persönliches Siegel besaßen?

Gab es auch nicht persönliche Siegel, etwa um die Waren eines bestimmten Tempels zu kennzeichnen?



Und nun das erste Siegel.

Hoffentlich nicht das letzte. :winke: Aber laß dir Zeit, du hast jedenfalls mein Interesse für das alte Mesopotamien geweckt.
 
Steht im Kasten links oben der Name und der Beruf?

Ja, die Keilschriftzeichen kenne ich nicht im Detail, vielleicht weiß Bonito da mehr, der sich ja oft auf Nissen/Green und ihr Werk zur Keilschrift bezieht. Interessant in dem Zusammenhang ist, dass der Löwedarunter tatsächlich Teil der „Unterschrift“ sein kann, also den höheren Rang des Schreibers ausweist. Ich habe an der Position bei einigen Siegeln ein solches Tier. In der syrischen Glyptik haben die dann die Schriftzeichen in Bildzeichen „zurückgewandelt“, darunter oft ein Löwe positioniert.

Das zentrale Motiv in der Bildmitte mit den Gottheiten Inanna, Schamasch, Enki mit ihrer existenziellen Bedeutung Fruchtbarkeit, Sonne und Wasser hast du gut herausgearbeitet. Kommt dieses Motiv wegen der zentralen Bedeutung öfter vor?
Bestimmt. Die Rollsiegel mit Haustiermotiven, die ich noch einmal nachgeschoben habe, müssen wohl auch in diese Richtung gedeutet werden. Ich habe mir die Siegel allerdings einzeln vorgenommen, geschaut was mir einfällt und was ich zu den einzelnen Bildelementen von anderen Darstellungen oder aus der Literatur ableiten konnte. Es handelt sich auf jeden Fall um kein in der Literatur behandeltes typisches Motiv (oder Motivfolge) wie die „Einführungsszene“.

Haben die Größenverhältnisse eine Bedeutung? Mich wundert etwas, dass die Wesire genauso oder größer dargestellt sind als die Hauptgötter in der Mitte.

Ja, Du erinnerst Dich an die Uruk-Vase. Tatsächlich habe ich von solchen Deutungen gelesen und das ist ja prinzipiell einleuchtend. Die Größenverhältnisse müssen aber nicht zwingend Rangverhältnisse widerspiegeln. Da würde ich im Einzelfall schauen. Ich habe ein Siegel mit dem Wettergott, der wesentlich (!) kleiner dargestellt ist, als die fürbittende Person vor ihm. Bei dem Adda-Siegel fällt etwas anderes in dem Zusammenhang auf. Auf einigen Abbildungen lassen sich auch anhand der Anzahl der Kronenzacken Rangunterschiede ablesen. Hier ist kein Unterschied zu sehen. Dabei ist Enkis „Minister“ sicher als solcher zu erkennen. Der Siegelschneider scheint auf solche Stilmittel verzichtet zu haben.

Dieses Siegel gehörte einem Schreiber, weiß man, welche Personen und ca. wieviel Prozent der Bevölkerung ein solches persönliches Siegel besaßen?

Gab es auch nicht persönliche Siegel, etwa um die Waren eines bestimmten Tempels zu kennzeichnen?
Da werden selten genauere Angaben gemacht, aus verständlichen Gründen, was ich gefunden habe, habe ich in der Einleitung geschrieben. (5.Absatz, „breite Verbreitung“)

Ja, es gab institutionelle Siegel. Wobei sich mir, nachdem ich die letzte Zeit über Wirtschaft und Gesellschaft gelesen habe, die Frage stellt, inwieweit sich die in der Vorstellung der Sumerer von persönlichen Siegel unterschieden, Die Wirtschaftseinheiten waren ja oft einfach nach dem Oberhaupt benannt, besonders die Tempel. Das Siegel des Tempel é Ba’u (Tempel der Baba) von Babas Siegel zu trennen…?
Die oben (Einleitung II) als „Göttersiegel“ genannten Siegel waren ja reine Schmucksiegel, also positiv geschnitten, allerdings auch ein späteres Phänomen. Es gab auch Familiensiegel, ich habe da auch eine Bildbesprechnung eines kassitischen Familiensiegels (mit schönen Pferdeabbildungen). Zu den Schriftzeichen: Wenn ich mich recht erinnere nahm besonders bei kassitischen Siegeln die Schrift mehr Raum ein als das Motiv. Andere Siegel haben gar keine Schrift.

Hoffentlich nicht das letzte.
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Aber laß dir Zeit, du hast jedenfalls mein Interesse für das alte Mesopotamien geweckt.
Kostet ja nur technische Mühe, da ich nur ein paar Absätze und Fettauszeichnungen ergänzen muss, geschrieben ist ja schon.
Gerne können wir uns aber auch eines der in mein Profil zur Auswahl eingestellten Abbildungen vornehmen, zu denen ich meist noch nichts habe. Wenn jemand da Wünsche hat…

Ich habe noch etwas zu der „Nackten Göttin“ das ich nach und nach posten möchte. Da lässt sich eine interessante Entwicklung ablesen. Berührt auch die Themenkomplex der „Tempelprostitution“ und wie Motive miss- oder umgedeutet wurden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber das nur als Nebenbemerkung, wir wollen ja bei den Vorderasiaten bleiben.

Schade eigentlich, da gerade die Ausstrahlung in den Mittelmeerraum finde ich faszinierend. Mir gefällt es, wenn sich zeigt, dass wir, trotz Kullturunterschiede, doch alle mehr miteinander gemein aben, als man so glaubt.

Konkret wollte ich immer gerne eine Frage zu Pegasus loswerden:
Bei Ranke-Graves steht, das Pegasusmotiv habe über eine Deutung des weißen, geflügelten Stiers als Göttersymbol Marduks auf einer syrischen Vase Einzug in die griechische Mythologie gehalten.
Ich habe da nirgendwo was zu gefunden, geschweige denn ein Bild der Vase? Weisst Du da mehr?
Ich habe ein Rollsiegel (mittelassyrisch) mit inem geflügelten Pferd in meinem Profil.

1) Ranke-Graves: Griechische Mythologie, Rowohlt, S.221
 
Ich finde es immer etwas schade, wenn ich aus deinen Einwürfen nicht wirklich lernen kann.
Sorry das war nicht meinte Absicht.
Ich bezog mich dabei u.a. auf die Arbeit
"Pictures and Pictorial Languages" von Jacobsen in "Figurative Language in the Ancient Near East" von Mindlin et.al von 1987.

Denn wie oben angegeben beziehe ich mich bei Ishtar/Lilith auf Groneberg 1997.
Du nennst das veraltet (?) und konterst mit der Theorie eines Historikers, der 1993 das Zeitliche gesegnet hat (Jacobsen).
*autsch* stimmt natürlich.
Ich vemutete, wahrscheinlich falsch, dass es sich um eine Referenz auf die "alte" Vermutung handelt, da diese sehr oft zitiert wird.
Ich sehe das Groneberg die Flügel eher als himmlisch sieht, als "unterweltlich" ... das sehe ich auch so ... auch wenn mein Meinung wohl nicht wichtig ist.
Sie sieht die Flügel originär als Symbol für "Wind" oder "im Himmel fliegen".
Eine Gleichsetzung von Inanna und "Lilith" finde ich aber etwas sehr weit hergeholt - immerhin stellt Inanna sich in "Gilgamesh und die Unterwelt" gerade gegen diese - und vielmehr "alte" Texte bzgl. Lilith gibt es ja nicht.
Sie bezieht sich ja selber in "Lob der Ishtar" zum Teil auf aramäische Quellen während der "Gilgamesh und die Unterwelt" Text doch deutlich älter ist.

Wer sagt denn, dass das veraltet ist?
Jaja die Groneberg ist natürlich neuer - ich bezog mich auf die "Fügel" und "Lilith" Thesen von vor dem 2. Weltkrieg und die darf man wohl durchaus als veraltet sehen, da diese auf einer sehr fehlerhaften und "merkwürdigen" Quellenlage basieren. Sicherlich kann es natürlich neuere Fakten geben, die trotzdem in die gleiche Richtung gehen.

Und welche Nachweise führt Jacobsen für die "Tempelprostitution" an?
Keine - er sah darin auch mehr einen neuzeitlichen Mythos als einen historischen Fakt. Trotzdem war einer der Aspekte Inannas doch der der Prostitution, oder nicht?

Das kann doch nur auf der umstrittenen "Heiligen Hochzeit" beruhen, von der man nicht weiß, ob sie wirklich als kultische Zeremonie vollzogen wurde?
Vermutlich eines der größten Missverständnisse der frühen Assyrologie ;)

Ich werden mir die Arbeiten von Groneberg wohl ausfürlicher vornehmen müssen - sorry ich habe da wohl reflexartig reagiert.
 
Sorry das war nicht meinte Absicht.
Ich bezog mich dabei u.a. auf die Arbeit
"Pictures and Pictorial Languages" von Jacobsen in "Figurative Language in the Ancient Near East" von Mindlin et.al von 1987..
Jaa, das finde ich wesentlich konstruktiver.:winke:
Die Angabe war mir auch aufgefallen, die taucht ja häufig auf und Groneberg baut in gewisser Weise auf seine Identifizierung der Geflügelten Göttin auf dem Burtney Relief als Kilili auf. Bei der Gleichsetzung habe ich auch geschluckt, als ich die Stelle noch mal gelesen habe. Aber ich sichte noch und habe noch keine abschließende Meinung.

Sehr passend für die Diskussion ist doch, dass hier auch das Wesen der "Wesire" besprochen wird. So war mir neu, dass Inanna/Ishtar 18 "Boten" in ihrem Gefolge hatte, darunter Kilili und Lilu.

Diese als Manifestationen bestimmter Aspekte der vielschichtigen Göttin zu interpretieren, sie nicht als Begleiter sondern Variationen Ishtars zu deuten hat auch was für sich.

So soll der/die doppelgeschlechtliche Ninshubur die starken männlichen wie weibliche Aspekte, ihre Doppelrolle auch in dieser Beziehung betonen. Verkleidung und Tausch der Geschlechtsrollen spielten auch in ihrem Kult eine wichtige Rolle.
Lilu verkörpert den zerstörerischen Aspekt der Göttin, sie ist ihre „Unheilsbotin“.

Ich hab noch nicht alles, was ich gefunden habe gelesen. In dem Thema steckt aber noch viel drin.



P.S. Ich habe vor 2 Jahren lange nach Deutungsmöglichkeiten für die Flügel (bei allen Gestalten) gesucht. Aber alle schienen mit dem Wind oder Wetter in Zusammenhang zu stehen. Das war für mich bei der Interpretation dieser Szene das Interessante an der Stelle bei Groneberg.
 
Sehr passend für die Diskussion ist doch, dass hier auch das Wesen der "Wesire" besprochen wird. So war mir neu, dass Inanna/Ishtar 18 "Boten" in ihrem Gefolge hatte, darunter Kilili und Lilu.
Da hätte ich allerdings auch gerne eine belastbare Quelle zu.
Gerade für "lilu" ... Kilili ist soweit ich weiss ein Beiname von Ishtar gewesen.

Diese als Manifestationen bestimmter Aspekte der vielschichtigen Göttin zu interpretieren, sie nicht als Begleiter sondern Variationen Ishtars zu deuten hat auch was für sich.
Nur komisch wenn Inanna dann Ninshubur Anweisungen gibt ... irgendwie passt das nicht.

So soll der/die doppelgeschlechtliche Ninshubur die starken männlichen wie weibliche Aspekte, ihre Doppelrolle auch in dieser Beziehung betonen.
Soweit ich allerdings weiss ist Ninshubur in den älteren Texten IMMER weiblich und wurde erst viel später "vermännlicht."
Und als "Mann" wird sie auch nichtmehr als Begleiterin Inannas erwähnt, sondern als Unterweltgott.
Ich weiss ich hätte in dem Buch von "Groneberg" gerade für solche Behauptungen gerne auch Texte als belege inkl. Transliterierung.

Verkleidung und Tausch der Geschlechtsrollen spielten auch in ihrem Kult eine wichtige Rolle.
Das ist mir bekannt.

Lilu verkörpert den zerstörerischen Aspekt der Göttin, sie ist ihre „Unheilsbotin“.
Ich kenne diese Behauptung .. aber wo hat sie das her?
Die "Lilu" ist in dem von mir erwähnten Gilgamesh Text eine Gegnerin Inannas - sonst gilt die "Lilu" als Überträgerin von Geburts"problemen" bzw. Krankheiten .. aber als Kriegsgöttin habe ich die noch nie gesehen.

P.S. Ich habe vor 2 Jahren lange nach Deutungsmöglichkeiten für die Flügel (bei allen Gestalten) gesucht. Aber alle schienen mit dem Wind oder Wetter in Zusammenhang zu stehen. Das war für mich bei der Interpretation dieser Szene das Interessante an der Stelle bei Groneberg.
Das ist für mich momentan die einzige Stelle, die ich vorbehaltlos akzeptieren würde :scheinheilig:
 
Da hätte ich allerdings auch gerne eine belastbare Quelle zu.
Gerade für "lilu" ... Kilili ist soweit ich weiss ein Beiname von Ishtar gewesen. [...] Die "Lilu" ist in dem von mir erwähnten Gilgamesh Text eine Gegnerin Inannas

Da ich den Aufsatz von Jacobsen vorliegen habe, hat mich diese Aussage doch überrascht.

Seine Ausgangsbasis ist schließlich folgende:

"Following the consensus of Assyriological opinion as it was then, and still is, he considered Kilili to be a female demon, a kind of Lilith..."
Aber Dir ist Kilili ja nur als Beiname Ishtars bekannt...

Er nimmt also eine Gestalt aus der Familie der Lil-Geister und deutet diese als Manifestation eines bestimmten Aspekts Ishtars. Dasselbe tut Groneberg mit ardat-lili. Wie Du da jetzt eine Gegenposition konstruieren willst, erschließt sich mir nicht. Zumal Groneberg im Wesentlichen auf Jacobsen aufbaut (von interessanten Abweichungen in der Deutung der Fenstermetapher z.B. abgesehen).

Abgesehen davon, dass Deine Wiedergabe der Gilgamesch-Episode stark verkürtzt ist, ist dort auch gar nicht von lilu die Rede, sondern von ki-siki-li-la. In altbabylonischer Zeit sind mehrer Lil-Geister bekannt. Ob es sich um unterschiedliche Geister oder Namen handelt, scheint ungewiss. Wobei ich einer Gleichsetzung der verschiedenen "Windmädchen" prinizipiell folge. Dir liegen aber sicher wasserdichte Belege für die Gleichsetzung von lilu und ki-siki-li-la vor.

Nur komisch wenn Inanna dann Ninshubur Anweisungen gibt ... irgendwie passt das nicht.
Zunächst müssen sich Glaubensvorstellungen nicht logisch rational erfassen lassen. Zumal auch andere paradoxe kultische Vorstellungen bekannt sind. (Sallaberger schreibt da etwa ein wenig in seinem Gilgamesch-Buch zu).
Groneberg verwendetden Ausdruck Hypostase in diesem Zusammenhang. Nach genauerem Lesen wird dieser im Lob der Ishtar auch nur für Ardad-Lili und nicht Ninshubur in Anspruch genommen, Ninshubur allerdings als Beispiel für die Manifestation eines bestimmten Aspekts der Göttin herangezogen. Da Dir der Text vorliegt, ist Dir das ja sicher bekannt.

Soweit ich allerdings weiss ist Ninshubur in den älteren Texten IMMER weiblich und wurde erst viel später "vermännlicht."
Und als "Mann" wird sie auch nichtmehr als Begleiterin Inannas erwähnt, sondern als Unterweltgott.
Das entspricht leider nicht den Tatsachen, selbst wenn man die vagen Angaben "älteren" und "später" großzügig auslegt. Vielmehr gilt hier:

"A (cultic) solution to the gender problem is alluded to in an OB sumerian hymn in which the godess is presented as dressed both in a male (right side) and a female robe (left side)." RlA9

Ich weiss ich hätte in dem Buch von "Groneberg" gerade für solche Behauptungen gerne auch Texte als belege inkl. Transliterierung.
Groneberg, die immerhin mehr als 30 Jahre zu Inanna/Ishtar forscht, unwissenschaftliches Arbeiten zu unterstellen ist natürlich leicht. Selbstverständlich führt sie an der betreffenden Stelle einen Beleg an. Es wäre nun an Dir, diese Arbeit zu besorgen, um dort nach "Transliterierungen" zu schauen.

Ich kenne diese Behauptung .. aber wo hat sie das her?
.. aber als Kriegsgöttin habe ich die noch nie gesehen.

Von Ihrem Aspekt als Kriegsgöttin war ja auch nie die Rede. Deine Frage hast Du im gleichen Satz bereits selbst beantwortet.

Da hätte ich allerdings auch gerne eine belastbare Quelle zu.
An dieser Stelle sei abschließend erwähnt, dass der Hauptteil des "Lob der Ishtar" zwei (neue) altbabylonische Texte umfasst, die Groneberg vorstellt (inkl. Deiner Transliterierungen) und auf deren Grundlage sie argumentiert. Das hier durch laute Rufe nach Belegen als Bündel unbelegter Behauptungen darzustellen, finde ich schon ziemlich dreist. Dass sie sich daneben auf die Arbeit anderer, unter anderem Jacobsen, beruft um die Texte und ihre Deutung in einen Kontext einzubringen, Dir also nicht sämtliche Quellen frei Haus geliefert werden, ist ihr wohl kaum vorzuwerfen. Eine kritische Auseinandersetzung mit Fachliteratur sieht m.E. anders aus.
 
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